Thema:Antirassismus

"Affäre Klenk" und der Antirassismus

Ein Analyse über die Antirassistische Szene in Wien von Hakan Gürses. Aus: Stimme von und für Minderheiten, Nr. 54/Fruehjahr 2005.

Initiative Minderheiten, IM sucht Mitglieder

"Von den 10.000 Antifaschisten, die es in Nazi-Deutschland gegeben haben mag, lebten acht Millionen in der DDR." (Jurek Becker)1

Im vorliegenden Kommentar werde ich mich mit dem Antirassismus befassen. Den aktuellen Anlass hierzu lieferte eine mediale Affäre in den vergangenen Monaten: Florian Klenks Falter-Artikel "Im verlorenen Paradies", eine Reportage über afrikanische Drogendealer, stieß auf antirassistische Kritik und löste eine halb-öffentliche Debatte aus.2

Ich werde nicht versuchen, mir neue Argumente aus den Fingern zu saugen, die den Vorwurf, der Klenk-Text legitimiere den Rassismus, bestätigen bzw. entkräften sollen. Eine neutrale Position einzunehmen, ist auch nicht meine Absicht. Allerdings wohnen in diesem speziellen Fall zwei Seelen in meiner schmalen Brust.

Ich bin Journalist. Nicht zuletzt in dieser Funktion bin ich auch ein politischer Aktivist, der unter anderem den Rassismus aufs Korn nimmt. Ich gehöre einerseits zu jenen, deren Gefühle bei der Lektüre der ach so objektiven Berichterstattung immer wieder zwischen Zorn und Ohnmacht pendeln. Ich schreibe aber selbst gelegentlich für unterschiedliche Medien, hänge mich also mit meinen Meinungen, momentanen Befindlichkeiten und sicherlich vorhandenen politisch-sprachlichen Mängeln weit in die Öffentlichkeit hinaus. Ich kann gut nachvollziehen, wie sich jemand fühlen muss, dem/der genau das vorgeworfen wird, wogegen er/sie zu kämpfen vermeint.

Das Problem sitzt natürlich tiefer als in der fragilen Seele eines "sauberen" Herzeige-Journalisten. Medien und Rassismus – das ist nicht nur der Titel immer häufiger werdender Podiumsdiskussionen oder Studien. Das ist auch eine alte Verbindung, eine geheime Allianz, die uns inzwischen Vorsicht gelehrt hat: zweimal hinschauen, zwischen den Zeilen lesen, auf historische Konnotationen achten; kurz: auf der Hut sein!

Zwei Fragen will ich hier stellen. Erstens: Ist dann ein nicht-rassistischer Journalismus überhaupt möglich? Ich kann diese Frage wegen ihrer Reichweite nicht selbst beantworten, werde aber eine vorhandene implizite Antwort erwähnen. Zweitens: Hat die "Klenk-Affäre" nicht eine allgemeinere Dimension als mutmaßliche Entgleisung auf der einen und vermeintliche Überempfindlichkeit auf der anderen Seite? Dieser will ich nun nachgehen.

Das verlorene (mediale) Paradies

Gleich zu Beginn: Ich finde den Falter-Text von Florian Klenk vor allem schlecht. Der gewollt investigative Stil ist eben gewollt, und trotz dieses Anspruchs deckt die Story nur allzu "Vertrautes" auf. Die angestrebte Technik der reinen O-Ton-Collage wird gerade an jenen Stellen von der moralischen Stimme des omnipräsenten Autors unterbrochen, wo es wohl auch ihm politisch zu "brenzlig" wird (etwa: "Man darf für diese Volkswut kein Verständnis aufbringen. Doch man muss verstehen ..."). Kurz: Für meinen Geschmack handelt es sich um den gut gemeinten Versuch, ein brisantes Thema möglichst "objektiv" aufzubereiten; nach Karl Kraus also das Gegenteil von gut. Klenk hat viele gelungene Reportagen geschrieben, das hier ist meines Erachtens keine solche.

Ich teile auch manche der politischen Kritikpunkte, die seinem Text entgegengehalten wurden; so auch einige Argumente der fundierten Analyse von Oliver Marchart in Malmoe. "Im verlorenen Paradies" hinterließ auch bei mir einen bitteren Nachgeschmack, besonders wegen der darin eingesetzten diskursiven Strategien, von denen der Boulevard vor allem hierzulande und vor allem gegenwärtig gerne Gebrauch macht, um rassistisch-kulturalistische Schubladen zu bedienen. Dennoch interessiert mich hier mehr die Falter-Reaktion auf Kritiken als der Inhalt der Kritiken selbst.

