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Die Tyrannei
und Versklavung
Die
Küstenstämme Kaliforniens
Im
Jahre 1769 kamen der Franziskaner-Pater Junipero Serra und eine spanische
Armee ins Land der Ipai- und Tipaistämme in die Nähe des heutigen
San Diego an der Grenze von Baja California. Dort erbaute Serra die erste
von 21 Missionsstationen, die sich später bis San Francisco
an der Küste hinaufzogen. Als er im Chumash-Territorium ankam erkannte
er nicht welch komplexe Religion dieser Gesellschaft zugrunde lag. "Glaubet
mir", so schrieb er, "als ich ihr Gebaren im allgemeinen sah, ihre gefällige
Art und ihr gewinnendes Benehmen, brach mir das Herz bei dem Gedanken,
dass ihnen immer noch das Licht des Heiligen Evangeliums vorenthalten
war."
Er gründete auf dem
Land der Chumash fünf Missionsstationen und duldete keine Religion
neben dem Christentum. Das spirituelle Leben der Indianer war in ihren
Augen überhaupt keine Religion, sondern heidnischer Aberglaube und
Hexerei. Serra schickte spanische Soldaten in die Indianerdörfer
mit dem Auftrag, alle Leute zu sammeln und notfalls mit Gewalt in die
Missionsstationen zu bringen. Dort wurden sie von Missionaren und Soldaten
eingeteilt und überwacht und bei Übertretungen oder Widersetzlichkeiten
schwer bestraft. Man bekehrte sie, brachte ihnen ein Handwerk bei und
wies ihnen nach einer gewissen Zeit schließlich ein Stück Land
zu, damit sie christliche Bauern und Arbeiter würden, Dies war im
Grunde nichts anderes als ein Sklavendasein für die spanischen Missionen.
Nur wenige eingeborene Kalifornier kamen freiwillig zu den Missionsstationen.
Waren die Neulinge oder Neophylen, wie sie genannt wurden, erst einmal
bekehrt, durften sie nicht nach Belieben wieder fortgehen. Im Jahre 1878
erzählte Janitin, ein alter, Kamia-Indianer aus dem Gebiet von San
Diego, einem Interviewer über die Erfahrungen eines Neophyten:
"Ich ging mit zwei Verwandten
hinunter ... zum Strand ... um Muscheln zu sammeln ... Wir sahen zwei
Männer auf Pferden schnell auf uns zukommen; meine Verwandten hatten
... Angst und rannten weg, so schnell sie konnten ... Es war zu spät
... sie holten mich ein und warfen das Lasso über mich und schleppten
mich lange hinter ihren galoppierenden Pferden her. Als wir an der Missionsstation
angekommen waren, sperrten sie mich eine Woche lang in einen Raum; der
Pater ... sagte mir, dass er einen Christen aus mir machen würde
... Eines Tages schütteten sie mir Wasser über den Kopf und
gaben mir Salz zu essen, und dabei erzählte mir der Übersetzer,
dass ich jetzt ein Christ sei und dass ich Jesus heißen würde
... Am Tag nach meiner Taufe brachten sie mich mit den anderen Indianern
zur Arbeit und ließen mich ein Maisfeld abernten ... Ich schnitt
mir in den Fuß und konnte nicht weiterarbeiten ... jeden Tag peitschten
sie mich aus ... weil ich meine Arbeit nicht fertigmachte. Und so vegetierte
ich dahin, bis es mir gelang zu entkommen; aber sie verfolgten mich
und fingen mich wie einen Fuchs... Sie peitschten mich, bis ich bewusstlos
wurde... Tagelang konnte ich nicht von der Erde aufstehen, wo sie mich
hingelegt hatten, und ich habe auf meinen Schultern noch heute die Narben
der Peitschenhiebe."
