Kapitaï und Koba

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wechseln zu: Navigation, Suche
Frühe Karte der deutschen Überseegebiete von 1885: Kapitaï und Koba sind als Dubrica (Dubréka) verzeichnet

Kapitaï und Koba waren zwei westafrikanische Küstenländer, die ab 1884 ein Ziel deutscher Kolonialbestrebungen waren. Trotz eines kaiserlichen Schutzbriefs gab Deutschland seine Ansprüche schon 1885 zugunsten Frankreichs auf. Obwohl die beiden Länder zwischen den Flüssen Rio Pongo und Dubréka und somit südlich von Senegal und Gambia auf dem Gebiet des heutigen Guinea lagen, wurden sie im Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts dem geografischen Raum Senegambien zugerechnet.

Friedrich Colin und sein Deutsch-Afrikanisches Geschäft[Bearbeiten]

Senegambien 1881: Die Flüsse Dubréka und Dembia münden in die Sangaréa-Bucht (hier: Sangari), der Rio Pongo liegt weiter nördlich. Die vor der Sangaréa-Bucht liegenden Los-Inseln sind als britische Interessensphäre eingezeichnet
Detailkarte von Niederguinea mit den Siedlungsgebieten der Baga und Sousou bei Dubréka (Ende des 19. Jahrhunderts)

Der aus Landau stammende Stuttgarter Kaufmann Friedrich Colin hatte bereits seit 1870 im Dienst einer französischen Gesellschaft Handel in einem Gebiet Westafrikas getrieben, auf das Frankreich sich seit 1882 zwar als Teil seiner Kolonie Rivières du Sud Ansprüche reserviert hatte, diese jedoch zunächst noch nicht effektiv untermauert hatte. Wegen der französischen Ansprüche überwarf sich Colin 1882 mit seinen französischen Partnern und verfolgte fortan eigene Interessen in Westafrika, doch der Deutsche Kolonialverein versagte ihm die Unterstützung.[1]

Mit Unterstützung des Direktors der Stuttgarter Vereinsbank und seines Bruders[1] errichtete Friedrich Colin in Boulbinek bzw. im Gebiet der noch freien Baga und Sousou 1883 und 1884 zunächst eine Station seines eigenen Handelshauses sowie entlang des Flusses Dubréka eine Handvoll weiterer Faktoreien bzw. Niederlassungen und schloss Verträge mit einheimischen Häuptlingen bzw. Kleinkönigen.[2][3] In einer Unterredung des Reichskanzlers Otto von Bismarck mit deutschen Afrika-Unternehmern am 28. April 1884 forderte Colin dann erstmals auch direkt den Schutz seiner Besitzungen durch deutsche Annexionen im Gebiet von Rivières du Sud.

Am 9. März 1885 gründete Colin zusammen mit Hamburger Partnern die Firma „Deutsch-Afrikanisches Geschäft“ als Gesellschaft zum Zwecke der Förderung bzw. Entwicklung des Handels mit Westafrika[4] und dem Ziel, dabei bis ins Quellgebiet des Niger (Bergland von Fouta Djallon) vorzudringen.[5] Als Förderer und Ehrenmitglieder seiner Gesellschaft sowie auf Vermittlung seines Bruders konnte Colin ab 1883 zunächst namhafte Kolonialbefürworter wie Fürst Hermann zu Hohenlohe-Langenburg, Graf Friedrich von Frankenberg und Ludwigsdorf, Freiherr Karl von Varnbüler sowie die Unternehmer Adolf von Brüning und Gustav Siegle gewinnen. Somit war Colin das Wohlwollen des Auswärtigen Amtes sicher.[4][6]

„Deutsch-Senegambien“[Bearbeiten]

Das gebirgige und waldige Königreich Kapitaï (auch Capitay, Kapitay, Kabitai oder Khabitaye) befand sich zwischen den Flüssen Dembia und Dubréka und umfasste etwa 1.650 km² auf dem Gebiet der heutigen Präfektur Dubréka, Hauptort war Iatia (Yatiya). Das etwas kleinere Königreich Koba (Kobah) befand sich nördlich von Kapitaï zwischen den Flüssen Dembia und Rio Pongo und umfasste etwa 660 km² auf dem Gebiet der heutigen Präfektur Boffa, Hauptort war Taboria (Taboriya). Ende des 19. Jahrhunderts war Koba reich an Palmen und Kolabäumen, Kapitaï reich an Gummibäumen. Kapitaï und Koba zusammen zählten zu diesem Zeitpunkt etwa 30–40.000 Einwohner, die überwiegend Muslime (vor allem Sousou) waren.[3][7][8]

