Modellvorstellungen zu einer nachhaltigen "guten Ordnung" I. (II., III.)

  1. Zusammenfassung/Ueberblick
  2. Individuum und Gruppe, das Problem von Freiheit und
    1. Solidarität
  3. Wirtschaftliche und politische Probleme, die einer nachhaltigen Ordnung im Wege stehen
  4. Modellvorstellungen zu einer "guten Ordnung"
    1. Definition Klugheit & Weisheit
  5. Die historische Entwicklung sozialer Ordnung und Orientierungen
    1. Das Dreisäulen-Modell
    2. Das Bura' Modell
    3. Die Dreigliederung
    4. Die Freiwirtschaft
    5. Der vierfache Pfad: Wirtschaftsparlament, politisches Parlament, Kulturparlament & Grundwerteparlament   
    6. Die Modellbauer: Die Humanökologie
    7. Umfassende Technologie- und Verschulungskritik von Ivan Illich und sein Modell der Convivialidad
      1. Die Lösung: La Convivialidad - Das Zusammenleben, Verträglichkeit, Lebenslust

Vom "3. Weg", "4-fachen Pfad", "Konvivialität", "Struktur- zu Funktionspolitik" zur Passungs- und Steuerungsfähigkeit im Pluralismus.

Dieser Beitrag wird in den nächsten Wochen (08/2009) substantiell überarbeitet (so schrieb ich vor ziemlich genau einem Jahr): Humanökologie als Wissenschaft war ein Fehlstart, denn dazu braucht es Philosophie. Der Vierfache Pfad ist eine Verbürokratisierung der Bürgergesellschaft. Diese hat andere, flexiblere Möglichkeiten. Illichs Convivialidad ... bleibt.

Diese Arbeit hat leider ca 52 Wochen gebraucht. Resultat s.

  1. Kompilation: Orientierungs- und Entwicklungswissen
  2. Strukturen des Wissens / Strukturen der Gesellschaft / Strukturen der Wissenschaft: Von disziplinärem Partikularismus zu systemischer Co-Disziplinarität

Auf Grund a) der Ueberlänge die dieser Artikel in der Zwischenzeit erreicht hat und b) des neuen Ordnungsprinzips werde ich mit der Diskussion von Ordnungsmodellen in einem neuen Directory und File fortfahren: OrdnungsmodelleII.

1. Zusammenfassung/Ueberblick

Beim ersten Ansatz zu diesem Artikel, im Herbst 2004, war ich offensichtlich immer noch der Auffassung, irgend jemand müsse eine Idee haben, wie die "gute Ordnung", präziser "Die gute Ordnung" auszusehen habe. Meine Beschäftigung mit der Postmoderne die zwar 1 Jahr zuvor eingesetzt hatte, hinterliess vor allem den Eindruck eines grossen Problems völliger Orientierungslosigkeit, also eines zusätzlichen Bedürfnisses nach DER guten Ordnung.

Erst über die Beschäftigung mit Konstruktivismus, Charakter, Identität und vor allem Pluralismus gelange es mir nach und nach zu sehen, dass hier nicht nur eine Chance für freie Ordnung, sondern ein Bedarf an Freiheit dahinter steht, der sich mir erst völlig erschloss, mit den postmodernen Theorien der Sozialarbeit, die eben genau dort das Problem sehen, wo sich ein Einzelner zu sehr an einzelne, auserwählte, überschätzte Strukturen oder soziale Gruppen anpasst, seine Anpassungsfähigkeit an die komplexe, multivariate, pluralistische Gesellschaft dadurch ruiniert.

Eine gute Ordnung muss also möglichst vielen Individuen wie Kulturen erlauben, ihr Leben nach den eigenen Regeln sinnvoll und in würde zu Leben.

Wie wir dahin kommen ist dann ein weiteres, noch ungelöstes Problem. Im ersten Ansatz dachte ich, das sei wohl Sache der Politik. Die Demokratie hat aber so ihre liebe Mühe bereits mit Minderheiten, von Individuen oder andern Kulturen gar nicht zu sprechen. Durch Mehrheiten, populistisch gemachte Mehrheitsmeinungen, lassen sich diese auch in Demokratien recht leicht unterdrücken, wobei die Demokratie allerdings zur Demokratur wird.

Das Interesse am "guten Leben" verlangt nach Gerechtigkeit, Menschenrechten und fairer Beteiligung.

Hauptzweck des Staates in einer partizipativen Demokratie ist also:

Die gerechte Vermittlung zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Interessen durch Information, Koordination und Regulation.

So gesehen war der grösste Teil der bisher hier versammelten Vorschläge eben nur Teilwerk, beschränkte Perspektiven, kleine Ideologien - und müssen als "Ordnungsmodelle 1. Art", worunter ich die Systeme verstehe, die Allgemeingültigkeit beanspruchen oder beansprucht haben, stark relativiert werden. In einer Gesellschaft ohne klare Strukturen, Schichten, Klassen, Hierarchien und vor allem ohne eindeutig zuständige Ordnungsmacht, brauchen wir also Ordnungsmodelle 2. Art, reflexive Ordnungen, dynamische Ordnungen, beobachtende und selbstgestaltende Ordnungen, die umgehen können mit den typischen Nebenerscheinungen komplexer Systeme als da wären:

  1. Ambivalenz, Paralogie, Paradoxie, Hyperkomplexität, Polykontexturalität
    1. Es ist in solchen Systemen nicht mal möglich, ihre Identität konkurrenzfrei zu anderen möglichen Identitätsbeschreibungen zu bestimmen.
    2. Fehlende direkte Lenkbarkeit von aussen: Notwendigkeit des mehrfachen und begleiteten, sorgfältigen therapeutischen Anstosses
      1. Die einfache Lösung "seit net zueinander" entspricht dem alten Stammesprinzip und ist immer beschränkt auf die Leute, von denen man auch Nettigkeiten erwartet, gilt aber nie für Fremde.
      2. Ganzheit ist eine Illusion, die sich nur durch
        1. Banalisierung - oder
        2. Terrror (Totalitarismus) - aufrecht erhalten lässt.

Einen Schwerpunkt in der alten Präsentation bildet etwa die Humanökologie. Das liegt daran, dass ich selbst mit ähnlichen Methoden gearbeitet habe, vor allem im Jemen, und dass ich Dieter Steiner kenne und schätze. Gerade daraus hat sich aber auch eine Ueber-Schätzung der Humanökologie ergeben. In ihrem Ursprung (Chicago School) war diese nämlich Sozialdarwinismus pur, während dem sie von Steiner eher zu einer humanistischen Wissenschaft gemacht wurde. Dass man beides mit dem selben Begriff kann, spricht eher dafür, die Lösung anderswo zu suchen.

Das Selbe gilt für die humanökologische Pyramide von Park, die, genau wie die Bedürfnis- oder Motivationspyramide von Maslow. Bei beiden steht ganz unten die Natur, die physiologischen Bedürfnisse, die ökologische Ordnung. An der Spitze steht die moralische Ordnung bei Park, die Selbstverwirklichung bei Maslow. Neoliberale Oekonomen wie andere Sozialdarwinisten verweisen nun natürlich immer darauf, dass ERST die Basis, also das Ueberleben gewährleistet und allenfalls noch gesichert sein muss, bevor man von was anderem überhaupt redet. Das leuchtet dann auch den meisten so ein, wurde immerhin zur Grundlage einer ganzen Philosophie, des Existentialismus. Allerdings scheint noch niemand daran gedacht zu haben, was denn der Mensch wäre, ohne die weiteren Pyramiden und der Spitze. Ja was denn? Eben. Gar kein Mensch, sondern ein ums Ueberleben kämpfendes wildes, natürliches Wesen, ohne Kultur. Vielleicht sollte man die Verehrer solcher Theorien einfach mal damit strafen, indem man die Theorie anwendet, sie aber zwischen diesen Wesen hausen lässts und ihnen kein Refugium in einem Luxusghetto hinter Mauern und Stacheldraht erlaubt.

Der Mensch ist heute primär durch die Gesellschaft (Familie, Schule, Beziehungsnetze, Arbeit, Politik) sozialisiert, weitaus mehr als durch die Natur konditioniert. Er kriegt ja schon Zustände, wenn er nur von Grippe hört. Es ist auch die Kultur und die Zivilisation, von der heute eine Zähmung der Wirtschaft erwartet wird - nicht die Natur. Dass diese immer häufiger und stärker zurückschlägt wenn ihre Absorptionsfähigkeit überlastet wird, wissen wir. Stürme und Unwetter waren noch nie so teuer wie in den letzten Jahren.

Die Gesellschaft, d.h. jede Gesellschaft, hat eine Vielzahl an unterschiedlichen Organisationen, Teilbereichen, mit unterschiedlichen Steuerungsmitteln. So wird das Wirtschaftssystem per Geld gesteuert - und beherrscht, das politische System per Macht und Gesetz, das Wissenssystem per Wahrheit, und das soziale System per Anerkennung, Wertschätzung, Einfluss.

Ordnungssysteme und ihre Steuerungsmittel:

Die Philosophiegeschichte zeigt folgende Phasen wechselnder Herrschaftsorientierung

  1. Ordnung der Natur (Vorgeschichte, Altertum): Natur als Gott/Götter: Die Natur bestimmt über den Menschen. Kultur verehrt und pflegt Natur. Kraft und List herrschen. survival of the fitest
  2. Einheitliche Göttliche Ordnung (Mittelalter): Der eine Gott, die absolute geistige Ordnung, der sich die Natur zu fügen hat. Kultur ist Verehrung Gottes. Religiöse Funktionsträger herrschen mit und über Kampfkräfte. survival of the right believer
  3. Vielfalt der Göttlichen Ordnungen (Reformation): Der eine Gott ... in verschiedenen Perspektiven, Formen, der als Vorbild dient. Kultur schafft die Welt. (National-)Staat und Militär beherrscht sie. survival of the strongest nation
  4. Markt-Ordnung (Liberalismus): Der Markt, der über das Steuerungsinstrument Geld alles regelt. Geld schafft. Kultur schafft Geld - Geld schafft "Kultur". Geld herrscht universell. survival of the dominant market power

Das Ende der Geschichte (Fukuyama) ... ist hier bloss ein Ende, weil "dem System" nichts mehr einfällt, vor allem weil ihm nicht möglich ist, diejenigen Probleme selbst zu lösen, die es durch seine Annahmen und zugrunde legenden Strukturen selbst verursacht, also Ausschluss, Herrschaft weniger über viele, Kapital - und damit Machtballung, also Ungerechtigkeit.

  1. Multikulturelle Ordnung (Postpostmoderne): Multiple Steuerung über Natur, Geld und Geist.  Kultur als An- und Einpassung in die Natur, bei gleichzeitigem Streben nach "höheren" Werten, nach geistiger Entfaltung. Geist herrscht. Die Herrschaft des Geldes muss also in jeder Form, als Herrschaft des Kapitals, als Plutokratie, als Zwangsmaschinerie, beendet werden. survival without fight - freedom for personal development.

Ein Ordnungssystem das gesamthaft taugt muss also diese Vielheit berücksichtigen und bewältigen können. Das Problem "unguter" Ordnungen entstehen aber meist dadurch, dass einzelne Teilsysteme sich nicht beherrschen lassen, sondern imperial überregieren, überbeeinflussen, wie früher meist die Macht, sei es des Staates, oder der Wertherren, der Kirche- heute die Macht des Geldes. Wissen, und damit Wahrheit, hat, entgegen landläufiger Meinung, eigentlich noch nie geherrscht. s. Die Macht des Wissens

Die "gute Ordnung" stand immer zwischen Natur und Kultur. Sie fing an mit Natur, entwickelte Kultur-en und Zivilisation-en, landete bei kultureller Vielfalt. Die Gute Ordnung stand auch immer im Spannungsfeld zwischen dem, was für das Individuum gut ist, von diesem als gut betrachtet wird, und dem, was für die Gesellschaft als gut erachtet wird, wozu oft göttliche Botschaften herangezogen wurden und werden (auch Bush hatte ja erst kürzlich von Gott den Auftrag, den Irak zu befrieden ...). Mit der Durchsetzung der Markt-Ordnung als herrschender Ordnung setzte sich die Technik für einige Zeit als dominierendes Element dieser Ordnung a) durch und b) weit über die Natur - bis letztere zurück schlug. Heute setzt sich eine Geldvermehrungstechnik (eher als Unkultur #) höher als das Recht der Einzelnen an Teilhabe, aber auch hier werden die um ihren Anteil, ihre Zukunft, ihre Hoffnung betrogenen zurückschlagen, sei es auf die klassische Art und Weise, sei es durch zunehmende Erkrankungen physischer und psychischer Art. Körper und Geist lassen sich auch hier nun in beschränktem Masse und nicht über längere Zeit mit Psychopharmaka betrügen, also sich das "gute Leben" vorgaukeln.

Gerade weil aber das oberste Ziel einer guten Ordnung, nämlich das grösstmögliche Glück der grösstmöglichen Zahl, nur zu haben ist wo Freiheit herrscht, ist ein entscheidendes Element der guten Ordnung dieses: Dass sie dem und den Geordneten die grösstmögliche Freiheit belässt. Das oberste Gut: Glück, gelingendes Leben - bedarf aufgrund seiner individuellen Variabilität eine grosse Zahl an Möglichkeiten. Freiheit nur dann da, wenn sie all diesen Möglichkeiten Raum bietet (nicht bloss dem Wirtschaftswachstum). Das Gerenne nach immer mehr Wohlstand häuft Sach-Zwang auf Sach-Zwang, und der wirkliche Wohl-Stand, Glück, oder zumindest Zufriedenheit, geht eigentlich unter dabei.

Das Problem der Freiheit und ihrer Bedingtheit lässt sich am besten anhand folgender Graphik (aus <Freiheit und Wirtschaft> erklären:

Freiheit bedeutet nicht unbedingt absoluten Individualismus, denn wenn alle auf ihrem absoluten Individualismus beharren, führt das zu einem unverträglichen Gemisch an kleinkarrierten Diktatoren. Nichtsdestoweniger darf und muss es immer einige geben, die das Einsiedlerleben vorziehen, den Ansprüchen von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft kritisch, zynisch, ablehnend gegenüberstehen und diesen den Spiegel vorhalten: Ihr könnt mich mal!

Freiheit bedeutet auch nicht unbedingt die absolute Dominanz von Kleingruppen wie Familie, Grossfamilie, Quartier, Gemeinde, Staat, denn gerade die Vorschriften der Gruppen waren und sind vermutlich diejenigen, die Freiheit am meisten beengen.

Freiheit bedeutet auch nicht, sich einem übergeordneten Ziel, einem Plan zum höheren Gemeinwohl, oder gar ewigen, geistigen Wohl unterzuordnen, dass das sind meist bloss Ideologien, Aberglaube, religiöse wie politische Sektiererei.

Freiheit kann aber auch nicht das sein, was gegenwärtig als gültiges Muster angesehen wird, nämlich sich als funktionierendes Element absolut und kostengünstig in die Grosse Maschine von Produktion und Konsum einzuordnen, denn damit wäre der Mensch Zweck - und nicht mehr Ziel.

Freiheit bedeutet also, dass der Mensch sein eigenes Ziel ist und bleibt, dass jeder Mensch dieses Recht aber auch anderen Menschen einräumen muss, was dann ein Metamodell guter Ordnung einigermassen schwierig macht.

Wir können anstelle des etwas hoch greifenden Glücks auch etwas erdnaheres nehmen, z.B. die Lebensqualität. Lebensqualität bedeutet nicht in erster Linie ein Häuschen am See, Sportwagen, Yacht, Privatflugzeug, sondern Lebensqualität bedeutet, sein Seinsziel erreichen zu können. Dies ist um so besser möglich, je reicher die Entwicklungs-, d.h. Entfaltungsmöglichkeiten oder Freiheitsgrade sind.

Die schwierigste Aufgabe der Politik in einer multifunktionalen und multikulturellen Gesellschaft ist die Abstimmung zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen über Lebensqualität.

http://www.brainworker.ch/programm/Lebensqualitaet.html

Die gute Ordnung eben diejenige Ordnung, die praktisch allen einen Weg ins Glück ermöglicht. Betriebswirtschaft reicht nicht. Markt alleine reicht nicht. Planung alleine funktioniert nicht. Starke Führung reicht nicht. Auch die Mehrheit hat nicht immer recht. Je komplexer eine Gesellschaft - desto anspruchsvoller die Steuerungsaufgaben. Je anspruchsvoller die Aufgabe - desto häufiger das Ausweichen auf Banalitäten, Autoritarismus, Populismus und andere Kurzschlüsse.

DIE Gute Ordnung gibt es also nicht, höchstens als Grundprinzip das einer Vielzahl guter Ordnungen die Entfaltung erlaubt und die unterschiedlichen Organisations- wie Steuerelemente berücksichtigt:

Das soziales System besteht aus 4 Grundelementen: Wirtschaft, Politik, Kultur und Legitimationssystem, die sich nicht auf eine Ebene projizieren und vereinfachen lassen, noch weniger auf ein banales links-rechts-Schema:

  1. Wirtschaftssystem:

  2. politisches System:

  3. kulturelles System:

  4. Legitimationssystem:

2 Das Problem des "WIR" - das Grundproblem jeglicher Solidarität -

Die Begründung dafür, warum dies nicht möglich ist, liegt im unterschiedlichen WIR von Staat und Wirtschaft. Während dem die Wirtschaft auf Grund von Wettbewerb die Tatkräftigsten, Billigsten, Effizientesten, Klügsten, Produktivsten ... whatsoever ... aussuchen kann und das auch immer geschickter tut (s. Netzwerke: Troglologie, die Erforschung der Löcher im Käse des Wissens ) -  und sich um den Rest nicht zu kümmern braucht, und das auch nicht tut - besteht das WIR des Staates aus allen, auch aus den Ausgeschlossenen, den Unbrauchbaren, den Dummen, den Faulen, den Nutzlosen, den Querköpfen. In der öffentlichen Argumentation um  3% Arme, 7% generation p, 10% die die Schule ohne Abschlusszeugniss verlassen ... 50% mit einem IQ unter 100 ... wird das abgetan als Minderheitenproblem. Obwohl sich diese Minderheiten stark überschneiden, riskiert die Wettbewerbsgesellschaft mit ihren Türmen der Leistung durch Ausschluss eben doch, vom Treibsand der "Leistungsschwachen" * zugedeckt zu werden, oder in einem Sumpf unkoordinierter, sich rasch vermehrender Minderheiten (womit nicht in erster Linie eine völkische Zugehörigkeit gemeint ist, sondern berufliche Spezialisierung **) unterzugehen. Auch in der Politik ist darum das Modell des selektiven WIRs für viele, besonders rechtspopulistische Parteien, DIE Lösung des Problems: Ausschluss derjenigen, die anders sind, der Fremden, der Unangepassten. Und dies obwohl genau die Selben die Freiheit über alles Loben ... aber ist Freiheit nicht in erster Linie Freiheit des Individuums, die Freiheit, eben anders zu sein? Der Billigstaat der normiert, der befiehlt, der Nachtwächterstaat, ist nicht in der Lage mit "Anderssein", mit Individualität, mit Vielfalt - also mit Freiheit - umzugehen. Die (noch gar nicht vorhandene) Lösung ist also nicht durch lautes Schreien und Zwängeln durchzusetzen, sondern verlangt nach mehr Geist.

Für das Gedeihen (das wirtschaftliche wie soziale, und zudem nachhaltige) der Gemeinschaft braucht es nicht mehr Solidarität, nicht mehr Akzeptanz und schon gar nicht mehr Gehorsam - aber auch nicht mehr Individualismus, Wettbewerb, Kritik und Widerstand.
Es braucht ein ausgewogenes und konstruktives Zusammenwirken von beidem!

Intellekto-polito-soziologisch-postmodern ausgedrückt:

Die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften macht es erforderlich, von direkter, zentralisierter, hierarchischer und autoritativer Lenkung abzulassen und auf eine kontextuelle, heterarchische und diskursive Steuerung umzustellen.

Aufgaben / Hauptzweck des Staates - vom Herrschaftsstaat zur partizipativen Demokratie:

Die gerechte Vermittlung zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Interessen durch Information, Koordination und Regulation.

Keinem der bisherigen ökonomischen Modelle gelang es, materielle wie Macht-Verteilungs-  und Wachstumsprobleme zufrieden stellend zu lösen. Insbesondere der aktuellen Wirtschaft fehlt jegliche Optimierung die über die Optimierung der Produktivität hinaus geht.

Solon war einer der sieben Weisen Athens. Er führte einschneidende soziale und wirtschaftliche Reformen durch. Insbesondere hob er die Schuldknechtschaft auf, milderte das Schuldrechts und setzte Höchstgrenzen von Landbesitz. [aha ... das geht also, wär' zu überlegen, was die Begrenzung der Herrschaft globaler Wirtschaftsgiganten betrifft (s. Wirtschaftsmacht).

