Das Bruttoinlandsprodukt legte mit mehr als zwei Prozent so stark wie nie seit der Wiedervereinigung zu. Kein Wunder, dass Ökonomen bereits zusätzliche Lohnerhöhungen fordern. Die FTD hat zu dem kontroversen Thema drei Vertreter der Zunft befragt.
Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)
Frage: Jahrelang haben die Arbeitnehmer in Deutschland kaum vom Produktivitätsfortschritt und den Unternehmensgewinnen profitiert. Die realen Löhne sind in der vergangenen Dekade stetig gesunken. Ist es jetzt im Aufschwung nicht an der Zeit, die Beschäftigten auch an der konjunkturellen Entwicklung teilhaben zu lassen?
Horn: Ja, das es ist dringend notwendig, um die Ärä der Umverteilung von Arbeit zu Kapital und von Niedrigeinkommen zu hohen Einkommen zu beenden. Die reale Lohnentwicklung sollte wieder dem Trend der Produktivität folgen. Nur so lässt sich die zähe Konsumschwäche, unter der Deutschland seit Jahren leidet, überwinden. Zugleich werden sich dann die Wachstums- und Beschäftigungsperformance der deutschen Wirtschaft, die im europäischen Vergleich trotz oder besser wegen der extremen Lohnzurückhaltung alles andere als gut ist, verbessern.
Frage: Der Konjunkturaufschwung gilt unter manchen Ökonomen noch nicht als selbsttragend und fragil. Sind die Gewinne der hiesigen Unternehmen überhaupt schon stabil genug für Lohnanstiege?
Horn: Der so genannnte Aufschwung ist derzeit sogar noch nur eine Erholung, denn das Produktionsniveau der Vorkrisenzeit ist noch nicht erreicht. Das dürfte aber im kommenden Jahr der Fall sein und dann sollten auch die Löhne wieder auf einen an der Produktivität orientierten Pfad einschwenken .Ein solcher Pfad belastet die Rentabilität der Unternehmen nicht, er verhindert nur die permanente Umverteilung in Richtung Kapitaleinkommen. Eine Strategie der Lohnzurückhaltung ist weder dem Wachstum förderlich noch auf Dauer tragfähig. Im übrigen wäre es eine Illusion einen konjunkturellen Rückschlag mit Lohnzurückhaltung verhindern zu können.
Frage: Die deutschen Lohnstückkosten sind im Krisenjahr 2009 stark angestiegen, Deutschland hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Sollten die Löhne aus diesem Grund nur marginal ansteigen?
Horn: Der starke Lohnstückkostenanstieg 2009 ist eine rechnerische Folge der Kurzarbeit und überzeichnet damit die Lohndynamik künstlich. In diesem Jahr korrigiert sich dies mit dem Abbau der Kurzarbeit durch einen ebenso starken Rückgang der Lohnstückkosten, der die Lohndynamik entsprechend unterzeichnet.
Frage: Die Eurozone driftet auseinander. Das Wirtschaftswachstum der Kernländer und der Peripherie könnte unterschiedlicher kaum ausfallen – die Gemeinschaftswährung ist in Gefahr. Sind angesichts dessen zusätzliche Lohnanstiege in Deutschland notwendig, um diese Divergenzen über zusätzliche deutsche Importe aus der Euro-Peripherie zu verringern?
Horn: Eindeutig ja. Die Lohnzurückhaltung ist maßgeblich für den strukturellen Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz. Ein solches Ungleichgewicht gefährdet auf die Dauer den Zusammenhalt der Währungsunion, wenn man nicht permanente Transfergeber und -empfänger erzeugen will. Daher ist ein stabilitätsgerechtes Verhalten in der Währungsunion sowohl für Defizitländer als auch für Überschussländer dringend erforderlich . Für Deutschland heißt dies, höhere Lohnzuwächse als im Schnitt des Euroraums sollten zu vermehrten Importen führen und so die Bilanz auszugleichen helfen.
Frage: Deutschlands Wohl und Wehe hängt stark von der Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Frühindikatoren in den USA und China zeigen bereits nach unten, das könnte die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten empfindlich treffen. Sollte die deutsche Wirtschaftspolitik mit höheren Löhnen die Binnenwirtschaft fördern und so die Exportabhängigkeit etwas verringern?
