Studie: Bürger & Politik online

Teil I: Informationsbeschaffung über Politik herkömmlich und online

Im Frühjahr 2011 zeigte die DEUPAS-Studie, dass deutsche Parlamentarier sich angesichts der drängenden Probleme unserer Zeit vor allem hilflos fühlen und meinen, dass der Bürger selbst Verantwortung übernehmen müsse. Doch wie steht es um die politische Aktivität des Bürgers? Eine Längsschnittstudie hat nun untersucht, wie die Deutschen das Internet nutzen, um über und mit der Politik zu kommunizieren, wie sie sich politisch vernetzen, wie sie aktiv werden und mobilisieren.

Martin Emmer, Jens Wolling, Gerhard Vowe (2011): Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland. Konstant: UVK. Bestellen bei Amazon.

Mit Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland (Webseite zum Buch) haben Martin Emmer, Jens Wolling (beide TU Ilmenau) und Gerhard Vowe (Uni Düsseldorf) ein Standardwerk geschaffen, das nicht nur für Kommunikationswissenschaftler, sondern auch für die aktive Politikarbeit und im Bereich Public Affairs Schaffende großen Vorteil bringt. Denn mit dem spezifischen Fokus auf die Politik nun können theoretische Mutmaßungen und Spekulationen über den digital divide und das politische Online-Engagement der Bürger endlich durch Fakten belegt werden – z.T. auch widerlegt.

Interessant sind die umfangreichen Daten nicht nur, weil sie als Längsschnittstudie (sieben Erhebungswellen von 2002 bis 2009) Entwicklungen abbilden und den Einfluss politischer Ereignisse (z.B. 11. September 2001, Hartz-IV-Proteste) verdeutlichen. Auch die Perspektive, ausgehend vom Individuum die drei Bereiche politische Informationskommunikation, interpersonale politische Kommunikation und partizipative politische Kommunikation sowohl offline (also herkömmlich) und online zu erfragen, ermöglicht Einblicke in mögliche Verschiebungen oder gar Substitution von Verhaltensweisen.

Grundlegende Einstellungen zur Politik

Schon ganz grundlegend können mit der Studie Aussagen zu politischen Einstellungen der Bürger getroffen werden, da es sich um eine für Deutschland repräsentative Stichprobe handelte. So geben über die Jahre hinweg zwischen 22 und 42 Prozent der Befragten an, sich stark für Politik zu interessieren. Die Zahl derer, die angeben, eine bestimmte Parteineigung zu haben, ist in den beiden Jahren mit Bundestagswahlen (2002 und 2009) am höchsten und entwiceklt sich sonst wellenförmig, ohne eine deutliche Tendenz nach oben oder unten. Die Zufriedenheit mit der Demokratie hingegen sinkt bis 2004 (Hartz-iV-Proteste) deutlich ab und steigt dann wieder mit einer optimistischeren Einschätzung der Wirtschaftslage (vgl. Abb. 1).


Abb. 1: Grundsätzliche Einstellungen zu Politik & Wirtschaft, Quelle: S. 84, eigene Darstellung. 1

 

Herkömmliche Informationsbeschaffung über Politik

Um einen Vergleich zur neuen Onlinekommunikation über Politik herstellen zu können, fragten die Autoren zunächst ab, wie und wie häufig bestimmte Informationen über Politik eingeholt werden. Die einzelnen Fragen sind dabei jeweils auch nach sozioökonomischen Strukturen und politischen Einstellungen aufgeschlüsselt. Eine Wiedergabe erfolgt an dieser Stelle aber nur, wenn auffällige Befunde vorliegen, da meist bekannte bzw. anzunehmende Ergebnisse vorliegen. 2

So schauen etwa noch zwei Drittel bis drei Viertel aller Deutschan täglich Nachrichten im Fernsehen, wenn auch mit leicht sinkender Tendenz (Tabelle 1, Nr. 1). Politische Fernsehmagazine schauen durchschnittlich 30 Prozent der Deutschen mehrfach pro Woche, vor allem ältere und höher gebildete sowie Personen mit einer Parteineigung (Nr. 2). Tageszeitungen werden immerhin noch von rund 60 Prozent der Befragten täglich gelesen. Hier macht das Alter den größten Unterschied: Unter den Übersechzigjährigen sind 80 Prozent regelmäßige Zeitungsleser, bei den Jüngeren sind sind die Zahlen stark rückläufig. So liest nur noch ein Fünftel der 16- bis 29-Jährigen eine Tageszeitung (Nr. 3).

Gut ein Drittel der Zeitungsleser interessiert sich stark für den Politikteil. Interessant ist hierbei vor allem, dass sich im Gegensatz zum allgemeinen Lesen der Zeitung die höher Gebildeten am meisten interessieren (knapp 60%). Außerdem Männer zu fast 20 Prozent mehr als Frauen, ebenso wie Bürger mit Parteineigung gegenüber denen ohne. Dass Politikinteressierte zu 60 bis 70 Prozent mehr am Politikressort ihrer Tageszeitung interessiert sind, überrascht hingegen keineswegs (Nr. 3a). Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazine werden schließlich von gut 40 Prozent der Deutschen gelesen, hier zeigen sich sehr ähnliche Verteilungen wie beim Politikteil von Tageszeitungen (Nr. 4).