2.1 Solidarität

[nach: Historisches Wörterbuch der Philosophie]

Häufig wird "das Gute" für das soziale Zusammenleben mit dem Begriff "Solidarität" beschrieben. Der Begriff ist allerdings nicht ganz so "unschuldig" und nur positiv, wie er auf den ersten Blick aussieht. Das zeigt sich bereits bei seiner Herkunft aus der Juristerei, wo er für die Haftung einzelner steht, die aus der Teilnahme an einem gemeinschaftlichen Unternehmen entsteht, so ähnlich wie die Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfe bei einer Gruppe, die ein riskantes Unternehmen zusammen angeht, z.B. eine Bergtour. Unterlassene Hilfeleistung kann hier eingeklagt werden.

Definition:

Solidarität (neulat. solidaritas, von solidus dicht, gediegen, fest, ganz; engl. solidarity; frz. solidarité; ital. solidarietà). Solidarität bedeutet die Bereitschaft, sich für gemeinsame Ziele oder für Ziele anderer einzusetzen, die man als bedroht und gleichzeitig als wertvoll und legitim ansieht, bes. die engagierte Unterstützung eines Kampfes gegen Gefährdungen, vor allem gegen Unrecht, im weiteren Sinne auch: Zusammenhalt, soziale Bindung, Zusammengehörigkeitsgefühl. Solidarität meint im engeren, umgangssprachlichen Sinne immer ein praktisches oder jedenfalls emotionales Engagement für gemeinsame, meistens kooperative Ziele, vor allem im Kampf gegen Unrecht.

Herkunft sachlich und historisch

Der Begriff solidar... stammt ursprünglich aus demObligationenrecht: Solidarität hat ursprünglich eine rein juristische Bedeutung, die sich im Deutschen nur noch in Zusammensetzungen erhalten hat, bes. in Solidarobligation (unbegrenzte Haftung jedes Schuldners für eine Gesamtschuld, die bei Zahlung durch einen für die anderen erlischt) und, in komplexerer Weise, in Solidargemeinschaft.

Wichtig für die soziale Verallgemeinerung des Begriffs war neben der liberalen Lehre von der allseitigen Abhängigkeit in der Ökonomie offenbar seine Verwendung für eine theologische Radikalisierung der Idee der kollektiven Schuld in der katholischen Lehre von der Erbsünde

Herkunft sprachlich:

Das Wort erscheint zuerst im Französischen. In der großen Encyclopédie von 1765: «SOLIDARITÉ, f.f. (Commerce) c'est la qualité d'une obligation où plusieurs débiteurs s'engagent à payer une somme qu'ils empruntent ou qu'ils doivent; en sorte que la dette totale soit exigible contre chacun d'eux, sans que celui, au profit duquel l'obligation est faite, soit obligé de discuter les autres, & l'un plutôt que l'autre.

Abgeleitet wurde es von solidité: Dauerhaftigkeit, Verlässlichkeit. Für die deutsche Sprache ist und bleibt es ein Lehnwort.

Bedeutung:

Solidarität bezeichnet eine kollektive Verantwortlichkeit, also Sippenhaft: Einer für alle (aber noch ohne: Alle für einen). Der Begriff wird allerdings auch benutzt um Zusammenhalt, Zusammengehörigkeitsgefühl, Altruismus oder «gute Beziehungen» zu bezeichnen.

Damit (mit der «solidarité humaine») wird die asymmetrische Verpflichtung von vielen gegenüber einem, die durch den juristischen Solidaritäts-Begriff bezeichnet wurde, definitiv durch eine symmetrische Verpflichtung von allen gegenüber allen ersetzt.

Allerdings gilt dies nicht vollumfänglich, denn Solidarität ist immer die Solidarität von unten gegen oben, von Armen gegen Reiche - oder umgekehrt. Sie findet also innerhalb der Klassen statt. Die «solidarité sociale» trete an die Stelle der christlichen Nächstenliebe und der republikanischen Brüderlichkeit und begründe aus der Tatsache der Abhängigkeit der Menschen in Raum und Zeit eine «soziale Schuld» aller, vor allem aber der Privilegierten, und entsprechende «quasi-vertragliche Verpflichtungen». Gerade aus sehr verbreiteten Sätzen wie diesem lässt sich leicht verstehen, warum

Gerade in Frankreich steht das Konzept Solidarité auch für eine öffentliche Förderung von Produktivgenossenschaften. Der Solidarismus sozialliberaler Prägung ist in Frankreich bis in die Gegenwart wirksam.

Probleme:

Solidarität basiert auf der Idee der Gemeinsamkeit der Interessen, weist also die selbe Schwäche auf wie die volonté générerale (2) von Rousseau: woher kommt's? Wer hat's gefunden? Wer entscheidet wie darüber, welche Interessen gemeinschaftlich geteilte sind? Seit Jahren geht das in der Schweiz etwa so: Die SVP hat einen Stimmanteil von29% der Wähler, ist also die stärkste Partei. Da sie alles blockieren kann, was sie auch gerne tut, ist sie gleichzeitig DIE Opposition. Als Opposition hat sie den Vorteil, dass sie schwadronieren darf wie es ihr beliebt, sie haftet ja nicht dafür ... denn die Haftung wird solidarisch vom Konsenssystem getragen. Eine Oppositionspartei vertritt aber meist eine Minderheit, die periodisch wieder Mehrheit wird, deckt also die Interessen der Hälfte der Bevölkerung. Ein bisschen mehr als die Hälfte, bereits 0.01% reichen aber für eine demokratische Mehrheit, womit diese Meinung zum Volkswillen und zu Gesetz wird. Widerspruch, Eigensinn, Eigenwilligkeit, die Basis der entsprechenden Partei, würden so durch Gleichmacherei quasi ausgeebnet, verboten - wenn sie dem "Volkswillen", der 29% .... widersprechen. Das wäre Solidarität ... als unerfreuliches Beispiel.

Die Menschlichkeit von Beziehungen nur als Solidarität zu verstehen, bedeutet allerdings letztlich, sie einseitig unter dem Gesichtspunkt von Hilfen für eine effektive Realisierung von vorgegebenen Zielen zu betrachten und sie insofern auf eine Form von Zweckrationalität zu reduzieren. Außerdem ist eine Solidarisierung mit anderen Subjekten und ihren Zielen nur dann möglich, wenn jene sich für diese selbst einsetzen. Deshalb kann es genaugenommen keine Solidarität mit zukünftigen Generationen, wie sie heute oft in Zusammenhängen ökologischer Ethik gefordert wird, geben, sondern höchstens Verantwortung für diese.

Eine ganzheitliche soziale Synthese vermag "Solidarität" eh nicht zu leisten, da es keine Solidarisierung nach oben gibt, und die Solidarität oben a) dünn, b) kaum auf Gleichheit ausgerichtet und c) um so mehr bedroht ist, als sich Steuern von oben nach unten verlagern, also den Reichen geschenkt und (nein, wohl kaum von den Armen, denn da ist einfach nichts zu holen, aber) vom Mittelstand bezahlt werden. Das Wort <Solidarität> verbietet quasi Konflikte. Unterschiedliche Interessen sind ja aber eben gerade der Nährboden für Konflikte. Indem man, wie Rousseau, einfach behauptet, diese gäbe es nicht, ist das Problem nicht gelöst, es besteht aber die Gefahr, dass ein Begriff mit eigentlich positiver Intention gerade für eine multikulturelle Gesellschaft zur Zwangsjacke wird (ein gemässigterer Ansatz, auch brauchbarer als Assimilation oder Ingegration, wäre hier das Konzept der Verträglichkeit von Leibnitz):

Zwangsbekehrung zur Disziplin der Solidarität:

Auffassung, daß der Staat eine entscheidende ökonomische und pädagogische Funktion habe [38]. Die notwendige Solidarität ergibt sich also nicht schon spontan aus den Interessen und Werten der Arbeiter, sondern muß von öffentlichen Autoritäten eingefordert werden. S. wird so tendenziell gleichbedeutend mit Disziplin. Diese Verbindung von S. mit Autorität läßt sich auch als ein Rückgriff auf die juristischen Wurzeln des Begriffs verstehen.

Die spezifischen, teilweise ambivalenten Konnotationen des Solidaritätsbegriffs kommen am besten in einem privaten Dokument zum Ausdruck, nämlich in einem Brief von K. EISNER, dem späteren ersten Präsidenten der bayrischen Räterepublik, an eine Freundin: «Nein, nichts mehr von Liebe, Mitleid und Barmherzigkeit. Das kalte, stahlharte Wort Solidarität aber ist in dem Ofen des wissenschaftlichen Denkens geglüht»

Wozu dient der Staat und wie soll er organisiert sein?

In der Freiheit der Wahl seiner eigenen guten Ordnung - liegt vermutlich das grösste Glück!

6.9.09

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Ich kann freilich nicht sagen,
ob es besser werden wird,
wenn es anders wird,
aber soviel kann ich sagen,
es muß anders werden,
wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg

3 Wirtschaftliche und politische Probleme, die einer nachhaltigen Ordnung im Wege stehen:

1. Ökonomismus: Probleme lassen sich nur durch gehorsames Befolgen der Marktgesetze lösen!

Karl Marx und Silvio Gesell bemerkten schon vor langer Zeit richtig: "Die wirtschaftliche Basis mit dem Geldsystem bestimmen heute das Schicksal der Völker." Allerdings begingen beide, wie der heute immer noch grassierende Neoliberalismus den Fehler, sich zu sehr auf die Ökonomie zur Lösung aller Probleme zu verlassen: s. Orientierung ... nur an Geld? / Ist Wachstum ein Problem oder ist fehlendes Wachstum ein Problem? / Plutokratie ...

Keinem der bisherigen ökonomischen Modelle gelang es, materielle wie Macht-Verteilungs-  und Wachstumsprobleme zufrieden stellend zu lösen. Insbesondere der aktuellen Wirtschaft fehlt jegliche Optimierung die über die Optimierung der Produktivität hinaus geht. Obwohl wir bereits auf viel zu grossen Schuhen gehen (s. ökologischer Fussabdruck: Hier können  Sie ihren eigenen berechnen), setzen wir auf immer mehr und immer grösser. Die so gerühmte Globalisierung hat als wichtigsten Effekt das Abstreifen regionaler oder nationaler Grössenbeschränkungen und erleichtert es der Wirtschaft, noch mehr Macht durch Grösse anzustreben (s. economy of scale), statt das zu tun, was eigentlich Aufgabe der Ökonomie wäre, nämlich Ordnung im Hause zu schaffen, die Wirtschaftsordnung zu optimieren. Wer heute nicht im vereinten Chor von Links bis Rechts mit singt: Mehr Wachstum trallala, outet sich als Grüner, oder Spinner, oder beides ... oder allenfalls als Humanökologe: Dass wir uns hinsichtlich des Ressourcenverbrauchs Mengenbeschränkungen unterwerfen müssen, was automatisch auch Vereinfachungen unseres Lebensstils bedingen würde. Diese Möglichkeit wird aber ausserhalb akademischer Zirkel kaum erörtert; in der offiziellen politischen Diskussion stellt sie weitgehend ein Tabu-Thema dar. [Dieter Steiner (Zürich): Humanökologie und nachhaltige Entwicklung. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (2003) 148/2: 55–64.]

2. Kurzfristige, oft populistische, meist parteiische, Machtpolitik, statt langfristig optimierende Sachpolitik

Dieter Steiner hat ebenfalls 5 Punkte aufgelistet, an denen die politische Debatte krankt:

  1. Die übliche politische Debatte besteht nicht in einer Suche nach dem Gemeinwohl, sondern im Versuch, den eigenen Partikularinteressen mittels verbalen und verfahrensmässigen Strategien gegenüber anderen Partikularinteressen zum Durchbruch zu verhelfen (DRYZEK, 1987).

  2. Verbände mit einer starken Lobby nutzen zusätzlich ihre Möglichkeiten, Regierung und Parlament zu beeinflussen (Korporatismus), womit bestimmte Interessen ein dauerhaftes Übergewicht bekommen und die Verzerrung der politischen Debatte chronisch wird (DRYZEK, 1987).

  3. Eine echte nachhaltige Entwicklung kann nur aus einer langfristigen Perspektive entstehen. Im Parlament herrscht aber das kurzfristige Denken in Wahl- und Budgetperioden vor (LINKE, 1991;CONSEILDUDÉVELOPPEMENTDURABLE, 1997).

  4. Bei Abstimmungen über komplexe Sachfragen sind die Stimmbürger und -bürgerinnen oft überfordert und laufen Gefahr, sich von geschickten, allenfalls populistisch argumentierenden Meinungsbildnern beeinflussen zu lassen (LINKE, 1991; BINSWANGER und WEPLER, 1995).

  5. Der Staat ist zur Behebung der von einer deregulierten Wirtschaft ökologisch und sozial angerichteten Schäden aufgerufen, ist aber zu deren Finanzierung auf die Steuererträge aus eben dieser Wirtschaft angewiesen und hat ihr gegenüber deshalb Interventionshemmungen.

Punkt 1 und 2 sind bei Brainworker zusammengefasst unter dem Schlagwort Parteien sind parteiisch zu finden (nutze search). Was die Verzerrung betrifft, so ist insbesondere die Tatsache noch zu erwähnen, dass eine Verwirtschaftlichung der Politik (weniger Aufwand, weniger Zeit, weniger Personal ...) den Einfluss Einzelner verstärkt, besonders derer, die sich besser bemerkbar machen können, und das sind normalerweise nicht eigentlich Verbände wie der VCS, sondern Verbände der Unternehmer oder sogar Einzelpersonen (s. ehem. Blocher-Berichte). Politik wird so zum sachzwanggesteuerten Dauerauftrag (s. Politik zwischen Auftrag und freier Gestaltung).

Diese Probleme werden aber nicht bloss durch eine Verwirtschaftlichung der Politik gefördert, sondern genau so durch eine Verwissenschaftlichung. Wissenschaftliche Expertisen machen glauben, dass es sich um rein sachliche Entscheide handle. In der Politik geht es aber meist um Meinungen und damit um Werte - nicht wie in den Wissenschaften rein sachlich und wertfrei erkennbare oder konstruierbare Relationen. Mit Werten kann aber die Wissenschaft wenig anfangen, mit Werten die sich nicht in Geld messen lassen die Ökonomie genau so wenig.

Punkte 3 und 4 sprechen über das Problem der Wahlen ein weitaus umfangreicheres an, nämlich das Problem der Machtbasis in Demokratien. Sachliche Lösungen würden es erforderlich machen, die Stimmbürger sachlich, verständlich und umfassend aufzuklären. Die Notwendigkeit, eine Mehrheit, also eine Masse von der eigenen, parteiischen Lösung zu überzeugen, macht aber einen eher populistischen Dialog erfolg versprechend, d.h. eigentlich fast notwendig. [s.   http://www.brainworker.ch/Dialog/argumentation.htm] .

Politik braucht (nur) Mehrheit. Eine Mehrheit der argumentativ weniger Anspruchsvollen ist über banalisierende Schlagworte leichter zu erzielen als eine aufgeklärte und sachlich bewusst wählende Mehrheit. (s. Komplexe Argumentation)

Punkt 5 fasst etwas zu kurz, denn staatliche Interventionshemmungen werden nicht nur durch die Wirtschaft gewünscht und gefördert, auch die Theorie komplexer Systeme zeigt uns, dass Interventionen hier eigentlich nur als Therapie möglich sind. Dahinter stehen also auch Probleme der Steuerung komplexer Systeme, zu denen wir schlichtweg die Lösungen (noch) nicht wissen. Da aber Politik auch bei Nichtwissen betrieben wird (s. Bush), sollten wir dennoch einige Überlegungen anstellen zu potentiellen Modellen einer guten Ordnung, im vollen Bewusstsein, dass sie immer bloss von temporärer Gültigkeit, und vom kulturellen Umfeld abhängig, sind.

4 Modellvorstellungen zu einer "guten Ordnung"

Wir können die durch populistische Politik wie durch die Usurpation aller Werte durch die Ökonomie entstehenden Probleme eigentlich recht einfach anhand der drei Begriffe Intelligenz, Klugheit und Weisheit erklären, die recht eigentlich ebenfalls "Ordnungsmodelle" darstellen, Modelle welche die Ordnung im Kopf regeln. Die Unterscheidung zwischen Intelligenz, Klugheit und Weisheit ist deswegen etwas schwierig und nicht bei den Griechen zu finden, weil die Möglichkeiten der Erkenntnis heute anders eingeschätzt werden. Insbesondere hat sich die Metaphysik, wozu ich heute die Ethik zählen würde, von den Wissenschaften getrennt, was erst in den letzten 100 bis 200 Jahren erfolgte. Durch den hohen Wert der wissenschaftlicher Erkenntnis beigemessen wird, wurden religiöses und philosophisches Orientierungswissen an den Rand gedrängt, und damit natürlich auch die Weisheit, die eigentlich nichts anderes ist, als optimale ganzheitliche Orientierung in der Welt. Verstärkt wurde eine Umorientierung auf Geld-Wert durch die satanischen Verse von Calvin und Zwingli, die nun Reichtum plötzlich zum Zeichen des Wohlgefallen Gottes machten, also dem Reichen Eingang durch das Nadelöhr gewährten, die Armen zu Kamelen machten. Als Klug gilt heute, wer sich der Instrumente der materiellen Bereicherung zu bedienen weiss, als Weise meist nur noch Gurus aus dem Fernen Osten oder Westen, weit weg und ziemlich abgehoben (... und oft auch nur auf Bereicherung aus), da sich hier kaum ein Weiser mit den unsinnigen Erwartungen und Orientierungen befasst, die unser Wirtschafts- und Lebenssystem fördert, weil es auf ihnen basiert.

Dass der Unterschied zwischen Intelligenz, Klugheit und Weisheit den Alten noch kein Kopfzerbrechen zu machen hatte, heute aber eine klarere Definition nötig ist, liegt vor allem daran, dass sich Wissenschaft eigentlich erst nach der Renaissance von der Philosophie löste und selbständig machte. Im Altertum redeten die Götter noch mit den Menschen. Jene hatten also quasi Informationen aus erster Hand und nicht das Problem, ob es sich um Wahrheit handele, sondern bloss, wie  die bereits damals häufig kryptischen Äusserungen wohl zu deuten seien. Im 20 Jahrhundert ergaben sich allerdings in den Wissenschaften einige neuere Erkenntnisse, die auch hier wieder vom Feld der absoluten Gewissheit weg zu Zufall (stochastische Gesetze der Chemie) bis völliger Unbestimmbarkeit und Zufälligkeit führen (Heisenberg). Den Leuten die daran verzweifeln, und sich an die absolute Wahrheit der Platonschen Ideen halten möchten, ist zu sagen, dass Platon zwar von der Existenz solch absoluter Wahrheit und Einsicht überzeugt war, aber ebenso davon, dass diese dem Menschen nicht zugänglich ist, sondern bloss den Göttern. [Was sich der Neoplatonismus zu Nutze gemacht hat, der das höchste Wissen bei den Göttern sucht. Wenn Ihnen also mal wieder begegnet, der ganz genau weiss, wie die Welt funktioniert und sich entwickelt, verlangen Sie einen Ausweis oder ein Wunder, zur Bestätigung, dass es sich bei der betreffenden Person um Gott handelt.] Der Zufall wird also weiterhin zufällig bleiben, auch wenn das Chaos selbst offenbar strukturiert ist - und die Zukunft wird damit weiterhin offen und unbestimmbar, aber in gewissen Grenzen, eher spielerisch als dezisionistisch, formbar bleiben.

4.1 Definition Klugheit und Weisheit

[Historisches Wörterbuch der Philosophie]

Etymologisch leitet sich Klugheit ab von kluoc (fein, zierlich, zart), das nach 1150 durch WOLFRAM VON ESCHENBACH für behend, gewandt, listig, glatt, beweglich, gescheit geläufig wird. K. steht zwischen Einsicht (Verständigkeit, Wissen um das Richtige und Zweckmäßige) und Weisheit (sopia, sapientia). Sie ist nicht so theoretisch wie die Einsicht, aber auch nicht so abgeklärt wie die Weisheit.

Klugheit hiess bei den Griechen Phronesis, bei den Lateinern Prudentia (Vorherwissen).

Klugheit zeigt sich nach Aristoteles eher im Handeln, in der Staatsführung, im praktischen Beruf. Sie darf dabei aber nicht mit intellektueller Gewandtheit oder gar Gerissenheit verwechselt werden und ist wissenschaftlicher Erkenntnis nicht gleichzusetzen, weil sie neben dem Allgemeinen auch das Besondere (als Gegenstand des Handelns) berücksichtigt. Phronesis ist im Bereich der praktischen Philosophie «kluges Situationsverständnis», ein «wahrheitserreichendes, vernünftiges Gehaben(hexis, habitus) im Handeln in bezug auf menschliches Gut und Übel». Aristoteles ordnet – wie später Thomas von Aquin – der K. Teiltugenden zu:

  1. eybolia als Fähigkeit, richtig beraten zu sein hinsichtlich eines zweckdienlichen Erreichens des Handlungszieles,
  2. synesis (Verstehen), das aber – im Gegensatz zur Kluheit – nicht präzeptiv befiehlt, sondern versucht, die Äußerungen anderer richtig zu beurteilen,
  3. gnomon schließlich als Ausdruck für die rechte Beurteilung dessen, was «billig» ist.

Wichtig ist auch das Wissen des Nichtwissens. Populismus und Fundamentalismen basieren eben gerade darauf, dass sie dort ein Wissen behaupten, wo gar keines besteht und damit die Massen der weniger Kritischen die Dankbar sind für "sichere und klare Aussagen", über den Tisch ziehen.

