Ludmilla (Vladimirovna) Rudenko

2. Schachweltmeisterin 1950 - 1953

* 27.07.1904     † 04.03.1986

Nachdem Vera Menchik, die bis dahin die Schachwelt der Frauen beherrschte, 1944 bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg ums Leben kam, war der Schachthron für einige Jahre verwaist. Erst im Winter 1949/50 veranstaltete die FIDE ein Weltmeisterschaftsturnier in Moskau, ähnlich dem, das Botwinnik 1948 gewann und somit das Erbe Aljechins antrat. Sechzehn Spielerinnen aus zwölf Ländern nahmen teil, die ersten vier Plätze gingen jedoch unangefochten an die vier Teilnehmerinnen der Sowjetunion. Dieser Schachboom geht nicht zuletzt auf die Inspiration von Vera Menchik zurück, die auf ihrer Russlandreise 1935 viel Werbung für das Frauenschach machte. Siegerin dieses Turniers war die Russin Ludmilla (Ljudmila) Rudenko. Sie konnte den WM-Titel jedoch nur für drei Jahre behaupten, 1953 verlor sie ihn an ihre Landsfrau Elisabeta Bykowa.

Ludmilla Rudenko wurde am 27. Juli 1904 in Lubny bei Poltava geboren. Schon früh, im Alter von 10 Jahren, konnte sie ihr Vater für das Schachspiel begeistern. Zuerst widmete sie sich jedoch dem Schwimmen. Als Absolventin einer Sportschule versuchte sie sich im Turmspringen und wurde sogar Meisterin von Odessa über 400 Meter Brust. Ihre ersten schachlichen Auftritte in jener Zeit verliefen weniger erfolgreich. Erst 1925, nach ihrem Umzug nach Moskau befasste sie sich ernsthafter mit dem Schach und begann, auch an Männerturnieren teilzunehmen. Vier Jahre später zog es Ludmilla nach Leningrad, wo sie das Glück hatte, unter die Fittiche des sowjetischen Meisters und Theoretiker Peter Romanowski zu kommen, der sich von nun an um ihre weitere Entwicklung kümmerte. Erst im Alter von etwa 40 Jahren stieg Ludmilla in die internationale Weltspitze auf. Sie gewann mehrmals die Leningrader Meisterschaft und nahm erfolgreich an den Sowjetischen Meisterschaften teil.

Das Weltmeisterschaftsturnier konnte Rudenko nur mit großem Kampf gewinnen. Sie startete mit einer Niederlage ins Turnier und hatte in der Folge alle Mühe, den Kontakt zur Amerikanerin Gresser und der Franzosin Chaudé de Silans wiederherzustellen. Großmeister Salo Flohr bilanzierte das Turnier wie folgt: "Rudenko orientiert sich schnell in komplizierten Positionen und errät die Gedanken des Gegners. Gegen Gresser und Heemskerk bewies sie, dass sie sich zäh verteidigen kann. In den Partien mit Benini und Bykowa demonstrierte sie ihre Angriffsqualitäten."

Beruflich war Ludmilla Rudenko in die Planwirtschaft der Sowjetunion involviert, ihr großes Hobby war allerdings das Schach. 1950 wurde sie mit dem Titel "Internationaler Meister" der FIDE beehrt, den Titel "Weiblicher Großmeister" erhielt sie mit seiner Einführung durch die FIDE als Erste im Jahre 1976. Trainiert wurde Rudenko während ihrer besten Jahre durch die bekannten russischen Großmeister Romanowski und Löwenfisch.

Erwähnenswert ist außerdem, dass Rudenko und ihre Nachfolger zu einer Zeit spielten, in der Begriffe wie "Eiserner Vorhang" oder "Kalter Krieg" weit größere Bedeutung hatten, als für den Grundkonflikt von James Bond und MacGyver herhalten zu müssen. Heute, nachdem der Ostblock zusammengebrochen ist, ist es schwer vorstellbar, unter welchen Bedingungen Rudenko spielen musste. John Graham schreibt in seinem Buch "Women in Chess" (S. 12):

"D. J. Richard zeigt in seinem Buch 'Soviet Chess', dass nach der Oktoberrevolution von 1917 die Aufmerksamkeit des Staates auf das Spiel gelenkt wurde. In einem Bericht des Organisationskomitees des dritten Unionskongresses für die Organisation des Schachs schlagen die Machthaber vor, Schach 'als politische Waffe zu benutzen, um (a) der Arbeiterklasse eine vernünftige Freizeitbeschäftigung zu geben, wenn sie müde von der täglichen Arbeit nach Hause kommen, und (b) um die erzieherische Bedeutung des Schachs auszunutzen, um mit seiner Hilfe neue Impulse für die intellektuelle Kultur zu geben und den Geist der arbeitenden Massen zu trainieren.' "

"Unter diesem Einfluss wurde Schach zu einem intellektuellen Wettstreit in der Sowjetunion. Der Erfolg in diesem Spiel war eine wichtige Demonstration des Erfolges der Revolution, innerhalb und außerhalb des Landes. Schachmeister wurden intellektuelle Botschafter, und es war von nationaler Bedeutung, dass sie als erfolgreich wahrgenommen wurden. Unter diesem Anstoß war es ganz natürlich, dass Schulen eingerichtet wurden, um Schachprofis zu trainieren, denen besondere Beachtung geschenkt wurde. Alles wurde getan, um sicherzustellen, dass sie in internationalen Wettkämpfen erfolgreich sind. Dieser Hintergrund wurde nicht nur auf Männer, sondern auch auf Frauen ausgedehnt. In der neuen Gesellschaftsordnung waren Frauen den Männern weitaus gleichberechtigter, als in den Ländern des Westens."

(Women in Chess, Players of the Modern Age, John Graham, McFarland & Company, Inc., 1987)

Abschließend ist es vielleicht ganz interessant, dass von Ludmilla Rudenko kaum Bilder existieren. Das einzige Foto, dass offenbar im World Wide Web kursiert, ist das, was auf einer mongolischen Briefmarke vom 20. November 1986 zu sehen ist:

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Copyright © 2001 by Christian Hörr. Aktualisiert am 27. September 2001.