Einträge mit dem Tag ‘Frage der Freiheit’


Bitte keine Tunten

28. Juni 2011 von Silviu
Dieser Text ist Teil 23 von 23 der Serie Neues vom Quotenmann

Wenn BerlinerInnen am vergangenen Wochenende auf dem CSD feierten, taten sie das aus guten Gründen. Denn sie haben tatsächlich eine Menge geschafft, während die Lage bei manch einem Nachbarn weniger erfreulich bleibt. Doch die vielen Erfolge dürfen auf keinen Fall darüber hinwegtäuschen, dass wir uns sozusagen nur in einer frühen Phase der Baustelle befinden.

Das Fundament aus formellen gesetzlichen Bestimmungen ist – bis auf einige wichtige Ausnahmen wie Steuergleichheit oder Kinderadoption – fertig. Die tragenden Strukturen unserer bunten Communities sehen auch ziemlich gut aus: Diverse Vereine und die unterschiedlichsten Szeneeinrichtungen artikulieren unsere Interessen und Stimmen oder geben uns die Möglichkeit, unsere unterschiedlichen Lebensprojekte auszuleben. Aber die Räume in unserem großen Haus haben immer noch den Aspekt des Rohbaus.

Die Heteronormativität der übrigen Gesellschaft und ein Rest an (latenter, tiefsitzender) Homophobie machen den Fortschritt schwierig. Doch nichts irritiert mehr als die eigene, verinnerlichte Homophobie oder Gender-Normativität, insbesondere dann, wenn sie als „natürlich“ und unproblematisch wahrgenommen wird. Im Zuge der Entpolitisierung weiter Teile der Bewegung in den 1980er und 1990er Jahren wurde auf die Hinterfragung vieler Elemente des alltäglichen Status-quo einfach verzichtet. Denn aus einer naiv-liberalen Perspektive darf eine unglaubliche Menge Vorurteile und Stereotypen als „spontane Präferenzen des Individuums“.

Ein genauerer Blick in die Community – ich beziehe mich jetzt auf die schwule, die ich am besten kenne – deckt tatsächlich auf, was die Kritiker des schwul-lesbischen Mainstreams seit Jahren beobachten: kleinbürgerlichen Rassismus, ein mangelhaftes soziales und politisches Bewusstsein und die Selbstgefälligkeit derjenigen, die sich selbst als „die Mitte der Gesellschaft“ sehen. Dabei scheint ein Spruch wie „Keine Asiaten, bitte“ schon salonfähig genug, um online in zahlreichen Dating- oder Socialising-Profilen aufzutauchen.

Noch viel verbreiteter ist aber die Devise „Bitte keine Tunten“, mit der Variante „Bitte nur echte Männer“. Und nein, es handelt sich nicht nur um sexuelle Vorlieben. Und das sind keine „schmutzigen Sachen“, die man nur unter den Anonymitätsbedingungen des Netzes zu sagen wagt. Im Gegenteil: Nicht wenige Berliner Schwule haben sehr wahrscheinlich auch im „realen“, Offline-Leben, ein Problem mit den „Tunten“, die sie in ihrem Alltag begegnen. Die möglichen Gründe für diesen brutal gendernormativen und homophoben Quatsch müssen selbstverständlich hinter dem naiv-idiotischen „Ich-mag-sie-einfach-nicht“-Diskurs gesucht werden. Sie haben viel mit der irrationalen Angst um die eigene Männlichkeit zu tun, mit dem gesellschaftlich erzeugten Anpassungsterror, mit den Ekelgefühlen vor dem Freak in den Anderen und letztendlich in sich selbst.

Solche Stereotypen und Ängste können und müssen wir zusammen überwinden. Deshalb gilt: Am CSD in Berlin nicht nur feiern, sondern auch demonstrieren. Tuntig und queer, versteht sich.


