Das Silber aus Lehm

Mit einem Anteil von rund acht Gewichtsprozent ist Aluminium das dritthäufigste Element der Erdkruste und damit das häufigste Metall. Noch häufiger sind nur Sauerstoff und Silizium, welche gemeinsam mit Aluminium in unzähligen Kombinationen und Bindungen den Großteil der rund 40 Kilometer dicken, soliden Oberfläche der Erde bilden.
 
Dennoch wusste noch vor hundert Jahren kaum jemand etwas mit dem Wort Aluminium anzufangen. Die deutsche Aluminiumindustrie feiert beispielsweise erst im Jahr 2015 ihr hundertjähriges Bestehen. Aluminium ist damit eindeutig ein Werkstoff der Moderne.
 
„Gediegenes“, reines Aluminium kommt in der Natur ganz selten und in winzigen Körnchen bzw. Mikrokristallen vor. Es sind nur einige wenige bis ein Zentimeter große Nuggets bekannt. Dabei handelt es sich um Mischungen aus Blei und Aluminium, die etwa in Aserbaidschan gefunden wurden.
 
Als Bestandteil von Gestein ist Aluminium hingegen allgegenwärtig. Die auffälligste Eigenschaft von Aluminium ist seine extreme Reaktionsfreudigkeit. Biochemisch aktive Aluminiumionen sind dreifach positiv geladen und versuchen sich sofort und dauerhaft mit den nächstbesten Elementen zu verbinden. Deshalb blieb Aluminium über Milliarden von Jahren als fixer Bestandteil von Lehm, Ton, Gneis oder Granit fest in der Erde gefangen.
 
Im Vergleich dazu war Eisen mit seinem dreifach höheren spezifischen Gewicht von Beginn an ein Nutzmetall. Die ersten Fundstücke sind Speerspitzen aus der Zeit um 4000 v. Chr. Sie wurden aus den Trümmern eisenhaltiger Meteoriten zurechtgeschlagen. Erst viel später entwickelte das Volk der Hethiter im Gebiet der heutigen Türkei die Technik der Eisenverarbeitung und hatte in der Zeit ab 1600 v. Chr. über mehrere Jahrhunderte ein Weltmonopol. Mit der allgemeinen Verbreitung des Wissens um die Verhüttungs- und Schmiedetechnik ging die Bronzezeit um 1200 v. Chr. zu Ende und Eisen wurde das bestimmende Material zur Herstellung von Werkzeug und Waffen.
 
Dass es so etwas wie Aluminium überhaupt gibt, wurde erst 3000 Jahre später entdeckt. Taufpate war im Jahr 1808 der britischen Chemiker Humphry Davy, der sich zuvor bereits mit der erstmaligen Isolierung von Kalium sowie der Gewinnung von Barium, Strontium, Magnesium und Kalzium einen Namen gemacht hatte. Auch Aluminium wollte er – mit Hilfe einer Batterie – aus Tonerde gewinnen, scheiterte jedoch daran.
 
Bei der Namensgebung brauchte es mehrere Anläufe. Zunächst nannte Davy das Element „Alumium“, später „Aluminum“. Die zweite Bezeichnung hat sich bis heute in den USA gehalten. Im deutschsprachigen Raum hieß es eine Zeit lang „Tonsilber“. Schließlich setzte sich aber hier wie im Großteil der Erde der Name „Aluminium“ durch.
 
Davy orientierte sich bei der Namensgebung am lateinischen Wort Alumen, das wir im Deutschen als Alaun kennen. Alaun wird seit der Antike zum Gerben von Leder, sowie zum Färben und Beizen von Stoffen verwendet. Alaun-Kristalle wurden als Vorgänger des Deodorants eingesetzt. „Er entfernt den Gestank unter den Achseln sowie auch den Schweiß“, heißt es in der„Naturkunde“ des römischen Gelehrten Plinius.
 
Alunit oder Alaunstein ist ein eher selten vorkommendes Mineral. Im Mittelalter war es ein begehrtes Gut, das aus dem Orient eingeführt werden musste. Als im 15. Jahrhundert im Kirchenstaat bei Tolfa reiche Funde entdeckt wurden, errichtete der Papst gemeinsam mit dem Haus Medici das erste Alaunwerk Europas. Hier waren bis zu 6000 Arbeiter damit beschäftigt, Alaunstein abzubauen und diesen in Schachtöfen zu brennen. Der Vatikan hatte daraufhin in Europa ein Monopol auf die Herstellung der begehrten Chemikalie. Der geschäftstüchtige Papst Pius II. drohte in seiner Osterbulle von 1463 all jenen den Kirchenbann an, die weiterhin „unchristliches“ Alaun importieren oder kaufen. Doch im frühen 16. Jahrhundert war es auch schon wieder mit dem päpstlichen Monopol vorbei: Als es gelang, auch aus Schwarzschiefer Alaun herzustellen, schossen die Alaunwerke nur so aus dem Boden.
 
Die Herstellung von Alaun war enorm aufwändig und die Qualität des Endproduktes schwankte gewaltig. Das „Rösten“ des Schwarzschiefers brauchte große Mengen von Holz, um das darin enthaltene Pyrit in Schwefelsäure umzuwandeln. Die Säure war nötig, um Aluminium, Eisen, Kalium und andere „Tonminerale“ aus dem Gestein zu lösen. Um das teure Holz einzusparen, wurde Ammoniak über die Beimengung von Urin und angefaulten Schlachtabfällen zugesetzt. Nach der Methode von Versuch und Irrtum probierten die verschiedenen Werksmeister alle möglichen Rezepte aus. Was chemisch ablief, war für die Menschen damals vollständig undurchschaubar und so waren auch die Chemikalien, die schließlich als Alaun angeboten wurden, von höchst unterschiedlicher Zusammensetzung und Qualität. „Gutes Alaun“ war jedenfalls eine Kombination, welche zum großen Teil aus Kalium- und Aluminiumsulfat bestand.
 
