Die Politik umgeht den Journalismus. Und Twitter und Facebook sind die Komplizen.
Lange waren Nachrichten ein Stück Natur. Ihr natürliches Vorkommen lag in Zeitungen, Hörfunkprogrammen oder Nachrichtensendungen im Fernsehen. Heute sind Nachrichten überall. Jeder kann sie produzieren, jeder kann sie publizieren. Das Netz und die Sozialen Medien machen es möglich. Welche Konsequenzen das für die Entstehung von Nachrichten und die Arbeit von Nachrichtenagenturen hat, zeigen Cord Dreyer und Daniel Bouhs in ihrem Text. Der eine ist Chefredakteur der Nachrichtenagentur dapd, der andere leitet dort die Netzwelt.
Die Politik umgeht den Journalismus. Und Twitter und Facebook sind die Komplizen von Cord Dreyer und Daniel Bouhs
Langsam, aber sicher macht sich in unserer Branche eine Erkenntnis breit: Protagonisten aus Politik, Wirtschaft, Sport und der bunten Welt der Film- und Musikindustrie platzieren ihre Neuigkeiten immer häufiger außerhalb von Zeitungen und Sendern, manchmal auch außerhalb von Nachrichtenagenturen. Sie „umgehen“ kritisch fragende Journalisten und versuchen, ihre „News“ ohne die klassischen Medien selbst in die Welt zu setzen und damit die Agenda zu bestimmen. Ihre Komplizen sind Twitter, Facebook und Google+. Das sogenannte Web 2.0, das Mitmach-Internet mit seinen sozialen Netzwerken, verändert den Informationsfluss – und das gewaltig.
Gerüchte und harte Fakten
Beispiele dafür gibt es viele – und die Einschläge kommen in immer kürzeren Abständen. Peter Altmaier etwa positioniert sich seit 2011 bewusst als Fan sozialer Netzwerke. Und Altmaier ist nicht irgendwer, sondern als parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestags-Fraktion von CDU und CSU Vertrauter der Regierenden. Es darf daher angenommen werden, dass Altmaiers andauernde Charmoffensive auf Twitter von Bundeskanzlerin Angela Merkel mindestens geduldet wird.
Dass auf Twitter nicht nur Gerüchte, sondern bisweilen harte Fakten erstmals an die breite Öffentlichkeit gelangen, demonstrierte Altmaier am 19. Februar 2012. An jenem Sonntagabend ging es hinter verschlossenen Türen bekanntlich hoch her: Merkels Koalitionspartner, die FDP, drängte auf Joachim Gauck als künftigen Bundespräsidenten. Die Union lehnte lange hartnäckig ab. Die Koalition, hieß es sogleich, stünde vor dem Bruch. Die Entscheidung ließ auf sich warten. Agenturen zitierten aus Verhandlungskreisen: Gauck wird es. Altmaier aber kam als erster aus der Deckung.
Die neue politische Kraft in Deutschland
Der Saarländer legte noch hinter verschlossenen Türen die Maske der Anonymität ab und tippte diesen Tweet in seinen BlackBerry: „Gauck ist der Beweis, dass es uns ernst war mit gemeinsamem Kandidat.“ Merkel trat erst gut eine halbe Stunde später vor die Presse. Altmaiers Kurznachricht war bis dahin also das einzige öffentliche Dokument, dass das „Einknicken“ der Kanzlerin verlässlich mit sicherer Quellenlage dokumentierte.
Wer die neue politische Kraft in Deutschland, die Piratenpartei, konsequent im Blick behalten möchte, der kommt ohnehin nicht an Twitter, Facebook & Co. vorbei. Für die Piraten ist das Absetzen von Statusmeldungen und Blog-Einträgen die erlernte und gelebte Kommunikation. Das Ausformulieren von Pressemitteilungen und Auftreten in Pressekonferenzen müssen sie sich erst mühsam aneignen. Oder geht es auch ohne und ganz anders?
Kampfansage an den Journalismus
Bei der SPD wiederum positioniert sich Parteichef Sigmar Gabriel als netzaffine Antwort auf den Mitteilungsdrang der Piraten. „Natürlich verändert Facebook den Journalismus“, notierte er dort im Januar 2012 zu nachtschlafender Zeit. Gabriel jubilierte über die neuen Kommunikationskanäle, aus denen inzwischen sogar die „Tagesschau“ zitiere. „Das freut den betreffenden Politiker, denn es schafft Aufmerksamkeit für seinen Kommunikationskanal“, schrieb Gabriel. Es ärgere aber „möglicherweise das Musterstädter Kreisblatt, das sonst in der Tagesschau erwähnt worden wäre“.
Gabriel schloss seinen Eintrag mit einer Art Kampfansage an den Journalismus. „Wir Politiker haben auf einmal ein Interesse daran, unser eigenes ,Medium‘ nach vorne zu schieben“, hieß es in seinem Profil, was übersetzt nichts anderes heißt als: An dieser Stelle darf mit exklusiven Äußerungen gerechnet werden. All das gehe laut Gabriel „im Zweifelsfall auch auf Kosten der klassischen Medien“.