Horn: Ja, dies muss die mittelfristige Strategie sein. Da der Überschuss im Außenhandel in den vergangenen Jahren die wesentliche Quelle des Wachstums war, ist Deutschland in zu starkem Ausmaß von außenwirtschaftlichen Tendenzen abhängig. Eine stabileres Wachstum geht anders: Siehe Frankreich.
Ulrich Kater, Chefökonom der Dekabank. Die Investmentgesellschaft der deutschen Sparkassen verwaltet ein Fondsvermögen von rund 200 Mrd. Euro.
Frage: Jahrelang haben die Arbeitnehmer in Deutschland kaum vom Produktivitätsfortschritt und den Unternehmensgewinnen profitiert. Die realen Löhne sind in der vergangenen Dekade stetig gesunken. Ist es jetzt im Aufschwung nicht an der Zeit, die Beschäftigten auch an der konjunkturellen Entwicklung teilhaben zu lassen?
Kater: Die lange Phase der Lohnzurückhaltung setzte an einem Punkt an, an dem die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands aufgrund von Lohnübertreibungen in den neunziger Jahren sehr gelitten hatte. Aber mittlerweile ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit gut, und die Lage am Arbeitsmarkt hat sich ebenfalls gebessert. Mit Blick auf den Außenhandel darf man nicht vergessen, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit nicht nur aus preislichen, sondern auch erheblich aus qualitätsbezogenen Komponenten besteht. So kann man im Rahmen des Verteilungsspielraums an eine maßvolle Lockerung der lohnpolitischen Zurückhaltung denken, ohne größere Kollateralschäden befürchten zu müssen.
Frage: Der Konjunkturaufschwung gilt unter manchen Ökonomen noch nicht als selbsttragend und fragil. Sind die Gewinne der hiesigen Unternehmen überhaupt schon stabil genug für Lohnanstiege?
Kater: Der Aufschwung ist unsicher. An den Kapitalmärkten kann hierfür als Indiz gewertet werden, dass sich an den Aktienmärkten mit steigenden Kursen und steigenden Gewinnerwartungen und an den Rentenmärkten mit extrem niedrigen Renditen zwei Konjunkturmeinungen diametral gegenüberstehen. Wenn man solche Risiken in der Lohnpolitik einbeziehen will, kann man zunächst auf flexible Arrangements zurückgreifen wie beispielsweise bedingte zusätzliche Einmalzahlungen.
Frage: Die deutschen Lohnstückkosten sind im Krisenjahr 2009 stark angestiegen, Deutschland hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Sollten die Löhne aus diesem Grund nur marginal ansteigen?
Kater: Auslastungsschwankungen haben automatisch Auswirkungen auf Produktivität und Lohnstückkosten, erst recht die extreme Zyklik in 2009 mit ihren Besonderheiten Kurzarbeit und lohnpolitische Zurückhaltung. Die Lohnpolitik sollte sich allerdings weniger an kurzfristigen zyklischen Schwankungen als an längeren Trends orientieren. Hier spielen der langfristige Produktivitätsfortschritt in Deutschland sowie die langfristig zu erwartende Inflationsrate die wichtigste Rolle.
Frage: Die Eurozone driftet auseinander. Das Wirtschaftswachstum der Kernländer und der Peripherie könnte unterschiedlicher kaum ausfallen – die Gemeinschaftswährung ist in Gefahr. Sind angesichts dessen zusätzliche Lohnanstiege in Deutschland notwendig, um diese Divergenzen über zusätzliche deutsche Importe aus der Euro-Peripherie zu verringern?
Kater: Ich halte wenig von einer regionalen Koordination von Löhnen, um außenwirtschaftliche Salden auszugleichen, weil dies eine falsche Zielvorstellung für die Lohnpolitik wäre, abgesehen davon, dass eine solche Koordination bei autonomen Lohnverhandlungen gar nicht möglich wäre. Ein Ausgleich der innereuropäischen Unterschiede wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich eher geldpolitisch unterstützt werden, weil die Zinssätze für deutsche Verhältnisse zu niedrig ausfallen werden.
