A   L   L   I   G   A   T   O   R   P   A   P   I   E   R   E
Hen Hermanns:
Auf den Schultern unserer Vorgänger
Ein Interview


1992 erschien im Haffmanns Verlag das Buch »Cia Tao«, ein Krimi des in Köln lebenden Schriftstellers Hen Hermanns, der damals im Brotberuf Creativdirector einer Düsseldorfer Werbeagentur war.
»Cia Tao« war ein schneller Kriminalroman um den Werbetexter Max Reinartz mit messerscharfen Dialogen, der in der Werbebranche spielte, das schwierige Köln-Düsseldorfer Verhältnis streifte und die zeitgeistigen Strömungen auf die Schippe nahm. In schneller Folge erschienen dann »Max Perplex« (1992) und »Maximum Trouble«(2003).
Der Haffmanns Verlag und Hen Hermanns Romane passten zusammen, als wäre es so komponiert. Haffmanns, der ausdrücklich einen neuen, spritzigen Ton in den Buchmarkt bringen wollte (ähnlich wie Hermanns’ Krimi in das deutsche Krimigenre). Ein Verlagsprogramm, in dem Klassiker, neue Literatur und bis dato nicht durchsetzbare Krimiautoren beinahe gleichrangig nebeneinander standen und auf dem Markt durchsetzbar wurden.
1992 wurde »Max Perplex« für den »Aspekte«-Literaturpreis nominiert, Hen Hermanns wandte sich dem Fernsehen zu, verließ die Werbeagentur und verfaßte Drehbücher für Fernsehserien wie »Ein Fall für zwei« , »Ein starkes Team«, »Echt Harder«, »Soko Leipzig«.
Jahre später kursierte dann eine Meldung, daß Hen Hermanns einen Vertrag mit dem Emons Verlag abgeschlossen hätte, was zu einem kurzen E-Mailaustausch zwischen den Alligatorpapieren und ihm führte (ca. 2000/2001):

Was hat Sie nach der sicher gut bezahlten Arbeit fürs Fernsehen bewogen, wieder einen Buchkrimi zu schreiben? Nach meiner internen Theorie gehen ja die besten Krimiautoren an Fernsehen und Film verloren, weil beim Buch einfach zu wenig »übrigbleibt« und weil die Filmarbeit keine Zeit fürs Buch übriglässt. Und wieso sind Sie jetzt bei Emons statt bei Haffmanns, wenn die indiskrete Frage gestattet ist?



Im Jahr 2002 erschien »Mach hoch 3« im Emons Verlag, mit dem die vergriffene Trilogie um Max Reinartz wieder aufgelegt wurde. Die Alligatorpapiere sprachen mit dem Autor.


Frage: Statt eines Nachworts haben Sie in der beim Emons Verlag neu aufgelegten Max-Reinartz-Trilogie eine Nachfrage an die Leser gestellt, in der Sie auf die sich immer weiter steigernde »Verdummung« im öffentlichen Leben Bezug nehmen: »Was denkt Max wohl über Verona, Naddel & Konsorten? Hat er den Kampf gegen die Dummheit verloren? Oder soll er weitermachen? Noch härter, noch ironischer, noch zynischer? Was meinen Sie?«
Wie waren die Reaktionen der Leser und wie äußerten sie sich: Briefe an den Verlag, Ansprache bei Lesungen?


Hermanns: Es gibt hin und wieder mal einen Brief, der zum Weitermachen auffordert. Bei Lesungen (ich mache sehr wenig) nicht, da es dabei in letzter Zeit auch immer nur um meinen Düsseldorf-Krimi »Das große Gripschen« geht. Das Buch ist in einem völlig anderen Stil als die Reinartz-Krimis geschrieben. Vorbild war hier Elmore Leonard, mein absoluter Hero.
Dazu habe ich auch ein Drehbuch geschrieben, von dem Claude-Oliver Rudolph so begeistert war, dass er die Hauptrolle spielen will. Es gibt eine Filmproduktion, einen Regisseur, diverse gute Schauspieler, die sich comitted haben, nur noch keinen Verleih und damit auch noch keine Filmförderung. Aber wenn alles gut geht, heißt es dann: demnächst im Kino.

Und: wird es einen neuen Max Reinartz geben?