Der Kluge erwartet nicht Gewissheit, wo es sie nicht gibt, und täuscht sich nicht selbst durch Scheingewissheit.

Klugheit berücksichtigt nicht nur das Allgemeine, das Abstrakte, sondern auch die Situation, den aktuellen Kontext.

ATHANASIUS sieht in der Klugheit die vernunftgemäße Lenkung der Emotionen. Andere Kirchenväter, wie HIERONYMUS und GREGOR I., betonen mehr ihren Nutzen für die Beherrschung der Triebe.

Klugheit ist nicht theoretisch, sondern bezieht sich als praktische Vernunft auf den Bereich der konkreten Wirklichkeit des menschlichen Handelns, das sie leitet. Die richtigen Mittel zum Zweck dieses Handelns beurteilt die Klugheit in Übereinstimmung mit dem richtigen Wollen. Klugheit ist als ratio practica Wirklichkeitserkenntnis und koordiniert Wollen und Tun der Menschen mit Hilfe von acht integralen Bestandteilen, die ihr Thomas zuordnet: memoria (Gedächtnis), intellectus (Verstand), docilitas (Gelehrigkeit), sollertia (Geschick), ratio (Vernunft), providentia (Vorsehung), circumspectio (Umsicht) und cautio (Vorsicht).

Gemeint ist damit das Vermögen, mit Vorsicht abzuschätzen, ob man auf dem rechten Weg zu dem in der Zukunft liegenden Ziel menschlicher Handlungen ist. Dabei bleibt der Klugheit durchaus ein Moment der Ungewißheit, denn der Kluge erwartet nicht Gewißheit, wo es sie nicht gibt, und täuscht sich nicht selbst durch Scheingewißheiten.

In bezug auf das Gemeinwesen (bonum commune) gliedert sich Klugheit in die prudentia regis, die dem Herrscher zukommt (pars regnativa), weiter in «die pars politica der K., vermöge derer sich der ... Untergebene durch Gehorsam dem Vorgesetzten gegenüber in den rechten ordo in Hinsicht auf das bonum commune verhält», sowie in die pars oeconomica, «durch die eine Familie oder eine Hausgemeinschaft richtig geleitet wird, endlich in die species militaris prudentiae» als K. militärischer Führer

Entscheidend aber ist, daß Klugheit. ihre Normen und die daraus resultierenden Anwendungen durch Induktion aus Lebenserfahrung oder Geschichte gewinnt. Auch nach TH. HOBBES wird Klugheit durch Erfahrung gewonnen; d.h. Geschichte, nicht Philosophie macht den Menschen klug.

Für LEIBNIZ wird K. im Zusammenhang mit Gerechtigkeit und der diese fundierenden Liebe bedeutsam. Gerechtigkeit ist die Klugheit, anderen wohlzutun oder wenigstens ihnen nicht zu schaden, um durch diese Willensbekundung sich selbst zu nützen oder sich nicht zu schaden, d.h. um Lohn zu erwerben oder Strafe zu vermeiden.

Obwohl Klugheit auf keinen Fall verwechselt werdem darf mit Schlauheit oder Cleverness, die man als mindere Klugheit betrachtet, da sie mit denselben Mitteln arbeitet, doch einen nur praktischen Nutzen oder nur persönlichen Vorteil zum Ziel hat, sieht man bereits aus obigem Zitat, dass der Unterschied oft nur sehr klein ist..

Im 17. und 18. JH war Klugheit vor allem in Hinsicht auf die Politik wichtig. Kluges Handeln wurde fast identisch mit politischem, oder besser "diplomatischem" Handel, sei es im kleinen, privaten Bereich, also im Umgang mit Gruppendynamiken, sei es im staatlichen Bereich, also im Verkehr zwischen Staat und Bürger oder zwischen Staaten.

Klugheit hat allerdings schon seit Wolff auch eine ökonomische Note: «Die Fertigkeit, weislich erwehlte Mittel wohl auszuführen». Sie bezieht sich als solche auf Verstand und Willen, die eingesetzt werden, wenn es darum geht, einen als «rechtschaffen» erkannten «Endzweck» mit den nötigen Mitteln zu erreichen und etwaige Hindernisse auf diesem Wege zu beseitigen.

Mit und nach Hume wird der Begriff deutlich abgewertet: Ihre Funktion sei «to conform our actions to the general usage and custom». Bei A. SMITH erscheint K. als das Vermögen, sein eigenes Glück zu besorgen; ihr Anwendungsbereich wird die Sphäre des Wirtschaftslebens. KANT erwähnt bereits Sittlichkeit und Geschicklichkeit zusätzlich zu Klugheit, als Bedingungen praktischer Vernunft, obwohl beide bis kurz zuvor eindeutig bereits Elemente der Klugheit (Phronesis) selbst waren. Hier verliert also die Klugheit die Ethik und wird damit zu etwas definitiv anderem als das, was sie über 2000 Jahre war, die Phronesis. Aus Welt-Klugheit wir die Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß zu haben, um sie zu seinen Absichten zu gebrauchen. Privat-Klugheit wird reduziert auf die Einsicht, wie alle diese Absichten zu seinem eigenen dauernden Vorteil zu vereinigen seien, also definitiv Schlauheit.

Einen wesensmäßigen Zusammenhang der Klugheit. mit dem Guten kann freilich nicht mehr sehen, wer die Klugheit in die Nähe des Nützlichen und Taktischen rückt und nicht mehr mit dem Edlen und der Wahrhaftigkeit verbindet.

Die heute geltende Definition der Klugheit ist also ein bisschen kastriert, was viele aktuelle Probleme zu erklären vermag. Dies um so mehr als der griechische Begriff Hexis, ein Synonym für Phronesis, also Klugheit, auch <Habitus> bedeutet, also Gewohnheit. Dies vermag die Diskussionen von und um Bourdieu doch deutlich zu klären:

Klugheit ist die Fähigkeit zu angemessenem Handeln im konkreten Einzelfall
unter Berücksichtigung aller für die Situation relevanter Faktoren,
individueller Handlungsziele und ?
(sittlicher Einsichten).

Der Klugheit fehlt also die Ausrichtung auf Werte, die erst auf der Stufe der Weisheit integriert werden. Erst wenn in den Dienst spezifischer geistiger Ziele gestellt, erhebt sich Intelligenz über Schlauheit, List, Gerissenheit.

Klugheit geht immer noch deutlich über Intelligenz hinaus, da jene, zumal wenn als IQ bestimmt, nur die Erkenntnisfähigkeit, vor allem deren Tempo, berücksichtigt, ohne diese in Zwecke, Ziele und Wertungen einzubinden. Für Aristoteles war dem noch nicht so. Für ihn beinhaltete bereits die Klugheit eine Art Ethik, nicht aber transzendentale, von aussen kommende, sondern die, die in uns selbst zu finden ist (das gute Gewissen, die Seele, das, was der Mensch als gut und böse betrachtet ...). Klugheit bedeutet, richtiges beraten (sein) hinsichtlich eines zweckdienlichen Erreichens eines Handlungszieles.

Die Weisheit dagegen ist der Klugheit übergeordnet, weil sie den freien Handlungen des Menschen ihre naturgemäßen Zwecke vorschreibt, die Mittel zu ihrer Verwirklichung auswählt und die Teilziele zueinander in Beziehung setzt. K. dagegen ist ein Habitus, der beim Handeln nicht nur an den Zweck denken läßt, den es zu verwirklichen gilt, sondern auch den förderlichen oder hinderlichen Umständen Rechnung trägt, die erst bei der Verwirklichung auftreten.

4.2 Weisheit: Sophia, sapientia, ist der Grundbegriff einer zugleich theoretischen wie praktischen Daseinsorientierung. Weisheit vereint also Intelligenz und Klugheit, und erweitert sie um die ethische Dimension. Chr. Wolffs traditionelle Unterscheidung zwischen phronesis sophia lautet:

Die Weisheit ist der Klugheit übergeordnet,

weil sie den freien Handlungen des Menschen ihre naturgemässen Zwecke vorschreibt,

die Mittel zu ihrer Verwirklichung auswählt und

die Teilziele zueinander in Beziehung setzt.

Eher theologisch orientierte Philosophen betonen den Aspekt der Sapientia: Das Schmecken, als Fühlen, Spüren, gnostisches oder intuitives Wissen um DAS GUTE. [Grundlagen s. http://www.brainworker.ch/reports/yemen/345PPLA.html ]. Das führt uns zu einigen interessanten Erkenntnissen betreffend der Weisheit:

  1. Weisheit ist nicht umfassendes, sicheres, festes Wissen. Weisheit ist die unter bestimmten Umständen ideale Gesamtschau, die Lösungsansätze für gegebene Probleme - aber auch die Kritik des Problems selbst als Scheinproblem - beinhalten kann. Weisheit ist ethisch fundiertes Orientierungswissen. Hier unterscheidet sie sich substantiell von wissenschaftlichem Wissen und auch von Klugheit.

  2. Weisheit steht nicht in Büchern - sie muss in der Seele gefunden werden.

    1. Es gibt keinen Kanon der Weisheit. Da Weisheit eher auf intuitiver "Gestalterfassung" als auf wissenschaftlicher Analyse beruht, steht jedem freien Menschen seine eigene Position, sein eigenes Wissensfeld, seine eigene Intuition und damit seine eigenen Weisheit zu. Die vielen Widersprüche die sich aus dieser Konstellation natürlich ergeben, fördern die Erkenntnis, wenn sie offen angegangen und nicht fundamentalistisch zementiert werden. [s. Web-Philosophie, ehemals Dialektik genannt ...]

  3. Weisheit kann weder auf wissenschaftlichem noch technischem (und schon gar nicht ökonomischem) Boden gedeihen, sie braucht die freie Luft des Philosophierens.

Zielsetzung, Handlungsanleitung, Ganzheitlichkeit sind also die drei wichtigsten Punkte die der Ingenieur als typisches Modell des Phronetikers meist verpasst, da er dazu Philosoph werden müsste. Er beschränkt sich auf Auftragserfüllung. Klug ist, unter den gegenwärtig geltenden Regeln, möglichst hart zu kämpfen (nicht hart zu arbeiten) für eine gute Position und viel Geld. Die Intelligenz liefert die dazu notwendigen Verhaltensmuster. Weise wäre aber die Frage: Wozu? Warum? Was geschieht, wenn das alle gleichzeitig machen? Deshalb ist Weisheit genau so unerwünscht heute, wie vor 2000 Jahren.

Wer ein falsches bonum zu seinem Zweck erwählt, ist nur scheinklug, auch wenn er, um zu diesem Ziel zu gelangen, die Mittel eben so wohl zu erfinden und zu gebrauchen weiss, als ein recht kluger und weiser Mensch.

Klugheit aller Arten setzt die Moral voraus, denn ohne Tugend ist sie nicht Klugheit, sondern Arglistigkeit, diese aber ist eine Art Torheit. Staatsklugheit ohne Moral ist Machiavellisterei.

Sie sehen, dass sich diese Kritik eigentlich bereits auf Klugheit und nicht mal auf Weisheit bezieht. Im 20 JH. haben wir uns aber derart von Weisheit entfernt, dass bereits die Klugheit zur Gerissenheit verkam:

Einen wesensmässigen Zusammenhang der Klugheit mit dem Guten kann freilich nicht mehr sehen, wer die Klugheit in die Nähe des Nützlichen (bonum utile) und Taktischen rückt und nicht mehr mit dem Edlen (bonum honestum) und der Wahrhaftigkeit verbindet.

Phil.hist. Lexikon. S. 858

Irgendwie macht das aber auch das Geschäft der Philosophen einfacher, denn heute müssten sie erst "bloss" die Menschen von wirtschaftlicher Gerissenheit zur Klugheit führen. Weisheit dürfte bei der kläglichen, geldverkleisterten Verfassung unseres common sense zu abgehoben sein.

Apropos common sense: Es gibt im Internet einige Definitionen, sogar an gelobten und viel besuchten Stellen, die Weisheit als Übereinstimmung persönlichen Wissens mit dem common sense bezeichnen. Das ist einigermassen unsinnig und beruht vermutlich auf der Überschätzung des "gesunden Menschenverstandes". Dieser lässt sich aber immer wieder durch Volksverführer und Medien über den Tisch ziehen und verhält sich eher blöd als Weise. Der common sense ist Grundlage von Rhetorik und insbesondere das Gebiet der Topik. Philosophen und Politiker müssen den common sense, das, was von der Mehrheit als wichtig, wahr und richtig erachtet wird, kennen, mindestens so gut kennen, wie die PR-Fachleute, die damit spielen. Sie müssen ihn kennen, da er bei der Mehrheitsbildung entscheidende Argumente liefert, die allerdings, was Weisheit betrifft, genau so kritisch zu werten sind wie wissenschaftliche Propaganda.

5 Die historische Entwicklung sozialer Ordnung und Orientierungen

Während der Steinzeit lebten die Menschen in kleinen, überschaubaren Gemeinschaften mit geringer Arbeitsteilung. Das Leben richtete sich primär nach den täglichen Bedürfnissen, also der Versorgung mit Nahrung sowie dem Schutz vor , Nässe und Kälte, wilden Tieren, feindlichen Stämmen und Rassen: Die Neanderthaler (Homo sapiens neanderthalensis)  lebten von 200'000-30'000 bC, der Homo sapiens sapiens seit 120'000, also fast 100'000 Jahren lebten sie nebeneinander, und manchmal offenbar auch miteinander. Kreuzung war möglich und ist offenbar erfolgt, es lebt also noch ein gehöriges Stück Neanderthaler in uns weiter.

Apropos: Jetzt fängt der doch wirklich bei der Steinzeit an! Keine Aufregung, denn so lange liegt die bei uns nicht mal zurück. Im Nahen Osten und Südostasien wurde sie durch die Broncezeit bereits ca. 6000 v.Chr. abgelöst, in Afrika ca. 4000 v.Chr., auf dem Amerikanischen Kontinent 2500 v.Chr., in Europa 2200 v.Chr und in der Schweiz um ca. 1800 v.Chr. Wir haben offenbar schon damals relativ lange zugewartet um zu sehen, ob sich Innovationen wirklich rentieren. Und eigentlich hatten sie recht, die Zögerer, denn bloss 1000 Jahre später musste man die gesamte Industrie schon wieder umstellen, auf Eisen, obwohl Steine sogar in der Schlacht von Morgarten noch recht trefflich wirkten.

Bis zur Bronzezeit wechselte der Lebensstil vom nomadischen Jäger und Sammler zum seminomadischen Hirtendasein und ersten Ansätzen einer sesshaften Landwirtschaft. Es entstanden also die ersten Dörfer sowie Land- und Gartenbau.

http://mypage.bluewin.ch/rowu/seiten/zeittafel.html

Die Eisenzeit ist zugleich die Zeit des Europäischen Urvolkes, der Kelten, und begann so um ca. 800 v.Chr. Sie hatte ihre Höhepunkte in Latène und Hallstadt.

In der Eisenzeit (Kelten) entwickelte sich einiges Handwerk und politische Herrschaftsstrukturen, die bis ins Mittelalter hinein ständisch blieben, d.h. man wurde durch Geburt zum König, Priester, Soldaten, Handwerker oder Bauern. Mit den frühen Mittelalter begann dann die Vorherrschaft der Kirche und das ganze Mittelalter hindurch dominierte die göttliche Ordnung.

Bei den archaischen Gesellschaften gab es nur Kultur und keine Politik und keine Wirtschaft. Jede Gesellschaft benötigt neben einer Orientierung (Kultur) auch eine Organisation (Soziales, Politisches) und eine Reproduktion (Wirtschaft). Aber sie waren kulturbestimmt (genauer: religiös orientiert), und Politik und Wirtschaft waren darin völlig integriert die Orientierung der Kultur (Geistesverfassung, moralische Ordnung) an der Natur, der Politik an der Kultur, der Ökonomie an der Politik usw.

Mit der Eisenzeit endete die Urzeit, und die Urzeit endet dort, wo die Menschen beginnen, ihre Kultur schriftlich zu dokumentieren. Dies geschah in Mesopotamien ca. 3500 v.Chr (Sumerische Keilschrift, Irak), in Mittelamerika ca. 650 v.Chr und in Europa mit den Hochkulturen Griechenlands und Roms. In der Schweiz endete die Urzeit also durch und mit der Besetzung durch die Römer (immer diese Ausländer ...),  in Nord, West- und den von Rom nicht besetzten Teilen Mitteleuropas ging sie bis zum Ende der Keltenzeit, also zu Beginn des Frühmittelalters ca. 800, als christliche Missionare (schon wieder diese Emigranten, und dann noch fundamentalistische!) die Schrift mitbrachten.

Mit der Renaissance wurde der Mensch und seine Entwicklung ins Zentrum gestellt, im Industriezeitalter die Produktion, im Dienstleistungszeitalter das Marketing und in der Postmoderne dominieren die "Werthändler":

Die Ökonomie folgte dabei in den Fussstapfen der Politik, die sich im ausgehenden Mittelalter schon von moralischen Fesseln gänzlich befreit hatte. Sie entwickelte nämlich die Vorstellung, es genüge vollkommen, das Handeln auf ökonomische Rationalität abzustützen, und sie kann sich dabei ja auch auf ihre Theorie berufen, wonach das grösstmögliche Gemeinwohl gerade dadurch zustande kommt, dass jedes Individuum seinen eigenen egoistischen Neigungen nachgibt. Die Wirtschaft leitet daraus ihre Vorrangstellung ab und nimmt diese auch tatsächlich in Anspruch.

Eine Konsequenz davon ist, dass alle Bereiche der Gesellschaft (i.w.S.) zunehmend ökonomisiert werden, darunter auch die Wissenschaft, die unter wachsendem Druck steht, Verwertbares zu produzieren.

Das Problem, dass Geld nach und nach alle Werte ersetzt, wurde von RAPPAPORT bereits 1979 diagnostiziert: Die einst der Religion vorbehaltene sakrale Position wird jetzt von der Ökonomie usurpiert. [Eigenen Texte zu diesem Topos: Wertsystematik, Wertphilosophie, Politik-Wirtschaft-Geld, Neoliberalismus, Von Positivismus zu Nachhaltigkeitsforschung, Geldökologie etcetc.]

Etwas mehr historisches Bewusstsein wäre auch bei den gegenwärtigen Diskussionen zu den Wohltaten einer liberalen Wirtschaft von Vorteil:

  1. Es scheint total vergessen gegangen, dass der Liberalismus seine grosse Zeit, und eine zugegebenermassen befreiende Wirkung, im 19 JH. hatte, der Gründerzeit, in der viele Traditionsunternehmen entstanden die z.T. heute noch florieren.

  2. Noch weniger sollte man dabei vergessen, dass Kommunismus und Sozialismus eine REAKTION auf unzumutbar gewordene Lebensbedingungen waren, die ein wild gewordener, als Liberalismus getarnter, autoritärer Kapitalismus einer grossen Mehrheit auferlegte. Es ist also nicht bloss das Experiment Kommunismus gescheitert. Das Experiment (Neo-)Liberalismus, d.h. fundamentalistischer Liberalismus, scheiterte bereits 100 Jahre früher.

  3. Nicht vergessen sollte man ebenfalls die historisch mehrfach gemacht Erfahrung, dass in Zeiten grosser Unsicherheit (s. Anomie) die Herren Oberwind erhalten, die alles (besser) wissen und (autoritäre) Lösungen versprechen. Solche tausendjährigen Reiche sind meist eher kurzlebig, dafür um so gewalttätiger.

Die einfachen Modelle Liberalismus, Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus und Faschismus, sowie deren Auswirkungen, sowie die Kombination aus Liberal und Sozial im 3. Weg, der mit Blair ebenfalls gestorben sein dürfte, kennen wir also. Sie bieten offensichtlich allesamt keine optimale Lösung. Wir müssen also neue Modelle suchen:

5.1 Das Dreisäulen Modell

Die Agenda 21 versuchte Nachhaltigkeit mit dem Tripelmodell Gesellschaft-Umwelt-Wirtschaft in den Dialog zu bringen:

«Dreisäulen-Modell», auch «magisches Dreieck» «Umweltverträglichkeit», «Sozialverträglichkeit» und «Wirtschaftsverträglichkeit» «ökologische Verantwortung», «gesellschaftliche Solidarität» und «wirtschaftliche Leistungsfähigkeit» (BUNDESRAT, 2002).

