taz logo klein
logo taz.de logo tazblogs

Schrift

Schrift vergrößernSchrift verkleinern

Von bestechenden Sonnen und cleveren Dienern

von Shi Ming

In China gibt es eine alte Tradition: Man erzählt uralte Geschichte, meint die aktuellste Gegenwart; reißt Witze, meint es ernst und lacht, um nicht zu weinen. So wird dieser Tage in Foren der Rubrik „Lachen und Witze“ (gaoxiao ban) eine uralte Saga mit Blick auf die für China siegreiche Olympiade neu erzählt. Die alte Saga handelt von einem Bogenschützen, der von zehn sengenden Sonnen neun abschießt, und schließt mit dem Jubel, der Held habe das leidende Volk endlich erlöst, damit es erhobenen Hauptes lebt. Und die neue Erzählung beginnt: „Frage an den Schützen Houyi: Warum hast du die Sonnen abgeschossen? Antwort: Weil man mich bezahlt hat. Frage: Warum neun? Antwort: Weil die Bezahlung gerade für neun reicht. Frage: Und warum ausgerechnet die eine Sonne am Himmel belassen, wie sie heute noch scheint? Antwort: Weil es diese Sonne ist, die mich dafür bezahlt hat, die anderen abzuschießen.“

Wer die Pointe immer noch nicht versteht, braucht nur den den Postingtitel eines Xinhua-Netzkommentators zu lesen: „Von der erfolgreichsten Olympiade profitiert das chinesische Volk!“ Kommentiert wird das Posting mit Beispielen galoppierender Inflation, grassierender Korruption und der Verschärfung des Strafrechtes gegen Staatsbedienstete, die die Herkunft ihrer übergroßen Vermögen nicht erklären können. „Na toll! Wenn unsere Staatsbedienstete bis heute nicht einmal ihre Vermögenswerte offenzulegen brauchen, wie will man sie bestrafen, wenn sie zuviel haben?“

Woanders, etwa auf www.kdnet.net, wird statt Witzen ein Märchen verbreitet. In Anspielung darauf, dass alle Staatsbediensteten laut KP-Satzung Diener des Volkes seien, erzählt das Märchen von dem Beschluß eines Hausverwalters, die Besoldung der Diener urplötzlich drastisch zu erhöhen. Die Abschlußbilanz teilt der Hausverwalter einige Zeit später den Herren des Hauses mit. Diese wundern sich, warum sie von dem Beschluß weder etwas wußten, noch daran beteiligt waren. Der Lehrsatz des Märchens lautet: Die Herren des Hauses seien Dummköpfe, die einfach nicht kapieren, dass die Diener gerade mit Geldern der Herren ein pompöses, ruhmreiches Bankett für den ganzen Erdball veranstalten. In höchsten Tönen von der Welt gelobt, steht es gewiss den Dienern an, sich ganz am Ende ganz bescheiden auch noch zu entlohnen. Ist das denn so schwer zu verstehen?

Kommentar schreiben

Erforderlich sind Angabe von Name und Mail (Die Email-Adresse wird nicht veröffentlicht). Wegen Spamschutz steht die Kommentarfunktion momentan nur mit eingeschaltetem JavaScript zur Verfügung!