CD Bestenliste

Die besten CDs der letzten Monate - ausgewählt von der crescendo-Redaktion. mehr

Von Stolzing zu Florian Silbereisen

26. Juli 2007

Katharina & Wolfgang WagnerEine nächtliche Schnellkritik der Bayreuther „Meistersinger“ von Axel Brüggemann.

Vorspiel: Ich sitze hier in einem sehr schönen Hotel nahe Bayreuth, die Festgesellschaft ist von der Premiere zurückgekehrt, hinter mir, am Tisch von Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, wird bereits über die Aufführung des Abend hergezogen. Vier Männer, noch immer im Smoking, trinken an einem anderen Tisch Hefeweizen und essen Weißwurst. „Das Votum des Publikums war eindeutig: Die ist durchgefallen.“ Die Herren reden von Katharina Wagner. Und dann sagen sie noch: „Die hatte eine erstklassige PR-Maschine, die Fotos, die sie von sich machen lassen hat … aber die Oper hat sie nicht verstanden.“
Das sagen die Männer mit dem Hefeweizen, zu denen sich nun auch der Hoteldirektor gesellt, der sie nach ihrer Meinung fragt, „fürchterlich“, schmatzen sie, „die vertreibt alle Gäste vom Hügel. Wenn die Chefin wird, dann Gute Nacht.“ – „Dann kommen wir nicht mehr, dann werden wir in 10 Jahren nicht mehr kommen.“
Für kurze Zeit bekommt der Hoteldirektor einen Schreck, dann sagt einer der Herren, dass er sich nicht sorgen solle, sie würden auch in 11 Jahren noch kommen, schließlich gäbe es ja nur ein Bayreuth. Aber wenn das ausgerechnet von Katharina Wagner geleitet würde, fänden die Smokings mit der Weißwurst das noch schlimmer als Frau Pauli als Chefin der CSU.
Die Männer mit der Weißwurst müßten schon ziemlich alt werden, wenn sie in 10 Jahren noch nach Bayreuth kommen können, denke ich bei mir, und außerdem frage ich mich, wer die Meistersinger eigentlich nicht verstanden hat, diese Oper um die unterschiedlichen Generationen und die Kunst, die sich dauernd wandelt, aus der Subkultur zum Mainstream, um sich dann wider als neue Subkultur zu entwickeln. In einer schnell hingeschriebenen Nacht-Kritik will ich – ohne Hefeweizen – versuchen, die Dinge einmal aus unserer Generation zu ordnen.
Die Rezension
Nehmen wir die „Meistersinger“ zunächst einmal ohne die Deutschtümelei, ohne die Liebe, ohne Nürnberg – einfach so, als Parabel um die Kunst und den Kampf der Generationen. Denn das ist der Kern der Inszenierung von Katharina Wagner – und das liegt nahe. Im Vorfeld wurde ihr Debüt auf dem Grünen Hügel als Schicksalsabend stilisiert: Floppt sie, kann sie sich ihre Ambitionen auf die Festspielleitung abschreiben. Siegt sie, ist der Wagner-Prinzessin der Titel einer Königin sicher. Das Publikum auf jeden Fall hat entschieden: Buhkonzert nach dem dritten Aufzug.
Kein Wunder, denn am Ende, zum Schlussmonolog von Hans Sachs setzte Katharina Wagner das Bayreuther Publikum selbst auf die Bühne: Smokings und Abendkleider, Frauen, die ihren Kopf auf die Schultern der schlummernden Männer legten – jener Männer, die jetzt in meinem Hotel am Nebentisch sitzen.
Unten auf der Bühne sang Sachs im Leni-Riefenstahl-Spot und neben ihm trällerte Stolzing sein Preislied wie ein Florian Silbereisen der Oper. Ein Ende, das nach dem Anfang verblüffte – aber letztlich unglaublich logisch war.
Katharina Wagner schafft es, die „Meistersinger“ tatsächlich vollkommen neu zu erzählen, ohne der Oper dabei Leid anzutun. Ihre Botschaft: Jede Erneuerung der Kunst endet irgendwann in der Massenkultur – und die sieht es schon gar nicht mehr, wenn eine neue Subkultur sich zu etablieren beginnt.
