Wie viel CO2 ist zu viel?

von Stefan Rahmstorf, 29. April 2009, 19:00

Diesen Donnerstag erscheinen zwei Studien in Nature, die eine Kernfrage der Politik beantworten: wie viel an CO2-Emissionen können wir uns noch erlauben, wenn wir die globale Erwärmung auf maximal 2ºC begrenzen wollen? Als Basis dient dabei das vorindustrielle Temperaturniveau; 0,8ºC Erwärmung haben wir demnach bereits hinter uns. Diese 2-Grad-Grenze (1995 vom WBGU vorgeschlagen) ist durch Beschluss der Regierungschefs im Jahr 2005 Leitlinie der EU-Klimapolitik. Über 100 Staaten haben inzwischen 2°C oder weniger als Richtlinie für die Klimapolitik angenommen (außer der EU Norwegen, Island, Argentinien, Südafrika, Costa Rica und viele mehr).

Auch viele Klimaforscher (einschließlich mir selbst) halten diese Grenze für ein sinnvolles "upper limit", da sie die Risiken von zunehmenden Extremereignissen, steigendem Meeresspiegel, sinkender Nahrungsproduktion und Umweltflüchtlingen jenseits der 2 Grad für unbeherrschbar halten. Dabei sind auch 2 Grad keineswegs harmlos oder risikofrei. Die AOSIS-Staaten, ein Bündnis von 43 Inselstaaten, fordern die Begrenzung auf maximal 1,5ºC, da viele von ihnen schon bei 2ºC Erwärmung wahrscheinlich im steigenden Meer versinken werden.

Für die Verhandlungen zur Fortschreibung des Kyoto-Protokolls, die im Dezember in Kopenhagen ihren Höhepunkt erreichen, ist es daher entscheidend, wie stark und wie rasch die globalen Emissionen gesenkt werden müssen, um die 2 Grad nicht zu überspringen. Die Grafik zeigt ein Ergebnis der neuen Nature-Studie von Malte Meinshausen vom PIK und britischen und schweizer Kollegen. Die blaue Kurve zeigt einen exemplarischen Emissionspfad, bei dem wir mit 75% Wahrscheinlichkeit unterhalb der 2 Grad bleiben werden. Darunter sieht man in dem blauen Band den zugehörigen Verlauf der globalen Temperatur (mit Unsicherheit).


Abb. 1: Zwei exemplarische Emissionspfade (oben) und zugehörige Temperaturentwicklung (unten). (c) Malte Meinshausen 2009

 
Eine Stärke dieser Studie ist, dass sie nicht auf einem einzigen Klimamodell beruht, sondern als Meta-Analyse den gesammelten Wissensstand der Klimaforschung zusammenfasst. Aus Emissionen die globale Temperatur zu berechnen erfordert zwei Schritte:

1.    Emission -> Konzentration. Entscheidend ist hierbei der Teil des emittierten CO2, der in der Luft bleibt, die sogenannte airborne fraction. Seit Jahrzehnten ist sie nahezu konstant, aber sie könnte sich künftig ändern. Meinshausen et al. kalkulieren diese Unsicherheit ein durch Berücksichtigung unterschiedlicher Modelle zum Kohlenstoffkreislauf. Auch werden die anderen klimarelevanten menschlichen Einflüsse, wie Emissionen von anderen Treibhausgasen, von Aerosolen und Vorläufern des troposphärischen Ozones berücksichtigt.

2.    Konzentration -> Temperatur. Entscheidend ist hier die "Klimasensitivität", die angibt, wie stark die globale Temperatur auf eine bestimmte Änderung der CO2-Konzentration in der Luft reagiert. Zahlreiche Studien haben die Klimasensitivität auf unterschiedliche Weise bestimmt (u.a. aus Daten der Erdgeschichte, aus der sich die Empfindlichkeit des Klimas gegenüber Änderungen im Strahlungshaushalt ableiten lässt): Der wahrscheinlichste Wert beträgt 3 ºC bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration. Meinshausen et al. berücksichtigen die Unsicherheit in dieser Zahl durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung.

Die verbleibende wissenschaftliche Unsicherheit in der airborne fraction und der Klimasensitivität führt zu den breiten Bändern in der obigen Grafik und zu Wahrscheinlichkeitsaussagen, wenn es um die Überschreitung der 2-Grad-Grenze geht.

