Haftpflichtversicherungsrecht, VersVertrG § 23 ff; Allg Kraftvers Bed § 2

VersVertrG § 23 ff; Allg Kraftvers Bed § 2

II. Zivilsenat, Urteil vom 27. Juni 1951 [ 27.06.51 ] i. S. A. VersAG (Bekl.) w. B. (Kl.)

II ZR 29/50

I. Landgericht Lüneburg

II. Oberlandesgericht Celle

Der Haftpflichtversicherer kann den Versicherungsschutz nicht deshalb ablehnen, weil das zu einer einmaligen Fahrt benutzte Kraftfahrzeug noch nicht zum Verkehr zugelassen war. 

 

Der Kläger schloß am 26. November 1946 mit der Beklagten für sein Motorrad eine Haftpflichtversicherung ab. Das für die Zulassung zum Verkehr erforderliche amtliche Kennzeichen mit dem Unterscheidungszeichen hatte er für das Rad noch nicht erhalten. Am 27. November 1946 unternahm er auf dem Rad, an dem er ein anderes Kennzeichen angebracht hatte, eine Fahrt. Hierbei erlitt er einen Unfall.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihn von allen Haftpflichtansprüchen aus dem Unfall freizustellen. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.

Aus den Gründen:

Bei Beurteilung der Frage, welche rechtliche Bedeutung der Tatsache beizumessen ist, daß der Kläger bei der Unglücksfahrt ein Kraftfahrzeug benutzte, für das ihm noch kein amtliches Kennzeichen zugeteilt war, geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, daß nach §§ 18, 23 StVZO zur Zulassung eines Kraftfahrzeuges nicht nur die Betriebserlaubnis, sondern auch die Zuteilung des amtlichen Kennzeichens gehört. Die Zulassung ist erst vollzogen, wenn die Mitteilung über die Kennzeichnung dem Eigentümer zugegangen ist (Müller StVR 16. Aufl. § I KFG Anm. D II c und g). Eine solche Mitteilung hatte der Kläger unstreitig nicht erhalten. Infolgedessen war sein Kraftrad auch trotz der unstreitig bereits erteilten Betriebserlaubnis noch nicht zum Verkehr zugelassen, und der Kläger machte sich dadurch, daß er es gleichwohl auf öffentlichen Wegen in Betrieb nahm, eines Vergehens nach § 23 KFG schuldig. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, wird jedoch hierdurch die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung des Versicherungsschutzes nicht berührt.

