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    25.02.06
    »Lustigmachen für Frieden«
    Zum Tode des großen europäischen Theaterregisseurs Benno Besson 
     
    Von Hans-Dieter Schütt 
     
    Foto: AFP/Philippe Desmazes
    Theater bleibt, indem es fortwährend Platz macht. Alte Stoffe, neues Spiel. Es sind die Flüchtigkeiten, die das Netz des Unsterblichen knüpfen. Nur manchmal gibt es Inszenierungen, deren Glanz so groß ist, dass Stücke lange Zeit geradezu gesperrt scheinen gegen weitere Verwendung. Perfektion gibt Kraft, sie schüchtert auch ein. Wohlweislich: durch Maßstäblichkeit.
    Zum Beispiel Peter Hacks' »Frieden« oder Jewgeni Schwarz' »Drache«. Deutsches Theater Berlin. Fred Düren in der einen Aufführung als Trygaios, Eberhard Esche und Rolf Ludwig in der anderen als Lanzelot und Dra-Dra. Schauspielerische Unübertrefflichkeit in einem Spielbetrieb, der damals, in den Sechzigern und Siebzigern, noch nicht Regietheater hieß, aber sich doch großartiger, großer unartiger Regie verdankte. In diesem Falle: Benno Besson.
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    Wird man älter, wird es leerer. Wichtig ist, dass man noch heimkommen kann, und jemand ist da, der fragt: »Na, wie war’s?« 
    B. Besson, ND 1.8.1998 
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    Zu nennen auch: die »Spektakel« der Volksbühne. Oder »Hase, Hase« von Coline Serreau 1992 am Berliner Schiller-Theater, wo Besson nicht nur eine rasant komödiantische Märchen- und Boshaftigkeit auf die Bühne zauberte, sondern wo seit langem wieder – neben Tochter Katharina Thalbach – auch seine einstige Protagonistin (und Ehefrau) Ursula Karusseit zu sehen war, als kodderschnauzige, lebensharte wie herzweiche Muttergestalt; Jahre später wird sie – erneut neben der Thalbach – noch ein weiteres Mal bei Besson spielen, die Frau Luckerniddle in der Zürcher »Heiligen Johanna der Schlachthöfe«.
    Benno Besson, 1922 als Lehrersohn in der französischen Schweiz geboren, 1947 an einer Bushaltestelle vorm Zürcher Schauspielhaus von Brecht für die Arbeit im Osten Berlins geworben, wurde einer der größten Regisseure des DDR-Theaters – mit dem Pass der schweizerischen kommunistischen Partei in der Tasche. Den Brechtianern am BE war er wohl nicht modellbeflissen genug. Der Schauspieler Jürgen Holtz (Bessons »Moritz Tassow« an der Volkbühne, 1965, zu »arbeiteruntypisch«, daher rasch verboten) charakterisierte jenen BE-Stil nach Brechts Tod einmal augenzwinkernd-frech als Vereinnahmung des Publikums für eine Änderung der Welt in Form des Erstklässlerliedes »Hurra, ich bin ein Schulkind ...«.
    Nichts für einen Südländer wie Besson, der für eine schweizerische Fastnacht schon mal unangekündigt und für längere Zeit spurlos aus Berlin, mitten aus Endproben, verschwinden konnte. Da, wo es Brechts Schülern wohlweislich darum gehen musste, ein noch immer befehdetes Werk, nun ohne die Autorität des Meisters b.b., als sozialistischen Bestand zu sichern (eine große historische Leistung!), da geriet der Ungebundene, der frei denkende B.B. zum Unsicherheitsfaktor. Zu farbig, zu respektlos, zu wenig Schülerseele. Wolfgang Langhoff rettete ihn ans Deutsche Theater.
    Dort dann die großen Erfolge (aber: Texte mit DDR-Bezug verschwanden nach der Premiere aus dem »Drachen«-Programmheft). Begeisterungsstürme auch für »Ödipus Tyrann« von Sophokles/Müller (mit Fred Düren), für »Die schöne Helena« von Offenbach/Hacks (mit Elsa Grube-Deister), für »Tartüffe« (wo Besson einer eher streng-klassisch verpflichteten Inge Keller eine Komödienspur in die künstlerische Biografie legte).
    Aber immer wieder auch: Misstrauen gegen den Ungefügen. Zu viel Frankreich und Schweiz vor den Toren des ZK. Er bekam die Volksbühne, die nach aufgezwungener und also missglückter Fusion mit dem Gorki Theater am Boden lag, und es hatte den Ruch, man wolle Besson wohl per Leitungsfunktion endlich an die deutsche Leine legen.
    Er rief am Rosa-Luxemburg-Platz das ins Leben, was nach dem Ende der DDR auf seine ganz andere Weise Castorf betrieb, sehr lebenskunstsinnig und -sinnlich: Theater als stadtraumgreifendes Spektakel. Ost-Berlin als Budenzauber, Prenzelberg als Montparnasse, als Jahrmarkt und DDR-Autorenspielplatz. Hier »machte« Besson Regisseure wie Fritz Marquardt oder Manfred Karge und Matthias Langhoff. Heiner Müller übersetzte Sophokles und Molière, Christoph Hein wurde schreibender Dramaturg. Besson rieb sich auf, suchte die dauernde Überforderung. Genoss den Widerspruch zwischen den künstlerischen Temperamenten am Haus. Trieb wohl auch Alte und Neue mitunter zu sehr gegeneinander. Als er 1977 in Avignon inszenierte, gastweise, da wurde er von etwas überfallen, was er in seiner Wirkung lange unterschätzt hatte: den Sog der französischen Sprache. Das Heimat-Gen revoltierte. Die Kulturkreisfalle schnappte zu. Jetzt wusste er, was er (gern) verdrängt hatte: Weltläufigkeit lässt sich auf Dauer nicht domestizieren.
