Dr. Werner Bormann: Funktion und Kultur des Esperanto

Herausgegeben vom Deutschen Esperanto-Institut

Dr. Werner Bormann Fremdsprachen muß man können, wenn man mit Menschen aus anderen Völkern reden will. Nun bereitet es aber eine ungeheure Mühe, die Sprache auch nur eines einzigen Volkes zu erlernen. Deshalb ist nur recht wenigen Menschen das unmittelbare Gespräch mit Ausländern möglich. Weithin müssen Dolmetscher zwischengeschaltet werden. Viel besser wäre aber eine direkte sprachliche Verständigung. Es müßte die Möglichkeit erschlossen werden, sich einer leichten Fremdsprache zu bedienen, und mit ihr müßte man auch nicht nur an ein einzelnes Volk herankommen. Diese Aufgabe kann nicht von einer Nationalsprache bewältigt werden; sie zu lösen obliegt einer Internationalen Sprache. Die notwendigen Eigenschaften einer solchen Sprache lassen sich in fünf Anforderungen zusammenfassen.

Alle diese Aussagen lassen sich mit einer Fülle von Beispielen belegen.

Leichtigkeit

Gesprochene und geschriebene Sprache

Grammatik

Wortschatz

Ausdrucksreichtum

Das breite Angebot in Wortschatz und Regelwerk

Neutralität

Keine Bindungen an nationale Vorbilder

Gerecht verteilter Lernaufwand

Eigene Kultur

Esperanto-Benutzer tragen Esperanto-Kultur

Am Ende der Reisezugwagen der Deutschen Bundesbahn ist ein kleines Schild befestigt mit der Inschrift "Schalter für Schlußlicht / interrupteur pour feu arrière / interruttore por fanale di coda treno" und manchmal noch dabei "rear light switch". Man kann also Strom ein- oder aus-"schalten" (Deutsch, Englisch), oder man kann den Stromkreis "unterbrechen" (Französisch, Italienisch). Beide Ausdrücke sind technisch korrekt. In den verwandten Sprachen ist die Bezeichnung klar. Im Deutschen sagt man nun einmal auf keinen Fall "Unterbrecher für das Rücklicht". Es muß "Schalter" heißen, obwohl es das Wort "Unterbrecher" sogar gibt. In jeder Sprache muß festgelegt sein, für welche Tatbestände man welches Wort benutzt. Dies muß auch in einer internationalen Sprache so sein. Nur gibt es keine internationale Bahnverwaltung, die einen Ausdruck festsetzt. Allerdings hat die Bundesbahn das Wort "Schalter" nicht erfunden, sondern es aus dem Wortschatz des Deutschen genommen. Im Esperanto wendet die Gemeinschaft der Esperantisten ihre Sprache an und setzt damit ihre verbindlichen Normen. Im Esperanto ist festgelegt, daß ein Gerät zur Stromkreis-Unterbrechung, mit dem man den Strom mal durchlassen, mal ihn unterbrechen kann, "ŝaltilo" heißt. Das Wort "interrompilo" existiert, wird auch für bestimmte elektrische Verfahren gebraucht, aber beim Licht an- und ausknipsen braucht man das Wort, das von schalten abgeleitet ist.

Die weltweite Gemeinschaft der Esperanto-Sprechenden stellt ein Kollektiv von Menschen der gleichen Sprache dar, wie es ein Volk auch ist, nur daß Esperanto nicht in einem zusammenhängenden Territorium gesprochen wird. Als zusammenwirkende Gemeinschaft tragen sie ihre Sprache und deren Entwicklung, dabei formen sie die Weltsprache durch ihre kulturellen Leistungen. Esperanto ist deshalb kein Kunstprodukt, wie es sich aus einem Auftrag an die 1000 fähigsten Sprachwissenschaftler in den rund 150 Ländern der Welt auf Neuschaffung einer Weltsprache ergeben würde. Die Grundlagen des Esperanto sind einmal vor rund 100 Jahren in einer Systemurkunde festgeschrieben worden, und seitdem hat sich die Sprache nach den Linien der Entwicklung jeder von einer Kulturgemeinschaft getragenen Sprache ausgeformt. Die Internationalität seiner Anwender hat dem Esperanto als Sprache seine besonderen Eigenschaften gegeben, die im Vorstehenden geschildert worden sind.

Verbände bilden die tragende Struktur

Der Verfasser, Dr. Werner Bormann, ist Mitglied der "Akademio de Esperanto", Lehrbeauftragter für Esperanto an der Universität Hamburg und Direktor des Deutschen Esperanto-Instituts.

Dr. Werner Bormann, Stefanie Tucker, Gerald Tucker
Foto: Dreissig, Nürnberg
von links:

Dr. Werner Bormann, Hamburg

Stefanie Tucker, Augsburg
Geschäftsführerin des Deutschen Esperanto-Instituts

Gerald Tucker, Augsburg
Fachleiter für das Prüfungswesen
beim Deutschen Esperanto-Institut

 

Anschriften:

Verfasser: Neumühlen 37/414, DE-22763 Hamburg
Deutscher Esperanto-Bund e.V., Immentalstr. 3, DE-79104 Freiburg i.Br.
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