Hermanns: Und ja, es wird einen neuen Max Reinartz geben. Titel: »Max Redux«2 . Ich weiß nur noch nicht wann, weil ich immer wieder von Filmprojekten abgelenkt werde.

Nach »Das große Gripschen«, der wie Sie sagen, in einem völlig anderen Stil geschrieben ist – wie schwierig gestaltet es sich, mehr als neun Jahre nach dem letzten Reinartz wieder in die Figur zu schlüpfen? Ist es mit Mühen verbunden, in den Tonfall zurückzufinden, und wo setzen Sie an: in direktem zeitlichen Anschluß an »Maximum Trouble«?

Hermanns: Nein, es ist nicht schwierig, wieder in die Figur zu schlüpfen. Dafür ist Reinartz zu sehr Alter ego. Ich werde einen älteren Max präsentieren, der sich treu geblieben ist, aber noch ein paar Illusionen mehr verloren hat.

In Roger L. Simons neuem Roman (»Die Baumkrieger«) tritt ein gealterter, inzwischen im bürgerlichen Leben stehender Moses Wine auf, was die Lebensentwicklung der Figur neben den Plots zusätzlich interessant macht. Könnten Sie sich so eine, über mehrere Jahrzehnte verlaufende Reihe mit einem weiter alternden Max Reinartz vorstellen?

Hermanns: Ein alternder Max Reinartz. Doch, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Unsere Gesellschaft altert ja schließlich auch zunehmend.

Max ist kein direkt positiver Held, sondern zeichnet sich durch eine ziemlich lose Schnauze und stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein aus, das sich zuweilen in Arroganz äußert. Waren Sie überrascht, zu welchen ironischen, zuweilen zynischen Kommentaren Sie Ihre Figur getrieben haben?

Hermanns: »Arroganz ist der Selbstschutz der Besseren«, hat Oscar Wilde mal gesagt. Überrascht hat mich Max Reinartz nicht, nein, er hat mich immer amüsiert. Und manchmal, wenn ich heute eine böse Formulierung suche, denke ich: Was hätte Max Reinartz, der Mann mit den Rasierklingen im Hirn, dazu wohl gesagt.

Oper gehört nicht zu den klassischen Accessoires für einen Krimi. Das und Tao-Zitate sind feste Elemente Ihrer Krimis. Ist das Ihr erwähntes Alter Ego oder war das ein bewußter Entwurf gegen den Trend?

Hermanns: Einerseits hat es etwas mit Alter ego zu tun. Andererseits ist es aber auch kennzeichend für die Figur Max Reinartz und steht für seine inneren Widersprüche: ein nervöser umtriebiger Mensch, der sich ständig über seine Umwelt aufregt und sich in zynischen Bemerkungen darüber auslässt, sich im Grunde aber nach innerer Gelassenheit (im taoistischen Sinne) sehnt.
Ein nach aussen hin cooler abgebrühter Zyniker, der aber innerlich ein verkappter Romantiker ist (und sich deshalb so gern mit emotionaler Opernmusik volldröhnt). Max Reinartz betrachtet sich, wie es irgendwo steht, als »aufgeklärten Zyniker«. »Wir wissen das wir das Falsche tun, aber wir tun es trotzdem.« Und irgendwo sagt er mal: »Das Leben ist beschissen, aber Verdi hat wenigstens ein paar gute Soundtracks dazu geschrieben.«

Inzwischen sind solche teilweise kuriosen Details in fast jedem (Fernseh-) Krimi im Übermaß vorhanden. Glauben Sie, daß es einen Trend zurück zu weniger gebrochenen, zum »toughen« Kommissar/Detektiv geben wird, dessen Privatleben und Hobbies aussen vor bleibt?

Hermanns: Das ist in der Tat inflationär. Bei Fernsehkommissaren war es eine Zeit lang ja praktisch sogar Pflicht, dass sie Alleinerzieher einer pubertierenden Tochter zu sein hatten.
Mögen wir von Trends jeglicher Art verschont bleiben. Wichtig ist, das ein Autor eine eigene Stimme, einen unverwechselbaren Stil, einen Sound hat. Und starke glaubwürdige Figuren, die nicht durch kuriose Marotten oder Hobbies definiert werden. Es muß umgekehrt sein: das muss AUS den Charakteren herauskommen.

Wie kamen Sie zum Schreiben: Vom begeisterten Leser zum Schriftsteller? Oder über das Übersetzen zum eigenen Schreiben? Und natürlich: wann kam der erste Impuls zum eigenen Schreiben?