Die Neophyten bekamen spanische
Namen und blaue Uniformen und arbeiteten auf den Feldern der Missionsstation
und in den Geschäften. Sie kümmerten sich um das Vieh, gerbten
Häute und stellten Kerzen, Ziegel, Fliesen, Schuhe, Sättel,
Seife und andere Bedarfsartikel für die Mission her. Jedes Vergehen
wurde hart bestraft: Sie wurden mit widerhakenbewehrten Peitschen geschlagen,
ihnen wurden Eisen um den Hals gelegt, sie wurden an den Füßen
gefesselt, gebrandmarkt, verstümmelt oder sogar hingerichtet. "Die
Behandlung der Indianer ist das Grausamste was ich je in der Geschichte
gelesen habe", schrieb im Jahre 1799 ein Bruder der kalifornischen Missionsstation
San Miguel, der mit diesen Sitten überhaupt nicht einverstanden war,
an den Vizekönig von Mexiko. "Aus geringstem Anlass schon bekommen
sie schwere Prügel, werden in Ketten und Halseisen gelegt; ja, die
Grausamkeit geht so weit, dass sie ganze Tage ohne einen Schluck Wasser
gehalten werden." Wegen seiner Beschwerde im Namen der Indianer wurde
der Bruder für geistesgestört erklärt und von einem Trupp
Soldaten aus Kalifornien weggeschafft. Indianische Männer und Frauen,
auch Ehepaare, mussten in den Missionsstationen getrennt leben, und unverheiratete
Frauen, denen Soldaten aus benachbarten Gefängnissen und auch das
spanische Missionspersonal oft nachstellten, wurden in konventartigen
Kasernen separiert. Unzureichendes und fremdartiges Essen, an das die
Indianer nicht gewöhnt waren, mangelhafte Unterkünfte und Hygiene,
verheerende Ausbrüche von Malaria, Pocken und anderen Krankheiten,
Verzweiflung, Strafen und der Verlust ihrer Kultur, das alles trug dazu
bei, das die Todesrate unter den Neophyten einem Genozid gleichkam.
Ein paar Mal kam es zu verzweifelten,
aber erfolglosen Aufständen gegen die Spanier. Im Jahre 1775 taten
sich etwa 800 lpai und Tipai aus neun Dörfern zusammen, um die Missionsstation
San Diego niederzubrennen. Ein Jahr dauerte es, um den Aufstand niederzuschlagen
und ein Priester und zwei andere Spanier wurden dabei getötet. Zehn
Jahre später führte eine indianische Medizinfrau namens Toypurina
einen erfolglosen Versuch an die Missionsstation San Gabriel östlich
von Los Angeles zu zerstören. Weitere Revolten brachen unter den
Costanoan in den Missionsstationen San Jose, Santa Clara, San Juan Bautista
und Santa Cruz aus. Am spektakulärsten aber war der Aufstand der
Chumash. Im Jahre 1824 zerstörten die Chumash einen Teil der Mission
Santa Ynez, nahmen mit Unterstützung befreundeter Stämme La
Purísima ein und bauten aus beschlagnahmten spanischen Kanonen
und schwenkbaren Geschützen eine Verteidigung auf, die angreifende
Soldaten auf Distanz hielt. Als sich die Nachricht vom Aufstand herumsprach,
bewaffneten sich die Chumash-Neophyten von Santa Barbara und schlugen
in einem mehrstündigen Kampf einen Trupp Soldaten in die Flucht.
Die Indianer plünderten die Mission und flohen in die Hügel.
Einen Monat später beendete eine Waffenruhe die Belagerung von La
Purísima; unterdessen verfolgten andere Soldaten die Flüchtigen
von Santa Barbara, denen sich aufständische Neophyten von San Fernando
angeschlossen hatten. Nach einer Reihe von Gefechten wurde ein Waffenstillstand
ausgehandelt, und viele der Flüchtlinge wurden zusammengetrieben
und in ihre Missionsstationen zurückgebracht. Es endete damit, dass
sieben Neophyten von La Purísima von den Missionaren und Soldaten
hingerichtet und vier Indianer zu zehn Jahren Arbeit in einer Sträflingskolonne
verurteilt wurden.
Im Jahre 1821 gewann Mexiko
seine Unabhängigkeit von Spanien, und im Jahre 1834 endlich - 65
Jahre, nachdem die Spanier begonnen hatten, Indianer zu versklaven - säkularisierte
Mexico die Missionsstationen und nahm der Kirche das Recht, weiterhin
Indianer gefangen zuhalten. Tausenden stand es nun frei zu gehen. Einige
blieben auf den Ländereien der Mission, und manche gingen heim auf
ihre Rancherias. Aber Tausende sollten ihre Heimat nie wieder sehen: Allein
in der Missionsstation Santa Barbara füllten über 4600 Chumash-Namen
die Sterberegister. Ihre Leichen wurden in große Gruben in der Nähe
der Kirche geworfen, ohne traditionelles oder christliches Begräbnis.
