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Klaus Theweleit: Männerphantasien

Die Frau als Angstgegner

23.5.2008 | Martin Conrads | Kommentar schreiben | Artikel drucken
"Daheim fand ich meine Frau an einem schweren Nervenleiden erkrankt. Sie lebte nur noch kurze Zeit." Mehr hatte der ehemalige Freikorpskommandant Gerhard Roßbach in seinen Lebenserinnerungen über seine erste Frau nicht zu berichten. Es ist ihre einzige Erwähnung, sie enthält nicht einmal den Namen der Frau. Mit derartigen schriftlichen Zeugnissen verheirateter Männer eröffnete der Freiburger Kulturtheoretiker Klaus Theweleit im Jahr 1977 den ersten Band seiner mittlerweile zum Klassiker gewordenen Faschismusanalyse "Männerphantasien", dem im darauf folgenden Jahr der zweite Band folgen sollte.

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Freikorps Roßbach

Mit fokussiertem Blick auf die Jahre 1918-23, in denen aus ehemaligen Weltkriegssoldaten zusammengesetzte paramilitärische Freikorps in Deutschland rechtsgerichteten ("weißen") Terror ausübten, untersuchte Theweleit den deutschen Faschismus psychoanalytisch durch den Filter zeitgenössischer Literatur – anhand von Autobiographien, Romanen oder Ereignisschilderungen aus dem Umkreis der Freikorps.

Popkulturell geschulte Analyse

Auf mehreren hundert Seiten befragte Theweleit diese Literatur "nach dem Wesen des 'weißen Terrors' und der Sprache der soldatischen Männer als einem Teil davon". Indem er dabei den deutschen Faschismus anhand der Geschlechterverhältnisse – genauer: anhand des lebensfeindlichen Blicks des "soldatischen Mannes" auf das weibliche Geschlecht – untersuchte, beschritt er nicht nur neue Wege in der Faschismus- und der Geschlechterforschung. Auch sein unkonventioneller Jargon überraschte, die verwendete Materialfülle, die Art der Quellen und Verweise, die Theweleit zu seiner genauen Analyse herbeizog, ebenso wie der ungemein reiche, an einem wissenden Verständnis von Populärkultur geschulte Bilderschatz, der sich durch den ganzen Text zieht – vom historischen Foto über das Propagandaplakat bis hin zum Walt-Disney-Comic.

Theweleit, 1942 in Ostpreußen geboren und heute Professor für Kunst und Theorie in Karlsruhe sowie Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie in Freiburg, arbeitete in seinem Buch als zentrales Motiv des faschistischen Geschlechterverhältnisses den aktiven Schutz des soldatischen Männerkörpers vor dem als bedrohlich empfunden Körper der Frau heraus.

Kampf gegen die Lust

Die Freikorps als soldatische Verbände sind dabei ein geeignetes Untersuchungsfeld; hier finden sich die faschistischen Männerphantasien (die sowohl als Phantasien des Mannes vom Mann wie auch als Phantasien des Mannes über andere Geschlechter zu verstehen sind) vom Ideal eines soldatischen, männlichen Körpers exemplarisch vor. Es sind Phantasien, die mit einer faschistischen Art und Weise der Erzeugung von Realität, von Wünschen und Ängsten einhergehen. Das "Kernstück aller faschistischen Propaganda", so Theweleit, ist "der Kampf gegen alles, was Lust, was Genuss ist".

Den Kampf des soldatischen Mannes gegen das weibliche Geschlecht charakterisiert der Autor so als den Kampf einer festen, gestählten "Ganzheit" (denn das beschriebene männliche "Ich" stellte sich als "Ganzer Mann" vor) gegen unheimliche, bedrohliche "Fluten, Wellen, Brandungen", die abgewehrt werden müssen, um die faschistische männliche Identität nicht zu gefährden. Die in dieser männlichen Angstphantasie über Landesgrenzen, Körpergrenzen, Grenzen der Gewohnheit und des Anstandes hinwegfließenden Ströme, gegen die schützende "Körperpanzer" errichtet werden, erschienen dem soldatischen Geist als aufständische Masse, als Kommunisten ("Rote Flut") oder als Proletariat: "Die Niederlage Deutschlands im Krieg und die revolutionäre Veränderung der Verhältnisse in und um Deutschland unter dem Bild der Flut aufzufassen, scheint also möglich zu werden durch die Vorstellung von äußeren Einbrüchen und inneren Dammbrüchen." Eine mit einer gewalttätigen Unterdrückung der Triebe gekoppelten "Flutangst".

Ein Panzer gegen Flutangst

Vor allem auf Frau wird diese Flutangst projiziert. Das Bild der Frau teilt sich in verschieden besetzte Rollen auf: Ist die Mutter "Heimat", dann soll die Schwester die Braut des besten Kameraden sein. Und die bei Theweleit ausführlich diskutierte "weiße Krankenschwester" ist "Fiktion eines Körpers, die die Männer brauchen, um sich nicht bedroht zu fühlen". Darüber hinaus ist die Frau jedoch ein sinnlicher und damit ein gefährlicher Faktor: Sie ist Flintenweib, Kastrationsgefahr, Hure – ein den Mann und seine schöne Ordnung verschlingendes Element.

In der Kadettenanstalt und der Truppe – den, so Theweleit, "Maschinen" – findet der auf Hierarchiegläubigkeit fußende "Umbau des Leibs" zu einem Körperpanzer statt. Dieser Panzer kann nur funktionieren, wenn der Mann auch sein eigenes Geschlecht ignoriert und die so erzeugte Leerstelle durch die Projektion eines funktionalisierten Frauenbildes überdeckt: "So erschien in den Fluten der politische Feind und das feindliche Prinzip Weiblichkeit – beide fließen als Verkörperung des ausgebrochenen Unbewussten des soldatischen Mannes."

Faschistischer Fluss

Die Freikorps waren angetreten, den von ihnen so bezeichneten "Sumpf" der noch jungen Weimarer Republik trockenzulegen – der Faschismus bot hierzu geeignete "Kanalisationssysteme" an, wie Theweleit bissig mit einer Abbildung zeigt, in der die Reichsautobahn als (faschistischer) Fluss daherkommt.

Als Auseinandersetzung eines Intellektuellen mit der durch den Faschismus geprägten Elterngeneration liefern Theweleits "Männerphantasien" auch heute noch Zeugnis über kritisches, fortschrittliches und historisches Deuten und Begreifen im Westdeutschland der 1970er Jahre. Seine Frage, “wie das Geschlechterverhältnis als Machtverhältnis auf die Verhinderung menschlicher Beziehungen zwischen den Menschen in den verschiedenen historischen Epochen gewirkt hat“, bleibt auch für die Zukunft aktuell.

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Klaus Theweleit: Männerphantasien 1 & 2 (Piper 2000, 22.90 €)




Martin Conrads lebt unter anderem als Autor in Berlin.

Foto: ©Bildarchiv Hoffmann, Bayrische Staatsbibliothek



http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Theweleit
Mehr über Klaus Theweleit bei Wikipedia

www.single-generation.de/kohorten/68er/klaus_theweleit
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