Hermanns: Vom begeisterten Leser zum Schriftsteller.
Der erste Impuls: Immer schon, bereits früh Kurzgeschichten (schlechte) geschrieben, dann nach Jahren der Werbetexterei relativ spät, aber doch noch ein paar Jahre früher als Chandler, den ersten kleinen Roman (»Ciao Tao«) verfasst, um mir zu beweisen dass ich es kann.

Die Trilogie erschien in recht schneller Folge. Dachten Sie während des Schreibens an »Cia Tao« schon an Fortsetzungen oder lagen die Manuskripte schon bereit für einen Verlag ? War Haffmanns direkt Ihre Wahl oder hatten Sie noch andere Verlage zur Auswahl?

Hermanns: »Ciao Tao« habe ich Haffmans, Rowohlt und Diogenes angeboten. Haffmans, mein damaliger Lieblingsverlag, schickte mir nach einem halben Jahr eine Postkarte mit dem Inhalt, dass sie es gern drucken würden, wenn es nicht schon vergeben sei. Rowohlt und Diogenes mochten nicht.
Ich habe dann aus ungebremster Begeisterung heraus sehr schnell »Max Perplex« und »Maximum Trouble« geschrieben.

Wie entstehen Ihre Krimis: was ist der zündende Funke – ein bestimmter Satz, ein Dialog oder schwebt Ihnen schon eine bestimmte Geschichte vor?

Hermanns: Das kann ein Zeitungsartikel sein, ein zufällig mitgehörter Dialog, ein Thema, das mich interessiert, »Was-wäre-wenn?«-Gedankenspiele. Oft ist es auch die Zusammenführung mehrerer Ideen, die eine Story ergibt. Während des Schreibens kommen außerdem immer noch neue Ideen hinzu.

Entwerfen Sie vor dem Schreiben der Buchkrimis einen Handlungsablauf, stehen bestimmte Personen schon fest oder entsteht das meiste während des Schreibens?

Hermanns: Ich kenne die grobe Handlung und habe auch ein vages Ende im Kopf. Aber beim Schreiben lasse ich mich dann gern überraschen. Bei den Reinartz-Krimis wußte ich selbst lange nicht, wer eigentlich der Mörder war.

Was verändert sich während des Schreibens, entwickeln sich Personen oder Handlung plötzlich anders oder weiter, als geplant?

Hermanns: Und wie sich die Figuren entwickeln. Bei »Das große Gripschen« habe ich es geradezu darauf angelegt und nach der Methode von Elmore Leonard gearbeitet:
Stelle irgendwo einen Koffer mit Geld hin, nimm einen Haufen Figuren, die alle das Geld wollen und lass sie machen. Interessante Characters bekommen sehr schnell ein Eigenleben und man muss sie machen lassen.
Es ist natürlich riskant, ohne genauen Plan zu schreiben. Einmal habe ich dabei einen Roman gegen die Wand gefahren und mußte nach 100 Seiten aufgeben. Aber das Risiko ist es mir wert.

Wann schreiben Sie? Wie schreiben Sie (Schreibmaschine, PC, Hand) und nach einem bestimmten Ritual?

Hermanns: Mit Bleistift, Härtegrad 2 1/2 HB in Moleskine-Notizbücher (Snob, was?). Am liebsten schreibe ich NICHT am Schreibtisch, sondern gehend, bevorzugt am holländischen Nordseestrand.
Das heißt: Sie sehen einen Irren irgendwo entlanggehen, der ständig stehenbleibt, etwas in ein Notizbuch schreibt, weitergeht, stehenbleibt etc.
Ich glaube nicht an Rituale und feste Schreibzeiten. Man muß zu jeder Zeit und überall schreiben können. Genauso wie es erlaubt sein muß, zu manchen Zeiten und an manchen Orten absolut einfallslos zu sein.
Das einzige was mir wirklich hilft, sind knappe furchterregende Deadlines. Boy, that makes me really fast.
Dann muß das alles natürlich irgendwann in den Computer (Mac) getippt werden. Danach ausdrucken, von Hand korrigieren und neu tippen.
Ich bin keiner, der schreiben muß. Manchmal schreibe ich gerne. Manchmal hasse ich das Schreiben und empfinde es als Quälerei.