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Der CSD weit von der Spree

14. Juni 2011 von Silviu
Dieser Text ist Teil 10 von 10 der Serie Im Osten nichts Neues?

In wenigen Tagen feiern die nicht-heterosexuellen Communities in Berlin und anderen deutschen Städten wieder den CSD, den Cristopher Street Day. Bunte Party, tolle Kostüme, same procedure as every year. Eine weitgehend kommerzielle, entpolitisierte und wenig aussagekräftige Veranstaltung, meinen einige lokale KritikerInnen. Und vielleicht haben sie sogar Recht, wenn wir das Phänomen nur in seinem unmittelbaren, westeuropäischen Kontext sehen. Denn der CSD kann seinen ursprünglichen politischen Charakter nur behalten, wenn er echte politische und soziale Themen problematisiert, die aktuell von Bedeutung für die nicht-heterosexuellen Communities sind.

Doch ich muss gestehen: Ich mag den großen, alten Berliner CSD, trotz seiner vielen Mängel. Ein kleiner Perspektivenwechsel als Erklärung: In der kroatischen Stadt Split wollten knapp 300 Menschen am vergangenen Wochenende zum ersten Mal eine CSD-Parade organisieren. Die Veranstaltungen musste beendet werden, da die Polizei sich als unfähig erwies, die Teilnehmer gegen die 10,000 gewaltbereiten rechtskonservativen GegendemonstrantInnen zu verteidigen. Die gleiche Geschichte wiederholt sich seit Jahren in der serbischen Hauptstadt Belgrad, wo die Anzahl der Rechtsextremisten ebenfalls höher ist, als die der Mitglieder der LGBTQ-Gemeinschaft (samt Freunde!).

Aus einer osteuropäischen Perspektive erscheinen also die deutschen Debatten um die (richtige) Politisierung des CSD wohl als Luxusprobleme. Doch nicht überall in Osteuropa werden die TeilnehmerInnen einfach von Nazis oder vermeintlichen VerteidigerInnen der „Familien- und christlichen Werte“ zusammengeschlagen. In Bukarest haben die reaktionären Proteste in den letzten Jahren  nachgelassen. Die Mischung aus HardlinerInnen der Orthodoxen Kirche und Fußballfans, die bei dem ersten rumänischen CSD 2005 Steine geworfen hat, blieb dieses Mal ruhig. Allerdings war die Anzahl der TeilnehmerInnen (150) noch niedriger als in der Vergangenheit.

Warum wagen nur die wenigsten OsteuropäerInnen, für ihre Rechte und gegen Diskriminierung zu demonstrieren? Warum geben sich so viele von ihnen zufrieden mit einem Leben im Schatten, am Rande der Öffentlichkeit – und das, obwohl die gesetzliche Lage in all diesen Ländern im Großen und Ganzen genug Garantien und Schutz bietet? Warum bleiben osteuropäische CSD-Paraden populärer unter Ausländern als unter lokalen Lesben und Schwulen? Auf diese Fragen habe ich keine einfachen und kompletten Antworten. Doch eins ist sicher: Wir müssen mehr sein und mehr machen, um ernstgenommen zu werden. Und wenn wir viele sind, ungefähr so, wie in Berlin, dann fühlen wir uns auch besser. Denn dann haben wir eine ganze Menge geschafft.


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(kein) Scheidungsrecht in Malta

25. Mai 2011 von Franziska
Dieser Text ist Teil 10 von 10 der Serie Post aus Brüssel

Salut!

Der 28. Mai ist ein wichtiger Tag für Malta. Dann findet dort ein Referendum zum Thema Scheidung statt. Denn bis heute gibt es in Malta kein Recht auf Scheidung, lediglich Trennung und Aufhebung sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Ehegesetz vorhanden. Für viele ist es wahrscheinlich überraschend, dass es noch nicht in allen EU-Ländern die Möglichkeit gibt, sich scheiden zu lassen. Am 28. Mai soll deshalb das Referendum der Frage nach einer Legalisierung der Scheidung nachgehen.