Ein Phänomen, das man schon an der Wagner-Rezeption in Bayreuth und überall anders in der Welt abzulesen ist. Katharina Wagner verhehlt ihre Vorbilder nicht: Marthaler, Konwitschny und Schlingensief. Die Recken des Regietheaters, die ihre große Zeit dem Aufbruch der 68er zu verdanken haben (wie wurde seinerzeit Chereaus „Ring“ niedergebuht!). Wagner gehört aber auch zu einer neuen Generation, zu einer Generation, die das Ende des 68er-Aufbruches noch als Befreiung mitbekommen hat, die aber auch gesehen hat, dass die Idealisten der Vergangenheit heute weitgehend etabliert, satt und selbstgefällig sind. Ja, dass sie inzwischen sogar versuchen, die Massen an sich zu binden die früher andere an sich gebunden haben. Dieser Hintergrund ist wichtig, um ihre „Meistersinger“ zu verstehen.
Im ersten Aufzug geht es bei den Meistern noch zu wie bei Dr. Specht im Lehrerzimmer: Spießer-Pauker kämpfen gegen den aufgeklärten (68er)-Pädagogen. Der ist bei Katharina Wagner Hans Sachs: ein Kettenraucher, barfuß und mit offenem Hemd, ohne die Meister-Talare, unter denen seine Kollegen den Muff von 1000 Jahren tragen.
Klar, dass Sachs den Berlin-Mitte-Juppi (Sonnenbrille, weiße Turnschuhe) Stolzing fördert. Der ist bei Katharina Wagner kein Sänger, sondern ein Maler – und malt hauptsächlich modern-abstrakte Eva-Assoziationen. Von der Decke (Bühne: Tilo Steffens) schauen Albrecht Dürers Augen, und beim Vorsingen muss Stolzing nicht nur die richtigen Töne treffen, sondern in Konkurrenz zu Beckmesser, der die Tabulatur wie alle anderen Meister als Reclam-Heft auf dem Tisch liegen hat, ein überdimensionales Nürnberg-Puzzle legen. Natürlich stellt er es auf den Kopf – und versagt.
Im zweiten Aufzug steht die Bronze-Skulptur einer Dürer-Hand auf der Bühne. Sachs raucht noch immer, tippt seine Reime auf der Schreibmaschine und lässt Beckmesser abblitzen, wenn der ihm sein Preislied vorsingen will. Die Nachtszene endet in einem Tumult aus Halbnackten und tanzenden Komponisten-Skulpturen: Bach, Mozart, Wagner etc. Bis dahin ist auch das Publikum noch zufrieden.
Der Eklat, beziehungsweise der Generationskonflikt, beginnt im dritten Aufzug. In Sachs’ Wahnmonolog tanzen die Skulpturen, nun mit aufgeblasenen Gummiköpfen, einen Totentango, der Schumacher hat es sich auf einer weißen Ledercouch (Ikea?) hübsch eingerichtet, und während des Monologs verwandelt sich der Alt-68er in einen Schlipsträger. Und zu dem macht er auch seinen Schüler Stolzing. Der ist bislang mit Farbeimer und Pinsel über die Bühne gestürmt und hat alles, was ihm im Wege steht, angemalt. Nun wird er zur Form gezwungen, sein Preislied erfindet er, während er ein Bühnenbild im Mini-Format entwirft: Wälder, Seen und ein Selbstporträt. Klar, dass Beckmesser (der auch bei Richard Wagner die moderneren Melodien hat) mit dieser Retro-Kunst überfordert ist. Er betritt die Szene mit einem „Beck in Town“-T-Shirt. Der Konservative von früher wird zum neuen Revoluzzer, seit die Revoluzzer von gestern ihre Ideale für den Massengeschmack aufgegeben haben.
Katharina Wagner scheint um die Abruptheit dieses Bruches zu wissen, der allerdings im Wahnmonolog klug angelegt ist. Und deshalb inszeniert sie zur „Festwiese“ ein absurdes Ballett der Klassiker-Masken, zu dem sich nackte Männer und Frauen als Puppen gesellen. Am Ende dieser Einlage verbeugen sich ein Regisseur, ein Bühnenbildner und ein Dirigent, die Sachs allesamt in einer Mülltonne entsorgt und zum „Wacht auf“-Chor anzündet. Ein kluger Einfall, mit dem Katharina Wagner versuchen könnte, die ihr bevorstehenden Buhs zu neutralisieren – das aber ist nicht ihr Anliegen. An dieser Stelle wird sie kompromisslos und zeigt das Extrem der alten Revolutionäre, die zu Main-Stream-Stars geworden sind: sie zünden die Konkurrenz einfach an.