Sie hat dabei allerdings einige Probleme übersehen, nebst dem Kultur- insbesondere das Machtproblem [s. Kulturwandel durch Unterhaltung? Die EVENTualisierung der Nachhaltigkeit]
 

5.2 Das Bura' Modell

Für die Forschungsarbeit im Jemen (1990-94 im Feld, bis 98 Bearbeitung der Daten) wurde folgendes Ausgangsmodell benutzt:

Systems, Systems Levels and for development relevant steering principles:

integrative levels: main levels: factors / main steering principles: types of systems / models:
NATURE 1 physical

water

structural - functional
2 biological
SOCIO-ECONOMICAL 3 rural economy - agriculture survival / profit functional - structural
CULTURAL 4 social - tribal meaning
POLITICAL - ECONOMICAL 5 organisational (state - business) aims prospective - operative
6 legislative ethics (traditions, norms, religion) normative

Wir sehen daran einige interessante "Unstimmigkeiten" gegenüber akademischeren und moderneren Modellen. Insbesondere wurde hier die Kultur nicht an höchster oder an letzter Stelle gesetzt, weil die Stammeskultur eine höchst praktische Angelegenheit ist, die zwischen Natur und Gesellschaft eine vermittelnde Stellung einnimmt. Kultur ist hier nicht abgehobene Kunst, sondern Alltagsorientierung. Dagegen ist im tribal-religiösen Raum des Jemen die staatliche Legislative eine höchst "abstrakte" Kraft, auf die nur ausnahmsweise gehört wird (wenn Geld dafür raus springt). Unter Zwang (Überlebenskampf) wird die normative Ebene eh disponibel: Das Fressen kommt vor der Moral, oder etwas gediegener (existenzialistisch) ausgedrückt: L'existence préçède l'essence.

Daraus ist nun nicht zu folgern, dass Ethik generell disponibel ist, sondern, im Gegenteil, dass wir in jeder menschlichen Gesellschaft die unter menschlich mehr versteht als die Zugehörigkeit zur Gattung und Art Homo sapiens stupido, die Verhältnisse nie so weit ins Chaos geraten lassen sollten (Irak z.B.), dass eine Orientierung, die über das pure Überleben hinaus geht, zum Luxus wird.

Ebenfalls zu beachten ist die Einordnung der Politik in die Planungssystematik als prospektiv-operativ. Die politische Ökonomie sollte also vorausschauend und zielorientiert operativ tätig sein (können), nicht nachvollziehend sachzwanggetrieben.

5.3 Die Dreigliederung

Der Schöpfer des Modells der Dreigliederung ist der Begründer der Anthroposophie: Rudolf Steiner [Details s. http://www.dreigliederung.de/freiheit/ & http://www.anthroposophy.com/Steinerwerke/GA4-Inhalt.html].

  1. Freiheit:                         Geistesleben         (Kultur und Bildung)

  2. Gleichheit:                     Rechtsleben

  3. Brüderlichkeit:            Wirtschaftsleben

> Freiheit ist im Geistesleben, nicht im Wirtschaftsleben, dort geht's um's Ueberleben. Folglich darf Bildung nicht zur Zwangsjacke werden. s. Bildungspolitik.

Auch wer mit Steiners etwas esoterischer anthroposophischer Lehre wenig anfangen kann (was durch ihre Zugehörigkeit zum Bereich Esotherik, Okkultismus mehr als gerechtfertigt ist. s. Kritik), sollte doch zur Kenntnis nehmen, dass das von Rechts immer wieder gerne verwendete Schlagwort der Gleichmacherei ganz offensichtlich rhetorisch missbraucht wird. Gleichmacherei ist eine eristische Verfälschung durch Emotionalisierung/Idealisierung der Grundidee der Rechtsgleichheit, ohne die wir auch keine Verfassung und kein Gesetz hätten, da in einer Demokratie all zu offensichtlicher Schutz von Vorteilen einer bestimmten Klasse kaum lange mehrheitsfähig bleiben. Dass es der kleinen Minderheit an Wohl-Habenden immer wieder gelingt, das Stimmvolk für ihre Interessen zu gewinnen, dürfte stark mit der extremen Banalisierung des politischen Dialogs zusammen hängen. Das Stimmvolk wird kaum aufgeklärt, sondern mittels Schlagworten von Links und Rechts, Freiheit und Staat, Eigenverantwortung und Bevormundung, über den Tisch gezogen. Gerade die Eigenverantwortung ist ein gutes Beispiel für das eristische Modell der petitio principii, der Erschleichung von Gründen. Mit dem Schlagwort Eigenverantwortung werden alle erschlagen, die etwa noch denken, dass Arbeitslosigkeit was mit mit Jahreszeiten zu tun hat, oder mit Konjunkturzyklen, oder mit der Verlagerung der Arbeit vom 1. (Rohstoffe) in den 2. (Industrie), vom 2. in den 3. (Dienstleistungen) und vom 3. in den Ichweissnochnichtwas-Sektor. Wer könnte sich schon trauen, irgend etwas gegen das hehre Prinzip der Eigenverantwortung zu sagen -ohne sich selbst als Versager oder Staats-Profiteur blosszustellen. Allerdings baut die rhetorische Strategie eben auf dieser allgemein positiven Anerkennung als Wort - und verdrängt die Tatsache, dass in der Wirtschaft Macht und Grösse herrschen, der kleine Mann also seine Eigenverantwortung kaum in Tat umsetzen kann ... es sei denn, die kleinen Männer und Frauen würden sich vereinigen. Aber dieser Vereinigung würde man ja mit dem Schlagwort Kollektivierung oder Gruppenzwang rhetorisch leicht Herr. 

Obwohl die Situation hier noch nicht so weit gediehen ist wie in den USA, wo die Regierung über eine fügige Presse alles glaubhaft machen kann was ihr nützlich scheint, so wundert man sich doch auch hier, wie extrem gut der Minderheitenschutz beim Kapital funktioniert und warum das Volk meist gegen seine eigenen Mehrheitsinteressen und für die Interessen des Kapitals stimmt (Mieterschutz z.B). Der Grund ist vermutlich darin zu suchen, dass nicht auf Grund einer Situationsanalyse gewählt wird, sondern auf Grund der Hoffnung, einmal selbst dieser Minderheit anzugehören - wonach man sich dann, als Herrschaft, natürlich auch nichts von Mietern oder andern Untergebenen möchte bieten lassen..

Eine ähnliche Dreigliederung findet sich heute auch bei Soziologie, Kulturanthropologie und Sozialökologie:

Während sich die Kategorien Wirtschaft und Gesellschaft bei den unterschiedlichen Forschern wenig unterscheiden, bleibt auch hier der Begriff der Kultur etwas unklar. Ich versuche den im Kapitel der vierfache Pfad zu klären, denn eine Klärung ist nötig, da Johannes Heinrichs in seinem Vierten Pfad der Kultur eine eben so wichtige Aufgabe gibt wie sie bei heutiger Gewaltenteilung Parlament, Verwaltung und Jurisprudenz erfüllen.

Diese Form der Kultur, oder des Kultursystems, sollte vielleicht besser mal unter dem Begriff der Zivilgesellschaft angegangen werden, der noch weit weniger kommerzialisiert und verbogen ist, aber zeigt, was die Gesellschaft für Möglichkeiten hat, ihre Freiheit konstruktiv zu nutzen, ohne sich erst eine Zwangsjacke aus staatlichen Gesetzen oder wirtschaftlichen Zwängen überstülpen zu müssen.

5.4 Die Freiwirtschaft

Was die Freiwirtschaft betrifft, so orientieren Sie sich bitte im Internet, denn bei dem Thema werd' da leicht cholerisch. Wie viele andere alternative Bewegungen ist die Freiwirtschaft heute eher eine Sekte als eine echte Alternative. Es herrscht der selbe Ökonomismus wie bei den wortreich bekämpften Gegnern. Eine rein monetaristische Marktlenkung soll durch die sog. "Umlaufsicherung" Konjunkturzyklen verhindern. Ein neues Bodenrecht soll den Boden wieder zum Eigentum der Allgemeinheit machen. Nur Nutzungsrechte bleiben privat und auch handelbar. Die Erträge aus Nutzungsrechten und aus Geldschöpfung werden durch den Rat der Frauen gerecht verteilt.  So entstehe eine natürliche Wirtschaftsordnung, eine gute Ordnung. Ich gehe mit Creutz & Co absolut einig (sehen Sie sich etwas um bei brainworker und diskussionsforen), dass die Dominanz von Geld und Kapital ein Problem darstellt, sehe aber keinerlei Lösungen, d.h. Ersatz, bei den Freiwirten für die Funktion des Kapitalmarktes, noch wurde in den letzten 50 Jahren das Konzept der Umverteilung der Bodenrente, die sich aus dem neuen Bodenrecht ergäbe, irgendwie plausibel dargestellt. Obwohl die freiwirtschaftliche Theorie hier mehr Löcher hat als ein Emmentaler, werden Umlaufsicherung und Bodenrecht sektiererisch, rechthaberisch, absolutistisch (0% Inflation, nicht ein halbes, es gibt auch keine halbe Schwangerschaft, so tönt das) und unfehlbar verteidigt und jeder niedergemacht, der irgend welche Zweifel äussert oder versucht, die doch bald hundertjährige Theorie an moderne Bedürfnisse anzupassen.  Die Freiwirte haben hier, wie viele alternative Bewegungen, das Problem, dass sie gerade durch ihren Einsatz, ihre Überzeugung und ihr Engagement, das oft zu missionarischem Eifer  ausartet, das bei der Mehrheit nicht ankommt und zur Sekte wurden. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Verehrung, welche gehorsame Schüler ihren geistigen Übervätern entgegen bringen  (wobei ich nicht mal so an Gesell, als an Helmut Creutz denke. Die vielen andern ungehorsamen Schüler wissen wohl, wovon ich rede). Das macht die Freiwirtschaft, wie viele andere Alternativen, derart ungeniessbar, dass man nicht mal daran denkt, sie in Betracht zu ziehen (s. Parecon, das ein ähnlicher Fall ist).

Die realpolitische Position die zur Zeit von den Freiwirten eingenommen wird ist die des 3. Weges. Diese wurde, als Blair da einstieg, sehr gelobt. Dürfe aber seit Blairs Irak-Abenteuer, durch das er sich als treuer Uhu (Unterhund) von Bush erwiesen hat, so ziemlich gestorben sein. Zudem hat sich in England noch stärker gezeigt als in Deutschland, dass Zweiparteiensysteme politisch nicht das bringen was sie versprechen. Blair kommt ja eher von links, steht aber heute, noch stärker als Schröder, eigentlich für eine liberale Position. In der Realpolitik ging das sozial in sozialliberal sang und klanglos unter.

5.5 Der vierfache Pfad: Wirtschaftsparlament, politisches Parlament, Kulturparlament & Grundwerteparlament   

Nicht der Wertezerfall ist eigentlich das Problem, sondern die Tatsache, dass sich Werte gegenüber Preisen kaum mehr durchsetzen können. Es hapert also an der "Macht der Werte". Sogar verfassungsmässig garantierte Grundwerte lassen sich immer weniger durchsetzen, je schwächer (oder stärker?) die Wirtschaft wird.

Heinrichs führt auch den florierenden ideologischen Ethik-Boom in Individual-Ethik für alle Lebenslagen und Berufsrollen darauf zurück, dass nun dem Einzelnen aufgeladen werden soll (s. Eigenverantwortung!) was Gesellschaft und Politik nicht (mehr) zu leisten vermögen. Es scheint die Aussage trifft nicht nur zu was die Ethik betrifft, sondern sogar wenn's um die Existenz geht, also das Recht auf Arbeit als einem der wichtigsten Menschenrechte. Dazu noch von wirtschaftlicher Chancengleichheit zu reden, wäre hier utopisch.

Das Recht auf Arbeit gehört zwar als Bestandteil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 [http://www.lexilogos.com/declaration/allemand.htm Artikel 23] auch zum deutschen Grundgesetz, konnte aber nie durchgesetzt werden. In der Schweiz wurde eine Eidgenössische Volksinitiative gleichen Namens 1948 von 81% der Bevölkerung und von allen Ständen abgelehnt. [http://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vi53t.html]. Natürlich lässt sich dies begründen, aber denken Sie nicht, dass z.B. eine Initiative "Pflicht zur Arbeit" eine grosse Mehrheit finden würde? Gibt doch zu denken, oder? Wenn Sie dieses Rätsel lösen haben Sie vielleicht das Problem gelöst, wie durch mehr persönliche Anstrengungen und Eigenverantwortung 2, 20 oder 200 Stellensuchende pro offene Stelle ihre Pflicht zur Arbeit wahrnehmen sollen? Hier wird offensichtlich viel mehr rhetorischer Schabernack betrieben als nach sachlichen Lösungen gesucht. 

Beim "Recht auf Arbeit" geht es um den unbedingt zu achtenden Vorrang des Menschen vor dem nur scheinbar auch arbeitenden Kapital und seinen Maschinen. Dieses und manche andere Persönlichkeitsrechte können aber nicht effektiv durchgesetzt werden, weil wir keine Grundwerteversammlung haben, die Rahmenrichtlinien an die ihr untergeordneten parlamentarischen und exekutiven Ebenen des Gemeinwesens bindend weitergeben könnte.

Derartige Grundwerte werden aber nicht durchsetzbar sein, solange unser Gemeinwesen nur Wahlen für den scheinbaren Allround-Politiker kennt, nicht aber spartenspezifische, besser ebenenspezifische Beauftragung von anerkannten Fachleuten für jede Ebene des sozialen Systems.

Das soziales System besteht aus 4 Grundelementen: Wirtschaft, Politik, Kultur und Legitimationssystem, die sich nicht auf eine Ebene projizieren und vereinfachen lassen, noch weniger auf ein banales links-rechts-Schema:

  1. Wirtschaftssystem:

  2. politisches System:

  3. kulturelles System:

  4. Legitimationssystem:

 Der Philosoph Johannes Heinrichs fordert das Ende von Fraktionszwang und Allroundpolitikern. Er baut sein neues Modell einer Handlungs-Systemtheorie als Reflexions-Systemtheorie des Sozialen. 

Grundtypen menschlichen Handelns, Stufen sozialen Handelns:

(1) physisches Behandeln, instrumentales Handeln oder Güteraustausch
(2) einseitig strategisch- zielorientiertes Handeln
(3) kommunikatives, Gegenseitigkeit suchendes Handeln
(4) metakommunikatives Handeln

Handeln, insbesondere soziales Handeln, ist immer ein reflexiver Prozess, d.h. die Wirkung des Tuns wird beobachtet und für weiteres Handeln berücksichtigt. Es findet also, kybernetisch ausgedrückt, eine Rückkoppelung statt.

Metakommunikatives Handeln beinhaltet die Selbsttherapie der Kommunikation, also der Versuch,  Kommunikationsstörungen und Missverständnisse zu klären und Kommunikationsregeln zu erstellen. Dies kann weitaus komplizierter sein als der Ausdruck selbst (s. Watzlawick). Wir sehen aus der Liste auch leicht, dass unsere Kommunikation meist auf Stufe 1 oder 2 stecken bleibt, da 3 bereits beinhaltet, sich auf andere Sichtweisen der Dinge, andere Perspektiven, Wünsche und Absichten, einzulassen. Zu metakommunikativem Handeln ist meist eh nur noch der Spezialist und Aussenseiter fähig, der nicht selbst im psychischen Gestrüpp des Dialogs (Heidis Ghetto) gefangen ist.

Heinrichs erwartet von einer zur Viergliederung erweiterten Gewaltenteilung, also vier Parlamenten, vier neue Freiheiten:

  1. Befreiung vom Klassenstaat zu wirtschaftlicher Chancengleichheit.

  2. Befreiung vom Parteienstaat zum »konstruktiven Misstrauensvotum der Bürgergesellschaft«

  3. Befreiung vom Schulmeisterstaat zu kultureller Kreativität

  4. Befreiung vom Konfessions-Staat zu bürgergesellschaftlicher Religiosität.

 

Praktisch alle politischen Entscheide sind Wertentscheide.

Da es heute an Transparenz bei Wertentscheidungen fehlt, schafft der vierfache Pfad die dazu notwendigen Strukturen.

Entgegen der herrschenden (!), schlecht-utopischen Auffassung von Demokratie als «herrschaftsfreiem Diskurs» besteht der öffentliche Meinungs- und Willensbildungsprozess nämlich – auf allen genannten Ebenen – nicht primär aus argumentativem Diskurs, sondern aus Kommunikation über Werte bzw. aus machtmäßigen Wertenscheidungen. Diese Wertentscheidungen müssen transparent gemacht und außerparlamentarisch wie parlamentarisch zum Austrag kommen.

Der vierfache Pfad soll genau dies ermöglichen, indem er gesellschaftliche Wertentscheidungen erstens transparent macht und zweitens dazu die strukturell und verfahrensmässig notwendigen Strukturen schafft: Die Legislative als die typisch kommunikative »Gewalt« muss auf jeder Ebene institutionell unabhängig ausgeprägt werden. Also unabhängige Wahl für die Vertreter eines Grundwerteparlaments (4), eines Kulturparlaments (3), eines Politikparlaments (2) und eines Wirtschaftsparlamentes (1). Dieser letztlich einfache Vorschlag einer institutionellen Viergliederung löst unzählige Probleme der modernen Halb- oder genauer Vierteldemokratien.

Die Parteien werden auf diese Weise zu Sachparteien anstelle der bisherigen Block- oder Einheitsparteien, wie Heinrichs sie nennt. Durch die Entflechtung der Wahlen für jedes der großen Subsysteme entsteht nicht nur eine systemische Ermöglichung, sondern geradezu ein Zwang zur sachbezogenen Argumentation (Diskurs) und »Wertekommunikation«.

Das Grundwerte-Parlament ist in erster Linie zuständig für die ethische und rechtliche Umsetzung der pluralen weltanschaulich-religiösen Wertungen. Der heute überall erkennbare Bedarf an Ethik für rechtliche Regelungen (zum Beispiel im Feld der Gentechnologie) ist nicht Sache einer Professoren- und Bischofs-Ethik in einem ›Nationalen Ethikrat‹ von Kanzlers Gnaden, sondern im öffentlichen Bereich Sache eines demokratischen Verfahrens: der fairen Wertekommunikation der religiös-weltanschaulichen Gruppe – von welcher Fairness Deutschland und andere Staaten aus staatskirch(enrecht)lichen Gründen weit entfernt sind.

Das Grundproblem unserer derzeitigen ›plutokratischen‹ Demokratien, nämlich die Determination des sozialen Ganzen durch die Wirtschaft, wird in diesem Konzept bei den Hörnern gefasst: Das Gemeinwesen muss primär von den Grundwerten her organisiert werden. Als Beispiel bringt der Autor immer wieder das ›Recht auf Arbeit‹. Welche Art von Wirtschaft ist fähig, dieses Recht zu gewährleisten?

Das heute regierende Wirtschaftliche wäre in diesem System eine eigenständige Ebene, aber den politischen Rahmenbedingungen wieder untergeordnet (wie es theoretisch eigentlich auch heute der Fall sein sollte). Das Kulturelle und Weltanschaulich-Religiöse jedoch würde zusätzlich der Politik übergeordnete Rahmenbedingungen schaffen.

Johannes Heinrichs gibt als Kultur und Ethik eine weitaus höhere Bedeutung, als sie im heutigen Alltagsgebrauch haben. D.h. er gibt ihnen eigentlich ihre ursprüngliche Bedeutung und Funktion als Kompass der Orientierung zurück, die sie durch Kommerzialisierung weitgehend verloren haben.

Kritik: Der Begriff Parlament wäre meines Erachtens zu ersetzen, da er erstens zu sehr an (oft wirkungsloses) Palaver erinnert und da Parlamente zweitens eindeutig gesetzgebende Institutionen sind. Es geht, wenn ich den Ansatz richtig verstehe, aber weniger um zusätzliche Gesetze, als um eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den Teilsystemen und um eine bessere Organisation, die Sachprobleme nicht mehr auf Macht reduziert und zugleich fähig ist, unwirtschaftliche, also ethisch-kulturelle Anliegen aufzunehmen,  ernsthaft zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu stipulieren. Da sich komplexe Systeme eh nicht gezielt steuern, sondern nur zu einer internen Umorganisation anstossen, d.h. therapieren lassen, kann es eigentlich auch nicht um Gesetze gehen, sondern eher um Anregungen, Anstösse, generelle Orientierungen wie sie z.B. Verfassungen bieten.

http://www.viergliederung.de/grundgedanke.html

Der moderne Staat muß wesentlich auch Kulturstaat sein. mit einem unabhängigen Kulturparlament. Zur Kultur gehören nach Heinrichs vor allem:

  1. Pädagogik: Tradierung des gesellschaftlichen Wissens

  2. Wissenschaft: die Erschließung neuen Wissens durch subjektive Leistung

  3. Publizistik als Teil des Öffentlichkeitsprozesses

  4. Kunst. Dieses hätte unter anderm auch die Aufgabe, die kulturelle Produktivität zu fördern, ein äusserst zeitgemässes und dringendes Bedürfnis (s. Die Förderung des 4. Sektors).

In: Wie lässt sich Politik betreiben, wenn sich komplexe Systeme nicht lenken lassen? wurden folgende primären Politikfelder aufgedeckt: Bildung, Wissenschaft,  Kunst, Recht, Politik, Militär, Religion, Wirtschaft, Gesundheit. Diese liessen sich im "vierfachen Pfad" wie folgt zuordnen:

  1. Wirtschaftsparlament: Wirtschaft

  2. Politisches Parlament: Recht, Politik, Militär

  3. Kulturparlament: Bildung, Wissenschaft, Kunst

  4. Grundwerteparlament: Religion

Wir ersehen aus dieser momentanen Strukturaufnahme, dass es insbesondere schwierig wird, das Grundwerteparlament zu besetzen, da die Moral individualisiert wurde, der Glaube privatisiert, die Ethik z.T. akademisiert, vor allem aber vermarktet.