Das nahegelegene Königreich Sumbuja (auch Sumbayland, Simbaya oder Symbaya) in der heutigen Präfektur Coyah (Hauptort Wonkifong) war 1884 nach dem Tod seines Herrschers in Thronwirren auseinandergebrochen.[5] Mit dem Thronanwärter Mory Fode schlossen Colins vor Ort agierende Vertreter Eduard Schmidt und Johannes Voss am 11. Juli 1884 einen Vertrag ab,[9] ebenso am 13. Juli mit Alkali Bangali, dem Häuptling des Kapitaï-Landes.[5][10] Nachdem er am 10. Oktober 1884 auch mit dem König Te Uri von Koba einen gleichlautenden Vertrag abschließen konnte, stellte Colin am 12. Oktober 1884 in einem an Reichskanzler Bismarck gerichteten Brief den Antrag, das Deutsche Reich möge die Schutzherrschaft übernehmen.[11] Auch der Baga-König Bala Demba, Vater des Königs von Kapitaï, bat in einem Brief an Kaiser Wilhelm II. um Handel mit den Europäern und versprach seinerseits deren Schutz.[12] Im Januar 1885 ist das deutsche Kriegsschiff SMS Ariadne am Mündungsgebiet des Dubréka-Flusses und stellt die Gebiete unter deutschen Schutz.[13]

Die gleichlautenenden Verträge mit König Mory und König Alkali garantierten jeweils für ein Jahresgehalt von 200 Dollar, dass Sumbuja und Kapitaï ohne Genehmigung des Deutschen Reichs keine Verträge mit anderen Mächten abschließen und die Regelung des Handels dem meistbegünstigten Colin überlassen. Die Königsfamilien, deren Untertanen und das ganze Land sollten unter deutschen „Schutz“ gestellt werden, die Rechtsprechung zwischen Europäern und Afrikanern deutschen Reichsgesetzen unterstellt werden. Mory und Alkali sollten Colin im ganzen Königreich Land für die die Errichtung von Wegen, Straßen, Brücken, Eisenbahnen und deutschen Missionsschulen kostenlos überlassen sowie die für Bau und Unterhalt notwendigen Arbeiter stellen.[9][10]

Abkommen mit Frankreich[Bearbeiten]

30 Jahre nach Colins Schutzvertrag: ein König der Baga-Koba (1914)

Bereits seit 1880 hatten parallel zu Colin auch französische Kolonialagenten aus Senegal Verträge mit anderen Häuptlingen und Königen der Region geschlossen. Von Mai bis Juni 1884 hatten daraufhin der Reichskommissar für Deutsch-Westafrika (Togo und Kamerun), Gustav Nachtigal, und sein Vertreter, Maximilian Buchner, an Bord der deutschen Kriegsschiffe SMS Möwe und SMS Elisabeth die Sangaréa-Bucht erkundet, um die rivalisierenden Ansprüche zu prüfen.[14] Aufgeschreckt durch Colins Verträge und die deutschen Kriegsschiffe hatte Frankreich daraufhin am 3. September 1884 endlich auch formal sein Protektorat über das gesamte Bramayaland (Bramiah, im Gebiet der heutigen Präfektur Fria) und Ansprüche bis nach Fouta Djallon (Quellgebiet der Flüsse Niger, Senegal und Gambia) proklamiert.[8][15]

Anders als Nachtigal, der die Voraussetzungen für Kolonialerwerbungen in Senegambien bzw. Guinea wegen der französischen Ansprüche nicht gegeben sah, sah Colin keine französischen Rechte und drängte die Reichsregierung daraufhin im Oktober 1884, erneut ein Kriegsschiff zu entsenden, um seine Besitzungen zu schützen.[5] Nachdem die Reichsregierung im November 1884 Colin eine entsprechende Zusage gemacht hatte, fuhr die Korvette SMS Ariadne Ende Dezember 1884 die Flüsse Dubréka und Dembia einige Kilometer hinauf. Weiter flussaufwärts ging es am 1. Januar 1885 auf dem Privatdampfer Susu. Ebenso wie Colin hielt auch Korvettenkapitän Chüden die Gebiete zunächst nicht für französisches Gebiet. Der Bramiah-König Wiltiam Fernandez empfing Chüden gastfreundlich und kooperationsbereit, gab jedoch an, bereits Verträge mit Frankreich geschlossen zu haben. Der jüngste Vertrag datierte vom 4. September 1884 und sprach aus Sicht Chüdens eindeutig für Frankreich. In Bramiah verzichtete er daher auf das Hissen einer deutschen Fahne. Per Ruderboot fuhren die Deutschen am folgenden Tag zum Ort Yatiya, in dem Chüden mit dem König von Kapitaï, Alkali Bangali, zusammentraf. An diesem 2. Januar 1885 ließ er schließlich an der Sangaréa-Bucht in Anwesenheit des Königs, der deutschen Offiziere und einiger Matrosen die deutsche Flagge hissen. Kapitaï galt somit als deutsches Eigentum des Hauses F. Colin in Stuttgart.[16]

