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Merken   Drucken   28.09.2012, 15:36 Schriftgröße: AAA

Konjunktur: USA - Aufschwung ohne Jobs

Die US-Industrie hat sich von ihrem Einbruch erholt und feiert Erfolge beim Export. Doch es entstehen kaum neue Arbeitsplätze. Für den Präsidenten wird das zum Problem.
© Bild: 2012 Getty Images/Bill Clark
Die US-Industrie hat sich von ihrem Einbruch erholt und feiert Erfolge beim Export. Doch es entstehen kaum neue Arbeitsplätze. Für den Präsidenten wird das zum Problem. von Matthias Ruch  New York, Sabine Muscat  Washington und Martin Kaelble  Berlin
Falsche Bescheidenheit muss sich General Electric  (GE) in diesen Tagen sicher nicht vorwerfen lassen. Der US-Konzern feiert sich selbst ausgiebig für sein neues Kühlschrankwerk in Kentucky. "Wir starten die Wiederbelebung der amerikanischen Industrie", tönt GE im Werbevideo. Rund 1 Mrd. Dollar investierte der Konzern im sogenannten Appliance Park in Louisville, im Hühnchenstaat Kentucky - und sendet damit ein wichtiges Signal: "Mehr als 1000 Jobs kommen zurück aus China und Mexiko", teilt GE mit. "Resourcing" heißt das Stichwort, es ist das Gegenteil von Outsourcing, der Abwanderung von Arbeitsplätzen in Länder mit niedrigeren Lohnkosten. Dieser Trend wurde in Kentucky nun umgekehrt. Es lohnt sich wieder, in Amerika zu produzieren, zumindest für GE.
Für US-Präsident Barack Obama ist es im Wahljahr eine gute Nachricht, dass die Industrieproduktion wieder angezogen hat. Vor vier Jahren sah es so aus, als habe die seit Jahren siechende US-Industrie durch die Finanz- und Wirtschaftskrise endgültig den Todesstoß erhalten. Nun steigt sie an Orten wie Louisville wie ein Phönix aus der Asche. Die großen Industriekonzerne haben heute in Amerika so gute Rahmenbedingungen wie lange nicht mehr. Viele haben die Krisenjahre genutzt, um ihre Produktivität und ihre Effizienz erheblich zu steigern. Andere, etwa die vom Untergang bedrohten Autobauer, ließen sich von der Obama-Regierung retten - mit vielen Milliarden Dollar aus dem Steuertopf.
Eine Produktionshalle für Wasserboiler von General Electric in ...   Eine Produktionshalle für Wasserboiler von General Electric in Louisville im US-amerikanischen Bundesstaat Kentucky. Der Konzern hat nach Jahren des Outsourcings wieder in den Vereinigten Staaten investiert
Hinzu kommen die externen Faktoren, die die USA wieder zu einem attraktiven Standort machten: In Südchina und in Mexiko stiegen die Lohnkosten. Zugleich brachen infolge des Booms bei der Förderung von Schiefergas die Kosten für Erdgas und Elektrizität in den USA dramatisch ein: ein entscheidender Vorteil für die energieintensive Produktion.
Mit den Folgen dieser Entwicklung kann Präsident Obama nun im Wahlkampf punkten, denn eines seiner großen wirtschaftspolitischen Ziele rückt in greifbare Nähe: die Verdopplung der Exporte bis 2014.
Seit 2006 sind die Ausfuhren der USA nach Angaben der Boston Consulting Group (BCG) um 30 Prozent gestiegen, weitaus schneller als das Wirtschaftswachstum. "Die Exportindustrie war in den letzten Jahren der unbesungene Held der amerikanischen Wirtschaft", sagt Harold Sirkin, einer der Autoren einer neuen Studie der BCG. Die Berater erwarten, dass der Exportzuwachs in den USA bis Ende des Jahrzehnts bis zu fünf Millionen Jobs schaffen könnte. Der Schlüssel zu diesem Erfolg: niedrige Kosten. Bereits im Jahr 2015 wird der Kostenvorteil der USA gegenüber Deutschland oder Frankreich in einer Reihe von Sektoren nach BCG-Schätzung bis zu 25 Prozent betragen.
Es ist eine krasse Umkehrung der Verhältnisse. Über 30 Jahre haben internationale Industriekonzerne wie GE mehrere Millionen Jobs aus den USA heraus nach Übersee verlagert. "Die Entscheidung war relativ einfach", rechtfertigt GE-Chef Jeff Immelt diese Unternehmenspolitik im Rückblick: "Wir hatten eine starke Marke und treue Kunden - zwei Dinge, von denen wir annehmen konnten, dass sie Bestand haben, egal ob unsere Produkte made in Kentucky oder made in Korea waren."
Tatsächlich waren die Löhne und Lohnnebenkosten in den USA deutlich höher als in Asien und Mexiko, zugleich konnten die US-Unternehmen mit ihren Autos, Kühlschränken und vielen anderen Maschinen kaum noch mit den großen Rivalen aus Europa und Asien konkurrieren. Zu wenig hatten sie in Forschung und Entwicklung investiert, zu wenig in den Export außerhalb Amerikas.
Diese Fehler zu korrigieren, industrielle Fertigung zurück ins eigene Land zu holen und den Export binnen wenigen Jahren zu verdoppeln, ist das erklärte Ziel der Wirtschaftspolitik von Präsident Obama. Das neue Kühlschrankwerk von GE in Kentucky ist nur eines von vielen Beispielen, die Obama und sein Wirtschaftsberater Immelt nun im Wahlkampf als Erfolge anführen können. "Wir haben 2010 und 2011 mehr als 7000 Industriejobs in Amerika geschaffen", verkündet Immelt. Er schwärmt gar vom Beginn einer Renaissance.