Die Rückkehr der Überlebenden in ihre alte, friedliche Welt
war Illusion, denn ihre Heimatdörfer waren zerstört und ihr
Land von den Mexikanern beschlagnahmt. Die Missionsstationen waren in
mexikanische Rancheros umgewandelt. Ein Neophyt von der Mission Dolores
bei San Francisco drückte die Hilflosigkeit seines Volkes so aus:
"Ich bin sehr alt ...
mein Volk war einst um mich wie die Sandkörner an der Küste
... viele ... viele. Sie sind alle fort. Sie sind dahingegangen wie
das Gras ... sie sind zu den Bergen gegangen. ... Ich hatte einen Sohn.
Ich liebte ihn. Als die Bleichgesichter kamen, ging er fort. Ich weiß
nicht, wo er ist. Ich bin ein christlicher Indianer. Ich bin alles,
was von meinem Volk geblieben ist. Ich bin allein."
Da den ehemaligen Neophyten
kaum eine andere Wahl blieb, wenn sie überleben wollten, wurden die
meisten von ihnen Tagelöhner oder peónes auf den mexikanischen
Gutshöfen. Als dann im Jahre 1848 mit dem Vertrag von Guadalupe Hidalgo
der Mexikanische Krieg zu Ende war, expandierten die Vereinigten Staaten
bis zum Pazifik. Kalifornien ging gerade dann aus mexikanischen in amerikanische
Hände über, wurde im Norden des Territoriums der Nisenan entdeckt.
Schürfer drangen widerrechtlich in Indianerland ein, überschwemmten
Jagdgründe, überfielen Dörfer und raubten Frauen. Gruppen
von Weißen eröffneten zum Spaß das Feuer auf wehrlose
Männer, Frauen und Kinder und löschten ganze Lager und Siedlungen
aus. Frauen wurden als Mätressen in die Siedlungen der Weißen
geschleppt, Kinder wurden als Sklaven verkauft. Die Weißen hatten
die Jagd auf die Indianer eröffnet, die sie verächtlich "digger"
nannten, weil sie zum Wurzelsammeln einen Grabstock benutzten. Die Geschichte
Kaliforniens ist eine Geschichte des Genozids.
Eines der Aufsehen erregendsten Massaker war das wohlüberlegte Werk
von Streitkräften der US-Armee in Kalifornien. Es geschah im Jahre
1850 am Clear Lake östlich von Ukiah im nördlichen Teil des
Staates. Zwei Amerikaner, Charles Stone und Andrew Kelsey, hatten dort
Hunderte von Pomo gefangen genommen und gezwungen, auf einer Ranch zu
arbeiten. William Benson, ein Pomo-Häuptling, beschrieb diese Knechtschaft:
"Ungefähr 20 alte
Leute verhungerten im Winter. Vier starben, weil sie brutal ausgepeitscht
worden waren. Der Neffe einer indianischen Lady, die bei Stone lebte,
wurde von Stone totgeschossen ... Wenn Stone oder Kelsey dem Vater oder
der Mutter eines jungen Mädchens befahlen, das Mädchen zu
ihnen ins Haus zu bringen, und sie diesen Befehl nicht befolgten, wurden
er oder sie ausgepeitscht oder an den Händen aufgehängt ...
Viele alte Männer und Frauen starben aus Angst oder am Hunger ...
"
Eines Tages versuchten Shuk
und Xasis - zwei Pomo-Männer, die als Viehtreiber arbeiteten -, eine
Kuh für ihre hungrigen Familien zu stehlen und verloren dabei eines
von Kelseys Pferden. In ihrer Angst vor der unausweichlichen Strafe hielten
sie eine Beratung ab, um zu entscheiden, was zu tun sei. Häuptling
Benson berichtete davon: "Alle Männer versammelten sich in Xasis'
Haus. Dort debattierten sie die ganze Nacht. Shuk und Xasis wollten Stone
und Kelsey töten. Sie sagten, Stone und Kelsey würden sie töten,
sobald sie dahinter kämen ... dass das Pferd fehlte."
Die Pomos beschlossen, zuerst zuzuschlagen.
