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Das Minenfeld der Kräutermedizin
Stephen Barrett, M.D.
Neurologen & Psychiater des Saarlandes, Berufsverband der Niedergelassenen e.V.

1997 gaben die Kunden von Reformhäusern für Kapseln, Tabletten, Kräuter und Kräutertees mehr als 1 Milliarde US $ aus. Zwar werden viele dieser Produkte aufgrund ihres Geschmacks und Aromas konsumiert, die meisten aber wahrscheinlich für medizinische Zwecke verwendet, da ihnen gewisse Eigenschaften nachgesagt werden. Branchenübergreifende Vertriebe und Apotheken verdienten an Mitteln zur Eigenbehandlung noch Hunderte von Millionen Dollar mehr. Pflanzenmedizin wird auch von Naturheilkundlern, Akupunkturisten, Iridologen, Chiropraktikern und Kräuterhändlern ohne Konzession vermarktet, viele von ihnen verordnen sie für das gesamte Spektrum gesundheitlicher Probleme. Ein Großteil dieser Praktiker ist gar nicht dafür qualifiziert, medizinische Diagnosen zu erstellen oder zu bestimmen, in welchem Verhältnis die von ihnen verordneten Produkte zu bewährten Medikamenten stehen.

 Die Befürworter der Pflanzenmedizin machen gerne darauf aufmerksam, daß die Hälfte der heute gängigen Medikamente von Pflanzen abstammt. (Digitalis z.B. wurde ursprünglich aus den Blättern des Fingerhuts gewonnen.) Diese Aussage ist zwar wahr, aber irreführend. Industriell hergestellte Arzneimittel enthalten bestimmte Mengen von wirksamen Substanzen. Der Gehalt von ein- und derselben Pflanzenart im natürlichen Zustand kann von Gewächs zu Gewächs sehr stark variieren, darüber hinaus enthalten Pflanzen oft Chemikalien, die keinen Nutzen bringen, wohl aber Nebenwirkungen haben.

 Wenn eine wirksame natürliche Substanz entdeckt wird, dann versuchen Arzneimittelhersteller, die entsprechende Chemikalie zu isolieren und zu synthetisieren, um einen gefahrfreien und wirksamen Stoff zu erhalten. Sie versuchen ebenfalls, Derivate zu gewinnen, die wirksamer und berechenbarer sind und weniger Nebenwirkungen haben. Die verschiedenen Digitalis-Derivate weisen ein Spektrum an unterschiedlichen Ansprechzeiten und Wirkungsdauern auf. Die Blätter des Fingerhuts werden heute als Arzneimittel praktisch nicht mehr verwendet, weil ihre Wirkung weniger berechenbar ist. Viele Pflanzen enthalten Hunderte oder gar Tausende von chemischen Stoffen, die nicht vollständig katalogisiert sind. Manche dieser chemischen Stoffe können sich als brauchbare Heilsubstanzen erweisen, andere jedoch sehr wohl giftig sein.

 In den USA unterliegen Pflanzen, die für die Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten verwendet werden, eigentlich dem Arzneimittelgesetz. Um dieses Gesetz zu umgehen, werden diese Produkte als "Nahrungsmittel" oder "nahrungsergänzende Produkte" gehandelt, auf den Etiketten ist kein Hinweis auf ihre Verwendung als Heilmittel zu finden. Wenn Pflanzen nicht als Arzneimittel gelten, gibt es auch keine gesetzliche Regelung für ihre Gewinnung, Verarbeitung oder Verpackung. Die Zusammensetzung des Produkts und die Konzentration der Wirkstoffe sind auf den Etiketten oft nicht genau angegeben, vor allem, wenn es sich um Produkte mit teuren Rohsubstanzen handelt. Viele Produkte, die als pflanzlich deklariert werden, enthalten gar keine wirksamen Substanzen, manche nicht einmal die Grundsubstanz, derentwegen sie gekauft werden.