Wie sehr ähnelt das fertige Buch den Manuskripten, wie sehr überarbeiten Sie, wieviel fällt unter den Tisch?

Hermanns: Das fertige Buch ähnelt den Manuskripten sehr. Ich habe, gerade bei den Reinartz-Romanen, einen bestimmten »Sound«, der schon in der ersten Fassung immer vorhanden ist. Nach der zweiten Fassung, die ich dann dem Verlag gebe, ist eigentlich nicht mehr viel zu ändern.
Das ist bei Drehbühern natürlich ganz anders. Aber da werden erstaunlicherweise fast nie die Dialoge geändert, weil es da offenbar auch einen bestimmten »Sound« gibt, der gefällt.

Ihre im Rheinland angelegten Romane wurden in der ganzen Republik verkauft. Wie wichtig ist der lokale/regionale Bezug in ihren Romanen? Müssen Sie die Umgebung kennen, um die Geschichte sozusagen in die passende Kulisse zu setzen, bzw. funktioniert Max Reinartz erst richtig durch die rheinische Umgebung?

Hermanns: Der lokale/regionale Bezug ist mir heute eigentlich gleichgültig. Max Reinartz lebt in Köln und ist leidenschaftlicher Kölner. In dem Fall ist Köln natürlich wichtig.

Wie halten Sie es mit Fakten: können Sie Frederic Forsyth nachvollziehen, der geradezu manisch genau recherchiert, damit ja alle Gegenstände und Orte sich so vorfinden lassen, wie er sie beschreibt oder neigen Sie eher zur improvisatorischen Handhabung - es muß nicht alles stimmen, außer dass es in die Geschichte passt?

Hermanns: Wenn es sich um reale Orte und Gegenstände handelt, sollte die Beschreibung schon exakt sein. Besonders in den Fällen natürlich, wo man auch noch mit satirischen ironischen Zuspitzungen arbeitet, dann muß man seinen Gegenstand schon genau kennen.

Ist durch den regionalen/lokalen Bezug zwangsläufig eine Kategorisierung in »Regionalkrimi« vorgegeben? Ist die Bezeichung »Köln-Krimi« für Sie eine Art Einengung oder können Sie gut damit leben (inhaltlich, nicht finanziell gedacht)?

Hermanns: Regionalkrimi: Den Begriff hasse ich wie die Pest, weil unter diesem Etikett [sorry] jede sauerländische Hausfrau bei irgendeinem Kleinverlag einen Krimi unters Volk bringen kann. Regionaler Bezug geht leider oft vor Qualität und darunter leiden dann die guten Bücher. Meine Max-Reinartz-Krimis segeln auch nicht unter der Flagge »Köln-Krimi«, sondern werden von Emons überregional verkauft.
Gerd Haffmans hat Hejo Emons seinerzeit, als sein Verlag leider dicht machte, die Rechte überlassen. Bei Emons weiß ich, dass die Reinartz-Krimis nicht irgendwann im Ramsch verschwinden, sondern auf Dauer im Handel präsent sind, was für mich mit ein Grund war, die Krimis dort nochmal auflegen zu lassen.
Mein Krimi »Das große Gripschen« wird als »Düsseldorf-Krimi« verkauft, was dann leider bedeutet, dass man das Buch schon in Köln nicht mehr im Handel findet, was wiederum die Verkaufszahlen nicht gerade in die Höhe treibt.

Ihre Krimis waren in den neunziger Jahren grandios aufgenommen worden. »Max Perplex« wurde 1992 für den Aspekte-Literaturpreis nominiert (was die scherzhafte Anmerkung hervorrief, daß deshalb Reich-Ranicki endlich einmal einen Krimi lesen mußte). Max Reinartz war unterhaltsam und zynisch, heiter und sarkastisch, und er war befreit von dem bedeutungsschweren Ballast, den damals die deutsche Literatur bis in die Gattung Krimi mit sich herumschleppen mußte. Das war ungewöhnlich und befreiend. Sieht man als Autor, daß und wie sich der deutsche Krimi seither verändert hat?

Hermanns: Hat sich der deutsche Krimi verändert? Weiß ich nicht wirklich, weil ich zugeben muß, keine deutschen Krimis zu lesen. Mit Ausnahme der zwei großen Jörgs: Fauser und Juretzka.