Die einfache "bottom line"

Die Komplexität des Problems vereinfacht sich jedoch stark, weil es wegen der langen Verweildauer von CO2 in der Atmosphäre vor allem auf die Gesamtmenge der Emissionen bis 2050 ankommt, weniger auf Emissionsraten in bestimmten Jahren. Wollen wir das Risiko, über die 2 Grad hinaus zu schießen, auf 25% begrenzen, können wir uns im Zeitraum 2000-2050 noch die Emission von 1000 Milliarden Tonnen CO2 erlauben (entsprechend rund 1500 Milliarden Tonnen an Treibhausgasen insgesamt, wenn man die anderen Treibhausgase als CO2-äquivalent ausdrückt).

Klingt viel? Ein Drittel dieser Menge haben wir bereits von 2000-2008 emittiert. Bleiben die Emissionen ab jetzt konstant (bislang wachsen sie von Jahr zu Jahr) haben wir das restliche Kontingent schon in 20 Jahren verbraucht - doch es soll ja für über 40 Jahre reichen!

Einen ähnlichen, etwas langfristigeren Ansatz hat auch die zweite Studie von Allen et al, die die Kohlenstoff-Gesamtemissionen über das fossile Brennstoffzeitalter seit 1750 analysiert. Sie kommt zu konsistenten Ergebnissen und bestätigt, dass die maximale globale Erwärmung eng mit den kumulativen Emissionen korreliert. Wollen wir die 2 Grad nicht überschreiten, haben wir mehr als die Hälfte unseres Kontingents schon aufgebraucht. Wir bewegen uns rasch auf das Ende des fossilen Brennstoffzeitalters zu. Der überwiegende Teil der verbleibenden fossilen Ressourcen muss im Boden bleiben - es sei denn, er kann eines Tages emissionsfrei verbrannt werden.

Diese Analysen zeigen nochmals in aller Schärfe, wie wenig Zeit wir für eine Trendwende bei den globalen Emissionen noch haben. Schon in wenigen Jahren muss der Gipfel der Emissionen überschritten werden und sie müssen beginnen zu fallen, ansonsten müssten die Reduktionen drakonisch ausfallen.

Abb. 2: Beispiele für lineare Emissionsreduktion beginnend in unterschiedlichen Anfangsjahren. Alle Kurven führen zu den gleichen Gesamtemissionen an Treibhausgasen bis 2050. (c) Malte Meinshausen 2009

Abb. 2 illustriert dies. In der untersten Kurve wird der Gipfel der Emissionen 2010 erreicht und danach linear reduziert, bis 2050 die Emissionen global halb so hoch sind wie 1990. Das entspricht einer Reduktion von 2% jährlich (ebenfalls auf 1990 bezogen). Dieses Szenario würde die 2-Grad-Grenze zumindest mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 einhalten. Doch zögern wir nur noch zehn weitere Jahre und erreichen den Wendepunkt erst 2020, müssten die jährlichen Reduktionen schon drei mal so hoch ausfallen, um noch innerhalb der gleichen Gesamtmenge an Emissionen zu bleiben. Das wäre praktisch "ein Kyoto-Protokoll pro Jahr" - und zwar global, nicht nur für die Industriestaaten. Und am Ende müssten negative Emissionen stehen. Wenn wir die Wende in den nächsten Jahren nicht schaffen, werden wir daher das Spiel unwiderruflich verlieren. Banken kann man retten - einen einmal verursachten Klimawandel kann niemand mehr rückgängig machen.

Täuschen und Verzögern

Hätten wir ab 1992, als beim Erdgipfel in Rio die Klimarahmenkonvention verabschiedet wurde, bald mit den nötigen Emissionsreduktionen begonnen, hätten wir das Problem in Ruhe mit weit weniger als 1% Minderung jährlich lösen können. Warum ist das nicht geschehen? Ein wichtiger Grund dafür ist sicher, dass sich nach dem Erdgipfel massiver Widerstand von Lobbygruppen wie der Global Climate Coalition (mit prominenten Mitgliedern wie Exxon und General Motors) formiert hat, die geschickt Zweifel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft am anthropogenen Klimawandel gesät haben ("doubt is our product").

