INDUSTRIELLE ENTWICKLUNG

War über Jahrhunderte hinweg unsere Heimatgemeinde ein reines Agrardorf, so änderte sich das am Aschermittwoch 1896. An diesem Tage protokollierten die Gebrüder Michael und Georg Lang den Erwerb eines großen Platzes direkt östlich der Wertach. Und schon am 14. Februar 1896 begann man mit dem Bau einer Holzstoffabrik. Ein Jahr später stand das Gebäude, und die Turbine, gespeist vom Wertachwasser, lief an. Die gesamte Belegschaft bestand damals aus 16 Arbeitern, die einen Wochenlohn von 13,20 Mark erhielten, abzüglich 20 Pfennige Krankengeld, und das alles bei einer Wochenarbeitszeit von 72 Stunden.
Der gewonnene Holzstoff mußte mühselig mit Pferdefuhrwerken über kiesgeschüttete Wege zum Bahnhof Westerringen gefahren werden, wo er mit der Bahn an die umliegenden Papierfabriken geliefert wurde.
Nachdem Michael Langs Bruder Georg aus dem Geschäft ausgeschieden war, investierte der "Fabrikler" - so wurde er allgemein im Dorfe genannt - weiter. Er baute eine Papierfabrik zur Herstellung von Zeitungsdruckpapier, und am Sylvestertage 1910 lief das erste "Langpapier" aus der Maschine. Die erste Jahresproduktion betrug 2.497 to. Weltkrieg und Inflation machten dem jungen Betrieb schwer zu schaffen, doch es wurde hart weitergearbeitet.
1932 verstarb der Seniorchef Michael Lang. Er hatte noch die Erweiterung der Kraftanlage durch einen 32-Atü-Borsigkessel in die Wege geleitet.
Hatte die Papier-Jahresproduktion 1931 noch bei 4.115 to gelegen, so produzierte man 1937 bereits 8.055 to. In den Jahren zwischen 1920 und 1939 wurde eine Exportmenge von 20.585 to erreicht. Selbst nach China lieferte das Werk eine zeitlang monatlich bis zu 27 Waggons Papier.
Der zweite Weltkrieg und die Niederlage brachten den Betrieb wieder in große Bedrängnis. Die Produktionszahlen fielen auf 382 to im Schicksalsjahr 1945. Danach ging es jedoch wieder aufwärts. 1956 lief die zweite Papiermaschine an, ein neuer, größerer Kessel wurde aufgestellt, und 1971 begann die dritte Papiermaschine zu produzieren. Jetzt schnellten die Produktionsziffern hoch. Hatte man in fünfzig Jahren von 1911 bis 1960 331.649 to Zeitungsdruckpapier hergestellt, so waren es allein im Jahre 1975 bereits 66.000 to.
Dies bedeutete für die Ortschaft ein vermehrtes Arbeitsplatzangebot, welches natürlich nicht allein durch die einheimische Bevölkerung gedeckt werden konnte. So wurden in Fabrik und Säge an die 200 Türken und Jugoslawen als Gastarbeiter eingestellt.
Im Jahre 1973 wandelte man das Familienunternehmen Lang in eine Aktiengesellschaft um und sieben Jahre später wurde eine Wellpapiermaschine in Betrieb genommen.
Bereits 1983 plante die Firma in einer Höhe von etwa 140 Millionen DM eine neue Investition, eine vierte Papiermaschine. Gleichzeitig wurde der Grundstein für eine biologische Kläranlage auf Firmengelände gelegt, die evtl. auch die kommunalen Abwässer aufnehmen soll.
Bald zogen dunkle Wolken über dem Werk auf. Schon im Sommer 1985 traten bei dem Wellpapierhersteller Schwierigkeiten in der Lohnzahlung auf, und so kam es Ende 1985 zur Schließung dieses Betriebszweiges.
Jedoch auch die Stammfirma "Papierfabrik Lang AG" geriet allmählich in den Strudel eines Konkurses; 450 Arbeitsplätze waren damit bedroht. Am 13.11.1985 wurde hier das Konkursverfahren eröffnet. Nach bedrückenden und sorgenvollen Monaten übernahm der finnische Papierhersteller Myllykoski Oy per 1. 1. 1987 sämtliche Geschäftsanteile der Gebrüder Lang GmbH. Damit war die Ettringer Firma gerettet und wieder konkurrenzfähig. Der Umsatz erreichte mit 370 Beschäftigten im Jahre 1986 bei 170.000 to Zeitungsdruckpapier 200 Millionen DM.