War es auch ein Grund Ihres Schreibens, die deutsche Sparte der Gattung zu beleben?

Hermanns: Ja doch, ich wollte auf jeden Fall den deutschen Krimi beleben. Bücher schreiben, die ich selbst gerne lese. Also nicht deutsch, sondern eher amerikanisch. Witzig, schnell, gute Dialoge. Meine Vorbilder waren damals Robert B. Parker und Kinky Friedman.

Nach Ihren Erfahrungen im Film-, bzw. Fernsehgeschäft. Ist es realistisch, in Deutschland vom Schreiben von Kriminalromanen leben zu können/wollen? Kann letzlich nur der Wunsch, selbstgestaltend zu arbeiten, die völlige Kontrolle über die Geschichte zu haben, einen Film-/Fernsehautor zum Buchautor werden lassen?

Hermanns: Von Kriminalromanen allein kann man sicher NICHT leben. Da gibt es nur wenige Autoren mit hoher Auflage, die das schaffen, und selbst die müssen ständig auf Lese-Tournee sein.
Wenn man gut im Fernsehgeschäft ist, kann man gut davon leben, darf sich aber nicht darauf verlassen. Die Zeiten, die Redakteure und die Produzenten ändern sich. Ich selbst habe das große Glück, über die Jahre einige wenige Partner gefunden zu haben, mit denen ich gerne und regelmäßig zusammenarbeite.
Weil ich ein festes Einkommen als Creative Director beziehe, kann ich es mir leisten, mit manchen Leuten nicht zu arbeiten und bei einem Arbeitsessen zu sagen »Wenn Uschi Glas die Rolle spielt, gehe ich jetzt besser« (ein wunderbarer Moment in meiner Karriere war das). Wenn man mit Menschen zusammenarbeitet, die alle nur wollen, das die Geschichte so gut wie möglich wird, kann man auch Kompromisse machen.
Wer das nicht möchte, sollte sich lieber vom Filmgeschäft fern halten.

Die Einsamkeit des Schriftstellers. Gibt es die? Wie wichtig ist Feedback? Und woher kommt es, neben Verlag und Verkaufszahlen? Rezensionen, Interviewwünsche, Leserbriefe, Lesungen? Wie unterscheidet sich das Feedback zwischen Buch und Fernsehen?

Hermanns: Natürlich ist man beim Schreiben allein. Aber einsam? Das kann ich für mich nicht bestätigen.
Feedback ist sehr wichtig. Die Meinung meiner Frau. Die Meinung guter Freunde. Lachen an den richtigen Stellen bei Lesungen. Rezensionen natürlich auch. Ein paar Fernsehinterviews während des ersten Hypes um die Reinartz-Romane haben viel Freude gemacht.
Für Drehbücher gilt im Prinzip das Gleiche. Wenn, wie es mal vorgekommen ist, über 13 Millionen einen »Fall für zwei« von mir sehen und sogar die Bildzeitung einen Dialog daraus zitiert »Was für ein Mensch ist Sondheim eigentlich?« »Och, Mensch ist eigentlich zu viel gesagt.«) ist das schon ein ziemlich gutes Gefühl.

Ein Buch bleibt, wie sie im Zusammenhang mit Emons sagen, auf lange Sicht lieferbar. Ein Fernsehbeitrag wird eventuell wiederholt, verschwindet aber ansonsten im Archiv. Ein flüchtiges, aber besser bezahltes Medium?

Hermanns: Ein Fernsehbeitrag ist »flüchtig«, ja. Aber oft wird er wiederholt. Und die meisten Bücher werden auch nur ein oder zweimal gelesen.
Die langfristige Präsenz meiner Bücher im Handel ist mir vor allem wichtig, damit mein Sohn Henri (6 Jahre) sie sieht und ein bißchen stolz auf mich sein kann.

Chandler hat sinngemäß einmal gesagt, einige seiner besten Freunde seien Schriftsteller, er habe aber nie eines ihrer Bücher gelesen. Wie sind Ihre Kontakte zur (mit-) schreibenden Zunft? Braucht, sucht oder hat man Kontakt zu Kollegen?

Hermanns: Viele meiner guten Freunde sind Kreative, aber es ist kein einziger Schriftsteller darunter, obwohl ich eine Menge Autoren kennengelernt habe. Beim Schreiben ist letztlich (s.o.) doch jeder allein.