1. In § 2 Ziff. 2b AKB ist zwar bestimmt, daß der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei wird, wenn der Fahrer des Fahrzeuges bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht die vorgeschriebene »Fahrerlaubnis« hat. Das Berufungsgericht meint, daß sich diese Vorschrift nur auf den Führerschein, nicht aber auch auf die Benutzung eines zum Verkehr noch nicht zugelassenen Kraftfahrzeuges beziehe. Hiergegen wendet die Revision ein, daß der Begriff der Fahrerlaubnis auch die Berechtigung zur Benutzung des Kraftfahrzeuges umfasse, § 2 AKB also auch voraussetze, daß das in Betrieb genommene Fahrzeug zum Verkehr zugelassen sei. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Sie beruht auf einer unzulässigen Vermengung der Begriffe »Fahrerlaubnis« und »Zulassung eines Kraftfahrzeuges zum Verkehr«. Der in § 2 Ziff. 2b AKB gewählte Ausdruck » Fahrerlaubnis« ist ein gesetzestechnisch in § 2 KFG und § 4 StVZO genau festgelegter Begriff und bedeutet die auf Grund des KFG erteilte behördliche Ermächtigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges der in Frage kommenden Art (Müller aaO § 4 StVZO Anm. 6). Die hierüber erlassenen Vorschriften haben die an den F ü h r e r eines Kraftfahrzeuges zu stellenden p e r s ö n l i c h e n Voraussetzungen zum Gegenstand (Müller Vorbem vor § l KFG). Hiervon sind die in § I KFG und § 18 StVZO erlassenen Vorschriften über die Zulassung eines Kraftfahrzeuges zum Verkehr, die die an das F a h r z e u g zu stellenden s a c h l i c h e n Voraussetzungen regeln, rechtlich scharf zu trennen. Die Verletzung beider Normengruppen ist auch strafrechtlich in den §§ 23 und 24 KFG gesondert unter Strafandrohung gestellt. Nimmt ein Kraftfahrer, der den erforderlichen Führerschein hat, ein noch nicht zum Verkehr zugelassenes Kraftfahrzeug in Betrieb, so verletzt er damit nicht die Vorschriften über das Erfordernis einer Fahrerlaubnis (§ 2 KFG, § 4 StVZO) und macht sich auch nicht nach § 24 KFG strafbar, sondern er verstößt lediglich gegen die unter den Strafschutz des § 23 KFG gestellten Bestimmungen des § 1 KFG und § 18 StVZO über die Notwendigkeit der behördlichen Zulassung von Kraftfahrzeugen zum öffentlichen Verkehr. Demzufolge kann in einem solchen Verhalten auch kein Verstoß gegen die Fahrerlaubnisklausel des § 2 Ziff. 2b AKB gesehen werden. Die Revision kann sich zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung auch nicht auf die Bemerkung von Prölss (VVG 6. Aufl. § 2 AKB Anm. 4 B) berufen, daß unter »Fahrerlaubnis« nicht nur der Führerschein, sondern alle Urkunden zu verstehen seien, »die zur Führung gerade dieses Kraftwagens befugen«. Mit dieser Erläuterung wird lediglich die auch sonst im Schrifttum herrschende Meinung zum Ausdruck gebracht, daß zur Fahrerlaubnis nicht nur der Führerschein notwendig ist, sondern auch eine für die Lenkung von Fahrzeugen der benutzten Art etwa sonst noch erforderliche behördliche Berechtigung, wie z. B. der Internationale Führerschein oder der nach der VO vom 12. Februar 1939 für das Fahren von Omnibussen, Lastwagen mit Personenbeförderung oder Droschken notwendige zusätzliche Berechtigungsschein (vgl. die mit dem Reichsaufsichtsamt abgestimmten Darlegungen der Wirtschaftsgruppe Kraftfahrversicherung zu den AKB, abgedruckt bei Fromm, Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter S 239 und 191; v. Gierke, VersR II, 324; Schmidt-Tüngler, RechtdKFZ-Versicherers S 52; Hüschelrath, Betrachtungen zum neuen Bedingungsrecht der KFZ-Haftpflichtversicherung S 51; Pienitz AKB S 55). Auch diese erweiternde Auslegung des Begriffs der Fahrerlaubnis bezieht sich hiernach nur auf die behördlichen Berechtigungen, die dem Fahrer nach Erfüllung der notwendigen persönlichen Voraussetzungen zur Lenkung von Fahrzeugen der betreffenden Art erteilt sein müssen, umfaßt aber entgegen der Meinung der Revision nicht auch das Erfordernis, daß das benutzte Fahrzeug auf Grund der für dieses vorgeschriebenen sachlichen Voraussetzungen zum Verkehr zugelassen sein muß. § 2 Ziff. 2b AKB hat in gleicher Weise, wie die in § 3 Ziff. 2 der früheren Kraftfahrzeugversicherungsbedingungen enthaltene Führerscheinabrede, nur den Zweck, Sicherheit dafür zu geben, daß der Fahrer die Fähigkeiten und Eigenschaften besitzt, deren Nachweis von der Behörde für die Erteilung der Fahrerlaubnis verlangt wird (RGZ 165, 54 [60]; Gülde RechtdKraftF 49, 9). Im Gegensatz zu den strengen Anforderungen in Bezug auf den Besitz der Fahrerlaubnis haben die Versicherer dagegen keine Bestimmung für den Fall getroffen, daß das benutzte Kraftfahrzeug selbst noch nicht behördlich zum Verkehr zugelassen ist (Harm RechtdKraftF 30, 257 und 271). Auch in den AKB sind solche nicht enthalten. Wenn aber die Leistungspflicht des Versicherers von der behördlichen Zulassung des Kraftfahrzeugs zum Verkehr hätte abhängig gemacht werden sollen, so hätte dieses Erfordernis ebenso wie bei der Fahrerlaubnis besonders aufgestellt werden müssen (RG in Deutsches Autorecht 1929, 142). § 2 AKB gibt hiernach der Beklagten nicht das Recht, den begehrten Versicherungsschutz deshalb zu verweigern, weil das Kraftrad des Klägers nicht zum Verkehr zugelassen war.

2. An dieser Rechtslage ändert auch der Umstand nichts, daß sich der Kläger durch die Benutzung des noch nicht zugelassenen Kraftrades eines Vergehens nach § 23 KFG schuldig gemacht hatte und daß sich der Unfall bei Ausführung dieses Vergehens ereignet hatte. Dieser Tatbestand hätte nach § 17 Ziff. 3a AKB nur für die Unfallversicherung einen Haftungsausschluß der Beklagten begründet. Dagegen läßt er nach den Versicherungsbedingungen die Leistungspflicht der Beklagten aus der Haftpflichtversicherung unberührt.

3. Ebensowenig wie aus den Versicherungsbedingungen läßt sich aus den gesetzlichen Vorschriften über die Gefahrerhöhung (§ 23 VVG) ein Recht der Beklagten zur Verweigerung des Versicherungsschutzes herleiten. Diese Bestimmungen sind allerdings grundsätzlich auch auf die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung anwendbar. An diesem vom Reichsgericht (RGZ 150, 48) zur Zeit der Geltung der früheren Versicherungsbedingungen aufgestellten Grundsatz hat sich auch durch die Einführung der AKB nichts geändert (vgl. Prölss § 23 Anm. 2; Schmidt-Tüngler S 58; Hüschelrath S 51). Wie der erkennende Senat bereits in dem Urteil vom 14. Februar 1951 (BGHZ 1,159) entschieden hat, wäre für eine Anwendung der Vorschriften über die Gefahrerhöhung nur dann kein Raum mehr, wenn es sich um einen unter § 2 AKB fallenden Tatbestand handeln würde. Dies ist hier aber aus den bereits dargelegten Gründen nicht der Fall.