Das Wissenschaftssystem, als Teil des demokratischen Systems, ist in Deutschland stärker vom Staat und damit von der Parteienpolitik abhängig, in den USA etwa stärker von der ›freien‹ Wirtschaft .... soweit man die unter kapitalistischen Bedingungen arbeitende Marktwirtschaft eine freie nennen kann. Heinrichs schlägt also ein eigenes »Wissenschaftsparlament« vor, das allerdings systemtheoretisch Teil des Kulturparlamentes sein soll:

Ein Wissenschaftsausschuss des Kulturparlaments würde das Grundproblem von öffentlicher Effizienzkontrolle und Freiheit der Forschung und Lehre durch die Autonomie des gesamten Kulturlebens bereits in wesentlichen Punkten lösen. Denn die Freiheit der Wissenschaften – und gleichzeitig ihre fachliche Kompetenz – ist nicht bedroht durch öffentliche Kontrolle überhaupt, sondern durch die parteipolitische und sonstige Unsachgemäßheit der Einflussnahme. Auch innerlich ist das heutige Wissenschaftssystem [...] alles andere als immun gegen die Tendenz, die kreativen Spitzen den Gesetzen des Mittelmaßes zu unterwerfen (S. 259).

Nach: Der vierfache Pfad: Das ganzheitliche Paradigma von Gesellschaftsreform. Johannes Heinrichs. http://www.dreigliederung.de/essays/1999-02-001.html

Tönt kompliziert und aufwändig? Sehr gut, denn alles was einfach und billig ist schafft keine Arbeitsplätze. Und alles was banal ist kann eine komplexe Welt bloss falsch beschreiben. Allerdings beinhaltet ein solches Modell auch die Gefahr der völligen Blockade der Politik. Es ist kein Zufall, dass wirtschaftsfreundliche Parteien sich eher von der Basisdemokratie distanzieren, denn diese kann Projekte verzögern oder verhindern (s. Verbandseinspracherecht). Auch zeigt das Ständemehr der Schweiz (ähnlich dem Elektorenmehr der USA) ein Problem des Minderheitenschutzes. Es verhindert Demokratur ... aber oft auch Vorschritt. Es verhindert die diktatorische Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit - erlaubt es aber dafür der Minderheit oft, die Mehrheit zu blockieren und zu drangsalieren.  Es hat sich auch im Diskussionsforum Demokratie gezeigt, dass für die meisten Diskutieren immer noch heisst, den Gegner nieder zu machen. Optimierung ist ein schwieriges Ziel und bedarf noch einiger Denkarbeit, bis wirklich funktionierende komplexere Modelle einer aktiven, gestaltenden Politik vorgeschlagen werden können.

An Stelle von Kulturparlament könnte man das Ding vielleicht auch Explikative nennen. Heute basiert die Staatsordnung auf 3 unabhängigen Gewalten:

Seit langem gelten die Medien als 4. Gewalt - und dies nicht zu unrecht. Jede Staatsführung muss die Bürger mitnehmen, die Diktatur kann hier etwas "straffer" vorgehen, aber auch sie nicht auf Dauer ohne ein gewisses Verständnis und eine minimale Akzeptanz bei den Betroffenen. Vollends entscheidend werden Medien in der Demokratie, die nur über und mit, aber nie gegen, Mehrheiten beschliessen kann. Die Botschaften und Anliegen der Regierung müssen also vor das Volk getragen werden. In einfacher Sprache vor das einfache Volk, in präziser und vollständiger Formulierung vor das etwas kompliziertere Volk, vor allem die Intellektuellen, sonst gibt's Ärger. Erst durch die Vermittlung wird manche Staatstätigkeit verständlich und akzeptabel. Die absolute Zuordnung der 4. Gewalt zu "Medien" fasst allerdings etwas zu kurz. Begriffe, Zusammenhänge, Bedeutungen und auch Werte werden uns in erster Linie nicht von den Medien, sondern von Familie, Freunden, Arbeitskollegen, dem Betrieb, der Forschung, Wissenschaft, Philosophie, der Kirche, der Tradition etcetc. vermittelt. Ich möchte darum all diese zusammenfassen zur Explikative, also zu den Organen, die uns etwas begreifen, verstehen und werten lassen. Das ist etwas komplizierter als es auf den ersten Blick aussehen mag, vor allem weil der exklusive Erklärungsanspruch heute von den Wissenschaften usurpiert ist ... die dabei allerdings andauernd und konsequent vergessen, dass das Ziehen von Schlüssen, Entscheidungen, 1. frei und 2. allenfalls an Werte gebunden ist, sich aber nicht durch Wissenschaftliche Wahrheiten umgehen lässt. Obwohl seit Max Webers Wertfreiheitspostulat nun 100 Jahre vergangen sind, herrscht heute im Dialog zwischen wissenschaftlicher, philosophischer, künstlerischer, überbrachter, religiöser und anderer Wahrheitsformen immer noch das selbe Chaos. Eine klare Aufteilung in wissenschaftliche Tatsachen und Fakten (= Sachzwänge, Machbares, Notwendiges, als Auftrag zu verstehendes, nach Weber durch Bürokratie zu erledigendes), individuelle oder gruppenspezifische Werte (in Religion, Politik, Tradition festgelegt) und noch frei entscheidbarer Zukunft, also der wünschbaren Utopie als Ziel.

Mit dem Ziel einer Explikative können wir nun auch die Kritik am Kulturparlament präziser fassen. Diese muss nämlich von der Politik eben so unabhängig bleiben können wie von der Wirtschaft, denn sie muss vermittelnd beide kritisieren und eine Gesamtschau produzieren können. War das nicht mal Aufgabe der Uni-versität, denn der Begriff bedeutet eigentlich: Gesamtheit der Lehrenden. Theoretisch vielleicht, in der Praxis kaum je. Die Universität ist, mehr Pluriversität, zersplittert in tausende von Disziplinen, deren Vertreter untereinander bereits kaum kommunizieren und die die Öffentlichkeit im Maximum ab und zu mit einem Event bei Laune halten. Zudem schliesst die Universität als Organisation wissenschaftlicher Forschung und Lehre die Werte ja eben gerade aus. Die Explikative, als gesellschaftliche, aber nicht-staatliche (vor allem unbürokratische) und nicht-gewinnorientierte Organisation, als Forum das Wissenschaftler, Philosophen, Glaubenslehrer, Künstler - und die Medien - zu einer fruchtbaren Synthese zusammen führen kann, wäre noch zu schaffen.

Ergänzung vom 23.1.09: Ich hab nun nach laaangen Jahre mal wieder Erich Fromms Haben oder Sein gelesen und verarbeitet. Erst dabei ist mir aufgefallen, dass Fromm ja so was ähnliches wie ein Kulturparlament schon lange zuvor vorgeschlagen hatte:

Ein oberster Kulturrat ist ins Leben zu rufen, der die Aufgabe hat, die Regierung, die Politiker und die Bürger in allen Angelegenheiten, die Wissen und Kenntnis erfordern, zu beraten.

Ihm ging es dabei vor allem um die richtige, d.h. wahre Information von den Gruppen, die per Basisdemokratie Politik betreiben, d.h. die Gesellschaft aufbauen, nicht beherrschen. Vielleicht wäre es doch zu empfehlen, wieder beim Original anszusetzen und das Konzept Fromms weiter zu entwickeln, als die gegenwärtige Finanzkrise mehr als deutlich zeigt, dass unser System sogar ganz oben (oder gerade ganz oben, wo's nur noch um Geld geht) an Grenzen gestossen ist, deren Ueberwindung kaum erwünschbar scheinen.

5.6 Die Modellbauer: Die Humanökologie

Solche Modelle werden heute vor allem in der Humanökologie [Kulturökologie, Kulturanthropologie, soziale Ökologie und weitere Synonyme s. http://www.iff.ac.at/socec/backdoor/lv_HH/VO_Sozoek_HH_3.pdf] vor-gedacht. Lassen Sie mich drum erst mal diese "Disziplin" kurz vorstellen:

Die spezielle und dadurch im akademischen Bereich äusserst problematische Position verdankt die Humanökologie der Tatsache, dass sie sich eigentlich als einzige "Wissenschaft" bisher, d.h. seit der unseeligen Trennung in Natur- und Geisteswissenschaften im Laufe des 19. JH, diese Bereiche wieder zu vereinen und sich, was Handlung betrifft, der dafür geeigneten Orientierung am Geist bedient, den sie eben mit Hilfe geisteswissenschaftlicher, ideographischer Ansätze untersucht. Sie versucht also "Interdisziplinarität" auf der höchsten Stufe zu leisten ... was Anstoss erregt und bisher, ehrlich gesagt, auch nicht gelungen ist. (Detailliertere Begründung s. Die Suche nach der guten Welt-Ordnung)

Definition Humanökologie:

Die akademische Dispziplin (Disziplin ist etwas euphemistisch, denn Dieter Steiner, Prof. em., situiert selbst die Humanökologie zwischen Soziologie und Philosophie) der  Humanökologie befasst sich mit den Beziehungen zwischen Menschen und ihrer (natürlichen) Umwelt. Die zentrale Frage ist: Wie gehen Menschen und die menschliche Gesellschaft mit der Natur und mit ihrer Umwelt um. [> Kulturwissenschaften].

http://www.nationmaster.com/encyclopedia/Human-ecology

weitere Definition: http://de.wikipedia.org/wiki/Human%C3%B6kologie 

Die neuere Humanökologie befasst sich mit der Mensch-Umwelt-Problematik und versucht dazu, eine disziplinenverbindende, integrative Perspektive zu entwickeln.

Und der Mensch ist ja nicht nur ein Natur-, sondern auch ein Kulturwesen, das sich aus unmittelbaren ökologischen Abhängigkeiten befreit hat und deshalb die Bedeutung von Umweltphänomenen flexibel interpretieren kann.

Insbesondere haben die Steigerung der Stoff- und Energieflüsse zu einem Ausmass geführt, das die Intaktheit der Lebensgrundlagen des Menschen und seiner Mitwelt bedroht [s. CO2 und global warming]. Deshalb ist ja auch die Frage von Nachhaltigkeit zu einem zentralen Thema geworden. So gesehen ist die sog. ökologische Krise keine Krise der Natur, sondern eine Krise unserer Kultur (GLAESER, 1992). In der Schweiz wurde Humanökologie an der ETH betrieben von 1985 bis 1998 aus sozialwissenschaftlichen bis philosophischen Perspektiven. Wegen ihres ausgesprochen interdisziplinären Charakters konnte sie noch keinen festen Platz in der wissenschaftlichen Landschaft einnehmen. Die übliche Wissenschaft hat ihre Erfolge ja gerade als Konsequenz ihrer Fragmentierung gefeiert, während die Humanökologie eine integrative Sichtweise verlangt, und eine solche wird automatisch einen partiell «unwissenschaftlichen», heuristischen Charakter haben. (vgl. STEINER, 1997).

Was Steiner hier zwar klar sagt, wurde jedoch von allen, von der ETH, von mir, und sogar von Steiner selbst, zu wenig ernst genommen. Humanökologie ist keine naturwissenschaftliche Disziplin, sondern Philosophie, präziser Poietik: gestaltende Erkenntnis. Dazu gehört auch das zweite erwähnte Feld, die Soziologie (s. optimale Gesellschaftsmodelle), insbesondere in ihrer aktiven Form. Diese Art von "Wissenschaft" hat ihre Anerkennung noch nicht gefunden und lebt am Rande, was wenig wundert. (Das Problem wurde erstmals von Vico erkannt, aber seither nicht gelöst.)

Was Vico (1668-1744) als unzulässigen Transfer de "Methode des wissenschaftlichen Urteils (scientia) auf die Praxis der Klugheit (prudentia) kritisiert .., hat in eben dieser materialen Problemdifferenz zwischen theoretischen Wissens- und praktischen Handlungsfragen seinen Grund, eine Problemdifferenz, die entsprechen differente Methoden (critica-topica) erforderlich macht und entsprechend differente Arten - nicht Grade - von Gewissheiten zulässt (vera-verasimilia), denn "das praktische Wissen ist eine­ andere Art Wissen" es ist kein blosses Resignationsideal (Gadamer S. 18)."

Vico formuliert: "Und darin besteht eigentlich der Unterschied zwischen Wissenschaft und Klugheit, dass in der Wissenschaft diejenigen gross sind, die von einer einzigen Ursache möglichst viel Wirkungen in der Natur ableiten, in der Klugheit aber diejenigen Meister sind, die für eine Tatsache möglichst viele Ursachen aufsuchen, um dann zu erschliessen, welche die wahre ist."

Breuer, D / Schanze, H (Hrsg.): Topik. Beiträge zur interdisziplinären Diskussion.  Wilhelm Fink Verlag. 1981.

Naturwissenschaftler halten meist bereits wenig von Sozial-, noch weniger von Geisteswissenschaften - also verstehen sie vom philosophischen Ansatz gerade gar nichts. Die andern Wissenschaften, sogar die Philosophie, eifern ihnen aber nach. Wenn man an einer naturwissenschaftlichen Umgebung wie der ETH mit philosophischen Mitteln arbeitet, tut man das entweder an Abteilung 12, oder man wird kaltgestellt. Das Verständnis für poietische Wissenschaft und ihre Grundlage, Phronesis/Prudentia, die Weisheit, sind abhanden gekommen ob technisch-wirtschaftlichem Machbarkeitswahn und Produktionszwang.

Zu Zeiten, als die Umwelt ein wichtiges Thema war (Waldsterben ...), wurde gar das humanökologische Sandwich kreiert, nach dem die höchste Ordnung die natürliche Ordnung sei. Also Natur unten, als Basis, Natur oben, als Orientierungsstruktur. Hat mir nie so ganz behagt, dazu ist mir selbst die Natur zu brutal (s. Neoliberalismus, der ganz auf natürliche Koevolution setzt). Nehmen wir aber die Idee des Urhebers der Idee, Robert E. Park, so sehen wir, dass er eine moralische Ordnung an die Spitze setzt. Unglücklicherweise ist Moral in der Postmoderne ein derart abgelutschter und uncooler Ausdruck, dass fast jeder denkt, da müsse ein Spiesser am Werk sein.

Sehen wir uns allerdings die Bedeutung des Begriffs Moral an, so wird klar, dass er eigentlich steht für Optimierung des Guten, die bewusste, weise Wahl der besten Lösung - allerdings nicht wie in der Ökonomie der funktionell besten Lösung, auch nicht wie in der Politik, der machtoptimalsten Lösung, noch weniger wie in der Natur, der Sieg der best-angepasstesten Lösung  (survival of the fittest) ... oder eben doch? The fittest, der am besten Angepasste, ist ja nicht unbedingt der Stärkste, also der Tiger, sondern der, der seine Nische zu finden und zu nutzen weiss, sich am besten in ein Subsystem integriert - und dies auch nicht unbedingt alleine, sondern vielleicht eben gerade kooperativ oder gar kollektiv, wie die Ameisen.. Wurde die oberste Ordnung bis zur Renaissance (in Europa) von der Religion definiert, wurde diese danach von Politik und heute von Wirtschaft abgelöst, was den Untergebenen zunehmende Freiheit verschaffte. Daher auch die Idee, dass die freiste Ordnung die natürliche Ordnung ist, und dass diese die wirtschaftliche Ordnung ersetzen sollte. Wir sehen hier aber ein Problem, dass sich allerdings historisch analysieren lässt. Die frühen politischen Ordnungen wurden sehr stark durch die religiöse Ordnung kontrolliert. Von den Griechen bis ins Mittelalter und weit in die Neuzeit gehörten politische Wissenschaften wie auch die Ökonomie ins Hauptfach Ethik. Mit einer solchen Politik oder Wirtschaft lässt sich regieren und leben - nicht aber mit einer Politik die nur noch Macht optimiert, und noch weniger mit einer Wirtschaft, die zur rationalen Produktivätstechnik reduziert wird - und am allerwenigsten mit einer Ökologie, die als das Überleben des Stärksten verstanden wird. Die Subsysteme, und die Menschen, als kleinstes Element dieser Ordnungssysteme, müssen sich frei entwickeln können. Freie Entwicklung darf aber nicht zu krebsartigem Wuchern verkommen, d.h. sie darf keine lebenswichtigen Strukturen der übergeordneten Systeme bedrohen und nicht dem Gesamtziel, der Erhaltung, dem Gedeihen, dem Wachstum, dem guten Leben, widerstreben. Wir könnten und sollten vielleicht hier den Ausdruck moralische Ordnung ersetzen durch Gott, Ethik, dem summum bonum, dem Maximal denkbaren Guten ersetzen. Mit letzterem Begriff sollten sogar die Atheisten leben können. Diejenigen die gleich wieder was von wegen Gutmenschen wäffeln, sollten mal ein philosophisch-historisches Lexikon zur Hand nehmen. Sie kämen sofort dahinter, dass das, was sie heute als Werte bezeichnen, früher einfach das Gute hiess. Die von Konservativen so gelobte Werthaltung wäre also, wäre man ehrlich, nichts anderes als eine Orientierung am Guten - und nicht an Wettbewerb, Profit, Herrschaftssicherung. Also auch sie Gutmenschen ... (na ja, schön wär's doch, nicht?). Im übrigen gilt Emmanuel Levinas' Aussage: Und wenn niemand gütig ist aus freien Stücken, so ist doch auch niemand Sklave des Guten ... eine Aussage die sich nicht so einfach auch auf Lohn oder Geld generell erweitern liesse ...

An der Spitze der umgekehrten humanökologischen Pyramide, also das Basisbrötchen des humanökologischen Sandwiches bildend, stehen (na ja, liegen) also eigentlich weder Moral noch Natur, sondern die Weisheit, Urziel allen Philosophierens.

Nachtrag 25.3.07: Die Beschäftigung mit dem Phänomen der Raubritter, also der natürlichen Ordnung durch Stärke, zeigt am besten die Grenzen der ökologischen Ordnung. Bereits Jane Goodall musste, nicht ganz so zu ihrer Freude, feststellen, dass Schimpansen extrem gewalttätig sein können. So gehört es zum Alltag der Schimpansenmännchen ( he jo drnoo ...), immer wieder Streifzüge entlang der Grenzen des Reviers zu unternehmen, wobei "fremde Fötzel" erbarmungslos angegriffen und niedergemacht werden, was oft zu tödlichen Verletzungen führt. Jane Goodall hat das beklagt und fragt sich, ob die nicht sich besser durch ebenfalls vorhandene Warnsysteme durch Trommeln etc. sich besser ausdrücken könnten. Dies deutet auf frühe Elemente von Kultur sogar bei Schimpansen ... zeigt aber auch, dass die Lösung von "sozialem Zusammenleben" über Kultur, nicht über Macht erfolgen muss. Und Kultur ist nun mal ein menschliches Produkt und kein natürliches. Wenn der Mensch sein Verhalten an Affen oder andern Tieren orientieren muss, muss er extrem auf den Hund gekommen sein, d.h. es muss wirklich extremes passiert sein, worauf etwa der Film "Der Planet der Affen" ja präzise basiert. Für humane Ordnungssysteme brauchen wir also den Überbau der Kultur ... der allerdings durch das Kulturbusiness extrem verhunzt wurde und wird, da es in dem Bereich vor allem um die Produktion distinktiver überflüssiger Elemente geht, die der Oberschicht zu mehr "Distinktion" verhelfen, sich aber je länger je weniger am wirklichen Problem der Kultur orientieren: Dem systemischen Management  des Gesamtorganismus Menschheit, inklusive seiner sozialen und natürlichen Umwelt und seiner geistigen Orientierungen.

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Kritik:

Parlamente erlassen mehrheitsfähige Gesetze - die Optimierung komplexer Systeme erfordert aber Anstoss durch Dissens, also Information!

Oben dargestelltes Modell von Johannes Heinrichs löst das Machtproblem und das Problem der Banalisierung komplexer Probleme durch Massenpolitik. Es steht allerdings dort immer noch an, woraus es seine Innovationskraft bezieht, nämlich beim Problem des Managements komplexer Systeme. Durch den parlamentarischen Ansatz wird das Machtproblem über Konsens, im besseren Fall, durch Mehrheit im schlechtern, zwar gelöst. Die Aufgabe von Parlamenten ist es jedoch, Gesetze zu erlassen. Ein komplexes System wirft da gleich mehrere Probleme auf:

  1. Muss die Lenkung jedes Teilsystems eben diesem System angepasst sein. Die Regulierung muss jedem Teilsystem ein optimales Funktionieren erlauben, darf also nie zu sehr ins Detail gehen. Jedes Teilsystem braucht ausreichend Freiheitsgrade um auf extern wie intern verursachte Schwankungen reagieren zu können (s. Problem der Einheitswährung in Europa, die den Arbeitsmarkt belastet, den Finanzmarkt entlastet).

  2. Lässt sich ein komplexes (chaotisches) System nicht gezielt in eine Richtung lenken, sondern bloss zur Selbstkorrektur und Selbstheilung anstossen, d.h. therapieren. Therapieren heisst aber, das System durch die Kraft des Dissenses anzustossen (normalerweise ist hier der Unterschied zwischen Selbstbild und Fremdbild gemeint). Im komplexen System Natur, Gesellschaft, Wirtschaft heisst das, das die unterschiedlichen Ziele, Methoden und Wirkungen gegeneinander austariert werden müssen, was eben der unvorhersehbaren Auswirkungen der Eingriffe wegen äusserst schwierig ist.