Aktuelle Infos zur Papierfabrik Lang finden Sie unter:
www.langpapier.com

 

 

 


Neben diesem für Ettringen so bedeutungsvollen Industriewerk seien aber auch die kleineren und mittleren Handwerksbetriebe genannt, die der Gemeinde Ettringen Handel und Wandel brachten.
Hatte die Ortschaft vor reichlich 100 Jahren etwa 950 Einwohner, so sind es heute in der Altgemeinde an die 2300, wobei nur noch knapp 150 Erwerbstätige in der Land- und Forstwirtschaft arbeiten, während es im produzierenden Gewerbe über 600 Arbeitnehmer sind.
Viele von ihnen beschäftigt die Bauindustrie, die mit mehreren Firmen an die 200 Arbeiter eingestellt hat. Ihr Arbeitsbereich umfaßt den Hoch- und Tiefbau, ferner Bagger- und Kanalarbeiten. Außerdem finden sie Arbeit in folgenden Betrieben: Stalleinrichtungen, Ölfeuerungsanlagen, Bedachungen, im Baustoffhandel, wie auch in Schreinerei, Zimmerei oder als Maler, Schlosser, Spengler, Raumausstatter, Elektriker, in der Elektrotechnik und im Transportgewerbe.
Natürlich lief dieser Aufschwung im produzierenden Gewerbe auch parallel zur Nahrungs- und Gaststättenbranche. Reichlich sortierte Geschäfte und gemütliche Speise- und Gastwirtschaften erhielten in unserem Orte eine gute Existenzgrundlage. Nicht vergessen seien der Kfz-Handel, die Autolackiererei, der Heizölhandel und die Tankstellen am südlichen und nördlichen Dorfende, die Viehhandlungen, die Gärtnereien, die Metzgereien, Versicherungsagenturen, wie auch Wäscherei, Reinigung, Textilhandel, Gemischtwarenhandel, Friseure und all die anderen Gewerbetreibenden, die einer Ortschaft das geben, was der Ansässige täglich benötigt.
Ebenso erweiterte sich nach dem letzten Kriege die ärztliche Versorgung der Bevölkerung. Ärzte, Zahnarzt, Tierarzt und Apotheke ließen sich nieder und gehören heute zur unverzichtbaren Einrichtung unserer Gemeinde.
All die genannten Firmen, Geschäfte, Landwirte, Arbeiter und Selbständige entwickelten und entwickeln, einen regen Geldverkehr, der von zwei Banken wahrgenommen wird, die 1968 und 1970 neue Gebäude mit modernen Kassenschaltern bezogen haben. Auch die Post eröffnete vor 33 Jahren im Ortszentrum einen neuen Schalterraum.
Im kommunalen Bereiche steht der Gemeinde seit 1972 ein hauptamtlicher Bürgermeister vor mit einer modern eingerichteten Verwaltung. Ein gut ausgestatteter Bauhof, eine bestens ausgerüstete Feuerwehr, wie auch eine eigene Wasserversorgung vervollkommnen die öffentlichen Einrichtungen.


Von weiterer besonderer Bedeutung für Ettringen war im Jahre 1969 der Bau eines Kurzwellensenders durch die Deutsche Bundespost. Auf dem Gebiete des ehemaligen Pisterhofes, östlich von unserem Dorfe gelegen, entstand hier auf einer ca. 200 ha großen Fläche der größte Kurzwellensender Europas, wenn nicht gar der westlichen Welt.
Als am 26. August 1969 ein ehemaliger königlich-bayerischer Postillion zur Grundsteinlegung ins Horn blies da wurde eine Pergamenturkunde in einen Betonklotz eingeschlossen, die folgenden Wortlaut hat:

 

"36 Tage, nachdem der erste Mensch den Mond betrat, am 40. Jahrestag der Gründung der Deutschen Welle, genau drei Jahre vor Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in München! Diese Sendestelle soll mit ihren leistungsstarken Fünfhundert-Kilowatt-Sendern die Stimme der Bundesrepublik Deutschland in der Welt hörbar machen, um den Hörern im Ausland ein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Bild vom heutigen Deutschland zu liefern."

 

Innerhalb weniger Jahre wurde die gesamte Anlage erstellt. Es mußten 25 Türme gesetzt werden, die zum Teil 123 m hoch und bis zu 200 to schwer sind. Zehn 500-kW-Kurzwellensender und ca. 80 Antennen arbeiten vollautomatisch, von Prozeßrechnern gesteuert und überwacht. Die Antennenanlage, die sternförmig gebaut ist, damit die Richtantennen jeden Punkt der Erde versorgen können, ist von einem 10 km langen Zaun umgeben. Allein 90 ha Land sind mit technischen Einrichtungen bebaut. Im Sendegebäude befinden sich zwei große Sendesäle von jeweils 1000 qm, die die elektronische Einrichtung bergen.


Gittermasten mit Antennen


So hat sich das Landschaftsbild im Osten von Ettringen wesentlich verändert. Aus den grünen Wiesen recken sich die rot-weiß angestrichenen Sendemasten hoch zum Himmel und aus der Silhouette des Dorfes ragen die Kamine der Papierfabrik auf. Sie verkünden, daß unsere fast 1000 Jahr alte Ortschaft auf ihrem Gang durch die Jahrhunderte heute mit pulsierendem Leben erfüllt ist, der Vergangenheit verpfichtet und der Zukunft zugewandt.