Florian Klenk selbst reagierte kaum öffentlich3; diesen Part übernahm Chefredakteur Armin Thurnher in ritterlicher Manier und legte ihn mit kabarettistischer Ironie an: Er forderte die KritikerInnen auf, in sich zu gehen: wohl eine witzige Anspielung auf die Aufforderungs-Folklore der "Gutmenschen". Selten so gelacht – aber ich lese Thurnhers Innenwelt-Imperativ auch so: "Leute, Hand aufs Herz, wir können doch nicht die Rassisten sein. Wir sind die Guten; die Bösen sollt ihr woanders suchen, in der Krone oder so."

Florian Klenk alias Armin Thurnher spricht hier aus einem medialen Paradies, das er bis vor kurzem bewohnte: als das "linke" Gewissen der Nation, die wahrhaftig nicht an der Überzahl linker Alternativen leidet; als "unser Mann im Mediendschungel", der "ganz ok" ist, wenn er den Mächtigen auf die Pfoten haut; als ein "Ich finde ihn super!"-Journalist, solange er Schweinereien auf offizieller Seite enthüllen kann. Klenk alias Thurnher kann heute die Welt nicht mehr verstehen, er zürnt, er schlägt um sich, er ironisiert und schmollt. Denn er spricht wirklich aus einem nun "verlorenen Paradies", das er sich – wohlgemerkt – mit Hilfe jener "Gutmenschen" zusammengezimmert hatte, die heute den Sündenfall einfordern.

Somit komme ich auf eine meiner eingangs formulierten Fragen zurück: Hat die "Klenk-Affäre" nicht eine tiefer liegende Dimension? Kann es nicht sein, dass der Vorwurf und der Vorwurf-Vorwurf ("Mir wird hier Rassismus vorgeworfen!") der einfachen Tatsache entspringen, dass die Kontrahenten unter Rassismus bzw. Kampf dagegen nicht dasselbe verstehen? Der Falter war bis jetzt das inoffizielle Sprachrohr einer natürlichen Allianz, die nun zu zerbröckeln beginnt, da sie eben ihre natürlichen Grenzen erreicht hat. Die Allianz zwischen dem "weißen" Antifaschismus und dem "schwarzen" Antirassismus befindet sich in Auflösung.

Der alte und der neue Antirassismus

Der Antifaschismus ist eine politische Doktrin, die seit Anfang der 1930er Jahre in mehreren Phasen formuliert wurde. Sie ist Ausdruck der Anstrengung, den Faschismus und den Rassismus mit dem Klasse-Raster zu erklären und zu bekämpfen. Notwendige Allianzen (wie die Volksfront) zwangen die antifaschistische Doktrin dazu, auch "fremde" Denkelemente wie den christlichen Humanismus zu integrieren. Und nach Ende des NS-Regimes flossen einerseits westliche psycho-soziale und pädagogische Ansätze, andererseits östliche patriotisch-propagandistische Diskurse in den Antifaschismus ein und schmolzen zu jenem Gebilde zusammen, das Pierre-André Taguieff als kommemorativen Antirassismus bezeichnet hat. Der antifaschistische Antirassismus lebt tatsächlich von der gemeinsamen Erinnerung des Nationalsozialismus.

"Rhetorisch erkennt man ihn daran", so Taguieff, "daß er 'nazifiziert', was er als 'rassistisch' bezeichnet, was immer auch der Kontext seiner stigmatisierenden Bezeichnung ist. Dieses anachronistische Amalgam, das alles als 'rassistisch' Gekennzeichnete als ein Überleben oder als eine Wiederkehr des Nazismus identifizieren will, konstituiert eine der wesentlichen Fesseln des Antirassismus, einen Schutzschirm aus Erinnerungen, der den Antirassismus blind macht gegenüber der Realität neue Rassen definierender Praktiken."4

Diesen Der-Schoß-ist-fruchtbar-noch-Antirassismus glaube ich seit den 80er Jahren auch in Österreich (wieder) zu finden: in der Waldheim-Affäre ebenso wie in Teilen der "Widerstand!"-Bewegung nach der schwarzblauen Regierungsübernahme.