Frage: Deutschlands Wohl und Wehe hängt stark von der Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Frühindikatoren in den USA und China zeigen bereits nach unten, das könnte die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten empfindlich treffen. Sollte die deutsche Wirtschaftspolitik mit höheren Löhnen die Binnenwirtschaft fördern und so die Exportabhängigkeit etwas verringern?
Kater: Mit der Binnennachfrage ein zweites Standbein im deutschen „Geschäftsmodell“ zu entwickeln, ist aus verschiedenen Gründen sinnvoll. Höhere Löhne können einen Baustein darstellen, aber nur wenn die Steigerungen nicht arbeitsplatzgefährdend wirken, weil ansonsten die gewünschte Steigerung bei den verfügbaren Einkommen nicht eintritt oder sich sogar ins Gegenteil verkehrt. Ein weiterer Baustein wäre etwa ein möglichst investitions- und gründungsfreundliches Umfeld.
Dennis Snower ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und Professor für theoretische Volkswirtschaftslehre an der Uni Kiel
Frage: Jahrelang haben die Arbeitnehmer in Deutschland kaum vom Produktivitätsfortschritt und den Unternehmensgewinnen profitiert. Die realen Löhne sind in der vergangenen Dekade stetig gesunken. Ist es jetzt im Aufschwung nicht an der Zeit, die Beschäftigten auch an der konjunkturellen Entwicklung teilhaben zu lassen?
Snower: Natürlich haben die deutschen Arbeitnehmer vom Produktivitätsfortschritt profitiert: die Beschäftigungsraten waren höher und die Arbeitslosenraten niedriger als sie sonst gewesen wären. Der jetzige Aufschwung ist nicht sicher, aber ein Lohnanstieg könnte nicht rückgängig gemacht werden wenn die Konjunktur abflaut.
Frage: Der Konjunkturaufschwung gilt unter manchen Ökonomen noch nicht als selbsttragend und fragil. Sind die Gewinne der hiesigen Unternehmen überhaupt schon stabil genug für Lohnanstiege?
Snower: Der Aufschwung ist tatsächlich fragil. Wenn Unternehmen einen längerfristigen Arbeitsengpass vorhersehen würden, dann würden die Löhne von alleine steigen.
Frage: Die deutschen Lohnstückkosten sind im Krisenjahr 2009 stark angestiegen, Deutschland hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Sollten die Löhne aus diesem Grund nur marginal ansteigen?
Snower: Wegen der krisenbedingten Abwertung des Euros hat die deutsche Wettbewerbsfähigkeit nicht eingebüßt. Jedoch das Abflauen der Konjunktur in den Schwellenländern und langsame Wachstumsraten in Europa und Amerika könnten zukünftig die deutsche Beschäftigung bremsen.
Frage: Die Eurozone driftet auseinander. Das Wirtschaftswachstum der Kernländer und der Peripherie könnte unterschiedlicher kaum ausfallen – die Gemeinschaftswährung ist in Gefahr. Sind angesichts dessen zusätzliche Lohnanstiege in Deutschland notwendig, um diese Divergenzen über zusätzliche deutsche Importe aus der Euro-Peripherie zu verringern?
Snower: Es wäre masochistisch, Lohnanstiege zu fordern um die jetzige Wettbewerbsschwäche einiger EU Mitgliedsstaaten zu lindern. Durch seine Wettbewerbsfähigkeit schafft Deutschland Wachstumsimpulse in Europa, nicht nur durch die deutsche Importnachfrage, sondern auch durch die Schwächung unproduktiver und Stärkung produktiver Unternehmen im Ausland.
Frage: Deutschlands Wohl und Wehe hängt stark von der Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Frühindikatoren in den USA und China zeigen bereits nach unten, das könnte die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten empfindlich treffen. Sollte die deutsche Wirtschaftspolitik mit höheren Löhnen die Binnenwirtschaft fördern und so die Exportabhängigkeit etwas verringern?
Snower: Die Binnenwirtschaft wird nicht durch Lohnerhöhungen gefördert. Lohnerhöhungen haben diverse Effekte: die Einkommen der Beschäftigten steigt, jedoch die Beschäftigung und das Gewinneinkommen nimmt ab. Lohnerhöhungen, die nicht aus Arbeitsknappheit entstehen, können langfristig der Beschäftigung, dem Wachstum und der Binnennachfrage nur schaden.