Zum Schlußmonolog dann die bereits beschriebene Szene mit dem Publikum auf der Bühne, der Nazi-Assoziation, der Affront. Während Stolzing seine Schmalz-Arie trälllert, sitzt Beckmesser auf der Vorderbühne und versteht die Welt nicht mehr. Am Ende verlassen sie beide (Stolzing und Beckmesser) die Szene, Sachs bleibt allein mit seinem Publikum – und dem echten Publikum der Bayreuther Festspiele, dem dieses Spiegelbild der neuen Regie-Generation entscheidend zu weit geht.
Katharina Wagner hat ein kompromissloses Debüt gegeben, ein Debüt, das keine Rücksicht nimmt, nicht auf den Mainstream, nicht auf ihre eigene Zukunft, sondern nur für ihre Ideale einsteht. Sie ist der echte Stolzing, einer der sich vorgenommen hat, sich nicht verbiegen zu lassen. Sie verkörpert die Weltsicht einer neuen Generation – nicht der Kritiker-Generation des Deutschlandradios, die sich sofort nach der Aufführung gewünscht hätte, den Sachs doch nicht als Nazi dastehen zu lassen. Wagner zitiert ihre Vorgänger, Konwitschny (Klassenzimmer), Marthaler (Spießer-Look) und Schlingensief (Farb-Orgie), aber sie demontiert sie auch. Selbstbewußt, provokant und (bis auf einige handwerkliche Schwächen) genial. Nur so kann man neue Herrin in Bayreuth werden – oder alles verlieren. Am Ende kann es ihr nach dieser Inszenierung egal sein, was kommen wird. Sie hat ihr Statement zur Kunst und zu Deutschland abgegeben. Eindeutiger geht es nicht.
Fatal an diesem Abend ist, dass diese Inszenierung nicht durch die Sänger gedeckt wurde. Franz Hawlata hat in den ersten beiden Aufzügen den 68er Hans Sachs noch glaubhaft interpretiert, aber es fehlt ihm einfach die Kraft, die Rolle bis zum Ende durchzustehen, er verliert an Charme und Gestaltungspotenzial, schlingert zuweilen im Freistil durch die Partie. Ebenso unterbesetzt die blasse Eva von Amanda Mace. Michael Volle als Beckmesser hatte Glanzmomente, aber auch vollkommene rhythmische Aussetzer – und trotzdem: er hat sich als Publikumsliebling durchgesetzt. Star des Abends war ohne Frage Klaus Florian Vogts Stolzing: ein lytischer Tenor, der besonders im Preislied à la Florian Silbereisen als vokaler Frauenschwarm überzeugte. Eine wohltuende Besetzung, kein selbstbewußter Rabauke, sondern eine innerliche Stimme, die sich am Ende nicht in Propaganda, sondern in wunderschönem Schwangesang und elegischer Freiheit verliert.
Am Pult feierte Sebastian Weigele als Dirigent sein Hügel-Debüt. Das Vorspiel beginnt er so süffig, als wäre er Christian Thielemann, mit romantischer Verve, dann passt er sich allerdings mehr und mehr dem Bühnengeschehen an, verschlankt sein Dirigat, was den Sängern gut tut, was aber auch dafür sorgt, dass es zuweilen unscheinbar wird. Manchmal hat auch er das typische Debütanten-Problem, hält nicht immer den vertrackten Zusammenhalt von Bühne und Graben – aber alles in Allem sind seine Meistersinger ebenfalls eine Neudeutung: was als Sinfonie beginnt, endet in einem ausgehöhlten Kammerspiel, in dem jeder Effekt nur noch schal und falsch wirkt.
Diese „Meistersinger“, davon kann man ausgehen, sind beim Publikum durchgefallen, und sie werden wahrscheinlich auch im Feuilleton durchfallen – es gibt eben überall noch viel zu viele Hans Sachs.
Axel Brüggemann