  3. Dissens und Kritik, nicht Analyse und Synthese, wären eigentlich Grundlage der Wahrheitssuche (und der Wissenschaftlichkeit): Das erdachte oder geschaute Modell wird aus allen Perspektiven mit kritischen Fragen beschossen, wo's geht experimentell überprüft. Nur das schafft einige Verlässlichkeit, dass das erdachte Modell die Realität einigermassen treffend abbildet. Je schärfer die Kritik, je grandioser die Niederlage der Kritik, um so mehr darf man sich auf das Modell, die vorgeschlagene Lösung, verlassen. Das macht den Unterschied zwischen Wissenschaft und Propaganda (und sonstigen Meinungsäusserungen). Eine Wissenschaft jedoch, die bereits bei der Projekteingabe weiss, was das Resultat zu sein hat, kann dieser Anforderung kaum gerecht werden.

  4. Unstimmigkeiten aufdecken, einseitige Sichtweisen korrigieren, die Leser umfassend zu informieren, wäre die Aufgabe der Presse. Eine Presse, die, wie etwa die konservative Presse der USA, vorbehaltlos alles unterstützt was von Seiten der Regierung kommt, tut der herrschenden Partei zwar einen Gefallen, indem sie für Mehrheit sorgt. Sie schädigt aber die Gesellschaft, da sie die eigentliche Funktion der Presse hintertreibt: Die Kritik, die strenge argumentative Prüfung der vorgeschlagenen politischen Lösungen oder Unternehmungen. Eine derartige Presse fungiert eigentlich als PR-Organ und sollte von den entsprechenden Parteien finanziert oder verstaatlicht werden, denn sie trägt nichts bei zur Wahrheitsfindung, ist für die Verbesserung der Systemintegration von Ordnungsmodellen also höchst überflüssig.

Wir erkennen hier ein Problem, das die Presse mit der Politik gemein hat: Beide brauchen Mehrheiten um sich finanzieren und durchsetzen zu können. Welcher Leser kauft schon eine Zeitung die heute links und morgen rechts argumentiert. Welcher Bürger unterstützt schon eine Partei deren Motto ist: Wir entscheiden von Fall zu Fall ... obwohl dies eigentlich das einzig richtige Motto wäre? Presse und Parteien können also den Schwarzen Peter an Leser und Mitglieder weitergeben, die nach klaren Meinungen verlangen, aber Lösung ist das auch keine.

So werden Politik wie Presse immer stärker marktorientiert - was beide vermutlich, welch zynischer Hohn, noch als Lob auffassen. Durch die Marktorientierung geht aber die bewusste, gezielte und vor allem die optimale Gestaltung unter. Und durch die Konzentration von Macht bei gewissen Parteien oder Medien geht die Kritik unter. Man verkauft das, was von einer Mehrheit der Konsumenten gewünscht wird. Die Konzentration der Macht bei wenigen Parteien lässt das potential an alternativen Lösungen und Vorschlägen, wie aber auch an Kritik, schwinden. Es werden als Politik immer wieder die selben Rezepte aufgewärmt (mehr Wettbewerb, mehr Wachstum etc.) und die Schlagworte wiederholt (Gutmensch <> asozialer Pfeffersack). Je grösser also Medienunternehmen werden, desto erfolgreicher können sie am Markt operieren. Je grösser aber Medienunternehmen werden, desto mehr wird Meinungs- und Informationsvielfalt zum kommerziellen Mehrheitseinheitsbrei.

Die Auseinandersetzung mit dem Problem eines guten Ordnungsmodells bringt uns also zu einer recht seltsamen aber wichtigen Erkenntnis (wenn leider auch noch nicht zur Lösung der Probleme):

Für das Gedeihen (das wirtschaftliche wie soziale, und zudem nachhaltige) der Gemeinschaft braucht es nicht mehr Solidarität, nicht mehr Akzeptanz und schon gar nicht mehr Gehorsam - aber auch nicht mehr Individualismus, Wettbewerb, Kritik und Widerstand.
Es braucht ein ausgewogenes und konstruktives Zusammenwirken von beidem!

Und hier ist fraglich, welche Organisation(en) dies leisten können. Welche Zeitung kann schon mit der selben Glaubwürdigkeit ein soziales Modell und wirtschaftliche Effizienz vertreten? Welche Institution kann ein Modell gleichzeitig als optimale Lösung vorschlagen und gleichzeitig diese Lösung mit schärfster Kritik zu "bodigen" versuchen? Das mag wohl nur einem ausgereiften Zyniker gelingen ... allerdings ist das Ausgereifte, genau wie der Zynismus, nicht jedermanns Sache (denken Sie bloss an den Geruch eines wandelnden Camemberts oder gar Münsterkäses, oder ein gut gelagertes ... blaugrünes ... Steak.) Auf die Optimierung zwischen Kritik und Konsens werden wir wohl noch einigen Gehirnschmalz verschwenden müssen. Vielleicht müssen wir einen neuen Typ von Parlament erfinden, das verlässliche Orientierung liefert, ohne diese gleich als Gesetz festlegen zu müssen, ein Parlament, das eher mit Anreiz- und Vergällungsystemen statt mit Gesetzen arbeitet. Der Rat, den Willke als Systemtheoretiker gibt, lautet: Die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften macht es erforderlich, von direkter, zentralisierter, hierarchischer und autoritativer Lenkung abzulassen und auf eine kontextuelle, heterarchische und diskursive Steuerung umzustellen. So betrachtet wäre der vierfache Pfad doch ein Erfolg versprechender Einstieg in die postpostmoderne Gesellschaft des Konsensdialogs die vermittelt statt zu befehlen.

Martin Herzog, Dipl. Forsting. ETH, Webredaktor, Rheinfelden, 24. September 2004

p.s: Apropos natürliche Ordnung. Das humanökologische Konzept bei dem die Ökologie die Basis darstellt wie die höchste Sinngebung liefert, Mensch, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur quasi nur als Sandwichfüllung existieren, widerstrebt mir. Auf Grund meiner langjährigen Aufenthalte im Orient ist die Natur für mich allenfalls ein Geschenk und Werk Gottes, sie kann aber nicht die Aufgabe Gottes übernehmen, zumindest nicht im Islam. Hier unterliegt die Humanökologie unter einem beträchtlichen westlichen cultural bias.

Das Konzept der Freiwirtschaft mit ihrer natürlichen Wirtschaftsordnung muss zu einer Definition von natürlich greifen, die doch bereits ziemlich kultiviert ist:

Eine natürliche Wirtschaftsordnung wäre eine, der Natur des Menschen entsprechende, freiheitliche (liberale) Ordnung, die aber kooperative oder kollektive Betriebsformen nicht ausschliesst.

Generell dürfen wir wohl sagen, was die natürliche Ordnung betrifft (Details s. Link oben):

Wir wollen Natur, aber wir wollen als Menschen keine natürliche Ordnung. Wir wollen Kultur!


5.7 Umfassende Technologie- und Verschulungskritik von Ivan Illich und sein Modell der Convivialidad



 

Umfassendere Theorien - die vom herrschenden Mainstream der Machtökonomie untergebuttert, veräppelt (über den verächtlichen Nachruf zum Anlass Illichs Todestag 2002 in der Weltwoche ärgere ich mich heute noch: Hätte lieber was vernünftiges gearbeitet und gespart. Was hat er nun von seinen Initiativen? Verarmt, tot und vergessen.     )  und verdrängt wurden. Genau so erging es übrigens Marshall Sahlins, einem heute weitgehend unbekannten Oekonomen und Mitstreiter Illichs, der die Fiktion des Homo oeconomicus kritisch analysierte.

Ivan Illich, geboren 1926 in Wien, war katholischer Priester (Theologe, Rom), Historiker (Salzburg), Kristallograph (Florenz) und Philosoph (Rom). Vater katholischer Kroate, Mutter lutherisierte amerikanisch-spanische Jüdin), aktiv in der Theologie der Befreiung. Er setzte sich ein für die Befreiung der Armen - von Armut wie Unterdrückung. Eine Zeitung die sich nicht entblödet, einen Priester wegen sozialen Engagements zu verarschen, ist ganz eindeutig eine blöde Zeitung (Eine Behauptung, die auch durch den Umgang der Weltwoche mit dem Islam belegt wird). Es ist aus verschiedenen aktuellen Anlässen höchste Zeit, Illich wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken:

Der wirtschaftlich-kulturelle Neokolonialismus: Illich sprach Serbokroatisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Griechisch, Lateinisch, Japanisch, Hindi, und befasste sich mit der chinesischen Kultur, arbeitete aber vorwiegend in Mexiko und Costa Rica. Er sah die Horden an US-Volontären des Peace Corps, katholischer und protestantischer Missionen und anderer Institutionen, wie sie den Amerikanischen Traum in Südamerika verbreiteten, und für die meisten Armen zum Albtraum werden liessen. Um 1970 schwärmten 10% der Priester und anderer religiöser Lehrer der USA als Volontäre durch Zentral- und Südamerika.  Das selbe findet heute noch statt (Evangelikale), auch hier, wenn auch unauffälliger. Da werden Regionen, in denen Handel seit Menschengedenken einen kräftigen Anteil Korruption enthält, mit Buchhaltungsprogrammen, westlichen Konzepten von Produktion, Distribution, Organisation und Verwaltung beschult, also Kenntnissen, die lokal überhaupt nicht einsetzbar sind, aber helfen, dem westlichen (kapitalistischen) Modell Boden zu verschaffen. Kritik am transponierten System? Anpassung an lokale Verhältnisse? Pustekuchen! (s. knowledge management in den Entwicklungsorganisationen). War früher die Kirche (die katholische wie die protestantische gleichermassen, wenn auch mit etwas unterschiedlichen Konzepten) das Vehikel, dass den Kapitalismus über die Welt verbreitete, so sind es heute die Entwicklungsorganisationen, und nicht bloss die grossen darunter wie die Weltbank, der IMF, Unesco, Unicef, FAO und dergleichen. All diese Organisationen fordern Unterwerfung unter ihre Bürokratien (worunter der Vatikan die feudalste sein dürfte), wenn die Vasallen Kredite wollen. Das feudale Herrschaftssystem der Postmoderne funktioniert zwar nicht mehr über Bodenbesitz, aber dafür um so umfassender und genereller über finanzielle Beziehungen, inklusive Lohnabhängigkeit (s. die Bedeutung von Armut im Mittelalter). In der Marktgesellschaft ist es für den Einzelnen unmöglich geworden, sich etwas zu wünschen ... es seinen denn eben die Dinge, die der Nachbar besitzt, die sich andere leisten können - nicht aber Dinge, die der Markt nicht anbieten kann oder will, wozu das meiste gehört, das zum eigentlichen wohlbefinden beiträgt (s. Wohlstand, Glück und Zufriedenheit). Es sind die Experten, die Beamten in Staat und Wirtschaft - und die Werbeindustrie, die definieren, was erfüllbare und notwendige Bedürfnisse sind. Der Rest wird als Utopie deklassiert. Utopie (insbesondere die soziale Utopie) ist kein wünschbares Ziel mehr, sondern für die Wirtschaft das, was im Mittelalter die Häresie für die Kirche war. Nur was sich marktwirtschaftlich anbieten lässt, verdient noch die Würde, rationales Bedürfnis genannt zu werden. Andere Projekte sind unzulässig. Diese Beschränkung der Bedürfnisse auf marktfähige wird praktisch absolut durch die Privatisierung. Und hier zeigt sich die Grenze des Wettbewerbskonzepts. Während Wettbewerb für die Versorgung mit Gütern positive Wirkung zeigt, lässt sich eine Gesellschaft nicht primär auf Konkurrenz aufbauen, sondern braucht den optimalen Mix zwischen Konkurrenz und Kooperation - und die Zulassung für Bedürfnisse, die eben auch nicht marktwirtschaftlich sind, wie die meisten echten Bedürfnisse. Bereits bei den echten die markwirtschaftlich gedeckt werden wie Nahrung und Wohnung, zahlt der Staat über die Sozialhilfe und Sozialversicherungen dort, wo der Markt die Existenz verunmöglicht (s. working poor). Da sich der Ausschluss immer weiter ausweitet, steigen die Kosten beim Staat entsprechend, während die Einnahmen auf Grund des selben Prinzips, Wettbewerb bei den Steuern, dauernd sinken. (s. Probleme, Kosten und Erträge der Sozialversicherungen)

 Die Lateinamerikanische Bewegung der Theologie der Befreiung wollte die Menschen nicht mehr als Schafe sehen, die von einem guten Hirten geführt werden, sondern sie in Selbständigkeit und Freiheit führen. Ursache dafür waren zwar wohl lokale Diktatoren ... die aber in praktisch allen Fällen von den USA wohlwollend unterstützt wurden, solange sie sich gegen den Kommunismus aussprachen. Heute sehen wir präzise das Selbe. Auch heute verbreiten die USA die "Freiheit" nur dort, wo ihre Herrschaft, ihr Wirtschaftssystem und ihr Einfluss auf Widerstand stösst. US-freundliche Diktatoren dürfen ihre Geschäfte unbehelligt weiter betreiben. (US-unfreundliche meist auch, falls ihre Gegend wirtschaftlich uninteressant ist, also keine Erdölreserven oder ähnliches aufweist.)

Illich dürfte hier, wohlgemerkt vor 35 Jahren, also lange bevor er zum Thema wurde, die Ursachen des "Krieges der Kulturen" beschrieben haben:

Während katholische und protestantische Priester die US-Kultur weltweit verbreiten konnten - mit dem Anhängsel Kapitalismus (als Macht-, nicht als freie Marktwirtschaft betrieben) - sind sie islamischen Bereich, insbesondere den arabischen Ländern, damit total gescheitert. Das US-Modell hatte und hat dort keine Chance. Der Ärger ist also mehr als verständlich - was aber noch lange keine Berechtigung für Kriege ergibt.

Die Verschulungsideologie, basierend auf der irrigen Meinung, dass bessere Bildung allen zugute kommen kann:  Illich vergleicht den Zwang zu mehr Bildung mit dem zur Mobilität. Genau wie durch Strassenbau nur bestimmte Regionen besser gestellt werden, kommt auch die allgemeine Bildung nur einem sehr beschränkten Teil der Bevölkerung wirklich zu gute. Das tönt heute absurd. Genau so wenig wie man heute den Wettbewerb kritisieren kann, ja noch weniger, kann man eigentlich den Ruf nach mehr Bildung kritisieren. Hier tut es gut, sich mit Illich zu beschäftigen, der das Problem wirklich aus der Perspektive der Armen in unterentwickelten Ländern betrachtet hat - und gerade deshalb kritisch eingestellt ist gegenüber immer mehr Bildung. In Lateinamerika gelang es damals nur 27% von der Primarschule in die Sekundarschule - und davon nur 1% zu einem Diplom. Dennoch kostete das die Regierungen 18-30% ihres Budgets. Vergleichen wir diese Zahlen mit denen rechts, scheint das Problem für Europa harmlos.

neuere Zahlen
 

Wenn Sie allerdings daran denken, dass 5% eines BIP in Europa in manchen Entwicklungsländer 100% des gesamten Budgetwertes darstellen, wird das Problem verständlicher. 

Detailliertere Daten in: http://www.oecd.org/dataoecd/52/9/37392156.pdf
Da dies dennoch meist nur ausreichte für ein relativ tiefes Niveau, Schule aber, wie Betriebe, nach "Leistung" urteilen, kommen nur die weiter und zu Erfolg, die sich dem angebotenen geringen Geist unterwerfen. [Haben Sie gestutzt? Scheint Ihnen der Satz absurd? Das kommt davon, dass Sie sich vermutlich nie ernsthaft mit dem Begriff Leistung auseinander gesetzt haben. Leistung ist per definitionem das gehorsame Abschreiten einer vorgegebenen Linie - und ein erfolgreiches Ausbrechen daraus geling bloss den Listigen, nicht den Arbeitsamen, nicht den Geschulten, denn diese unterwerfen sich ja genau dadurch, dass sie die geforderte Leistung vollbringen - statt nach nötigen Leistungen zu suchen.

Natürlich förderte der Aufbau des Schulsystems das BSP. Natürlich förderte die höhere Ausbildung das Einkommen einer Minderheit ... aber eben so natürlich war, dass diejenigen, die daran nicht teilhaben konnten, aus welchem Grund auch immer, nun noch weiter zurück sanken was Einkommen und soziale Stellung betraf. Es handelt sich hier um den selben Effekt, der unter dem Stichwort Restrukturierung beschrieben wurde: Je stärker die Spitze wächst, desto tiefer sinkt relativ dazu die Basis. Universitätsdiplome, Herzoperationen, Spitzemedizin, wie generell auch die modernsten Medikamente, sind ein Luxus der nur einer kleinen Minderheit zugute kommt. Parallel dazu ruinieren die Bildungsbudgets arme Länder ... und arme Familien. Wir sehen hier bei Illich das beschrieben, was man als Form-Aspekt des Bildungswettbewerbs betrachten könnte:

Die Schule wurde zur Kirche unserer säkularen Zeit. [I: S. 146]

Sie ist der Schlüssel zum Himmelreich der Stellen mit hoher Produktivität (= Lohn)

Sie sehen anhand der Graphik rechts, welch gewaltigen Kosten im Bildungswettbewerb auf die ärmeren Länder zukommen, d.h. präziser gesagt, wie aussichtslos die Situation für die meisten eigentlich ist.

Da dies nicht nur für Länder gilt, sondern auch für Familien und Individuen, fordert Illich einen gesetzlichen Schutz vor obligatorischer Bildung und vor Bildungszwang. Der Bildung darf kein prioritärer Status zugemessen werden - denn der beschränkt die Freiheit der Menschen, insbesondere derer mit geringeren Bildungsmöglichkeiten, sei es aus unverschuldeter Beschränktheit des eigenen Bildungsvermögens (s. IQ und Vererbung), sei es auf Grund fehlender finanzieller Möglichkeiten. Illich optiert für einen Bildungsgutschein, der allen ermöglichen würde, die ihnen entsprechende Aus-Bildung gemäss den eigenen intellektuellen Möglichkeiten zu nutzen. (s. multiple Intelligenz).

Die Bürger müssen davor geschützt werden, auf Grund schulischer Beurteilung keine Arbeit finden zu können, da dies nicht bloss ihre Freiheit, sondern sogar ihre Existenz beeinträchtigt. Die Überbewertung von Bildung, von schulischen Qualifikationen, führt also zu einem Verstoss gegen das erste und wichtigste Menschenrecht, das Existenzrecht.

Wer aus der Bildung ausgeschlossen wird, wegen ungenügender Leistungen, fühlt sich minderwertig, oder, falls auch nicht, wird so behandelt (falls er es nicht anderweitig zu Millionen bringt). Dass Bildung zur Gleichheit beitrage ist ein Mythos, seit langem. Vermutlich wird er zur Zeit deshalb so intensiv gepflegt (Pisa), weil gerade die generation p belegt, wie untauglich Bildung ist um Armut zu verhindern. Die persönliche Entwicklung, die Kreativität (zumindest diejenige, die sich nicht in Umsatz ausdrückt), ist längst kein Ziel dieser Art von "Bildung" mehr, die eigentlich nicht als Bildung bezeichnet werden dürfte, sondern höchstens als Ausbildung, Schulung, Training. (Falls Sie das für Synonyme halten, müsste ich das als Beweis für meine Aussage werten). Die Bildungsindustrie erfüllt den Auftrag, mehr und schneller zu produzieren, nicht aber den, die Menschen dialogfähig (was ebenfalls nicht das Selbe ist wie "überzeugend" zu verkaufen) und fähig zur Organisation in sozialen Gruppen zu machen (womit ich unter sozialen Gruppen eben etwas mehr verstehe als eine betriebliche Arbeitsgruppe. Bildung war immer vom aha-Effekt abhängig, und der ist eigentlich höchst unterhaltend. Das drückt sich sogar in der heute nur noch verächtlich gebrauchten Bezeichnung Scholastik aus, denn das griechische skhole bedeutet eigentlich Musse - die für das Denken unabdingbar ist. Aber auch diesen Charakter verliert sie in der Bildungsbürokratie, die jene als unwerte erklärt, die schwach sind im abstrakten Denken (tiefer IQ). Es gäbe allerdings auch die andere Möglichkeit, gerade in einer Demokratie .. nämlich die, dass sich diejenigen, die durch mangelnde Bildung, ja bereits durch mangelnden Zugang zur existenznotwendigen Bildung im Falle der Berufslehre, in ihrer Existenz bedroht sehen (und die bald eine Mehrheit bilden),  zusammenschliessen und klar stellen:

Diese Art von Ordnung akzeptieren wir nicht.

Wir verlangen sinnvolle, uns gemässe Arbeit, also keine Beschäftigungsprogramme,

die uns die - von der Verfassung garantierte - Existenz in Würde erlaubt.

Fazit: Um frei zu werden, muss die Gesellschaft entschult werden.

