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Propaganda und Bürokratie

 

Ziel der Nationalsozialisten war es von Anfang an,
alle gesellschaftlichen Kräfte ihrer Ideologie zu unterwerfen.
Besondere Bedeutung hatte dabei die kulturelle Gleichschaltung.
Kritische Zeitungen wurden behindert oder verboten.
Eine neue "deutsche" Kunst sollte durchgesetzt werden.
Sozialistische, demokratische und vor allem
jüdische Künstler wurden verfolgt,
Museen und Bibliotheken von ihren Werken "gesäubert".

Das neu geschaffene "Propagandaministerium"
unter Joseph Goebbels und der schon vor 1933
aktive "Kampfbund für deutsche Kultur" konkurrierten
in der Ausarbeitung von Richtlinien.
Vor diesem Hintergrund stellten Bibliothekare
und Studentenfunktionäre im April 1933 "Schwarze Listen"
mit missliebigen Büchern zusammen.
Gleichzeitig entstanden "Weiße Listen" mit Büchern,
deren Lektüre vom NS-Regime empfohlen wurde.
Pressekampagnen, Plakatierungen und
die öffentliche Sammlung von NS-feindlichen Schriften
zielten auf eine breite Massenwirkung.

Die reichsweite Aktion der Bücherverbrennung
wurde für den 10. Mai 1933 angesetzt.
Unter Führung der "Deutschen Studentenschaft"
in Berlin sollten an allen deutschen Hochschulen
öffentlich Bücher verbrannt werden.
Den Vorwand bot die angebliche
"schamlose Hetze des Weltjudentums".

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In einer „Eil-Anordnung“ befiehlt der Bundesführer des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB), Oskar Stäbel, die Aktionen der Deutschen Studentenschaft (DSt) nicht nur zu unterstützen, sondern dabei die Führung zu übernehmen.

NSDStB: Studentenorganisation der NSDAP. Anfänge 1925/26 in München und Leipzig. Zählte bis 1934 zum sozialrevolutionären Flügel der NSDAP; ab 1934 Gliederung der Partei. DSt: Dachorganisation der 1920 gegründeten Allgemeinen Studenten-Ausschüsse. Ab 1931 mehrheitlich beherrscht durch Funktionäre des NSDStB, organisatorisch aber von diesem getrennt.

(StAWü, RSF I 21 C 14/1)

 

Sämtliche bayerischen Rundfunksender berichten am 10. Mai 1933 über die nächtliche Bücherverbrennung auf dem Königsplatz in München.

(Schreiben Bayerischer Rundfunk an Hanskarl Leistritz, Leiter des Hauptamtes für Aufklärung und Werbung der Deutschen Studentenschaft; StAWü, RSF I 21 C 14/2)

 

Das am 13. März 1933 gegründete Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels war im März/April 1933 noch im Aufbau begriffen. Goebbels selbst ist anfänglich in die Aktionen der Studentenschaft nicht involviert. Er lässt aber am 9. Mai durch seinen persönlichen Adjutanten Friedrich Christian Prinz Schaumburg-Lippe seine Bereitschaft erklären, am 10. Mai in Berlin die „Feuerrede“ zur Bücherverbrennung zu halten.

An den meisten übrigen Verbrennungsorten - so auch in München - sprechen zu diesem Anlass Studentenvertreter.

(StAWü, RSF I 21 C 14/2)

Joseph Goebbels geb. 1897 Rheydt, gest. 1945 Berlin (Selbstmord). Seit 1930 Reichspropagandaleiter der NSDAP, seit 13. März 1933 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Betrieb systematisch die Verbannung des jüdischen Einflusses aus dem deutschen Kulturleben. 1945 Selbstmord zusammen mit Frau und Kindern.

 

Schreiben des Berliner Bibliothekars Wolfgang Herrmann an den „Leiter des Hauptamtes für Presse und Propaganda“ der Deutschen Studentenschaft (DSt), Hanskarl Leistritz.

Herrmann ist Anfang 1933 mit der „Neuordnung“ der Berliner Volks- und Stadtbüchereien betraut. Er stellt die ersten „Schwarzen Listen“ missliebiger Schriften zusammen und schickt diese an Leistritz. Leistritz nimmt Veränderungen durch Streichungen und Hinzufügungen vor. Transkription des handschriftlichen Textes auf der Rückseite: „N.S. Infolge eines bedauerlichen Versehens von Fr. Wieser sind die Leihbüchereien schon in den Besitz unserer Schwarzen Listen gekommen. Die Leihbüchereien werden jetzt versuchen, dahinter in Deckung zu gehen. Es wird ihnen hoffentlich wenig nützen.“

(StAWü, RSF I 21 C 14/2)

(Vorderseite)

 

 

 

 

 

(Rückseite)

Im Vorfeld der geplanten Aktionen zur Bücherverbrennung wendet die Deutsche Studentenschaft sich an zahlreiche NS-freundliche Autoren und fordert diese auf, einschlägige Texte zur Veröffentlichung bereit zu stellen. Nur wenige der Angeschriebenen reagieren auf die Anfragen. Etliche weisen auf die zu kurze Vorlaufzeit hin und bieten bereits Veröffentlichtes zum Nachdruck an. So auch der in München lebende Erwin Guido Kolbenheyer.

(StAWü, RSF I 21 C 14/4)

Erwin Guido Kolbenheyer geb. 1878 Budapest, gest. 1962 München. Lebte nach Promotion (1905) seit 1919 in Tübingen, seit 1932 in München-Solln. Propagierte in Reden und Schriften die „nationale Revolution“. Nach dem Krieg für 5 Jahre Berufsverbot; 1958 Kulturpreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft.

In einem Rundschreiben weist der bayerische Kultusminister Hans Schemm alle staatlichen Bibliotheken Bayerns an, „bolschewistisches und marxistisches Schrifttum umgehend für den öffentlichen Leihverkehr zu sperren“.

(Rundschreiben des Ministers für Unterricht und Kultus in Bayern, Hans Schemm, vom 5. April 1933; BayHStA, MK 41396)

Hans Schemm geb. 1891 Bayreuth, gest. 1935 bei einem Flugzeugunfall. Seit 1923 Mitglied der NSDAP. 1928 Gauleiter Oberfranken (st. 1932 mit Opf./Ndb.: Gau Bayerische Ostmark); 1929 Gründung des NS-Lehrerbundes (dessen Reichswalter er bis zu seinem Tod ist). Seit April 1933 bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus.

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