Seit gut einem Jahrzehnt formiert sich hingegen ein anderer Antirassismus, der einerseits den kulturalistisch-differenzialistischen "Neo-Rassismus" konstatiert, andererseits auf die heute vorwiegende Zielscheibe des Rassismus verweist: die Einwanderungs-Minderheiten. Der neue Antirassismus betont zudem die strukturelle Dimension des Rassismus: dass dieser nicht nur eine Ideologie und eine individuelle Haltung sei, sondern vor allem in den nationalstaatlichen Zugehörigkeits-Strukturen und Ausschließungsmechanismen wurzle.

Seit Ende der 90er Jahre findet der neue Antirassismus auch in Österreich seine AnhängerInnen. Mit der Entstehung der black community fließen jüngst auch hier jene "schwarzen Erfahrungen" in den antirassistischen Diskurs ein, die spezifischen, insbesondere kolonialistischen Formen des Rassismus entspringen. Postkoloniale Studien und bereits erwähnte "Neo-Rassismus"-Analysen bilden den theoretischen Unterbau des neuen Antirassismus.

Der neue Antirassismus hat seinen politischen Ausdruck sowie seine medialen Orte nicht gleich gefunden. Vorhandene linke, antifaschistische, xenophile Plattformen dienten ihm zeitlang als Bühne. So entstand die besagte natürliche Allianz zwischen dem "weißen" Antifaschismus und dem "schwarzen" Antirassismus. Zu einer ersten Auseinandersetzung zwischen Alt und Neu kam es, glaube ich, im Zuge der Aktionen der Demokratischen Offensive, einer Plattform gegen die schwarzblaue Regierungsbildung im Jahre 2000 – begleitet von Meinungsverschiedenheiten und Animositäten, die seither sichtlich zunahmen. Und in der "Affäre Klenk" nun einen Höhepunkt erreicht haben.

Keineswegs war/ist der Antifaschismus gänzlich blind gegenüber den neuen Formen des Rassismus. Da er aber zunächst dem Geruch des Nazifizierten nachspüren, den Ewiggestrigen nachjagen will, sind seine Fühler weniger sensibel für das Allzuheutige. Der "Neo-Rassismus" ist für ihn etwas Nebensächliches. "Geht uns aus der Sonne mit eurem MigrantInnen-Gejammer – wir bekämpfen hier den Faschismus!" rufen die AntifaschistInnen im Stillen. Vor allem reagieren sie verstört, erstens wenn sie sich durch den neuen antirassistischen Diskurs (mit dessen Hinweis auf nationalstaatliche Ausgrenzungen) auf einmal selbst in der Rolle der Mehrheit, auf Seite des strukturellen Rassismus wiederfinden. Und zweitens kann der gute Journalist/Intellektuelle von Kakanien kein Rassist sein, weil er darüber befindet, was Rassismus zu sein hat. Darin allerdings liegt meines Erachtens der gemeinsame Nenner des alten wie neuen, des weißen wie schwarzen Antirassismus. Der Post-Neusprech

Dem Antirassismus wohnt ein denunziatorisches Moment inne. Er lebt davon, andere als RassistInnen zu überführen und sich selbst dadurch als Gegenpol zu legitimieren. Der Antirassismus ist es, der immer weiß, was Rassismus ist und wer die RassistInnen sind.

Die Gründe hiefür sind vielschichtig. So haben beispielsweise die Worte Rassist und rassistisch ein ideologisch-humanistisch normiertes Gewicht, das sonst nur wenigen -ismen beschieden ist: Rassismus wird als ein Vergehen gegen die Menschheit geahndet. Auch die Verteilung der Positionen entlang des Rassismus-Begriffs mag die Quelle der "Denunziation" bilden: Selten wurde ein Begriff dermaßen vielen Versuchen exakter Definition unterzogen, zugleich gab es selten einen Begriff, der zur Anschuldigung anderer mit derartiger Leichtigkeit über die Lippen kam. Jede/r und alles ist ein potenzielles Subjekt des Rassismus – so wie bei dermaßen vielen bekennenden AntirassistInnen die Frage auftauchen muss, ob es überhaupt noch RassistInnen gibt (siehe Jurek Beckers Bonmot im Eingang).

