- Von David Eugster
In der Duma, dem Parlament Russlands, reden die Abgeordneten darüber, ob Lenin, nach fast einem Jahrhundert als Ausstellungsstück, nun begraben werden soll. Eine Geschichte über die Sowjetunion, gesehen durch die Augen der Untoten.
Es gehörte zur Machtvorbereitung Stalins, Lenins Körper in eine Reliquie zu verwandeln, und sich so dessen Wünschen zu widersetzen. In den Protokollen schlägt Stalin den “Genossen aus der Provinz” vor, man solle Lenin nicht einäschern, sondern müsse ihn mit “moderner Wissenschaft” so lange frisch halten, bis man sich an den Gedanken seines Todes gewöhnt habe.
Trotzki wehrte sich gegen diesen Versuch, Lenins Körper in einen politisch-theologischen Plan einzubinden. Er warf Stalin vor, er wolle die Gebeine der Heiligen mit Lenins Leiche ersetzen. Auch andere Mitglieder des ZK empörten sich über den Gedanken, der die Anrüchigkeit des Pfaffentums hatte und wohl wirklich ein Versuch war, die Volksfrömmigkeit und den Ikonenkult auf einen durch die Wissenschaft konservierten Heldenkörper zu übertragen.
Wenige Stunden nach Lenins Tod, Trotzki war in den Ferien und erfuhr nichts davon, nahmen Spezialisten die Konservierung in Angriff, zunächst eher stümperhaft. Verfärbungen stellten sich ein. Lenin wurde in einem Provisorium aufgebahrt, das hastig auf den Roten Platz gestellt worden war. Und wegen der Tiefkühlung, die Apparatschiks angeordnet hatten, bekam er eine schwarze Nase.
Da schalteten sich Boris Zbarski und ein Biochemiker ein, dessen Namen Zbarski später aus den Berichten zum Leninsarkophag tilgte. Sie bekamen die Erlaubnis, sich um die Promi-Leiche zu kümmern.
Zbarskis Sohn, Ilyas hiess er, schrieb eine Autobiografie, in der “Lenin und die anderen Leichen” die Hauptrolle spielen. Sein Buch ist ein verschlungenes Dokument, eine absonderliche Alltagsgeschichte der Sowjetunion. Das Labor arbeitete in einem für die Sowjetunion privilegierten Versorgungshoch. Es entstand nicht nur ein Labor, das sich um Lenins Leichnam kümmerte, sondern auch ein Kompetenzzentrum für die Wiederherstellung von Leichen. Zbarski und die Mitarbeiter seines Instituts haben alle kommunistischen Führer präpariert, die sich der Nachwelt erhalten wollten - in einem vom Bruderstaat Russland bereitgestellten Wissenstransfer. Eine Ausnahme war Mao. Er wurde von chinesischen Wissenschaftlern selbst konserviert.
Wichtig bleibt die Geschichte des Institutes auch nach dem Zusammenbruch der UdSSR. 1992 wurden die staatlichen Zuwendungen auf einen Fünftel gekürzt, das Institut bemühte sich um Aufträge aus der Privatwirtschaft. Doch dank der neoliberale Schocktherapie, die man Russland verpasst hatte, waren schnell Kunden da für den “ritual service”, wie sich das Geschäft damals umbenannte.
Zbarski beschreibt, wie man Konservierungsarbeiten für Neureiche und Kriminelle ausführt und wie man zerschossene Gangsterbosse wieder zusammenflickt, auf denselben Tischen aus Marmor, auf dem schon Stalin einbalsamiert worden war. Bitter beschreibt Zbarski die Sakralisierung der kriminellen und wirtschaftlichen Oligarchie. Die Erweiterung des Aufgabenbereiches des Mausoleumslabors auf die Einbalsamierung von Verbrechern, scheint ihm symptomatisch für die Machtverschiebung von Politführern hin zu Wirtschaftsbossen.
Was sich hier andeutet, ist das Fortleben jener politisch-theologischen Strategien der Verewigung. Unter dem neuen Herrschaftssystem sind sie nicht mehr den Auserwählten, Heiligen und Diktatoren vorbehalten, sondern erinnern auf Friedhofs-Stelen, auf denen schlecht gekleidete Gangster posieren, und in den privaten Mausoleen von Ölmagnaten daran, dass Macht nie verschwindet. Sondern immer nur neu verteilt wird.