 Das US-Gesetz für gesundheitliche Aufklärung über nahrungsergänzende Produkte von 1993 definiert pflanzliche Produkte als "nahrungsergänzende Produkte", obwohl Heilpflanzen nur wenig oder gar keinen Nährwert haben. (Die treibende Kraft für diese Gesetzesvorlage waren die Hersteller von Reformhauskost, um die Überwachung ihrer Produkte durch die FDA abzuschwächen.) Heilpflanzen oder andere pflanzliche Produkte enthalten sowohl verarbeitete oder unverarbeitete Pflanzenbestandteile (Rinde, Blätter, Blüten, Früchte und Stiele), als auch Extrakte oder ätherische Öle. Verkauft werden sie in Form von Tees, Pulver, Tabletten, Kapseln und Elixieren. Sie können als einzelne Substanzen oder in Kombination mit anderen Kräutern, Vitaminen, Mineralstoffen, Aminosäuren oder nicht ernährungsrelevanten Substanzen gehandelt werden. Die Tatsache, daß eine Pflanze als giftig bekannt ist, bedeutet noch nicht unbedingt, daß sie aus dem Handel genommen wird. Wenn die FDA zu dem Schluß kommt, daß eine Pflanze gefährlich ist, dann warnt sie eher vor ihr als sie zu verbieten.

 Um eine rationale Entscheidung für oder gegen die Verwendung eines pflanzlichen Produkts zu treffen, ist es notwendig zu wissen, was es enthält, ob es ungefährlich ist, und ob es sich als genauso gut oder besser als ein pharmazeutisches Produkt, das für den gleichen Zweck auf dem Markt ist, erwiesen hat. Für die meisten pflanzlichen Produkte sind diese Angaben unvollständig oder gar nicht verfügbar. Schlimmer noch, die über Heilpflanzen veröffentlichten Informationen sind meist unzuverlässig. Varr E. Tyler, Ph.D., ehem. Dekan der Purdue University School of Pharmacy und führende Autorität auf dem Gebiet der Pharmakognosie (Wissenschaft der Bestimmung und Identifizierung der Arzneimittel und Drogen), hat beobachtet:

In der Gegenwart gelangt mehr Fehlinformation über die Sicherheit und Effizienz von Heilpflanzen an die Öffentlichkeit als jemals zuvor, einschl. der Blütezeit der patentrechtlich geschützten Medizin um die Jahrhudertwende. Zur Literatur, die für Heilpflanzen wirbt, gehören Broschüren, Zeitschriftenartikel, Bücher jeder Qualitätsklasse von billig gedruckten Handzetteln bis hin zu anspruchsvollen Studien, sorgfältig gebunden und mit ansprechenden Illustrationen. Praktisch jede dieser Schriften empfiehlt eine große Anzahl von Heilpflanzen, deren Wirksamkeit auf Gerüchten, volkstümlicher Überlieferung und Tradition basiert. Das einzige Kriterium, das diese Schriften zu meiden scheinen, sind wissenschaftliche Beweise. Manche davon sind so universal und unkritisch, daß sie praktisch jede Pflanze für jeden beliebigen Zweck zu empfehlen scheinen. Selbst hochgiftige Pflanzen werden zuweilen als Heilmittel angepriesen, basierend auf irgendeinem veralteten Bericht oder einer Fehlinterpretation der Fakten. Besonders heimtückisch ist der Mythos, daß Heilpflanzen eine fast magische Kraft besitzen, die verhindert, daß sie - in ihrem natürlichen Zustand - einem Menschen Schaden zufügen können.

In zweien seiner Bücher (The Honest Herbal und Herbs of Choice) faßt Tyler erwiesene Fakten über viele weit verbreitete Heilpflanzen zusammen. The Review of Natural Products (ein Rundschreiben) ist ebenfalls eine zuverlässige Quelle. Da es sichere und effiziente Arzneimittel gibt, macht Heilbehandlung mit Pflanzen jedoch wenig Sinn, zudem ist Eigenbehandlung für viele Leiden, für die Pflanzen empfohlen werden, keine geeignete Methode. Tyler mahnt an, daß der Konsument für Geld, das er in Pflanzen-"medizin" investiert, mit geringerer Wahrscheinlichkeit gute Qualität erhält als bei nahezu allen anderen gesundheitsfördernden Produkten.

 Bücher, die sie meiden sollten:

· The Complete Medicinal Herbal (Ody)

· Earl Mindell's Herb Bible (Mindell)

· Natural Healing with Herbs (Santillo)

 

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