Teil des Nachrichtenflusses
Gut 10.000 Nutzer lassen sich inzwischen von Facebook automatisch über neue Einträge des SPD-Chefs informieren. Seine Originaläußerungen sind Teil des Nachrichtenflusses, den sich in sozialen Netzwerken Nutzer individuell zusammenstellen. Altmaier „folgen“ auf Twitter etwa 9.000 Nutzer. Mit der Möglichkeit, Nachrichten mit anderen zu „teilen“ (Facebook, Google+) oder zu „retweeten“ (Twitter), erreicht eine Nachricht schlagartig ein Vielfaches der ursprünglich adressierten Nutzer.
Angesichts dieser Entwicklung füllen Papier und Bleistift, das nächtelange Ausharren vor Sitzungssälen und das Abklappern eigener Informanten die journalistischen Werkzeugkisten nicht mehr aus. Neue Hilfsmittel sind dazugekommen, die Werkzeugkisten insgesamt größer geworden. Das verändert die Rolle von Journalisten, nicht zuletzt aber auch die Arbeitsabläufe in den Redaktionen. Viele prominente Botschaften kommen unerwartet. Nachrichtenredaktionen müssen also ständig „ins Netz“ blicken. Fahrlässig handelt, wer die Entwicklung ignoriert oder als Randerscheinung abtut.
Dass Nachrichtenagenturen dauerhaft Bestand haben möchte ich in Zweifel ziehen. Nachrichtenbeschaffung ist keine Kompetenz mehr. Informationen sind da. Jeder kann sie mit wenigen Klicks erhalten. Schon heute werden sogar Korrespondentennetze überflüssig. Wichtiger scheint mir die Stärkung journalistischer Marken wie Guardian, BBC, FAZ oder Deutschlandfunk. Wenn diese Label auf einer Nachricht oder Story stehen müssen sie für Qualität bürgen. Diese Marken müssen lernen die überbordende Masse an Information sinnvoll zu sortieren. Noch bedeutsamer aber scheint mir die Herstellung größerer Zusammenhänge. Die Rolle der Nachrichtenagenturen sehe ich da kaum noch. Wer nutzt heute noch ausschließlich Agneturen in den Redaktionen? Und welche Vorsprung haben die Redakteure dort? Keinen. M. Hartmann, München
als deutscher in spanien höre ich sehr viele podcasts des deutschlandfunks. nachrichtenkonsum habe ich mir eigentlich abgewöhnt. ich vermisse nichts. die schnipstel von nachrichtenagenturen scheinen mir in diesem zusammenhang eher unwichtig. wasmich aber vermisse, sind gute themenbundle auch mal von mehreren programmen oder medien zusammen.
Ich würde einen anderen Schluß ziehen: Die Aufgabe des Filterns und Verifizierens fällt wieder dem normalen Bürger zu. Die Leute sind nicht so dumm, jede Äußerung eines Politikers als reine Wahrheit zu nehmen. Und man kann in den Web-2.0-Kanälen nicht einfach nur PR betreiben, ohne massiv an Glaubwürdigkeit zu verlieren oder lächerlich gemacht zu werden.
Das sehe ich ähnlich. Aber was man demokratiemäßig nicht vergessen darf, ist nicht nur Auslese und Herstellung von Zusammenhängen, sondern Investigation.
[...] Dreyer · Daniel Bouhs Die Politik umgeht den Journalismus. Und Twitter und Facebook sind die Komplizen. Seit Siggi auf Facebook ist und Altmaier twittert, gehen Informationen oft seltsame Wege. [...]
[...] Brief zeige, wie das Handelsblatt mit Autoren umgehe, meint Thomas Stadler (Internet-Law). Und beim Deutschlandfunk beschreiben Cord Dreyer und Daniel Bouhs, wie Politiker Twitter und Facebook benutzen, um [...]
Im digitalen Zeitalter muss sich der
Journalismus auf neue Quellen einstellen. Das ist nicht mehr neu. Es ist jedoch
interessant, dass das noch immer Thema ist.
Ich muss gestehen, dass mich der Beitrag überrascht
hat, da er letztendlich zu einer Diskussion anregt, die die beiden Autoren
sicherlich nicht auslösen wollen.
Marion Hartmann kommentierte
aus meiner Sicht zu
Recht:
“Dass Nachrichtenagenturen dauerhaft
Bestand haben möchte ich in Zweifel ziehen. Nachrichtenbeschaffung ist keine
Kompetenz mehr. Informationen sind da. Jeder kann sie mit wenigen Klicks
erhalten.”
Speziell
Nachrichtenagenturen sehen sich doch der Konkurrenz durch die neuen Medien
ausgesetzt.