Illustration: (c) Eva Hillreiner

(c) Eva Hillreiner, www.evahillreiner.de

Dazu gibt es folgende Überlegungen:
Wie ist die Stimmung dazu in Malta? Es gibt eine “JA-Bewegung”, die aus einzelnen Abgeordneten der Labour- und Nationalist-Party und den Grünen “Alternattiva Demokratika” besteht. Weiterhin unterstützen einige Nichtregierungsorganisationen und zwei Zeitungen die Kampagne für ein Scheidungsrecht.
Auf der gegnerischen Seite setzen sich hauptsächlich die katholische Kirche und die regierende Nationalist-Party gegen ein Scheidungsrecht ein. Die Labour-Party hat keine Stellung bezogen, ihr Anführer scheint persönlich dafür zu sein.
Aktuelle Umfragen sagen ein sehr knappes Ergebnis voraus.

Welche Auswirkungen kann das Referendum haben?
Leider ist es nur “moralisch bindend”, das heißt, es gibt keine Rechtsverbindlichkeit. Mehrere maltesische Abgeordnete haben in Interviews geäußert, dass sie sich an das Ergebnis des Referendums halten würden. Einige wenige haben jedoch auch angekündigt, keine Rücksicht auf das Ergebnis zu nehmen. Um tatsächlich ein Scheidungsrecht in Malta einzuführen, bedarf es eines Legislativprozesses im maltesischen Parlament.

Was genau steht in dem Referendum?

“Sind Sie mit der Einführung einer Option auf Scheidung für verheiratete Paare einverstanden, die offiziell getrennt sind oder seit mindestens 4 Jahren getrennt leben und bei denen keine begründete Hoffnung auf ein erneutes Zusammenfinden besteht, wenn angemessende Zustandswahrung und Schutz der Kinder garantiert sind?”
(“Do you agree with the introduction of the divorce option in the case of a married couple which has been separated or has not lived together for at least four years, and where there is no reasonable hope of reconciliation between the spouses, while adequate maintenance is guaranteed and children are protected?”)

Man darf gespannt sein, welche Entscheidung der 28. Mai Malta bringen wird. Mehr noch aber, inwiefern die politische Entscheidung gesellschaftlich umgesetzt werden kann.


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Tausche Buxtehude gegen Brooklyn

12. Mai 2011 von Verena
Dieser Text ist Teil 15 von 17 der Serie Sex am Morgen

Mai ist Masturbations-Monat. Ich hatte ja keine Ahnung. Aber immerhin, der halbe Monat liegt noch vor uns. Legen wir uns doch dazu. Und lassen uns von Dodson and Ross ein bisschen was zum feierlichen Anlass erzählen. Wer danach noch Appetit hat, mehr vulvaeskes folgt:

Bereits Ende Februar fand in der englischsprachigen Blogosphäre der Lady Porn Day statt, den die Journalistin und Bloggerin Rachel Rabbit White initiert hat. Der Lady Porn Day will Frauen animieren, ganz offen mit Pornographie und Masturbation umzugehen. Warum das wichtig ist, erklärt White im Interview mit Huffington Post Chicago. Frage: Brauchen wir so etwas in der deutschsprachigen Blogosphäre auch?!

Ein Hinweis, warum so ein Tag wichtig sein könnte, gibt Liz Langley auf AlterNet. Schuldgefühle, als Frau Pornos zu gucken und zu mögen?! Die Autorin versucht die Frage zu beantworten, warum sich Frauen schlecht fühlen bei Dingen, die sich gut anfühlen. Ja, das gute-Mädchen-tun-dies-aber-das-nicht-Syndrom hat in diesem Artikel auch seinen Auftritt.

Und überhaupt, wer sich jetzt noch fragt, ob Frauen auch wirklich Pornos gucken, wirft mal einen Blick auf diesen Clip, den auch jezebel gut findet.

Puh, nach so viel Porn lieber wieder etwas “normalen” Sex. Der sollte, laut Jezebel After Midnight nicht nur im Bett stattfinden. Einfach Brooklyn gegen Buxtehude und New York gegen NeuKölln austauschen und dem Sommer ‘Hallo’ sagen.