Fünf Männer machten Stone und Kelsey ausfindig und töteten
beide. Der Stamm, in der Hoffnung, sie könnten die Angelegenheit
mit den Soldaten friedlich bereden, floh in die Hügel und bereitete
sich auf das Eintreffen der amerikanischen Soldaten vor. Im Mai 1850 schließlich
drang eine Abordnung von Berufssoldaten unter dem Kommando von Captain
Nathanial Lyon in das Clear Lake-Gebiet ein, um die Indianer für
die Morde zu bestrafen. Da die Soldaten die Männer nicht finden konnten,
die für die Tötungen verantwortlich waren, massakrierten sie
einfach eine Gruppe von über 130 Männern, Frauen und Kindern,
die gerade fischten. Heute ist diese Stelle unter dem Namen Bloody
Island (Blutinsel) bekannt.
Am 6. Juli 1850 berichtete der Indianerbeauftragte Adam Johnston dem Bevollmächtigten
für Indianische Angelegenheiten in Washington über die katastrophale
Situation in Kalifornien: "Die Mehrheit der Stämme lebt wegen
der wahllosen und unmenschlichen Massaker an ihren Leuten in ständiger
Angst ... Sie sind zutiefst beunruhigt über die ungeheure Flut von
Einwanderern, die sich über ihr Land ergießt ... " Das
war kaum fassbar für sie. Im folgenden Jahrzehnt dokumentierten die
kalifornischen Zeitungen - einige prahlerisch, andere beschämt und
mit Gewissensbissen - viele der Gräueltaten. Im Februar 1860 veröffentlichte
in Union (das heutige Arcata) der Northern Californian eine Geschichte
unter der Schlagzeile "Wahlloses Massaker an Indianern - Frauen und Kinder
abgeschlachtet". Es folgten die Einzelheiten des Blutbades, das mit Beilen
und Äxten unter 188 friedlichen indianischen Männern, Frauen
und Kindern in ihren Dörfern an der Humboldt Bay angerichtet worden
war. Die Weißen in Union ärgerten sich, dass die Zeitung die
Morde kritisiert hatte, bedrohten den 23-jährigen Herausgeber Bret
Harte, und zwangen ihn, aus der Stadt zu fliehen. Andere Zeitungen wie
die Humboldt Times von Eureka brachten eher typische Schlagzeilen: "Fette
Beute unter den Diggern", "38 Rote erledigt", "40 Squaws und Kinder gefasst",
"Bande ausgelöscht". In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts war
die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Arbeitskräften so groß,
dass die Kalifornier und ihre Gerichtshöfe die Versklavung der Indianer
geflissentlich übersahen, obwohl Versklavung der Schwarzen im Staat
verboten war.
Ein Jahrzehnt später, als in der Zeit nach dem Bürgerkrieg die
Gesetzgebung alle Formen der Sklaverei in der Nation für gesetzwidrig
erklärt hatte, ersetzten Maschinen und arbeitslose Minenarbeiter
die indianische Arbeiterschaft in Kaliforniens Landwirtschaft. Damals
hatten die Grausamkeiten, von Generationen von Spaniern, Mexikanern und
Amerikanern, wiederholte Ausbrüche von Seuchen, Hungerjahre, Anschläge
auf die Lebensgrundlage, das Leben und die Kultur der Stämme und
das vollständige Fehlen gesetzlichen Schutzes die Indianerbevölkerung
des Staates um 90 Prozent dezimiert. Von annähernd 310000
im Jahre 1769 bis zu 30000 gegen Ende des Goldrausches. (Die Zahl erreichte
im Jahre 1900 ein Tief von etwa 15.000, bevor sie im 20. Jahrhundert wieder
anstieg.)
In einem Interview veranschaulicht Fernando Librado, ein überlebender
Chumash aus dem Gebiet des heutigen Ventura, die geistige Zähigkeit,
dank derer die kalifornischen Stämme durchgehalten hatten:
"Auf meinem letzten
Besuch in Ventura sah ich die letzten Ventura-Indianer. Sie lebten in
einer winzigen Hütte östlich der ... Flussmündung ... Einer
der alten Männer erzählte mir, wie glücklich sie seien,
dass es mir nicht peinlich war, die indianische Sprache zu sprechen. Sie
sagten mir, ich sollte sie weiter benutzen und den Glauben bewahren; wenn
ich das täte, würde ich lange leben. ... Einmal ging ich hinüber
zu Donocianas Haus ... Ich wollte den Schwertfisch-Tanz lernen. Nach dem
Essen bat ich sie, mich die alten Tänze zu lehren und sagte: "Denn
ihr seid die einzigen, die noch die alten Tänze kennen." Donociana
begann zu weinen, und ich ging fort und sagte nichts mehr."
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