Auch dazu gab es übrigens letzte Woche interessante Neuigkeiten. Wie New York Times und Washington Post berichten zeigen interne Dokumente, dass die eigenen Experten der Global Climate Coalition zu dem Schluss kamen, dass die Wirkung von Treibhausgasen auf das Klima unbestreitbar ist. In einem Dokument  aus dem Jahr 1995 heißt es:

"The scientific basis for the Greenhouse Effect and the potential impact of human emissions of greenhouse gases such as CO2 on climate is well established and cannot be denied."

(Auf deutsch siehe dazu Telepolis-Bericht und AFP-Meldung.) In der Öffentlichkeit hat die Global Climate Coalition - und eine Reihe ähnlicher, heute noch aktiver Lobbyorganisationen wie das Heartland Institute - in millionenschweren Werbekampagnen allerdings genau das Gegenteil propagiert und viele der klassischen "Skeptikerargumente" in die Welt gesetzt, die für Laien plausibel klingen und heute noch im Internet zirkulieren (auch in den Kommentarspalten der KlimaLounge). Entscheidungsträger wurden über die wissenschaftlichen Fakten getäuscht, entschlossene Klimaschutzmaßnahmen immer weiter verzögert.

Noch länger zögern, dass zeigen die neuen Arbeiten in Nature, werden wir nicht können, ohne das Klima gegen die Wand zu fahren. Nach diesen Publikationen kann zumindest kein Politiker später sagen, er habe das nicht gewusst.

Links

Nature special: The road to Copenhagen

Paper von Meinshausen et al.

Paper von Allen et al.

Nature News&Views dazu von den Realclimate Kollegen Gavin Schmidt und David Archer

Der Realclimate Kommentar zu den Papers

 

PS (in eigener Sache)

In letzter Zeit hat die KlimaLounge zwei Preise erhalten:

- Unser Beitrag Die Klimawette wurde in die Auslese 2008: Die besten wissenschaftlichen Blogartikel des Jahres 2008 gewählt.

- Die KlimaLounge erhielt den zweiten Platz beim Scilogs-Preis 2009.

Wir freuen uns natürlich, dass unsere Arbeit so gut aufgenommen wird!

 

Nachtrag: Rekord-April

An der Säkularstation Potsdam hat die mittlere Apriltemperatur (Tageshöchstwerte) erstmals seit Beginn der Messungen 1893 die 20-Grad-Marke übersprungen, mit 20,2 ºC - das ist mehr als 1 Grad wärmer als ein durchschnittlicher Mai. Der wärmste April bislang war 2007 mit einem Mittel von 18,7 ºC gewesen. In den 114 Jahren davor ist nie ein April mit einem Mittel über 18 ºC vorgekommen. Und noch nie hat ein neuer Rekord den vorherigen gleich um mehr als 1 Grad überboten. Und das, obwohl der bisherige Rekordwert gerade mal zwei Jahre alt war.


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Kommentare

  1. Martin Vermeer Gratuliere Stefan u. Kollegen
    29.04.2009 | 21:39

    ...wohlverdient!

  2. Maiken Winter Ist 75% genug?
    29.04.2009 | 22:17

    Danke für die klare Übersicht. Nur eine Frage:
    Bedeutet der Artikel von Malte Meinshausen nicht, dass wir auf keinen Fall 1 Trillionen Tonnen CO2 ausstossen sollten? Dass wir von heute ab alles hintenan setzen müssten, um so schnell wie möglich unsere CO2 Emissionen zu minimieren? Oder wer würde sich in ein Flugzeug setzen, das nur mit 75% Wahrscheinlichkeit ankommt? Warum werden bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeiten für unsere Zivilisation geringere Standarte verwendet als jeder Klopapierrollenhersteller verwenden muß?

  3. 30.04.2009 | 07:07

    Ich tippe eher darauf, dass die Emissionen durch Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum vor allem in Asien bestimmt werden und das Klima kaum um Erlaubnis gefragt wird. Die einzige realistische Chance zu einer nennenswerten Reduktion des Wachstums der Emissionen sehe ich in Durchbrüchen in der Energieerzeugung. Nur wenn CO2-freie Energien ähnlich wirtschaftlich und handhabbar werden, wie die Kohleverbrennung, werden sie wirksam werden. Die Chance sehe ich bei < 10%. Also bitte die Subventionen direkt in die entsprechende Forschung und Entwicklung stecken und nicht die die Produktion unrentabler und ineffizienter Produkte.

szmtag