3sat zeigte am Dienstag zwei spannende Dokumentationen. Erst ging es um “die Lust der Frauen” über 60 und anschließend stöberte “Erotik unter Verschluss” in klassischen pornographischen Sammlungen, die nicht nur in den großen Museen unter Verschluss gehalten werden, sondern sogar im Vatikan. Wer es in den nächsten Tagen nicht zu einer Privataudienz beim Papst schafft, kann die Doku bei youtube gucken.


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Ungarn: Konservative Sexualmoral in der neuen Verfassung

10. Mai 2011 von Silviu
Dieser Text ist Teil 9 von 10 der Serie Im Osten nichts Neues?

Die BürgerInnen Ungarns haben kurz vor Ostern ein neues, noch größeres Geschenk von der rechtspopulistischen Regierungspartei Fidesz bekommen. Diesmal geht es nicht, wie zuletzt, um ein vage formuliertes, zum Missbrauch einladendes und die Pressefreiheit einschränkendes Mediengesetz, sondern schlechthin um eine ganz neue Verfassung. Und für Ministerpräsident Viktor Orbán lief alles sogar viel besser als noch im Januar, denn die Weltöffentlichkeit fühlte sich von mindestens drei arabischen Revolutionen und einer Atomkatastrophe völlig überfordert und erschöpft.

Zu Unrecht, denn die Sache ist wirklich ernst. (Immer noch laufende) EU-Ratspräsidentschaft hin oder her, bleibt Ungarn ein Land, wo mehrere gefährliche Tendenzen unserer europäischen Gesellschaften in einer unappetitlichen Mischung zusammenköcheln. Und das lässt sich am klarsten in der Präambel der neuen Verfassung von Fidesz lesen. Unter dem Motto „Gott segne die Magyaren“ spricht dieser kurze Text an diversen Stellen von der Größe der ungarischen Nation, die sich als Teil des „christlichen Europas“ verstehe. Die Kontinuität und Einheit der Nation sollen durch die verehrte Heilige Krone des ebenso Heiligen Königs Stefan symbolisiert werden.

Nationalkonservativer Wahnsinn? Das ist noch nicht alles. Die Ehe definiert die Präambel als Grundlage der Gesellschaft und als strikt heterosexuell. Sexuelle Identität oder Orientierung fehlen auf der Liste der Kriterien, nach denen nicht diskriminiert werden darf. Menschliches Leben wird wiederum als „heilig“ definiert – schon vor der Geburt. Ob Abtreibung mit dem Inkrafttreten der Verfassung nächstes Jahr noch legal sein wird, ist angesichts der lakonischen Formulierung ein Rätsel und gleichzeitig eine mögliche Aufgabe für das ungarische Verfassungsgericht, dessen Kompetenzen ebenfalls neu definiert wurden, um es schon bald mit Fidesz-Günstlingen neu besetzen zu können.

Innerhalb weniger Monate und nach einer Debatte, an der die demokratischen Oppositionsparteien nicht teilgenommen haben, ließ Orbán seine Abgeordneten, die die erforderliche Zweidrittelmehrheit ausmachen, über die Verfassung abstimmen. Kurz danach unterzeichnete der Staatspräsident, ebenfalls eine Orbán-Nominierung, wenig überraschend den Text. Und diese neue konservative Farce scheint tatsächlich gelungen zu sein.


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Jaclyn Friedman im Interview

2. Mai 2011 von Verena

Eine auch von der Mädchenmannschaft mit Spannung erwartete Speakerin bei der diesjährigen re:publica war die us-amerikanische Media-Aktivistin Jaclyn Friedman. Anne Wizorek, eine der Organisatorinnen der re:publica, traf Friedman zum Interview:

Jaclyn Friedman ist Gründerin und Geschäftsführerin von Women, Action & the Media, einer Organisation, die sich für Geschlechtergerechtigkeit in den Medien einsetzt und diese fördert. Ferner engagiert sich Friedman bereits seit ihrer Studienzeit aktiv für eine Schärfung des Sicherheits- als auch Rechtsbewusstseins im Kontext sexueller Übergriffe und hat hierzu unter anderem auch die Anthologie “Yes Means Yes: Visions of Female Sexual Power and a World Without Rape” mitherausgegeben.