Das Berufungsgericht verneint jedoch im vorliegenden Fall eine Gefahrerhöhung deshalb, weil für das Kraftrad die nach § 18 StVZO erforderliche Betriebserlaubnis bereits erteilt gewesen sei und weil die darüber hinaus weiter erforderliche amtliche Kennzeichnung nur formelle Bedeutung gehabt habe und auf die Gefahrenlage ohne Einfluß gewesen sei. Demgegenüber weist die Revision darauf hin, daß die Betriebserlaubnis bereits im Mai 1946 ausgesprochen worden war, und daß das Kraftrad vor der Unglücksfahrt noch nicht am Straßenverkehr teilgenommen hatte. Sie meint, es habe hiernach keine Gewähr dafür vorgelegen, daß es auch noch zur Zeit des Unfalls am 27. November 1946 fahrtüchtig gewesen sei. Dieser Einwand ist schon deshalb unbeachtlich, weil die Beklagte in den Tatsacheninstanzen selbst nicht behauptet hat, daß das Kraftrad des Klägers zur Zeit des Unfalls tatsächlich nicht mehr die erforderliche Verkehrssicherheit gehabt habe. Es hätte also auch bei einer amtlichen Zuteilung des Kennzeichens kein Anlaß bestanden, dem Kläger die nach § 19 Abs 2 StVZO grundsätzlich bis zur endgültigen Außerbetriebsetzung des Fahrzeugs wirksame Betriebserlaubnis wieder zu entziehen.

Das Berufungsgericht meint weiter, die allgemeine Lebenserfahrung rechtfertige auch nicht die Annahme, daß die Benutzung eines noch nicht zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeugs den Fahrer unsicher mache und dadurch das Risiko erhöhe. Ob sich eine solche Feststellung in dieser Allgemeinheit aufrechterhalten läßt, erscheint nicht unzweifelhaft. Indessen kann diese Frage im vorliegenden Fall unentschieden bleiben, weil hier die Annahme einer Gefahrerhöhung schon daran scheitert, daß die einmalige Benutzung des noch nicht zugelassenen Fahrzeuges zu einer Fahrt von vornherein nicht geeignet war, einen für eine gewisse Zeit andauernden Zustand einer erhöhten Gefahr zu schaffen. Wie der erkennende Senat bereits in dem Urteil vom 10. Januar 1951 (VersR 1951, 67) im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 150, 48; 156, 113) dargelegt hat, setzt der Begriff der Gefahrerhöhung einen gewissen Dauerzustand voraus, so daß einmalige, in ihrer Wirkung nicht fortdauernde Gefährdungshandlungen grundsätzlich nicht als Gefahrerhöhung angesehen werden können. Dies ergibt sich schon aus der bei der Gefahrerhöhung vorgesehenen Anzeigepflicht, die naturgemäß die Schaffung eines Zustandes von einer gewissen Dauer bedingt (OLG Hamm in VA 1924, 138). Vor allem aber nötigen die Vorschriften über die Herbeiführung des Versicherungsfalls (insbesondere die §§ 61, 152 VVG) dazu, einmalige, nicht für längere Zeit fortdauernde Gefährdungshandlungen von der Regelung über die Gefahrerhöhung auszunehmen. Andernfalls würde nämlich jede Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer zugleich eine Gefahrerhöhung enthalten und damit würden die §§ 61, 152 VVG, die die Leistung des Versicherers an sehr viel strengere Voraussetzungen knüpfen, als die Bestimmungen über die Gefahrerhöhung, in weitem Umfang bedeutungslos werden (so auch Raiser AFVB 2. Aufl. § 6 Anm. 9; Bruck VVG § 61 Anm. 4). Die hiernach notwendige Abgrenzung der Tatbestände der Gefahrerhöhung mit nachfolgendem Versicherungsfall und der Herbeiführung des Versicherungsfalls kann nur so vorgenommen werden, daß als Gefahrerhöhung lediglich solche Gefährdungsvorgänge angesehen werden, die nicht die Gefahr als solche schon alsbald verwirklichen, sondern einen neuen Gefahrenzustand schaffen, wobei dieser mindestens von der Dauer sein muß, daß er die Grundlage eines neuen, natürlichen Gefahrenverlaufs bilden kann und damit den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern geeignet ist. Hiervon kann im vorliegenden Fall bei der einmaligen Benutzung des noch nicht zugelassenen Kraftrades zu einer Fahrt, die alsbald zu dem haftungsbegründenden Unfall geführt hat, nicht gesprochen werden. Hätten sich die Versicherer von ihrer Leistungspflicht schon bei einer einmaligen Fahrt mit einem nicht zugelassenen Kraftfahrzeug freihalten wollen, so hätten sie dies durch die Aufnahme einer der Fahrerlaubnisklausel entsprechenden Bestimmung in den Versicherungsbedingungen tun müssen. Nachdem dies aber nicht geschehen ist, hat die Beklagte für die Gefahr, die durch einen solchen einmaligen Vorgang alsbald verwirklicht wird, einzustehen.