Melancholie und Depression
ihre Wertung und Behandlung im Lauf der Geschichte

Die Geheimlehre vom "höheren Melancholiker"

Wenigen von uns dürfte bekannt sein, daß in der Renaissance der antike Ansatz der Temperamentlehren weiterentwickelt wurde. In kleinen, hermetisch abgeschotteten Kreisen entstand die Geheimlehre vom "höheren Melancholiker". Diese Lehre beanspruchte kühn, das Heilmittel gefunden zu haben, um aus trübsinnigen, weltscheuen und in-trovertierten Menschen große, begnadete und lebensfrohe KünstlerInnen zu machen, kurzum, Genies zu erzeugen!
Man ging nun davon aus, daß der Melancholiker aus übergroßer Intelligenz zu einer Verachtung des Alltäglichen und des Weltgeschehens neige. Wie aber sollte gerade dieser Mensch zu einer Haltung der Lebensbejahung gebracht werden?
1. Zunächst galt es, die im Übermaß vorhandene "schwarze Galle" über verschiedene Bewegungs- und Diätformen körperlich abzubauen und die übrigen Körpersäfte zu steigern, bis ein möglichst ausgewogenes Verhältnis bestand.
2. Anschließend ging man unter Anleitung daran, die im Patienten schlummernden Talente durch intensive Beschäftigung mit künstlerischen Dingen zu entwickeln. Aus der anfangs ziellosen Vielfalt kreativen Tuns (Experimentalphase) begann man nach und nach die Stärken, das kreative Hauptpotential herauszufinden.
3. In diesem Bereich wurde dann mit viel Disziplin und unter ständiger Beachtung der Punkte 1 und 2 nach und nach das künstlerische Handwerkszeug, die Erfah-rung und die Routine weiter entwickelt. Der Weg war dabei das Ziel, und die Pha-se drei galt nicht automatisch als für immer gesichert. Ab und zu kam es auch Rückschlägen ins alte Naturell, welche dann aufgefangen und kuriert werden mußten. "Vita activa", d.h. aktives Leben und "vita contemplativa", also betrachtendes, passives Leben, sollten harmonisch in Einklang stehen.


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aktualisiert am 10.08.99

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