Auf der re:publica 2011 beschrieb die begeisterte Twitter-Nutzerin in ihrem Vortrag “How Feminist Digital Activism Is Like the Clitoris” am Beispiel von Twitter-Kampagnen wie #mooreandme, #prataomdet oder #dearjohn, inwieweit sich digitale Medien auch erfolgreich im Rahmen des feministischen Aktivismus nutzen lassen und gleichzeitig dazu dienen können, eine aktive Community aufzubauen.

Im Interview mit ihr sprachen wir außerdem darüber, wie sie Klischeevorwürfen gegenüber Feministinnen begegnet, ob sich der amerikanische vom europäischen Feminismus unterscheidet und welche Rolle digitale Medien spielen können, um gegen die Sexualisierung in Standard-Medien anzugehen.

Im Herbst wird außerdem das neue Buch von Jaclyn Friedman mit dem Titel „What You Really Really Want: The Smart Girl’s Shame-Free Guide to Sex and Safety“ erscheinen. Dieses ist ein Ratgeber, der insbesondere jungen Frauen im Umgang mit der eigenen Sexualität unterstützt und dabei hilft, widersprüchliche, scheinheilige und hypersexualisierte Medien-Botschaften korrekt zu entschlüsseln, um entgegen dieser Stereotype, die eigene sexuelle Identität selbstbewusst und -bestimmt entfalten zu lassen.

Kamera: Gunnar Weber, Interview: Anne Wizorek, Schnitt: Nico Roicke

(Dieser Artikel erschien ursprünglich bei spreeblick)

 


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Von Männern und Religion

26. April 2011 von Silviu
Dieser Text ist Teil 21 von 23 der Serie Neues vom Quotenmann

In den letzten Tagen habt Ihr bestimmt schon viele Eier gefunden und viele andere Leckereien konsumiert. Es wäre also keine schlechte Idee, wieder feministisch und genderkritisch über den aktuellen Stand weiter Teile des religiösen Establishments nachzudenken: Mit der taz und darüber hinaus. Denn, egal, ob Religion in unserem Leben überhaupt eine Rolle spielt, lässt sich schnell feststellen, dass die irdischen Verwalter des Transzendenten nach wie vor – bis auf wenige Ausnahmen – ein weitgehend sexistisch und homophobisch geprägtes Programm vertreten.

Frauen wird bei vielen religiösen Ritualen und Praktiken eine minderwertige oder eingeschränkte Rolle zugeschrieben, das Priestertum bleibt in den meisten Gemeinden der monotheistischen Religionen ein Männerprivileg. Abweichungen von den traditionellen Gender- und Sexualidentitäten werden fast systematisch verurteilt oder tabuisiert. Dabei bilden die Katholische Kirche und die traditionalistischen Formen des Islams nur den mediatisierten Teil einer eigentlich viel umfangreicheren düsteren Realität. In den orthodoxen jüdischen Gemeinden, in manchen neoprotestantischen Kirchen in den USA oder bei den orthodoxen Christen Ost- und Südosteuropas herrschen in vielen Hinsichten ähnliche Zustände. Die geistliche Autorität wird nach wie vor fast überall von hierarchisch organisierten Männerbünden ausgeübt.

Ausnahmen wie die liberalen Synagogen oder die Evangelische Kirche in Deutschland und in anderen Ländern des Europäischen Nordwestens beweisen vielleicht, dass ein gemäßigter Struktur- und Programmwandel nicht völlig ausgeschlossen sind. Ob diese – noch fragilen – Modernisierungsprozesse übertragen oder nachgeahmt werden, lässt sich aber noch nicht absehen. Und es geht dabei um mehr als bloß ein paar Bischöfinnen und schwule Priester. Der Männerbund als zeiterprobte Gestalt der Machausübung, mit all seinen internen Strukturen, muss aufgegeben werden. Eine Aufgabe, die übrigens nicht nur die Religion beschäftigen sollte.


