Allen Ginsberg, Dichter der Beat-Generation und Veteran unter westlichen Indien-Reisenden, besuchte im September 1971 die Flüchtlingscamps an der pakistanisch-indischen Grenze. Sein zwei Monate darauf in der New York Times publiziertes Gedicht „September on Jessore Road“ thematisierte eindringlich den Marsch der Flüchtlinge nach Kalkutta, Schmutz und Elend der Lager, die Kinder mit aufgeblähten Bäuchen in der Essensschlange und die Säuglinge, die an der Ruhr starben. In der nordamerikanischen Öffentlichkeit mehrte sich Kritik an der Apathie der Washingtoner Regierung gegenüber dieser humanitären Katastrophe. Offenbar sei Washington, wie Ginsberg eine verbreitete Meinung in seinem Gedicht ausdrückte, zu sehr damit beschäftigt, „Nord-Laos zu bombardieren“ und „Nordvietnam mit Napalm zu verseuchen“. Am stärksten ins globale Bewusstsein rückte Bangladesch jedoch durch ein Konzert, das der Ex-Beatle George Harrison und der berühmte indische Musiker Pandit Ravi Shankar zur Unterstützung der Flüchtlinge im New Yorker Madison Square Garden veranstalteten. Aber auch zahlreiche humanitäre Organisationen, allen voran Oxfam, engagierten sich für die Opfer der Gewalt in Südasien.
Raghavan schreibt über die internationale Solidarität für Bangladesch informativ und mit viel Liebe zum Detail. So erfahren wir etwa, dass der von Drogen benebelte Eric Clapton während seines Auftritts beim Konzert für Bangladesch kaum die Augen offen halten konnte, gleichwohl wie immer genial spielte. Und kommen in den Genuss einer kleinen Hommage an die Sängerin Joan Baez, deren „Song for Bangladesh“ international ebenfalls große Aufmerksamkeit erfuhr. Im Mittelpunkt der Darstellung steht jedoch die große Politik. Der Autor zeichnet detailliert die Haltungen der indischen, sowjetischen, amerikanischen und chinesischen Regierungen sowie die Debatten im Umfeld der Vereinten Nationen nach und entwirrt gekonnt das Geflecht von Interessen und strategischen Manövern und ihren gelegentlich unbeabsichtigten Folgen. Am Ende sicherte sich die indische Regierung unter Indira Gandhi die Unterstützung der Sowjetunion und griff militärisch in den Konflikt ein. Am 16. Dezember 1971 kapitulierte die (west-)pakistanische Armee, und Bangladesch erklärte seine Unabhängigkeit.
Nach über vier Jahrzehnten prägt das Jahr 1971 weiterhin die Gegenwart Bangladeschs. Im Mai 2013 wurde der Anführer der größten islamistischen Partei des Landes zum Tode verurteilt. Ein Sondertribunal sprach ihn wegen damaliger Kriegsverbrechen für schuldig. Die Bangladesch-Krise nahm darüber hinaus, schreibt Raghavan, viele Charakteristika späterer Konflikte vorweg. Dazu zählt er die Spannung zwischen nationaler Souveränität und der Durchsetzung von Menschenrechten, den häufigen Widerspruch zwischen Interessen und Normen sowie die Bedeutung von internationalen Medien, Nichtregierungsorganisationen und Diaspora-Gruppen. Sein exzellent geschriebenes Buch bietet einen guten Einstieg in ein wenig erforschtes Kapitel der Zeitgeschichte.
Srinath Raghavan: „1971“. A Global History of the Creation of Bangladesh. Harvard University Press, Cambridge/Mass. 2013. 359 S., 21,70 €.