Sie sind Buchautor und schreiben Drehbücher und sind leidenschaftlicher Leser. Glauben Sie, daß es ein wechselseitiges Beeinflussen der Medien Buch und Film/Fernsehen im Krimi gibt? Oder sind es völlig unabhängig voneinander existierende Formen des Erzählens von Geschichten?

Hermanns: Den wechselseitigen Einfluss gibt es bestimmt. Letztlich kommt es immer auf die Story an, und dann auf die Form des Erzählens - eben per Buch oder Film z.B. mein letztes Buch »Das große Gripschen« liest sich, wenn man so will, auch als eine Art Treatment für einen Film. Und vielen Autoren wird ja heute nachgesagt, dass sie »filmisch« schreiben.

Aus Ihren Begegnungen mit anderen Drehbuchautoren – sind es auch Leser oder sehen sie eher Filme?

Hermanns: Die meisten Drehbuchautoren, die ich kenne, lesen sehr viel und sehen sehr viel. Im übrigen lese ich auch sehr gerne Drehbücher.

Englischsprachige Krimis lesen Sie, setze ich voraus, im Original. Nach dem klassischen Verlauf: über Chandler, Hammett zu den wilden Neuen wie Friedman, Hiassen?

Hermanns: Genau. Ich lese sie im Original. Und auch mit der Vermutung »klassischer Verlauf« liegen Sie richtig: Chandler, Hammett, Ross McDonald, Eric Ambler, Jim Thompson, Highsmith. Carl Hiaasen, ja, wunderbarer Autor. Elmore Leonard wie schon gesagt, Leonards Vorbild George V. Higgins, Jerome Charyn, Jerry Oster (den es ja jetzt fast nur noch in deutscher Übersetzung gibt), aber auch Andrew Vachss, James Ellroy natürlich, Dennis Lehane, um nur einige Amerikaner zu nennen. Wichtig waren aber auch Sjöwall/Wahlöö, Montalban, Willem van de Wetering. Ansonsten bin ich bekennder Mankell-Hasser, kenne nichts Langweiligeres.

Wo besorgen Sie sich die Informationen über amerikanische Autoren (und die Bücher)?

Hermanns: Besorge ich mir im Internet, regelmäßig z.B. in den wirklich exzellenten Alligatorpapieren, im january-magazine , und in diversen Buchbesprechungen der New York Times, Guardian etc.

Und bleibt es bei Krimis oder nehmen Sie auch die andere Literatur mit, Franzen, Eugenides, Lethem, Whitehead ...?

Hermanns: Aber ja! Jonathan Franzen, »The Corrections«, grandios! Siri Hustvedt, »What I loved« fand ich hervorragend, Paul Auster lese ich gerne, Louis Begley, Martin Amis, Douglas Coupland, Bret Easton Ellis, Philippe Djian ... endlos.
»Twelve« von Nick McDonnell fand ich langweilig und vorhersagbar, gerade habe ich »Vernon god little« von dbc Pierre angefangen, vielversprechend.

Viele Klassiker und wichtige Autoren der hardboiled geprägten Kriminalliteratur finden sich (wenn nicht bei Diogenes im Angebot) nicht mehr im Buchhandel, nachwachsende Generationen werden gezwungen sein, über Bibliotheken und Antiquariate die Geschichte der Kriminalliteratur zu verfolgen. Bedeutet Ihnen so etwas wie Geschichte der Kriminalliteratur etwas?

Hermanns: Das wichtige Bücher einfach verschwinden, ist eine kulturelle Katastrophe.
Die Geschichte der Kriminalliteratur bedeutet mir viel, da wir alle schließlich immer auf den Schultern unserer Vorgänger stehen, ob wir wollen oder nicht.

Sollte ein Krimiautor die wichtigsten Autoren der Kriminalliteratur kennen?

Hermanns: Selbstverständlich sollte man sie gelesen haben. Aber nicht nur die wichtigsten Autoren der Krimi-, sondern der gesamten Literatur.

Die großen und legendären Krimireihen deutscher Taschenbuchverlage existieren nicht mehr. Fehlt Ihnen so etwas (auch wenn Sie fast nur Originale lesen)?