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Verhütung für Alle?

20. April 2011 von Verena

Nicht ganz neu sind die Medienberichte über HartzIV-EmpfängerInnen, die an der Verhütung sparen, weil das Geld dafür nicht reicht.

Auch die taz griff das Thema vor einigen Wochen wieder auf und brachte die Befragung von Pro Familia in Spiel, nach der seit Einführung von HartzIV die Quote derjenigen von zwei Drittel auf ein Drittel sank, die konsequent verhüten. Dagegen stieg der Prozentsatz derjeniger, die nie verhüten: Von 6 auf 16 Prozent. Taz-Autorin Eva Völpel schreibt, dass Frauen nach internationalem Abkommen  das Recht auf freie Wahl der Verhütungsmittel haben. Klingt doch super. Nur, wie sollen die bezahlt werden.

Die Bundesregierung bürstet das Thema ab und überlässt es den Kommunen, zu reagieren. Einige tun das auch und finanzieren freiwillig Verhütungsmittel für bedürftige Familien. Zum Beispiel die Stadt Flensburg, die in den vergangenen drei Jahren 180 Frauen und 6 Männern die Verhütung finanzierte. Eine Präventionsmaßnahme, denn die Kosten für die regelmäßige Verhütung sind geringer als für einen Schwangerschaftabbruch, der bei bedürftigen Familien vom Bundesland getragen wird. Auch andere Kommunen leisten freiwillige Finzanzierungshilfe. Die taz nennt 59 von 181 Pro-familia-Stellen, die bestätigen, dass die Kommune in ihrer Region die Kosten für Verhütungsmittel übernimmt. Neben Flensburg gehört auch Berlin dazu. Trotzdem sind es viel zu wenige. Und solange das Problem nicht auf Bundesebene erkannt wird, werden die Kommunen die Kosten auf Dauer nicht tragen können. In Flensburg zum Beispiel läuft das beschriebene Modell dieses Jahr aus. Was tun?!


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Der lange Weg der polnischen FeministInnen

12. April 2011 von Silviu
Dieser Text ist Teil 8 von 10 der Serie Im Osten nichts Neues?

Sieben Jahre nach Polens EU-Beitritt darf sich die dortige feministische Bewegung über einige Erfolge freuen. Das alte Klischee vom Feminismus als lächerliche, aus dem Westen importierte Ideologie gilt nicht mehr als selbstverständlich, schreibt Autorin Agnieszka Graff, eine der Hauptfiguren der Bewegung. Die rechtsliberale Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk hat neulich eine gesetzliche Frauenquote von 35 Prozent für die Parlamentswahlen eingeführt und das staatliche Angebot an Betreuungsplätzen für Kleinkinder verbessert. Die Medienresonanz einiger feministischer Veranstaltungen wächst durch die Teilnahme von Gesellschaftsprominenten wie Danuta Walesa, der Ehegattin des ersten polnischen Präsidenten und ehemaligen antikommunistischen Dissidenten Lech Walesa.

Freilich sind diese Erfolge auf eine pragmatische Neuorientierung eines Teils der feministischen Bewegung zurückzuführen, wie Graff zugibt. Denn der langjährige Kampf ums Abtreibungsrecht hat trotz aller Bemühungen nichts gebracht und die Chancen, dass dieses wichtige Ziel in absehbarer Zukunft verwirklicht wird, stehen weiterhin schlecht. Mit der Ausklammerung der Abtreibungsdebatte hoffen die eher liberal geprägten FeministInnen, den Widerstand des nach der Wende wiederentdeckten und seit Jahren dominanten Traditionalismus zu umgehen.