Cord Dreyer und Daniel Bouhs erkennen in
ihrem Beitrag:
„Wenn Politiker, Unternehmen und
Verbände sich direkt an die Social-Media-Gemeinde wenden, dann ist…
- Da hat es das Layout des Kommentars zerschossen. Hier das Ende des Kommentars. – Cord Dreyer und Daniel Bouhs erkennen in ihrem Beitrag:„Wenn Politiker, Unternehmen und Verbände sich direkt an die Social-Media-Gemeinde wenden, dann ist das, was sie verbreiten, eben oft keine News, sondern PR in eigener Sache, wie eine Pressemitteilung“Damit sagen die Beiden jedoch auch, dass eben diese Quellen genauso als Quellenmaterial für einen Artikel dienen, wie es Agenturmeldung schon seit Jahrzehnten für sich beanspruchen. Für einen qualitativ guten Artikel oder Rundfunkbeitrag ist dennoch ein zusätzlicher Rechercheaufwand nötig. Insofern sind Twitter, Facebook und Google Plus in erster Linie nicht schädlich für den Journalismus, sondern Konkurrenz für Agenturen. Diese müssen sich neu erfinden, um langfristig bestehen zu können. Eine Entwicklung von der Recherche hin zur Kuratierung könnte dabei eine Option darstellen. Agenturen könnten den Journalisten z.B. im Deutschlandfunk, der FAZ oder dem Spiegel zukünftig helfen Quellen zu selektieren, anstatt selbst Informationen anzubieten, die die Redaktionen längst über die Social-Media Kanäle erreicht haben.
[...] Moderne Nachrichtenagenturen [...]
warum sollten wir tatsächlich noch lehrer benötigen, die uns sagen, was die zeichen bedeuten, die jeder sieht? wenn ich ein brot kaufen will, frage ich auch nicht täglich die brotberatungsagenturen, wo ich es kaufen soll, obwohl es hunderte, bei uns in bw, wahrscheinlich tausend bäckereien, mit 10.000 brot und brötchenarten gibt. also bitte. das agenturen modell ist tot.
Die vielfältigen neuen Quellen sind doch im Endeffekt ein Segen für Journalisten. Die Bewertung, dass die sozialen Medien genutzt werden, um den “Journalismus zu umgehen” halte ich für zu einseitig und pessimistisch. Sicherlich wird durch sie die Monopolstellung der klassischen Medien bei der Informationspräsentation gebrochen, gleichzeitig schafft die neue Flut an Informationen eine neue Daseinsberechtigung als Selektions- und Bewertungshilfe. Es wird nicht mehr darum gehen, wer eine Information als Erster publiziert, sondern wer diese am umfassendsten einordnet, darstellt und fundiert bewertet. Darin liegt doch im Grunde eine ganz große Chance für unsere Medienlandschaft und die Qualität der Berichterstattung.
soso, die äusserungen der politiker auf twitter&cie sind also “PR in eiegner sache”.was, bitte schön, sind denn zeitungen, radio oä? von objektibver und umfassender berichterstattung kann doch da schon lange keine rede mehr sein — stattdessen erzählt ein haufen unzufriedener gestalten ihre meinung. das ärgerniss daran ist: ich bezahle dafür, dass diese hansel unter dem label “journalismus” skandalisierung, personalisierung und simplfizierung betreiben.als langjähriger zeit-leser zb stelle ich fest, dass die gedruckte zeit praktisch nur die kleine welt ihrer redakteure abbildet, in form von kampagnen gegen facebook, google, hamburger schulreform oder g8-abi — und beständiger werbung für apple-produkte in nahezu jedem artikel. all das, was dem schreiberling von speersort oder mitte eben auf der seele liegt — und das ganze wird dann unreflektiert als “von allgemeinem interesse” in’s blatt gerotzt.sowas heisst dann aber “journalismus” …eine vernünftige bewertung und einordnung von informationne findet doch faktisch nicht statt, die journaille breitet den gleichen kram aus, den millionen andere auf twitter&cie verbreiten, nur dass dann genr noch ein abwertender beiklang angehängt wird, dass das ja alles nicht das wahre, weil nicht journalistisch sei — und das von leuten, die allen ernstes “quelle: internet” angeben.was von “journalistischer leistung” zu halten ist, haben die stuttgarter provinzposse um einen bahnhof und die causa wulff auf das eindrücklichste bewiesen, in der noch der offene hostenstall des bruders von wullfs personschützer seinem bruder seinem freund als nachricht herhalten musste.ps: wer allen ernstes “digital native” sagt, steht auf dem gleichen geistigen niveau wie der erfinder des erbärmlichen “wutbürgers”.
[...] denken wir an personalisiertes Einkaufen, an angepasste Musikgeschmäcker und individualisierte News-Streams. Vielleicht denken wir auch noch an die Filter Bubble, die für die digitalisierten Parallelwelten [...]
[...] Twitter und Facebook als Komplizen. Wie die Politik den Journalismus umgeht. Aufsatz von Cord Dreyer, Chefredakteur der Nachrichtenagentur dapd [...]
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