Hermanns: Das finde ich in der Tat sehr bedauerlich. Ich besitze glücklicherweise noch viele Diogenes-Gesamtausgaben, z.B. Hammett, Chandler, Highsmith, alle ro-ro-ro van-de-Weterings, Montalbans, Sjöwall/Wahlöös. Gelegentlich suche ich immer mal wieder einen Satz oder eine Szene und bin froh, dass die Bücher noch da sind. Und es ist ein schönes Gefühl, alle Hiaasens, Leonards, Friedmans, Parkers, Djians usw. im Regal stehen zu haben. (Mein armer Sohn wird sie alle mal von mir aufgedrängt bekommen).

Welche Krimis haben Sie im letzten Jahr am stärksten beeindruckt?

Hermanns: Erwischt. Ich muß gestehen, dass ich im letzten Jahr nur einen einzigen neuen Krimi gelesen habe: »Basket Case« von Carl Hiaasen. Witzig wie immer.

Welche ausländischen Krimiautoren wünschen Sie sich in deutschen Verlagen?

Hermanns: Alles, ausser Skandinavier. Ich glaube, davon haben wir langsam genug.


(Das Interview mit Hen Hermanns führte Alfred Miersch im März 2004 per e-mail.)




Ciao Tao hermanns-max perplex Maximum Trouble Gripschen Max hoch 3

Die in deutscher Sprache veröffentlichten Krimis:
1992 Ciao Tao, Haffmans Verlag
1992 Max perplex, Haffmans Verlag
1993 Maximum Trouble, Haffmans Verlag
2001 Das große Gripschen, Emons
2002 Max Hoch 3 (Dreierband mit: Ciao Tao, Max Perplex, Maximum Trouble), Emons

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Leseprobe aus "Max Redux".
1.
Ich hätte niemals gedacht, dass ich Manfred Eckert in meinem Leben noch einmal begegnen, geschweige denn, mit ihm sprechen würde. Aber ich hätte auch niemals gedacht, dass Marathonlaufen ein Sport für Arschlöcher werden würde. Genauso wenig wie Graf Berge von Trips hatte ahnen können, dass Autorennen irgendwann in der Zukunft von kleinbürgerlichen Eifelflegeln bestritten würden, deren Gattinnen aufgrund der Tiefe ihres Ausschnitts zur Königin der Formel 1 ernannt wurden.
Entsprechend perplex war ich, als ich seine Stimme am Telefon hörte.
»Was machste denn so den ganzen Tag als Privatdetektiv? Ist das nicht total langweilig?«
»Nicht langweiliger als in der Werbung zu arbeiten«, sagte ich.
»Sie waren kein besonders guter Texter, Reinartz«.
»Andere behaupten das Gegenteil.«
»Ich sag ja nicht, dass Sie schlecht geschrieben haben. Sie haben nur einfach nicht dran geglaubt.«
»Deshalb hab ich aufgehört.«
»Und woran glauben Sie jetzt?«
»Dass die Zeit davonrennt. Ich werde bald fünfzig.«
»Also die kurze Version. Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen.«
»Da bin ich nicht mehr da. Ich habs eilig.«
»Ich weiss, dass Sie mich nicht mögen, Reinartz. Ich mag Sie auch nicht.«
»Okay. Dann bis gleich.«