Tatsächlich könnte diese Rechnung aufgehen, denn sowohl der wirtschaftliche, als auch der politische Kontext scheinen günstig zu sein. Im Gegenteil zu allen anderen osteuropäischen Ländern hat Polen die Wirtschaftskrise gut überstanden und sieht sich dementsprechend weniger gezwungen, Kürzungen im Sozialetat vorzunehmen. Polnischen Frauen bleiben damit viele neue Probleme ihrer ungarischen oder rumänischen Geschlechtsgenossinnen zunächst erspart. Denn eine schwere Krise schwächt nicht nur die immerhin prekäre Wirtschaftsposition vieler Frauen, sondern stärkt in der Regel auch den Einfluss von neo­tra­di­tionalist­ischen und konservativen Diskursen, die dem Feminismus und der Modernisierung die Schuld für alles geben.

Umgekehrt verlieren die polnischen Rechtspopulisten um Jaroslaw Kaczynski an Wählerschaft, unter anderem gerade weil die Wirtschaftsbilanz der Regierung relativ gut ist. Und selbst die Erzkonservativen in der Katholischen Kirche sehen erstmals seit Jahren ihre Glaubwürdigkeit beschädigt, weil ihre politischen Spielchen von vielen BürgerInnen als übertrieben wahrgenommen werden.

Für die polnischen FeministInnen könnten diese Zusammenhänge eine Chance bieten, und zwar in zweierlei Hinsicht. Einerseits wäre es natürlich begrüßenswert, wenn auf Druck des liberalen Mainstream-Feminismus’ weitere Reformen durchgesetzt würden. Andererseits könnte gerade dieses Phänomen zu einer weiteren, erfrischenden Differenzierung innerhalb der feministischen Bewegung führen.

(Jeweils im März demonstrieren polnische FeministInnen in den Großstädten gegen das Abtreibungsverbot und für mehr Frauenbeteiligung. Rechtskonservative Gegendemos gelten allerdings immer noch als vorprogrammiert.)


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Die Liebe zur Gleichheit im neuen Tunesien

5. April 2011 von Verschiedenen

Franca M’hamdi lebt und studiert in Konstanz Literatur-Kunst-­Medien und Gender Studies. Ihre deutsch-tunesischen Eltern brachten sie 1973 in Radolfzell am Boden­see zur Welt, seit 1999 arbeitet sie als Flug­begleiterin. Sie mag Gerechtig­keits­diskurse, Fern­sehserien und Sonnen­baden am See­rheinstrand… Über ersteres schreibt sie seit 2011 auch auf ihrem Blog post_gedanken.

Die Tunesier_innen gaben den Startschuss für die demokratisch-­revolutionären Umwälzungen in der arabischen Welt. Mit dem Umbruch wächst auch die Hoffnung auf die Neu­etablierung und Aus­weitung bereits bestehender Frauen­rechte. Seit der Unabhängigkeit von 1956 sind Polygamie und Verstoßung in Tunesien gesetzlich verboten, es besteht die Möglichkeit einer gericht­lichen Schei­dung auf der Grundlage von Geschlechter­gleichheit. Das Frauen­wahlrecht wurde ebenfalls 1956 eingeführt, seit 1963 war Abtreibung unter be­stimmten Indikationen erlaubt und ist seit 1973 straffrei. Nach offiziellen Angaben werden 99% aller tunesischen Mädchen eingeschult und 50% der Abiturient_innen und Studierenden sind weiblich, während ein Viertel aller Frauen erwerbs­tätig ist (Quelle: taz).

Das ist das frauenrechtliche Erbe der autokraten Herrschschaft von Ben Ali und seinem Vor­gänger Bourguiba. Gleich­berechtigung unter staatlicher Führung war sowohl erwünscht als auch gefördert. Frauen erhielten im Übergang in eine post­koloniale Ge­sellschaft Zu­gang zu Bürger_innen­rechten, Bildung und zum Arbeits­markt. Realpolitsch bedeutete das, dass unabhängige Frauen­organisationen verboten oder über­wacht und unter­drückt wurden. Öffentliche feministische Aktionen waren unmöglich und/oder der Polizei­willkür unterworfen.

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