9 Kommentare zu “Von Stolzing zu Florian Silbereisen”

Helga Bergmann

26. Juli 2007 um 11:03 Uhr

Da, hat es Katharina agner nun doch allen gezeigt.
Brilliant gedacht - Handwerklich kann sie noch ein wenig üben, jedoch spricht die Zeit für sie.

Frank Köbel

26. Juli 2007 um 12:18 Uhr

Danke für diese differenzierte Kritik. Habe gestern Abend auch Deutschlandfunk gehört - und heute Morgen. Witzig, der gleiche Kritiker hatte heute eine ganz andere Meinung, jetzt fand er die Inszenierung, die er gestern noch verrissen hatte, “genial”. Es ist gut, dass Wagner “ihr Ding” macht - es wird nicht alle gefallen, aber es zeigt, dass sie es geschaft hat, dass sich in Bayreuth doch noch was bewegt.

Heinz L. Stegmann

26. Juli 2007 um 16:49 Uhr

Schade daß es bei solchen Eintrittspreisen und ewiger Vorlaufzeit nicht zu Sängern mit genügender Potenz reicht. Ausnahme: Michael Volle - Bravo!
Besonders bedauerlich für nur Radiohörer.

Heinz L. Stegmann

26. Juli 2007 um 16:53 Uhr

Schade daß es bei solchen Eintrittspreisen und ewiger Vorlaufzeit nicht zu Sängern mit genügender Potenz reicht. Ausnahme: Michael Volle - Bravo! Besonders bedauerlich für nur Radiohörer.

Jörg Calließ

26. Juli 2007 um 18:47 Uhr

Nicht nur eine schnelle sondern eine wirklich kluge Kritik, die zu beschreiben und zu verstehen bemüht ist.
Danke dafür! Wer nur die Übertragung hat hören können, ist nun besser ins Bild gesetzt.

Apropos Übertragung: Musikalisch hat Bayreuth wahrlich bessere Tage erlebt! Eigentlich war nicht eine einzige befriedigende Sängerleistung war zu hören.

silvia melzer

28. Juli 2007 um 01:18 Uhr

ja, danke super info, aber wer ist bitte florian silbereisen?
liebe gruesse, silvia

Klaus Winkler

29. Juli 2007 um 15:26 Uhr

Axel Brüggemann bezeichnet heute in einem Artikel in der Frankfurter Sonntagszeitung (”Freunde und Feinde”) die Buher als “weitgehend konservativen Haufen”. Abgesehen von der unpassenden Wortwahl gibt es auch viele nichtkonservative Opernfreunde, sogar Anhänger des modernen Regietheaters (was immer das ist), welche Katherinas Inszenierung, vor allem im 3. Aufzug, als misslungen ansehen (z.B. KIollegin Lemke-Matway, TAGESSPIEGEL) Was ich aus Videofilmen und kurzen Fernsehberichten selbst gesehen habe, ist teilweise eine Karikatur des modernen Musiktheaters - fast in Konkurrenz zu Schlingensiefs lächerlicher PARSIFAL-Inszenierung

Kaminskie

29. Juli 2007 um 22:33 Uhr

Handwerklich läßt sich sicherlich streiten, doch eines kann man Katharina Wagner nicht unterstellen, daß sie nicht nachgedacht hat. Misslungen war die Aufführung keinesfalls, im Gegenteil, die Zeit hat sich nun endlich etwas weiter bewegt. Die 68er Generation wird nun auch in der Oper langsam als Vergangenheit erlebt. Das ist durchaus positiv, denn auch hier sollten und konnten nicht alle Probleme gelöst werden. Ein kritischer Blick sollte daher sehr willkommen sein.

Juliana Marko

30. Juli 2007 um 19:00 Uhr

Herr Winkler,
haben sie Christoph Schlingensiefs “Parsifal”-Inszenierung gesehen? wenn ja, dann sagen sie bitte, was daran lächerlich ist. eine inszenierung, die religionen zusammenführt, die dem mythos auf den grund geht, auch wenn diese suche nach afrika führt, lächerlich zu nennen, zeugt von nicht-beschäftigung mit der materie. zur erklärung in sehr verknappter form: in der afrikanischen mythologie wird der hase als erlöser gesehen. als “tumber tor” erscheint er den menschen, um ihnen von der erlösung zu erzählen, die menschen glauben ihm nicht, dem “tumben tor”. und am ende steht die erlösung dem erlöser, Schlingensief stellt das “erlösung dem erlöser” als frage nach der erlösung in den raum. so, was ist daran lächerlich? NICHTS.
jm

Einen Kommentar schreiben

 

Kommentar
Name
Email