Das Aufblühen der Chemieindustrie im 19. Jahrhundert bereitete den alten Alaunwerken ein rasches Ende. Schwefelsäure war nun leicht zu haben und damit konnte das Alaunsalz billig in den Fabriken hergestellt werden.
 
Auch was heute in den Drogerien als Alaunstein oder Deo-Kristall angeboten wird, ist Kaliumaluminiumsulfat. Schlicht falsch sind Werbeaussagen, es handle sich dabei um Aluminium-freie „natürliche Mineralsalze“, die „gesunde Alternative“ zu herkömmlichen Deodorants. Alaun enthält in Wahrheit sogar mehr Aluminium als die meisten Deos. Und wenn man will, kann man Kaliumaluminiumsulfat selbstverständlich als natürliches Mineralsalz bezeichnen. Dann gilt dasselbe aber auch für Aluminiumchlorid, den chemischen Wirkstoff in schweißhemmenden Deodorants.
 
Doch zurück zum erwähnten Namenspatron des Aluminium, Humphry Davy, der trotz vieler Anläufe an der Isolierung des Metalls gescheitert war. Davy war ein exzessiver Geist, der berühmt war für seine waghalsigen Experimente und seine poetischen Vorträge. Die Angewohnheit, unbekannte Chemikalien zu kosten und zu riechen, schadete seiner Gesundheit und so starb er, gerade mal 50-jährig nach einem Herzinfarkt.
 
Mehr Glück bei der Isolierung des Metalls hatte der dänische Physiker und Chemiker Hans Christian Oersted, der im Jahr 1825 winzige Mengen des neuen Metalls durch die Reaktion von Aluminiumchlorid mit Kaliumamalgam gewinnt. Da er sich jedoch mehr für das Phänomen des Elektromagnetismus interessiert, fordert er den deutschen Chemiker Friedrich Wöhler auf, sich doch weiter mit den Eigenschaften von Aluminium zu befassen.
 
Wöhler reizte die Aufgabe sofort, die chemischen und physikalischen Eigenschaften des sensationellen Fundes zu ermitteln. Er verfeinert Oersteds Methode und schaffte es, im Jahr 1827 ein graues Pulver abzuscheiden, das im Licht betrachtet „aus lauter kleinen Metallflittern“ bestand. Weil dies zu wenig war, um seine Eigenschaften auszukundschaften, und sich auch Wöhler wieder anderen Arbeiten zuwandte, dauerte es bis 1845, bis er schließlich mit allergrößter Mühe doch ein kleines Aluminiumklümpchen zustandebrachte. Hier war es ihm nun endlich möglich, die spezifische Dichte zu bestimmen. Für genauere Untersuchungen reichte das aber nach wie vor nicht. Wöhler hinterließ in einem zugeschmolzenen Röhrchen ein stecknadelkopfgroßes Kügelchen sowie eine kleine gehämmerte Platte, welche er selbst mit den Worten „Vom ersten Aluminium“ beschriftete.
 
Wegen seines edel glänzenden Aussehens und des hohen Preises wurde reines Aluminium zu Beginn als Verwandter des teuren Silbers angesehen. Einer der ersten Gegenstände, die aus Aluminium hergestellt wurden, war eine Baby-Rassel für den neugeborenen Sohn von Kaiser Napoleon III. Ein Jahr davor, von Mai bis Oktober 1855 wurde das Metall auf der Weltausstellung in Paris erstmals feierlich einer großen Öffentlichkeit von mehr als fünf Millionen Besuchern präsentiert. Was sie zu sehen bekommen, ist allerdings noch recht bescheiden: Zwölf kleine Barren des neuen Metalls liegen in einer Vitrine, die zusammen gerade mal ein Kilogramm wiegen. Daneben ein paar Objekte wie ein Aluminiumbesteck, ein Chronometer und der Arm einer Balkenwaage aus dem Leichtmetall.
 
Als begabter Promoter erweist sich der französische Chemiker Henri Sainte-Claure Deville, der in seinen Auftritten vor der Akademie der Wissenschaften die Eigenschaften des Metalls in schillernden Farben ausmalt und ihm eine phantastische Zukunft prophezeit: Man bedenke, es sei weiß und unveränderlich wie Silber, schwärze nicht an der Luft, sei gut schmelz- und hämmerbar, dabei auch noch verformbar und zäh. Bedenke man ferner, dass es in beträchtlichen Mengen Bestandteil des gewöhnlichen Tons sei, so müsse man sich geradezu wünschen, dass es bald gelingt, das Metall daraus zu lösen. Dann würde es, so Deville, bald schon alle anderen Metalle überflügeln.
 
Trotz derartiger Werbung sollte es zwei Weltkriege brauchen, bis der silberne Vogel wirklich abhob. Denn als sein wirklicher Trumpf erwies sich seine Leichtigkeit. Und erst über den massenhaften Einsatz für die Karosserie von Flugzeugen entstand das Know-How für die großindustrielle Fertigung des leichten, aber doch stabilen Metalls.

Aus dem Buch “Dirty Little Secret – Die Akte Aluminium” von Bert Ehgartner

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden / Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden / Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden / Ändern )

Google+ photo

Du kommentierst mit Deinem Google+-Konto. Abmelden / Ändern )

Verbinde mit %s