Am 6. Januar 1885 stellte Kaiser Wilhelm I. einen offiziellen Schutzbrief des Reichs für die Dubréka-Kolonie wie auch die Dembia-Kolonie aus,[7] doch als Folge der Vereinbarungen der Kongokonferenz begannen Frankreich und Deutschland ab Februar 1885, ihre Interessensphären und Einflusszonen abzugrenzen. Bismarck bemühte sich so, Frankreichs Revanchepolitik abzuschwächen und auf Kolonialerwerbungen zu lenken, die Frankreich stattdessen mit England entzweien würden.[17]

Nach Nachtigals Tod im April 1885 bemühte sich der deutsche Gesandte in Paris, Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, um eine Verständigung zwischen Frankreich, dem Reich und Colins Handelsgesellschaft.[4] Im Deutsch-Französischen Protokoll vom 24. Dezember 1885 erkannte Deutschland die Souveränität Frankreichs über die Region schließlich an.[18][19] Im Gegenzug erhielt das Deutsche Reich einige an Kamerun und Togo angrenzende Gebietsstreifen (Anecho[20] und Batangaküste[21]). Colins „Deutsch-Afrikanisches Geschäft“ fiel unter französische Gerichtsbarkeit,[14] Fürst Hermann zu Hohenlohe-Langenburg zog sich daraufhin aus der Gesellschaft zurück.[4]

Gegenwart[Bearbeiten]

Im seit 1958 unabhängigen Guinea bildet Koba heute zusammen mit Taboriya die Unterpräfektur Koba-Tatema innerhalb der Präfektur Boffa. Khabitaye ist ein 4.900 Hektar umfassender Nationalpark, Kapitaïs ehemalige Hauptstadt Yatiya gehört heute zur Unterpräfektur Khorira.

Siehe auch[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. a b Origins of Modern German Colonialism, Kapitel 8 (DjVu)
  2. Khabitaye (von enzyklo.de übernommene Angaben aus dem ehemaligen Web-Lexikon Meyers online)
  3. a b Meyers Konversationslexikon, Band 17, S. 214. 4. Auflage, Leipzig / Wien 1885–1892
  4. a b c d Landesarchiv Baden-Württemberg: Nachlass Fürst Hermann zu Hohenlohe-Langenburg
  5. a b c d Wagner, S. 153f
  6. Hans-Ulrich Wehler: Bismarck und der Imperialismus. 4. Aufl., Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1976, ISBN 3-423-04187-0, S. 330.
  7. a b Brockhaus, S. 461f
  8. a b Meyers Konversationslexikon, Band 9, S. 892. 4. Auflage, Leipzig / Wien 1885–1892
  9. a b Wagner, S. 340
  10. a b Wagner, S. 345
  11. Wagner, S. 155
  12. Wagner, S. 241
  13. Albert Röhr: DEUTSCHE MARINECHRONIK. Verlag Gerhard Stalling, Oldenburg/Hamburg 1974, ISBN 3-7979-1845-3, Seite 90
  14. a b Deutsche Schutzgebiete in Westafrika
  15. Meyers Konversationslexikon, Korrespondenzblatt zum 1. Band, S. 1023. Leipzig / Wien 1885
  16. Dr. H. Klee (Hrsg.): Neueste Mittheilungen, IV. Jahrgang, Nr. 14, Berlin, 3. Februar 1885.
  17. Wladimir Petrowitsch Potjomkin: Geschichte der Diplomatie, Zweiter Band (Die Diplomatie der Neuzeit 1872–1919). SWA-Verlag Berlin 1948, S. 94ff und 128.
  18. Wagner, S. 202
  19. Brockhaus, S. 16
  20. Wilfried Westphal: Geschichte der deutschen Kolonien. Gondrom, Bindlach 1991, ISBN 3-8112-0905-1, S. 197.
  21. Passarge-Rathjens: Batangaküste. In: Heinrich Schnee (Hrsg.): Deutsches Koloniallexikon, Bd. I. Quelle & Meyer, Leipzig 1920, S. 142.