Wozu dient ein Universitätsdiplom, wenn nicht, es in den Dienst der Reichen der Welt zu stellen? (peinlich, aber wahr). Die Universität hat es länst aufgegeben, nach Wahrheit und Wissen zu suchen, sie sucht nach verkaufbarem, patentierbarem Wissen

Interessant ist, dass Illich, obwohl er selbst mindestens 8 Sprachen beherrschte, darunter eine indische und Japanisch, sich äusserst kritisch äussert über den Sprachunterricht. Er erkannte, dass das institutionalisierte Lernen in erster Linie darin besteht, die Sprache anderer Denkkulturen sich anzueignen, also die Sprache der Elite, die Sprache der Fachleute, die Sprache der Mathematik, Natur- oder anderer wissenschaftlicher Disziplinen - um damit in der Gesellschaft zu brillieren. Während dem die Ausbildung zu Bachelor eh nicht weiter führt, als Grundkenntnisse in einer dieser fremden Sprachen zu vermitteln, gelingt es dem Master zumindest, darin ein Buch "à la mode" zu schreiben. Um wirklich neue Bücher schreiben zu können, braucht es den Doktorgrad ... wenn Dissertationen so ausgeführt würden, dass sie selbständiges Denken fördern. Dummerweise handelt es sich in der Mehrheit der Fälle um nichts weiter als einen zusätzlichen akademischen Dressurakt.  Und für all diese Sprachschulung gibt der Staat Unsummen aus. Und diese Sprachdressur soll nun verstärkt bereits in die Primarschule verlegt werden. Wenn Sie sich den ISCED-Katalog (S. 14-19) an möglichen Berufs-Sprachen ansehen, verstehen Sie sofort, wie aussichtslos es ist, hier von Flexibilität zu reden oder diese gar fördern zu wollen durch vermehrte "Sprachschulung"...  Viel einfacher wäre nämlich, wenn sich all diese Sonderdisziplinen einer verständlichen Sprache bedienen würden. Warum sie dies nicht tun? Wie alle Priester ... weil die Laien sonst merken, wie wenig wirkliches Wissen eigentlich hinter dem ganzen Brimborium steckt.

Illich beschreibt diesen Bildungswahn gerne als "Programmierung" des Personals. Und er hat recht. Denn wenn Sie irgend eine Forderung der Wirtschaft an die Schulen und Hochschulen lesen, dann finden Sie nichts was irgend was mit der Bildung des Charakters, der Ausformung der persönlichen Stärken zu tun hat, sondern diese Forderungen beschränken sich auf Training zu einer funktionierenden Maschine die im Betrieb direkt, ohne "Installationskosten", produktiv eingesetzt werden kann. Wenn sich also immer mehr Menschen durch diese "Forderungen" (meist als Anforderungen verbrämt) der Wirtschaft im eigenen Lande nicht mehr zu Hause fühlen, sollten sie die Schuld daran nicht in jedem Falle bei sich selbst suchen, sondern vielleicht mal nach der Berechtigung solcher Forderungen fragen, nach der Berechtigung der Wirtschaftsführer, einfach einen substantiellen Teil der Bevölkerung zu "Invaliden", der Anstellung unwerten, zu erklären. Hier müssen auch die Schulen, Lehrer und Professoren kritisiert werden, die sich zu getreuen Vasallen der Wirtschaft machen und die Auszubildenden zu Rädchen dressieren, statt zu Menschen zu bilden. Diese Menschenprogrammierung macht den Menschen zum Werkzeug der Produktion, statt die Produktion als Werkzeug zur Verbesserung seines Lebens zu nutzen.

Illich hat ebenfalls den neusten Gag der Dressur, das lebenslange Lernen bereits angesprochen - als Notwendigkeit des Technofaschismus. [I. S. 570]

Geschwindigkeit der Fortbewegung nach Zeit-Kosten der Beschaffung des Transportmittels:
  Fahrrad Citroen 2CV Simca 1301 Citroen DS 21
obere Kader 14 14 14 12
Angestellte 13 12 10 8
Arbeiter 13 10 8 6
Landwirtschaftsarbeiter 12 8 6 4

Technologiekritik: Illich war (und ist vermutlich immer noch) der versierteste Kritiker der Fortschrittsideologie. Er hat die Absurdität der Mobilitätsideologie daran gezeigt, dass sich ein Autofahrer langsamer bewegt als ein Radfahrer, rechnet man die Zeit, die er bedarf um Auto, Versicherung, Benzin zu bezahlen, + Reinigung, Parkplatzsuche, Staus, Reparaturen hinzu. Er machte bereits 1970 darauf aufmerksam, dass der Westen mit weniger als 10% der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte der Ressourcen verbraucht und 90% der Verschmutzung produziert. Diese Art von "Fortschritt" bringt also technisch betrachtet wohl Beschleunigung - aber keine Zeitersparniss, also nicht mehr Wohlstand, der sich immer auch in Musse ausgedrückt hat. Die Wohlhabenden waren mal die Müssiggänger, die von den Zinsen und Renten leben, Bedienstete, Köche, Personal anstellen um gut zu leben. Heute ist das allgemeine Ziel auch hier nur noch die Beschleunigung, das Wachstum, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf Wohlstandsverluste: Längere Arbeitszeiten, härtere Arbeitsbedingungen, spätere Pensionierung, höhere Risiken, auch gesundheitlicher Art etcetc. Man redet zwar immer noch von einer Sicherung des Wohlstandes, betreibt aber reine Wachstumsbürokratie, mechanische Beschleunigung der Produktion und der Profitvermehrung. Und gerade weil sogar letztere heute elektro-mechanisch möglich ist, trägt sie zur Förderung des Wohlstandes der Mehrheit rein gar nichts bei, im Gegenteil. Dieses Herrschaftsprinzip der economy of scale, der Massenproduktion, kann nur unterlaufen werden, wenn sich die Massen weigern, Massengüter zu kaufen.

In "Le Travail Fantôme" macht er auf den Unterschied von mechane (gr.) und fabrica hin. Fabriziert werden Dinge des normalen lokalen Alltagsbedarfs, mechanisch hergestellt primär die seltsamen Dinge, Dinge für andere, Dinge für den Export. Je mehr wir auf Export setzen, desto mehr arbeiten wir also a) für andere und b) an Dingen, die mehr oder weniger seltsam sind. Es wundert also, aber auch nicht, dass gerade in den exportorientiertesten Wirtschaften wie der Schweiz, Deutschland, Dänemark und den Niederlanden die Fremdenfeindlichkeit immer wieder hoch kocht, denn irgendwie spüren die Ausgeschlossenen, dass wir fremdartiges für "Fremde" produzieren ... sie übersehen aber dabei, dass dies durch lokale Firmen organisiert und gefördert wird. Globalisierung war nicht die Erfindung von Negern und islamischen Terroristen, sondern von grossen Firmen in den Industrieländern, die neue und immer grössere Märkte brauchten und brauchen, die diese Märkte beherrschen wollen und können. Für viele Kritiker des Neoliberalismus ist dies auch der Kern desselben: Die Produktion für den Export, die Etablierung einer Weltmarktherrschaft - unter totaler Vernachlässigung der Auswirkungen auf die lokalen Volkswirtschaften.

Ein aktuelles Beispiel einfacher angepasster Technologie liefert etwa Castelbuono, eine Kleinstadt in Sizilien mit 10'000 Einwohnern. Während ein Kehrichtwagen 47'000.- Fr + 13'000 pro Jahr an Unterhalt und Treibstoff kosten würde, also 60'000, kosteten die 6 Esel die heute den Dienst tun 30'000.-, inklusive Futter und Pflege. Mit zwei Holzkisten links und rechts passieren sie mühelos die engen Gassen und schafften innert einen Jahres mit 140 Tonnen mehr Abfall aus der Stadt als die Müllwagen im Jahr zuvor.

Kritik der Gesundheitsindustrie - deren Aufblähung als sozialer Fortschritt dargestellt wird, obwohl sie längst weder die Lebenserwartung erhöhen kann noch das mittlere Krankheitsniveau, bei weltweiter Betrachtung, verringern konnte, dafür aber selbst Krankheiten fördert, durch Iatrogenie (der verlinkte Text zeigt, dass Ärztestreiks oft zu weniger, nicht zu mehr Toten führen ...). Gegen Verkehrsunfälle, Selbstmorde, Herzversagen und Lungenkrebs, die häufigsten Todesursachen, vermag sie ebenfalls nichts. Dies wird verstärkt der Fall sein, wenn genetische Tests auf theoretisch mögliche Krankheiten aufmerksam machen, die dann natürlich vorsorglich behandelt werden müssen ... Bereits damals nahmen die "Gesundheitskosten" gewaltig zu, was weniger auffiel, da damals die Löhne auch noch stiegen. Problematisch aber ist insbesondere die Verwandlung des Alters und des Sterbens von einem normalen, natürlichen Vorgang in einen, der dauernder Betreuung bedarf, also durch Fachleute, Ärzte, zu begleiten, und durch Medikamente zu "verhindern" ist - was zwar unsinnig ist, aber den grössten Teil der Kosten des Gesundheitssystems verursacht. Die gewaltigen Aufwendungen der Gesundheitsindustrie haben auch den Begriff des Hypochonders ins Gegenteil verkehrt. Wurde damit früher derjenige bezeichnet, der sich einbildete krank zu sein, ist im Zeitalter der modernen Diagnostik jeder ein Hypochonder, der sich einbildet, gesund zu sein. (Ehrlich, wen wundert da noch, dass die Kosten der Krankenkassen jedes Jahr steigen ... und der Anstieg 2007 nur mit "kreativer" Buchhaltung verhindert werden kann. Auch für die Medizin wurde der Mensch zur Maschine, die dauernd unterhalten, gepflegt, geölt und geschmiert werden muss ... damit sie, die neutral als "Fall" bezeichnet wird, produktiv einsetzbar bleibt. Illich wundert sich bereits zu der Zeit, warum Drogen zur Bewusstseinsveränderung verboten sind (s. auch Doping heute), aber die Menschen durch Medizin und Pharma sich tagtäglich ein Dröhnung geben um dieses Leben durchzustehen.  Durch das Aufschieben des Alterns und des Sterbens liess sich das Leben leichter kapitalisieren. Dieser Ansatz war so erfolgreich, dass heute der grösste Teil der Vermögen in den Händen von Pensionierten ist. (s. Das aktuelle Lebensmodell ist ein Horror). Viele davon allerdings als Reinkarnation von gestraften Prometheus, dem ein Adler täglich die Leber frass, die dann wieder nachwuchs. Was damals Strafe der Götter, ist in der Zeit hoch technologisierter Medizin Wunsch und Schicksal vieler Patienten im Endstadium.

In Japan lebten 1985 noch 70% der Alten mit ihren Kindern - in den USA nur noch 26%. 66% lebten in Japan in Gemeinschaften mit 3 Generationen, 6% in den USA. Der Trend, Alte in Fachpflege zu geben hat sich durchgesetzt, hospitalité, auf Französisch die Gastfreundschaft, wurde durch hospitalisation erstetzt. Heute hat das Alter kaum mehr Wert, sondern ist zu einem Kostenfaktor geworden, für den noch intensiveres Sparen angesagt ist, als für AHV und Pension. (s. Pflegekasse).

Die permanente Krise: Der griechische Begriff krisis bedeutet Wahl, entscheidender Moment. Von da her ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass sich unsere rasch ändernde Gesellschaft in einer Dauerkrise befindet, in der ständig vitale Entscheide getroffen werden müssen. Illich sieht den Bulldozer als DAS Symbol seiner Zeit, der Zeit die heute auch in China angebrochen scheint: Das Bessere entwertet das Gute. Geld entwertet alles, was nicht mit Geld gemessen wird, nicht mit Geld gemessen werden kann. Jede Arbeit die nicht mit Geld bezahlt wird, wird gering geschätzt oder ignoriert. Eine Folge davon ist die immer weiter um sich greifende Normierung der Konsumenten ... ohne die sich ja eine Normierung der angebotenen Güter und Dienstleistungen nicht durchführen liesse. Da auch Zeitungen und Bücher heute primär Marktprodukte sind, wird auch das Denken auf "Mehrheitsverträglichkeit" normiert. Wer sich nicht anpasst, wird zum Sonderling, er liegt falsch, nicht die dressierte Masse. Bereits 1930 bis 1950, also lange vor der McDonnaldisierung der Welt, waren etwa 50 Sprachen ausgestorben und nur noch Thema einiger Dissertationen. Aber auch die Produkte werden immer nutzloser ... bloss farbiger. Illich konnte damals die Chinesen noch dafür loben, dass sie diesem Trend widerstanden und beim Fahrrad als optimalem Transportmittel blieben. Heute hätte er wohl weniger Freude an der Entwicklung in China, dass mit Vollgas die Wirtschaftsmethoden des Westens übernimmt, und damit vermutlich, mit oder ohne Absicht, die Weltwirtschaft mit Vollgas an die Wand fährt. Er erkennt, dass Austerität, also ein bescheidenerer Lebensstil zwar notwendig wäre, sich aber, auf Grund der sozialen Kosten, innerhalb des herrschenden Systems kaum durchsetzen lässt. Heute lebt ja die Mehrheit der Bürger von einer Tätigkeit in einer der vielen Bürokratien der Geldvermehrung, die den Bürgern erklären, was ihre "Bedürfnisse" sind. Die Missionare dieser Unternehmen werden dabei immer aggressiver, je überflüssiger die Güter und Dienstleistungen die sie anbieten. Wöchentlich ein Vertreter, der sein Telefonnetzwerk anbietet, einer für die Krankenkasse, einer für Schlüsselanhänger die weltweit wieder gefunden werden können (?), populäre Bücher (Bei DEM Angebot können Sie doch nicht nein sagen. Da müssen Sie doch zugreifen ... und das bei Dingen, die ich nicht mal gratis möchte)  und ähnlich Unentbehrlichem, die total beleidigt sind, wenn man ihr Angebot schlicht und einfach überflüssig findet.

Entwicklungshilfe - Die Kolonialisierung des informellen Sektors: Die Idee der Entwicklung, also meine Leidenschaft, kam in den 60er Jahren auf. Illich ist definitiv kein Freund der Entwicklungshilfe, da sie von den zwei Mitteln die zur Entwicklung nötig sind, der sozialen Wahl durch die Politik und der Wahl der Technik durch den Markt, ersteres meist geflissentlich übergeht (ineffizient, zu langfristig, unzuverlässig: Wir brauchen Resultate in kurzer Zeit! - Also präzise das, was die Wirtschaft verlangt. So aber lässt sich Entwicklung nun mal nicht betreiben. So wurde auch in erster Linie das selbe energieintensive Modell des Produzierens und Verteilens weltweit verbreitet, das bei uns verwendet wird. Strategie der angepassten Technologie wurden nur in einzelnen Nischen gepflegt, im Nachhinein betrachtet handelte es sich wohl auch eher um pro forma Engagements. Ein reeller Erfolg wird diesen wohl erst beschieden sein, wenn die maximalen Förderraten beim Erdöl definitiv überschritten sind (s. peak oil) und die Energiekosten dazu drängen.

Eine noch substantieller Kritik liegt darin, dass die Entwicklungshilfe, auch unter dem neuen Wort "Entwicklungszusammenarbeit", die "Länder auf dem Weg zur Entwicklung" (Entwicklungsländer ist politisch nicht mehr korrekt) ... trotz der Umbenennung nach wie vor als defizient betrachtet. Ihnen fehlen Strukturen, Institutionen, gut ausgebildetes Personal, Finanzen, Experten, Schulen, Berufsbildung, Wasser, Spitäler, Marktstrategien etcetc. Das Modell, von dem her aber diese Defizite postuliert werden, ist "natürlich" das unsrige. In den Siebzigern und Achtzigern, als die Entwicklungsdiskussion voll im Schwung war und sich in der Schweiz z.B. der Ansatz der Entwicklung von unten der DEZA noch substantiell vom dem von oben des SECO unterschied, wurde dergleichen noch diskutiert. Heute herrscht Schweigen, oder noch schlimmer: Konsens. Hautsache es läuft irgend was, schliesslich hängen die Arbeitsplätze der Entwicklungsexperten davon ab. In dieser Entwicklungszusammenarbeit die mehr und mehr von den Bedürfnissen der Spender parternalistisch wohltätig zu sein (= Wohltäterismus, s. insbesondere Patenschaften) getrieben wird , werden die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit logischerweise primär von den Spendern gesetzt, nicht von den Empfängern.

Die Unterdrückung des Lokalen (vernacular: eigentlich so was wie volkssprachlich, Banal: dem lokalen Bann verbunden): Illich verwendet das Wort etwas spezifisch. Er will damit alles ausdrücken, was nicht mit Austausch zu tun hat, also mit Markt, also Tätigkeiten die zur Selbsterhaltung auf Subsistenzbasis nötig sind. In der Wirtschaft werden viele solche Tätigkeiten heute für Geld geleistet (Haareschneiden, Putzen, Kochen, Bildung ... also das meiste was Tauschkreise so anzubieten pflegen), aber nicht in offiziellen Betrieben, ohne Buchhaltung, ohne Steuern zu zahlen. Man beschreibt den Bereich als den grauen Markt, im Gegensatz zum Schwarzmarkt, auf dem verbotenes gehandelt wird.) Die vernakuläre Produktion nach Illich wäre eben das, was richtigerweise unter "Selbsthilfe" zu verstehen wäre: Dass jedes Individuum und jede Gemeinde und jede Region primär sich um das kümmert, was sie braucht ... und eben nicht darum, was der Weltmarkt verlangt. Das Musterbeispiel der vernakulären Produktion ist der Haushalt, in dem Mann und Frau und ev. deren Eltern und Kinder zum gemeinschaftlichen Leben das beitragen, was sie können. Und wie die Frauenbewegung seit langem zu zeigen versucht, wird präzise diese Art von konvivialer Produktion mit dem Aufkommen der marktorientierten Produktion immer mehr unterlaufen, zu Lasten derer, deren Beitrag vom Markt nicht in Geldform gewürdigt wird. Und das ist längst nicht mehr nur die Arbeit der Hausfrau ....

Die Aufteilung in Produktion, mit hohen Anforderungen und Spezialisierung - und Konsum/Reproduktion (Kinder, Haushalt, Pflege, generell weibliche Tätigkeitsbereiche). Einige davon in den Bereich der monetarisierten Produktion gewechselt, was mit beiträgt zum enormen Anstieg der Gesundheitskosten. Wir sehen hier den Nachteil der Vermarktwirtschaftlichung: Ueberall wo einer verdient, muss ein anderer dafür bezahlen. Die Industrialisierung wusste den Bereich der billigen Konsumproduktion geschickt für sich zu nutzen, indem sie die Nähmaschine, und später die Schreibmaschine zum Werkzeug der Frauen machte, und die damit verbundene Arbeit einem Bereich geringer Qualifikation und Entlöhnung zuordnete. Man könnte das als erste Ansätze zur Hausfrauisierung bestimmter Tätigkeiten und Berufe bezeichnen.

Die Armen: Aus den Archiven des mittelalterlichen Florenz ist ein Fall wohl dokumentiert, in dem ein Reicher seine Güter nach dem Ableben an die Armen verteilen liess. Interessant ist nun, wer damals als "arm" galt. Es waren beileibe nicht nur die Bettler, Weisen, Witwen und andere vom Schicksal geschlagenen, sondern expressis verbis - die Lohnabhängigen. Der Haushaltsvorstand, der von einem Auftraggeber für seinen Lohn abhing und für seine Familie eine Wohnung mieten musste, galt als arm, da er über kein eigenes Potential verfügte, keine Finanz- Macht. Der Zwang, sein Leben durch Lohnarbeit zu erhalten war ein Zeichen dafür, dass der betreffende zum Bodensatz der Gesellschaft gehörte. Und präzise in diese Position sollen wir heute alle wollen.

In H2O beschreibt Illich die Geschichte des Wassers, der Versorgung mit Firschwasser wie seiner Entsorgung als Abwasser. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden Gerüche offenbar langsam als störend wahrgenommen, so dass die Tradition, hoch stehende Gesellschaftsmitglieder in der Kirche zu beerdigen beendet wurde. Die Lebenden wollten den Raum nicht mehr mit den Toten teilen. Zur gleichen Zeit wurde in England das Wassercloset erfunden, das die stinkenden Überreste der Verdauung nicht bloss aus den Augen entfernte, sondern mit einem Siphon auch die Gerüche aus der Wohnung verbannte. Bis dahin hatte man üble Gerüchte, seit den Medicis und Louis XIV, mit Hilfe von Parfums übertüncht. Paris zog bald nach, und um 1899 schrieb Kropotkin, ohne zu übertreiben, dass die Gemüseproduktion in den Marais, auch noch den gesamten Gemüsemarkt von London versorgen könnte. Paris produzierte seit 1880 so viel Sch...., dass diese 6 Ernten pro Jahr erlaubte, weil die Dunghaufen auch im Winter ausreichend Wärme produzierten.  London musste Mitte des 19. JH., nach einer schweren Choleraepidemie, ebenfalls ein ausgeklügeltes Abwassersystem installieren, das zum Teil heute noch funktioniert.