Nr. Art 2002 2003 2004 2005 2007 2008 2009
1 Tägl. Sehen von TV-Nachrichten 72,6 77,0 70,2 73,7 64,1 65,5 67,4
2 Sehen politischer Fernsehmagazine 30,0 32,7 32,1 30,0 26,5 26,7 28,0
3 Tägl. Lesen einer Tageszeitung 61,2 60,2 61,1 60,4 58,0 57,3 60,1
3a
  • Starkes Interesse am Politikteil*
33,3 39,9 39,8 40,5 36,0 37,4 35,4
4 Lesen von Nachrichtenmagazinen und Wochenzeitungen 44,6 45,3 40,6 46,0 43,5 41,3 37,6

Tabelle 1: Übersicht zur Nutzung herkömmlicher Politikinformationen in Prozent, Quelle: S. 88, 90, 92, 94, 96. *Anteile von Tageszeitungslesern.

 

Nutzung politischer Informationen im Internet

Betrachtet man nun das politische Informationsverhalten im Internet, muss man beachten, dass im Befragungszeitraum die Gruppe der Onliner, also derjenigen, die einen Internetzugang haben und diesen auch mindestens eine Stunde pro Woche nutzen, immer größer wurde (41,6 – 63,7%). Dadurch erklären sich viele der Zuwachsraten. So ist von 2002 bis 2009 der Anteil derer, die sich im online über Politik informieren von unter 30 Prozent auf knapp die Hälfte angestiegen. Betrachtet man nur die Onliner, sind es sogar zwei Drittel bis vier Fünftel, die sich über Politik im Internet informieren. Generell gilt: Je jünger, je höher gebildet und je höher das Einkommen, desto stärker ist das Interesse für Politik im World Wide Web (Tabelle 2, Nr. 5).

Politikerwebseiten werden von immer mehr Menschen besucht. War es 2002 noch jeder Zehnte, der dies angab, besuchte 2009 schon fast jeder Fünfte mal die Webseite eines Politikers. Trotz dieses deutlichen Trends muss also festgehalten werden, dass gerade mal 20 Prozent der Bürger auf diesem direkten Weg mit politischen Botschaften erreicht werden (Nr. 6). Auch politische Informationsmaterialien bzw. Broschüren werden herkömmlich (postalisch, telefonisch) und online nur von jeweils knapp zehn Prozent der Bevölkerung bestellt. Nach 2005 nimmt der Zahl der konventionellen Bestellungen jedoch deutlich ab. Die genaue Analyse der Daten zeigt auch, dass der Anteil derer, die nur online oder online und offline Broschüren bestellen in etwa gleich bleibt.

Nr. Art 2002 2003 2004 2005 2007 2008 2009
5 Lesen von Politikinformationen im Internet 28,0 30,0 36,3 39,1 38,8 38,4 48,9
6 Besuch einer Politiker-Webseite 10,8 9,6 12,0 13,5 12,7 14,7 18,3
7 Nutzung von Online-Angeboten mit tagesaktuellen Politikinformationen - - - - 20,9 31,7 37,6
8 Lesen politischer Weblogs - - - - - 28,0 29,0
9 Lesen politischer Wikipedia-Artikel - - - - - 26,5 28,8
10 Ansehen politischer Videos - - - - - 13,4 17,7
11 Anhören/Ansehen politischer Podcasts/Videocasts - - - - - 12,3 12,8

Tabelle 2: Nutzung politischer Informationen im Internet in Prozent, Quelle: S. 117, 120, 135, 137, 138, 140.

 

Auch bei der tagesaktuellen Information über das politische Geschehen nimmt die Nutzung von Onlineangeboten zu. 2007 wurde erstmals danach gefragt, ob die Bürger sich über die Online-Angebote von Tageszeitungen oder auch Portale mit Nachrichten informieren. Damals waren es 20 Prozent, zwei Jahre später fast doppelt so viele (Nr. 7). Das Lesen von politischen Blogs hat sich hingegen in den zwei abgefragten Jahren nicht verändert, immerhin knapp ein Drittel der deutschen tut dies (Nr. 8). Das Interesse an politischen Blogs liegt also zwischen dem an Politikerwebseiten und normalen Online-Politiknachrichtenangeboten. Ähnlich hohe Werte wie die Blogs erreichen übrigens auch politische Artikel bei Wikipedia. Auch die Nutzerstruktur ist bei beiden Webformaten ähnlich (Nr. 9).

Politische Videos schauen sich bisher erheblich weniger Menschen an, allerdings mit steigender Tendenz. Vor allem bei den 16- bis 29-Jährigen ist es schon rund die Hälfte, die über dieses Format erreicht werden kann. Auch weniger Gebildete und Personen mit einem eher niedrigen sozioökonomischen Status können auf diesem Weg vergleichsweise gut erreicht werden – eine Gruppe, die sonst durch politische Botschaften nur schwer zu erreichen ist (Nr. 10). Noch ein bisschen weniger Bürger geben an, Podcasts zu hören bzw. Videocasts zu schauen. Hier stagnieren die Nutzerzahlen sogar (Nr. 11).

In den nächsten Teilen folgen die Auswertungen für die interpersonelle Kommunikation über Politik offline und online sowie die Partizipationskommunikation auf herkömmlichen Weg und im Internet.

Martin Emmer, Jens Wolling, Gerhard Vowe (2011): Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland. Konstant: UVK. Bestellen bei Amazon.

Notes:

  1. Der Wert für hohes politisches Interesse im Jahr 2005 ist geschätzt, da er bei der Erhebungswelle offensichtlich nicht abgefragt wurde. Für 2009 liegen keine Daten zur Demokratiezufriedenheit vor.
  2. So etwa, dass finanziell besser gestellte, ältere, erwerbstätige Männer in den alten Bundesländern sich am meisten über Politik informieren etc.

2 Gedanken zu “Studie: Bürger & Politik online

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