    Die DDR freilich wird er im Lebensgepäck behalten. »Sehen Sie, ich hatte in der Volksbühne in Berlin aus ethischen Gründen die Pflicht und den Willen, einer Putzfrau anders zu begegnen als im bürgerlichen Theater.« Besson in einem ND-Interview 1998. Anrührender kann man nicht auf den Punkt bringen, was da auf dem Spiel gestanden hatte. Besson ging also keineswegs aus Hass, aus Kummer aber sehr wohl.
    »Was zerstörend für mich war: die Arroganz der Parteileute«. Und so hinterließ der Regisseur seine eigene Lesart dafür, was eine linke Tragödie sein kann: nicht so sehr, für etwas untergehen zu müssen, sondern: in etwas Ersehntem nicht aufgehen zu dürfen. Oder, wie es ein anderer Weggeher, Uwe Johnson, für sich selbst ausdrückte: »Wer da ging, sagte sich von der DDR wie von einem Lehrer los, nicht ohne Würdigung der vermittelten Erkenntnisse, aber unbeirrbar in dem Entschluss, die Vormundschaft gründlich aufzukündigen. Aber die Erfahrung sollte nicht verkleinert werden durch die Tricks der Erinnerung: Was da an Biografie gestiftet wurde, war nicht alles notwendig zum Leben.«
    Besson blieb einer, der Anfänge liebte. Die hießen nun Comédie de Genève, Théâtre Vidy-Lausanne. Viel, viel später schien es, als habe des Regisseurs Freude am Neubeginn einen seltsamen Preis gehabt: eine gewisse Gedächtnisunlust. Eberhard Esche jedenfalls ärgerte sich 1999 bei einer Berliner Akademieveranstaltung darüber, dass Besson ihn kaum wiedererkannt habe, und er verglich die denkwürdige Stunde mit einem »Kriegertreffen, dessen Teilnehmer zu jener glücklichen Generation gehörten, die einmal einen Krieg gewonnen hatten, von denen sich aber keiner mehr recht erinnern konnte, in welchem Jahrhundert der Sieg stattgefunden hatte.«
    Bessons Theater in den Pappkartons, Brettergestellen oder leichten, tänzerisch schwingenden Tüchern des Bühnenbildners Ezio Toffolutti: Es trieb mit Maskierungen, Stilisierungen und Verpackungen das Körperliche in eine Übertreibung, die aber von genau umgrenzter Form gehalten wurde. Viele seiner Lebewesen sind wieselflinke oder clownsdicke Skulpturen, entworfen gegen alles Gestaltlose von Zeit und Welt. Die verrückten Spiele sämtlicher Teile des Körpers gleichen noch im Chaos einem heiteren Triumph über alles, was ohne Zusammenhang ist. Der Menschenkörper – mit der Festigkeit oder Biegsamkeit seines Fleisches und der Ausgelassenheit aller Proportionen – wird in der Grundidee dieses Theaters zu einem quicklebendigen Traktat wider die Formlosigkeit. Manchmal hatte man den Eindruck, Harlekin Besson wolle zeigen: Alle Tiere sind im Menschen vereinigt, und der sei eine Art Menagerie. Die Bühne als luftige Voliere, in der es fröhlich flattert.
    Besson hat sich durch ganz Europa inszeniert. Der Vagabund und Wanderer als Philosoph, im Auftrag Gozzis und Brechts und Goldonis. Mit großer Lust, viel Unordnung in kleinliche Ordnungen zu bringen und die geistig Sesshaften aus ihrer Beschränktheit zu rütteln. Die größte Beschränktheit schien ihm mit den Jahren die patriarchalische Verfasstheit der Welt zu sein. In deren Zerstörung sah er die einzige Erdenrettung. So hat sich der Charme eines Frauenfreundes aus natürlicher Neigung politisch radikalisiert.
    Das Böse wollte er zaubernd zerbrechen, kapitalistische Lebenslügen märchengläubig aufspießen. Er hatte eine tapfere Glückserwartung, die, obwohl außen von wenig tröstender Erfahrung geprägt, im Innern doch, unter Zittern vielleicht und Zagen, unverdrossen weiter zur Commedia del'arte aufspielte. »Ich will die Leute lustig machen auf Frieden«, so sein Credo im ND-Interview.
    Vor einiger Zeit ist er aus Paris wieder nach Berlin zurückgekehrt. Hatte einiges vor. Wollte auch mit noch Lebenden der alten »König Ödipus«-Truppe – wie etwa Horst Hiemer – das Stück erneut erarbeiten, auf Französisch, in Paris. Nun ist Benno Besson, einer der ganz großen Theatermenschen des 20. Jahrhunderts, im Alter von 83 Jahren gestorben. Das Theater wird natürlich weiterpreschen, von anderen modernen Kräften getrieben. Aber in Pausen, die es um der Abgründe wegen, an denen wir stehen, zum Nachdenken braucht und wohl auch zur Vergewisserung seiner selbst – da wird es sich umdrehen und nach dem unvergänglichen Besson fragen.

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