Eckert war älter geworden. Viel älter. Ansonsten hatte sich nichts geändert. Er trug immer noch Khakizeugs von GAP, die Groucho-Marx Kombi aus dicker Hornbrille und dickem Oberlippenbart und bis aufs Blut abgebissene Fingernägel. Und einen kleinen Rimova-Koffer. »Tach«, sagte er, während er sich mit einer für seine Köperfülle immer noch erstaunlichen Geschmeidigkeit an mir vorbei in mein Büro schob.
Ich schloss die Tür hinter ihm. Als er mich ansah, war mir klar, dass ich es hier mit einem TSHTF-Fall zu tun hatte. The Shit Hits The Fan. Die Scheisse fliegt in den Ventilator.
»Ich bin unschuldig«, sagte Eckert.
»Das sind Sie mit Sicherheit nicht«, sagte ich.
Er stellte seinen Koffer auf den Boden, setzte sich in meinen Besuchersessel und zeigte auf meine Espressomaschine.
»Machste mir'n Espresso?«
»Bleiben wir doch einfach beim Sie, so wie früher.«
Früher, vor über zehn Jahren, hatte ich als Texter in Eckerts Agentur W.A.T.CH. gearbeitet. Ein Artdirector, dem Eckert die Frau ausgespannt hatte, drehte durch und besorgte sich eine Knarre. Statt auf Eckert zu schiessen, schoss er auf mich, als ich früh morgens durch die Kölner Altstadt joggte. Er war ein mieser Schütze und ich kriegte nur einen Streifschuss ab. Aber seine Laune war mies genug, um mir nach New York nachzureisen und noch mal zu versuchen, mich umzubringen, nachdem ich nach 42 km Marathonlauf ziemlich geschwächt im Hotelbett lag. Als das auch nicht klappte, flog er zurück und versuchte dann doch noch Eckert umzulegen, wobei er sich eine tödliche Polizeikugel einfing.
Danach hatte ich jedenfalls keine Lust mehr auf Werbung gehabt und war freischaffender Privatschnüffler geworden.
Ich stellte Eckert einen Espresso vor die Nase und setzte mich ihm gegenüber.
»Und? Worum geht's?«
»Ich soll jemand umgebracht haben.«
»Wer sagt das?«
»Im Moment noch keiner. Erst wenn die Leiche gefunden wird. Dann werden sämtliche Stinkefinger auf mich zeigen.«
»Muss ich das jetzt verstehen?«
»Nelle Kaminski, der Kreativchef von FDFG, liegt mit durchgeschnittener Kehle auf seinem Bett. Nackt und mit erigiertem Schwanz.«
»Ich dachte Sie sind Hetero. Sind Sie jetzt auch einer von diesen Meteosexuellen?« »Ich hab ihn so gefunden.«
»Und was haben Sie gesucht? Kaminski oder was anderes?«
»Meine Freundin.«
»Verstehe. Motiv Eifersucht.«
»Aber genau. Plus kein Alibi. Plus, mein Skalpell ist weg.«
»Da sehen Sie mal, wie tödlich Nostalgie sein kann. Alle arbeiten heute mit Quark oder Fotoshop, aber Sie müssen natürlich noch mit dem Skalpell Layouts basteln.« »Jedenfalls ist es weg. Plus: FDFG gehören 55 % von W.A.T.CH und ich hatte in letzter Zeit jeden zweiten Tag Krach mit Kaminski.«
»Sieht nicht gut aus für Sie.«
»Sonst wäre ich wohl kaum hier.«
»Und wie soll es jetzt Ihrer Meinung nach weitergehen?«
Eckert öffnete seinen Koffer und holte einen dicken Briefumschlag raus.
»Hier sind 5000 Euro drin, Reinartz. Dafür kriegen Sie raus, wer Kaminski wirklich umgebracht hat.«
»Und was wird in der Zwischenzeit aus Ihnen?«
»Ich komme solange in U-Haft, was sonst?«
»Habe Sie denn keinen guten Anwalt, der das verhindern kann?«
»Ich bin vorbestraft. Steuerhinterziehung. Und dann gibt's auch noch ein laufendes Verfahren wegen Kapitalflucht. Ich gehe jetzt wie jeden Abend ins Le Moissoinier. Da wissen die Bullen wo Sie mich finden können, und ich krieg noch mal was anständiges zu essen.«
Er stand auf.
»Streng dich an, Reinartz.«
Und dann drehte er sich um und ging.
Ich öffnete den Umschlag. Es waren tatsächlich 5000 Euro drin. Und betrunken oder unter Drogen schien Eckert auch nicht gewesen zu sein.

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Hen Hermanns:

* 4.2.1953 in Düsseldorf

Hen Hermanns ist gelernter Werbetexter. Mit einer seiner ersten literarischen Arbeiten wurde er 1992 für den ASPEKTE-Literaturpreis nominiert. In seinen Kriminalromanen, die die Elemente harter amerikanischer Privatdetektivthriller mit deutschem Ambiente verbinden, steht der Ermittler Max Reinartz im Mittelpunkt, eine im Rheinland zwischen Köln und Düsseldorf beheimateter Detektiv, der sich gern an seine Vergangenheit als Werbetexte erinnert und sich auch in seinem Lebensstil streckenweise am Design-Kult der Werbemenschen erfreut.
Nach seinen ersten Erfolgen als Romanautor wandte sich Hen Hermanns vorwiegend dem Fernsehen zu und verfasste neben Drehbüchern zu Fernsehfilmen auch die meisten Skripte der Serie »Echt Harder« (RTL)
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