Der schwerwiegendste Grund scheint aber in der langen und verzweigten Geschichte des Rassismus selbst zu liegen – als Praxis, als Diskurs wie als Begriff. Er ist in der Moderne dermaßen verwurzelt, dass jedes "Gegengift" sich bald als Placebo herausstellt und in Folge auch dem Vorwurf ausgesetzt ist, via Placebo-Effekt den Rassismus letztlich zu legitimieren und zu verstärken. Rassismus gilt als der ewige blinde Fleck, den der jeweilige Antirassismus sichtbar machen soll. Darum teile ich den Vorschlag von Etienne Balibar, den Rassismus nicht als etwas Äußerliches zu betrachten, sondern unter anderem als eine, (auch) als unsere Denkweise. Und dass der Rassismus von innen her zu zerstören sei.5 Ich knüpfe diesen Vorschlag an meine andere, eingangs gestellte Frage: Wenn der Rassismus eine Denkweise ist, kann es einen nicht-rassistischen Journalismus geben?

Eine implizite Antwort zeigt sich bisweilen in der Praxis und in der Sprache der bekennenden antirassistischen JournalistInnen und Medien. Ich habe diesen "Post-Neusprech" in zwei früheren STIMME-Texten zu analysieren versucht6. Zwei Punkte will ich daraus hervorheben: Der Post-Neusprech baut einen Elfenbeinturm, in dem eine "Diskursgesellschaft" wohnt und sich für den Nabel des Antirassismus, für das Sprachrohr der "Subalternen" hält. Das ist sie aber – wie jede andere Elite – nicht. Zweitens macht der Post-Neusprech nahezu jede Allianz mit der "Mehrheit" unmöglich oder unannehmbar, da er nicht nur sich selbst hermetisch abschirmt, sondern auch andere Sprechweisen als "rassistisch" abweist. Das ist, gelinde gesagt, unpolitisch. Denn der Rassismus blüht munter weiter, während selbsternannte AntirassistInnen mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Damit ist nicht Florian Klenk gemeint. Sein Text wurde im Großen und Ganzen im Rahmen der Kollegialität kritisiert. Aber im Kleinen und Speziellen nicht: Wenn etwa aus der Kritik der AutorInnen des Offenen Briefs, bei Klenks Text handle es sich um die "Befolgung der klassischen Regeln der Legitimierung von Rassismus", auf der Homepage no-racism plötzlich der Titel "Rassismus in der Wiener Stadtzeitung Falter" und der Link "Der rassistische Artikel von Florian Klenk" wird, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Angst vor manchen AntirassistInnen. Im Übrigen bin ich der Meinung, der Falter sollte weiterhin gelesen werden.

Fußnoten

1 Interview in Der Spiegel 50, 1994. Zitiert nach Sander L. Gilman: Jurek Becker. Die Biographie. München 2002: 281.
2 Vgl. Klenks Text in Falter 03/05; Thurnher-Kolumne in Falter 06/05; Offener Brief an Falter und andere kritische Texte auf www.no-racism.net sowie in Malmoe 25/März 2005.
3 Mir ist nur die E-Mail-Stellungnahme von Klenk bekannt. Siehe: www.no-racism.net.
4 Pierre-André Taguieff: Die Metamorphosen des Rassismus und die Krise des Antirassismus. In: Uli Bielefeld: Das Eigene und das Fremde: neuer Rassismus in der Alten Welt? Hamburg 1991: 226 f.
5 Etienne Balibar: Der Rassismus: auch noch ein Universalismus. In: Uli Bielefeld: a.a.O.: 175-188. Vgl. dazu meinen Text: Die Ausnahme und die Regel. In: Robert Misik/Doron Rabinovici: Republik der Courage. Berlin 2000: 140-151.
6 Rubrik "Stimmlage" in STIMME Nr. 49/Winter 2003 und Nr. 50/Frühjahr 2004.

Quelle: Initiative Minderheiten



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lasst ihn in ruhe
das ewige herumeiern bringt keinen etwas. und klenk ist eigentlich ein gut mensch und hat schon viel gutes getan und gebracht. die methoden so wie ein journalist wie er arbeitet können, aber müssen nicht hinterfrägt werden.
ihn mit einem ndpler zu vergleichen wie in der vorletzten malmoe ist unterste sau...
herr günes ich wünsche ihnen einen schönen sonnigen mai