US-Exporte zum Vorjahr; US-Arbeitslosenquote   US-Exporte zum Vorjahr; US-Arbeitslosenquote
Doch diese Erfolgsgeschichten ändern nichts an einer bitteren Realität: Es ist einfach nicht genug. Das jüngste Jobwachstum reicht bei Weitem nicht, um die jahrzehntelangen Verluste auszugleichen. Im August schufen US-Arbeitgeber nur 96.000 neue Jobs - viel weniger als die 200.000 bis 300.000, die der Arbeitsmarkt bräuchte, um nicht nur das Bevölkerungswachstum auszugleichen, sondern auch die verlorenen Jobs zu ersetzen. Die Arbeitslosigkeit liegt immer noch bei 8,1 Prozent. Das relativ schwache Wachstum des Industriesektors hat zuletzt Sorgen ausgelöst, dass die Produktion wieder nachlässt. Die Abschwächung der globalen Konjunktur im Zuge der Euro-Krise und sinkender Nachfrage aus China macht sich bemerkbar. Dazu kommt die innenpolitische Unsicherheit: Die amerikanischen Unternehmen, die auf geschätzten 3000 Mrd. Dollar Reserven sitzen, warten auf den Ausgang der Wahl, bevor sie Investitionsentscheidungen treffen.
Hinzu kommt: So gut es vielen Großkonzernen heute wieder geht, bei den Kleinen sieht es etwas anders aus. So bleibt das NFIB-Stimmungsbarometer für kleinere und mittlere Unternehmen auf historisch niedrigem Niveau. Das Problem: Genau sie sind entscheidend für Amerikas Arbeitsmarkt. Erfahrungsgemäß schaffen sie fast zwei Drittel der neuen Jobs in den USA. Und solange es ihnen nicht deutlich besser geht, können Konzerne wie GE so viele Werke in den USA bauen, wie sie wollen.
Angesichts der allgemeinen Unsicherheit bleiben die Mittelständler vorsichtig. Schwache Konsumausgaben trüben die Aussichten. Und während die großen US-Firmen in Gewinnen schwimmen, haben die kleineren Firmen längst nicht so dicke Polster. Dementsprechend zurückhaltend sind sie. Laut NFIB-Umfrage vom August planen nur zehn Prozent von ihnen, in den kommenden drei Monaten neue Mitarbeiter einzustellen. "Die Einstellungsbereitschaft der kleinen Firmen hat sich in den vergangenen Monaten verschlechtert - und dabei könnte es vorerst bleiben", sagt Nate Kelley, Ökonom beim Datendienstleister Moody's Analytics.
Das größte Jobwachstum kommt bisher aus dem Servicesektor. Und hier wie in der Industrie ist der Preis für die neuen Jobs hoch. Arbeiter müssen sich heute in vielen Branchen mit deutlich niedrigeren Löhnen zufrieden geben als vor der Krise, Sozialleistungen wurden stark gekürzt. Viele neue Produktionsstandorte entstehen in den Südstaaten, wo die Macht der Gewerkschaften besonders gering ist. Das mittlere Haushaltseinkommen in den USA ist nach Angaben des Zensusbüros 2011 das vierte Jahr in Folge gefallen, auf 50.054 Dollar. Damit verdient eine amerikanische Familie heute 8,1 Prozent weniger als zu Beginn der Wirtschaftskrise 2007. Ein Teufelskreis, findet John Russo vom Zentrum für Arbeiterklassenstudien an der Universität Youngstown in Ohio. Die Löhne reichen seiner Meinung nach nicht, um die Nachfrage anzukurbeln. Immer mehr Leute müssten mehrere Jobs haben, um zu überleben. "Vielleicht ist das die neue Normalität", seufzt er. "Vielleicht ist das unsere Zukunft."
Für Obama sind diese Fragen vorerst nachrangig. Im Moment zählt jeder neue Job. Umso wichtiger sind Auftritte wie der im Jefferson-Werk von Chrysler in Detroit. An einem heißen Julitag sprintet Obama auf die Bühne, streift lässig sein Jacket ab und krempelt die Ärmel hoch. "Ich habe mich auf euch verlassen und ihr habt mich nicht enttäuscht", ruft er in die Menge. Ausgerechnet hier in Michigan, wo sein Rivale Mitt Romney im Wahlkampf seinen Heimvorteil ausspielen wollte, kann Obama einen seiner größten Erfolge feiern: Die Rettung der amerikanischen Automobilindustrie.
Während Volkswagen  und Toyota , Alstom , Wacker  und selbst Boeing  fast ausschließlich in den gewerkschaftsfreien Südstaaten investieren, entscheidet sich Chrysler für Detroit. 1,8 Mrd. Dollar hat der Autobauer, der mittlerweile zu Fiat gehört, ins Jefferson-Werk investiert. Wochenlang hatten die Arbeiter zuvor ihr altes Werk von Grund auf saniert, Schrott entsorgt und alle Wände neu gestrichen. Heute läuft dort der Grand Cherokee vom Band, das erfolgreichste Auto im gesamten Konzern.
Für die Arbeiter, die heute einen Job bei Chrysler haben, sind die guten alten Zeiten trotzdem vorüber. Die neuen Niedriglöhne reichen gerade aus, um mit der Familie über die Runden zu kommen. Für die anderen gibt es Lebensmittelmarken. Eine echte Renaissance der US-Industrie sieht anders aus.
  • FTD.de, 28.09.2012
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