Die Wasserversorgung der USA entstand aus einem anderen Grund. Da dort viel mit Holz gebaut wurde und wird, war die Wasserversorgung für die Feuerwehr entscheidend. So entstanden die ersten Hochdrucksysteme. Gegen Ende des 19. JH. hatte die Wasserversorgung der USA zum ersten Mal wieder das Niveau erreicht, das Rom einst hatte ... (so viel zum Fortschritt). Allerdings wurde bei der Entsorgung ein Fehler institutionalisiert, der uns heute mehr und mehr zu schaffen macht, indem man das Regenwasser durch die selben Kanäle ableitete wie Urin, Fäkalien und andere Abwässer. Beim Regenwasser drängt sich ein Ableiten in offenes Gelände auf, das ein Versickern und damit die Anreicherung des Grundwassers ermöglich, womit auch Fluten etwas eingedämmt würden. Beim Urin drängt sich eine spezielle Ableitung auf (s. Novaquatis), weil die darin immer stärker enthaltenen Medikamentenrückstande, insbesondere solche mit hormonellen Wirkungen, durch die Kläranlage nicht entfernt werden können, was zu einer starken Beeinträchtigung der Fischbestände und zu oft skurrilen Veränderungen bei Fischen und Amphibien führt. Es ist also nicht alles, das lange währt, auch für immer gut.

Noch dramatischer sind die Folgen der "Entwicklung", die das WC in Regionen exportiert hat, wo es nun wirklich mehr Sch... als Wasser gibt. Illich zitiert die Probleme Mexikos, ich hab sie erlebt im Jemen. Das traditionelle System war sauber, patent, effizient. Man(nund Frau) schiss aus einem Erker, Urin und Kacke trockneten, wurden durch die starke UV-Strahlung insbesondere im Hochland des Jemen gleich noch entkeimt, und konnten als Dünger aufs Feld gebracht oder als Brennstoff verheizt werden. Seit der Ankunft der Moderne im Jemen geht nun mit jedem Schiss oder Piss 5 bis 10 Liter Wasser in die Senkgrube ... und damit oft wieder dahin, wo es herkam, ins Oberflächennahe Grundwasser. Meist handelt es sich aber um fossiles Wasser das aus hunderten von Metern Tiefe heraufgepumpt wird, Wasser das tausende von Jahren alt ist - und dessen Vorräte Jahr um Jahr, Meter um Meter sinken. Heil Dir, oh Fortschritt!

Das einschliessende und das ausschliessende WIR: In Dans le mirroir du passé beschriebt Illich die Probleme einer einseitigen und oft seltsamen Definition von Frieden. John Kennedy redete von einem Krieg gegen die Armut. Die Pax Romana war in Palästina immer ein Friede mit Blick auf das imperiale Rom, kein himmlischer Friede. Das selbe gilt heute für die Pax Americana. Dies kann aber kein Friede sein, da er wortwörtlich auf den eigenen Prioritäten der Friedensstifter beruht: Entweder sie sind mit uns oder gegen uns. Wer gegen uns ist, ist unser Feind. Die Asiatische Philosophie und Religion ist da offenbar viel differenzierter. huo'ping in China: Harmonie in der Hierarchie des Himmels. shanti in Indien: Die persönliche, individuelle Erweckung im Kosmos, ohne Hierarchie. Fazit: Es gibt keinen allgemeinen Begriff von Frieden - insbesondere was Ein- und Ausschluss betrifft. Es gibt also auch, alhamdulillah, keinen Frieden der Anpassung nötig macht. Die Malayo-polynesischen Sprache macht das etwas klarer, denn sie kennt, anders als wir, zwei Formen des WIR, die inklusive (kita), das wir des Friedens, und die exklusive (kami), die einzige die wir kennen. (s. Netzwerke). Entwicklungskonzepte die den Frieden fördern wollen, aber den Unterschied zwischen einschliessendem und ausschliessendem WIR nicht wahrnehmen, weil sie das adat, die Allmend, das Gemeinsame, gar nicht mehr wahrnehmen können, sind also unfruchtbar und nicht viel mehr als Beschäftigungsprogramme für Politiker und Entwicklungsagenten.

Im Frieden können sich unterschiedliche Formen des Daseins, der Lebensstile entwickeln.
Im Krieg werden all diese zu Nationalismen oder Kulturen, die sich bekämpfen.

Eine Leitkultur erklären, ist also eigentlich bereits eine Kriegserklärung gegenüber anderen Kulturen und keine Aufforderung zur friedlichen Koexistenz, eine Aufforderung zur Assimilation (dem Gleich-Werden), nicht bloss zur Anpassung (dem Verträglich-Werden, konvivial werden). Eine Leitkultur ist eine führende Kultur ... und von da ist es erfahrungsgemäss nicht weit bis zur Führerkultur ... und das hatten wir ja schon.

Für nun anderthalb Jahrhunderte hat die wirtschaftliche Tätigkeit dafür gesorgt, dass die Menschen ihre primären Bedürfnisse decken, ihre Existenz sichern konnten, und Kriege nur noch aus Lust an Überlegenheit und Herrschaft, aus Dummheit und Machtgier führten. Mit dem Zusammenbruch des grossen Krieges zwischen Kommunismus und Kapitalismus entwickeln sich die kleinen Marktfehden nun aber zunehmend ebenfalls zu globalen Kriegen um Marktanteile - und damit um Inklusion/Exklusion - Einbezug/Ausschluss. Die totale Ausrichtung der Wirtschaft auf Wettbewerb, die totale Ausrichtung der Gesellschaft auf Wirtschaft, führte nicht zu Frieden, sondern zu einer neuartigen Form des Krieges. Wer sich gegen diese Machtwirtschaft wandte und wendet, wird diskreditiert, sei es wie Ghandi als Sozial-Romantiker, als Gutmensch ... oder ganz einfach als Spinner ... was sich am besten zeigen lässt am Schicksal Illichs selbst.

Probleme der Pax oeconomica durch Ausschluss derjenigen, die von den Gemeingütern lebten, durch die Elimination der Subsistenz: Die bäuerliche Selbständigkeit war und ist zwar meist eine materiell ärmliche Existenz, aber dennoch eine Existenz in Freiheit und Würde. Das zeigt sich wohl am besten anhand der sozialen Klassen des Jemen. Natürlich wurde auch dort die herrschende Schicht aus religiösen Führern gebildet, mit einer besonderen Vorherrschaft derjenigen, die ihren Stammbaum auf Mohammed zurückführen konnten, die Sajids. Gleich danach kamen aber die freien Wehr-Bauern, die sich jedem, der sich am Markt selbst verkaufen muss, unendlich überlegen fühlen. Die Aufgabe dieser Selbständigkeit führe zu Objektivierung, zu Verwaltbarkeit und damit zur Möglichkeit, viele Prozesse zu mechanisieren. Dies wiederum führt zur Möglichkeit, sich die Prozesse anzueignen (was bei Menschen immer schwierig war, was die Geschichte der Sklavenhalterstaaten zeigt) - was aber das eigentliche Fundament des Kapitalismus darstellt: Die unbegrenzte Aneignung von Strukturen, Prozessen, Funktionen - die alle dem Gelderwerb dienen. Die Lohnabhängigen wurden zu ersetzbaren Rädchen in dieser grossen Maschine. Wer sich nicht rädern lässt, ist per Definitionem unproduktiv, erbringt keine Leistung, da beides nur in Geld gemessen wird, ist also asozial, ein Sozialfall. Übte diese Wirtschaftsmaschine ihre Gewalt bisher vor allem gegenüber der Natur aus, so sind nun auch die überzähligen Rädchen dran. Sie sollen Selbstverantwortung wahr nehmen. Die durch Entwicklungshilfe modernisierten Gesellschaften gehen nun den selben Weg, den wir längst beschritten haben: Ihr Zugang zu den gemeinen Gütern wird zunehmend beschränkt, sogar bei lebenswichtigen Gütern wie Wasser.

 Da die Produkte die früher Subsistenz erlaubten, heute für Peanuts im internationalen Markt erhältlich sind, ist aber die Möglichkeit der vom Markt ausgeschlossenen, als überflüssig erklärten, wirtschaftlich selbstverantwortlich zu handeln gar nicht mehr da. Die Forderung ist etwa so sinnvoll, wie von einem Bauern ohne Land zu verlangen, er müsse halt Kartoffeln pflanzen und davon leben, bis die Situation besser würde.

Das Ideal der Selbstverantwortung, des Überlebens ohne Lohn, entstammt der Zeit, als die meisten Lohnarbeiter nebenbei noch Bauern wahren, sich also auf tiefem Niveau auch ohne Lohn die Existenz sichern konnten. Dass man Arbeitslose nicht einfach zum Auswandern zwingt (was im 19. JH noch üblich war, diese sind die Vorfahren der heutigen US-Bürger ...) oder wegen Versagens am Markt an die Wand stellt, liegt am BIP, das irgendwie immer noch eine gewisse merkantilistische Haltung ausdrückt: Man könnte die Leute ja beim nächsten Aufschwung vielleicht wieder brauchen ... (s. Situation der vom Markt ausgeschlossenen im 19. JH). Der eigenen Bauernhof wurde durch Temporärarbeit als Existenzsicherung zum Teil ersetzt, ist aber in den letzten Jahren mehr und mehr zusammen gebrochen, was sich am besten an den Problemen der Studenten zeigt, Arbeit in den Semesterferien zu finden.

Bedürnisse: Seit 1960 stehen die Bedürfnisse im Zentrum der Marktagenten. Natürlich heisst es, der Markt befriedige auf rationalste Weise die Bedürfnisse der Menschen, aber in Tat und Wahrheit liegt die Sache längst umgekehrt, denn es sind die Marktagenten, welche den Menschen erklären, welche Bedürfnisse sie zu haben haben. Der Arzt erzieht seine Patienten darin, was (vor allem welche Medikamente, Operationen, Behandlungen, Therapien etc ...) für ihn gut sei. Der Patient nimmt das an ... oder ist ein Querulant. Das Selbe finden wir bei Sozialarbeitern, Redaktoren, Parteipropagandisten, der Pharmaindustrie, den Banken, den Bildungsanbietern etc.etc.

 

5.7.1 Die Lösung:

La Convivialidad - Das Zusammenleben, äglichkeit, Lebenslust

Konvivialität ist die individuelle Freiheit verwirklicht in einer Gesellschaft, die effizient das Notwendige produziert.

Illich kritisiert, auch das bereits recht früh, die Gesellschaft der Hyperproduktion, die das persönliche Schaffen, das kreative Werken, verunmöglicht, denn heute sind Mittel längst zum Zweck geworden, insbesondere Geld, das Tauschmittel, und Kapital, die Produktionsmittel. Er zeigt die Bedeutung der zersplitterten Berufe in diesem Umfeld, was man wenig später als Kritik der Expertokratie beschrieb und zeigt Wege auf, um aus der immerwährenden Steigerung der Produktion zu entkommen. Dies lässt sich bestens anhand der Wissenschaft tun:

Illich wird heute meist als Kritiker der Institutionen dargestellt. Das fasst etwas zu kurz, hat aber für die Vertreter des Status quo den Vorteil, dass man ihn einordnen und ablegen kann. Deshalb sollte man in aus dem Fach vielleicht heraus holen und nicht auf die Institutionenkritik beschränken, sondern als generelle Kritik der Mechanisierung der Produktion, und heute vor allem der Geldvermehrung:

Operationalisierung = Mechanisierung = Bürokratisierung = Institutionalisierung = Leiste = Kette = Unfreiheit.

Da nur die Mechanisierung eine Konzentration wirtschaftlicher Herrschaft erlaubt, muss ein einheitliches Verhalten des Homo oeconomicus durchgesetzt werden. Deshalb erklären die Medien ihren Nutzern Tag für Tag, was wirtschaftlich angebracht ist, was die Norm ist, denn erst dann sind Massenprodukte möglich.

Der grosse Vorteil des kaum ausgearbeiteten und im besten Sinne "banalen" (dem eigenen Gemeinde-Bann verbundenen) Systems Konvivialität ist, eben, dass es kein pfannenfertiges System ist, das bloss noch effizient, also am besten marktwirtschaftlich, allenfalls mit Macht ... durchgesetzt werden muss. Jeder und jede kann und muss mitdenken und mitwirken, die eigenen Vorstellungen, Wünsche, Bedürfnisse - aber auch Lösungsbeiträge einbringen - und sich auf den Dialog einlassen, dort wo die eigenen Vorstellungen und Wünsche die Freiheit anderer beeinträchtigt. wo die Lebensstile sich widersprechen und dadurch Konflikte auslösen können. Die Konvivialität ist eigentlich das, was inzwischen zu multikulti veräppelt und vermarktet wurde, das neben und miteinander unterschiedlichster Lebensstile in freier Kooperation und friedlichem Wettbewerb. "Sportlich" aber nur so weit, als der Gewinner zwar den Lorbeer zur Würze, der Verlierer aber trotzdem Brot und Wurst kriegt und nicht zu Brot und Wasser verdammt wird.

Die Konvivialität Ivan Illichs ist eigentlich nichts anderes als der Versuch, die gute Ordnung (Eunomie) zu gestalten mittels Habermass' kommunikativer Ethik - und wieder mal, der Topik als Mittel der Entschleierung und Klärung lokaler Weltanschauungen über Ideologiekritik - die überall dort unentbehrlich ist, wo Populismus droht.

Literatur:


Eigene Empfehlung, basierend auf der Analyse der Situation Stadt und-Land um Basel:

Strukturpolitik ist durch funktionsorientierte Politik zu ergänzen.

Wenn Sie sich die Entwicklung Basels und seiner Umgebung ansehen, erkennen Sie ohne Zweifel einiges, dass so auch in andern Städten, sei es Genf, Zürich; Berlin, oder Tokio, auftritt.

Die Stadt ist der Kern, das Zentrum, einer Region, was sich nicht nur an Verkehrwegen, sondern vor allem an der mit der Distanz zur Stadt graduell abnehmenden Bevölkerungsdichte (und Bodenpreisen) zeigt. Die Stadt hat die dichtesten Strukturen mit der höchsten Produktivität - mit Ausnahmen natürlich: Chemie, Pharma, Gesundheit, die auch im Grünen gut gedeihen. Aber auch letztere haben meist ein Koordinations- und PR-zentrum in der Stadt.

Da sich in Städten eine höhere Bodenrente erzielen lässt, wird diese durch die Bodenpreise abgeschöpft - und die Kosten den Mietern belastet. Da Städte sich aber nicht nur durch hohe Mietkosten auszeichnen, sondern auch durch hohe Überbauung, viel Lärm, wenig Luft und Raum, zieht aus der Stadt weg, wer immer kann, in grüne Stadtnähe. Dies entzieht der Stadt ihr Steuersubstrat, dass dafür den Speckgürtel um die Stadt herum um so reichlicher düngt ... und dadurch tiefere Steuern erlaubt.

Durch diesen Drang in die Vororte wird aber auch hier Boden und Miete teurer, also verlagert sich die Produktion nach und nach noch einen Sektor weiter weg vom Koordinationszentrum, auf die (günstige) grüne Wiese. Je dichter die Wohn- und Steuerzone überbaut ist, desto weiter weg verlagert die gehobene städtische Schicht auch ihre Wohnung, wozu günstigere Steuern das ihrige beitragen. Einige Basler sollen ja sogar im grünen Kanton Zug wohnen, sagt man .... auch dass die Sache mit den Zonenplänen nicht so heiss gegessen wird, falls ein gut betuchter Investor ..

Nichts Neues? Bekannt? Banal? Gut, OK - aber: Woher kommt die Ordnung in dieser Entwicklung? Kommt überhaupt eine rein? Eher nicht. Der Agglomerationsverkehr droht Zürich zu ersticken. Die USA riskiert extreme wirtschaftliche Strukturbrüche, sollte sich der Benzinpreis zu stark erhöhen, da das Wohnmodell Suburbia dort bereits ganz andere Dimensionen erreicht hat.

Wir erkennen um die Städte herum ganz klare und eindeutige Entwicklungsmodelle - wir schliessen aber die Augen, wenn es darum geht, die politische Bedeutung dieser Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen. Basel, egal ob Stadt oder Kanton, hat keinerlei direkten politischen Einfluss auf Wohn- und Steuerzone, was der Stadt wirtschaftlich zu schaffen macht. [Steuersenkungen sind ein beliebter Slogan von Rechts, aber ein Witz. Durch Steuersenkungen wird das Wohnen in der Stadt finanziell attraktiver, aber die Stadt bleibt genau so überbaut wie sie es war und ist. Und wer wohnt schon gerne in Betonbunkern wenn er sich ein Häuschen im Grünen leisten kann? Schabernack.

Umgekehrt haben die vorgelagerten Zonen keinen Einfluss auf die Politik der Stadt. Abstimmung kann nur indirekt geschehen (über Steuern und Standortswettbewerb, blablablabla... - welche eine zielorientierte Politik präzise unterlaufen). Wirtschaftlich wird das meist positiv gesehen: Investitionen, Bauen, Arbeitsplätze, Steuern - die Landschaft allerdings geht dabei drauf, der kleinstädtische oder dörfliche Charakter mancher Gemeinde ebenso. Restrukturierung verschiebt die profitablen Jobs an die Grossen, lässt den Kleinen das Kleinvieh (da ja manchmal auch Mist machen soll ...)

Vor allem sehen wir, dass die stadtfernsten Zonen, die Peripherie, abgehängt wird. Davon sind nicht nur die Alpen bedroht. Jedes Wirtschaftszentrum hat seine Peripherie. Wie Sie aber leicht schätzen können, dominiert die Peripherie in Sachen Fläche, während die Stadt in Sachen Bevölkerung und Geld dominiert. Auch auf diesen Flächen leben Menschen, wird produziert, wachsen Bäume und Gras. Die Peripherie ist nicht Wildnis, die je nach Gutdünken der Städter zum Park erklärt, oder ausgebeutet wird.

Die Peripherie erfüllt wichtige Funktionen:

Sind Sie noch da? War eine lange Einleitung, aber nun komm ich zum Schluss:

  1. Reelle Entwicklungsprozesse zeigen den dominanten Einfluss wirtschaftlicher Entwicklung.

  2. Reelle Entwicklungsprozesse zeigen den dominanten Einfluss von Städten, den monetären und politischen Koordinationszentren, dem dort, und in den Vororten gehäuften Kapital, das seine Strategien nach eigenen Gesetzen entwickelt - aber damit die gesamte Umwelt gestaltet. Die klassische Strukturpolitik übernimmt die selben Werte.

  3. Reelle Entwicklungsprozesse laufen nach dem Prinzip: Zentrum-Peripherie. Während im Zentrum, in den 3 ersten Kreisen, die Wirtschaft aktiv gestaltet, wird die Peripherie "aktiv" vernachlässigt, also praktisch als Wildnis behandelt, und dazu noch beschuldigt, selbst schuld zu sein, da nicht international wettbewerbsfähig (blablabla ...).

    1. Da die letzten oft später die ersten sein werden, darf die Peripherie nicht vernachlässigt werden. Sie stellt die grösste Reserve dar, nicht nur was Land betrifft. Nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten wären 50-90% der Schweiz als Peripherie zu klassieren - falls wir alle Regionen mit unterdurchschnittlicher Produktivität zur Peripherie zählen, was mit obiger Graphik recht gut übereinstimmt (s. Arbeitsproduktivität nach Bezirken). Dies zeigt die Absurdität des Konzepts Wettbewerb um Maximale Produktivität.

  4. Die Politik ist machtlos, da sie innerhalb historischer Strukturen arbeiten muss, die eine strukturorientierte, noch mehr eine funktionsorientierte, Politik wirksam verhindern.

  5. Strukturpolitik, betrieben innerhalb uralter Strukturen, ist sinnlos.

    Kantonspolitik muss in Regionalpolitik übergeführt werden.

Die oben angeführten Ordnungsmodelle sind also zu eng, zu abstrakt (Kulturparlament, Grundwerteparlament).

Eine gute Ordnung muss diejenigen Strukturen bieten,
die für die notwendigen und erwünschten Funktionen nötig sind.

Was notwendig und erwünscht ist, sollte in Demokratien vom Volk, nicht von der städtischen Oligarchie, mit ihrem Drang nach globaler Grösse und dem Drang nach immer mehr, bestimmt werden.

Strukturpolitik ist also durch Funktionspolitik zu ergänzen.

Die Funktionen, die es politisch zu erfüllen gilt, ergeben sich aus dem, was wir als gute Ordnung empfinden. Sie müssen eine menschenwürdiges Dasein sichern, ein Dasein mit ausreichend Freiraum, das eigene Sein zu entwickeln. [s. Existenzphilosophie - Camus: Sisyphos]. Ausbildung, Arbeit und Lebensraum - für alle - wären also höher zu gewichten, als Top-Wettbewerbspositionen, die per Definitionem eh nur den Siegern zukommen. Wurde die ländliche Peripherie im Mittelalter durch schiere Macht am Rande gehalten, genügt dazu heute die ganz normale Wirtschaft. Um aus diesen neofeudalistischen Zwängen heraus zu kommen, brauchen wir funktionierende und wirksame Politik (insbesondere wenn gewalttätige Reaktionen, die sich sicher früher oder später ergeben, läuft der Trend weiter so, verhindert werden sollen).

M. Herzog, Basel, 18. Juni 2005


Weiterentwicklung auf Grund der Erfahrungen der alternativen Bewegungen: