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Der Informatik-Guru Joseph Weizenbaum darf "bei Hofe" leidenschaftlich die Computergesellschaft kritisieren - mit ihm sprach Wolfgang Kirkamm: "Ich bin doch nur ein Feigenblatt"

Der 71jährige Amerikaner Professor Joseph Weizenbaum gilt als einer der Männer, die in den fünfziger und sechziger Jahren die Entwicklung der Computer und die Erforschung der künstlichen Intelligenz entscheidend vorangetrieben haben. Heute warnt der kompetenteste Kritiker im Orden der Computerwissenschaftler: "Wir können mit Hilfe der Computer alles mögliche machen - aber um welchen Preis?" Berliner Zeitung: Herr Professor Weizenbaum, was würden Sie Eltern empfehlen, die ihrem zehnjährigen Kind einen Computer kaufen wollen? Prof. Joseph Weizenbaum: Die würde ich fragen: Warum, denken Sie, braucht Ihr Kind einen Computer statt eines Fahrrads oder eines Musikinstruments beispielsweise? Viele meinen, die Welt, in der mein Kind aufwächst und arbeiten wird, ist voller Computer. Um nicht zurückzubleiben, müsse das Kind etwas über sie wissen. Das stimmt aber nicht. Unsere Welt heute könnte nicht existieren ohne elektrische Motoren. Die sind überall. Aber niemand sagt, man müsse deshalb etwas über sie wissen. So ist es mit dem Computer. Warum denken Sie eher an ein Musikinstrument als an einen Computer? Das hat mit Prioritäten zu tun. Kinder, die zu früh am Computer sitzen, vernachlässigen Dinge, die viel wertvoller sind zu dieser Zeit - die deutsche Sprache, das Schreiben, kritisches Lesen, sich mit der Geschichte befassen. Wer alles über den Computer weiß, aber nicht viel anderes, befindet sich in der Lage eines Dolmetschers, der sehr schön übersetzen kann, aber nichts Eigenes zu sagen hat. Die einen Erziehungsexperten sehen den Computer als intelligenten Spielkameraden. Andere meinen, wer zu oft vor dem Bildschirm sitzt, wird zum hilflosen, kommunikationsunfähigen Stubenhocker. Ist diese Gefahr real? Ja, natürlich sehe ich eine solche Gefahr. Aber wenn es so ist, sollte man die Schuld daran nicht dem Computer geben. Es ist eher die Sache der Eltern, wenn sie ihre Verantwortung für die Kinder an die Schule abdanken oder an den Fernseher oder den Computer. Ich bin seit 30 Jahren Lehrer an einer sehr elitären Uni in Cambridge. Allein die Studiengebühr beträgt 25 000 Dollar im Jahr. Aber immer mehr Studenten erzählen mir, daß sie jahrelang nicht mit ihren Eltern zusammengesessen oder ein ernstes Gespräch geführt haben. Sie sprechen den Computer frei? Der Computer ist doch wie der Schnuller, der dem Stillmachen des Kindes dient. Soll man deshalb die Gummiindustrie verbieten? Sie können es drucken, niemand wird es glauben, aber es ist wahr: Ein Drittel der 16- bis 30jährigen in den USA sind praktisch Analphabeten. Sie können Straßenschilder lesen und Comic Books. Aber sie können keinen einzigen Absatz in ihrer Sprache schreiben, der nicht bis zur Unverständlichkeit verstümmelt wäre. Meine drei Kinder haben immer eine ganz normale, eine öffentliche Schule besucht. Ich hatte auch immer einen Computer zu Hause, und trotzdem hat der sie nicht infiziert. Sie beherrschen die englische Sprache. Weil wir Bücher hatten, weil wir jeden Abend beieinander saßen. Spielpädagogen empfehlen Computerspiele für Kinder. Sie förderten Phantasie, Streßresistenz, Reaktionsschnelligkeit und kalkulatorisches Denken. Da bin ich leidenschaftlich dagegen. Was vermitteln die meisten dieser Spiele tatsächlich? Die Antwort ist, wenn man richtig hinsieht: Die Trennung zwischen dem, was ein Mensch tut und der Verantwortung dafür. Die meisten dieser Spiele sind voller Gewalt. Da werden Städte oder Flugzeuge zerstört, Raketen auf Raumschiffe geschossen - und alles muß sehr schnell gehen. Dabei sterben in der Realität Menschen. Aber das Kind wird trainiert, daran nicht zu denken. Sehen Sie eine Absicht dahinter? Ich weiß es nicht. Aber da muß ich doch etwas erzählen. Es ist schon ein paar Jahre her, da war Ronald Reagan noch Präsident. Er ging zu einem Disneyland-Park. Ihm wurde gezeigt, wie Kinder am Computer das Abschießen von Flugzeugen simulieren, und da hat Reagan ganz spontan gesagt. "Das sind unsere Piloten von morgen." Und damit hatte er völlig recht. Sie fragen, ob das Absicht ist. Zumindest ist das Beispiel mit Reagan real. Das sind die Ausnahmen, halten Ihnen Kitiker entgegen. Das sind sie eben nicht. Nehmen wir die "harmlosen" Spiele, in denen Tiere gefressen werden oder Roboter kämpfen. Ganz ohne Blut. Aber es ist immer noch Gewalt und Zerstörung, immer noch das Gewinnen gegen den, den man vernichten will. Sie befassen sich seit über 40 Jahren ganz intensiv mit Computern. Hat diese Technik den von Ihnen erhofften Fortschritt gebracht? Ich kann gar nicht so sagen, was ich mir erhofft habe. Wir haben es nicht gewußt, wie ungeheuer schnell der Fortschritt sein würde. Bis etwa 1957 dachten bedeutende Leute in den USA, die wirklich etwas von Computern verstanden, die Zeit wäre bald da, da wir in Amerika sieben oder acht riesige Computer haben werden. Und das würde es dann sein und das Rechenbedürfnis für Amerika erledigen. In den größten Städten des Landes je einer. Wir haben uns nicht vorstellen können, daß die Zeit kommt, da fast jeder Student einen für damalige Verhältnisse unvorstellbar schnellen Computer hat. Was gab den Antrieb für dieses Tempo? Der Antrieb kam ganz, ganz klar und eindeutig vom Militär. Der Computer wurde vor fast 60 Jahren erfunden und ganz unabhängig voneinander in Amerika, in England und in Deutschland entwickelt. Er war von Anfang an ein Kriegsinstrument. Nach einer kurzen Zeit einer unvorstellbaren Abrüstung in den USA begann mit dem Krieg in Korea die moderne Militarisierung der amerikanischen Gesellschaft, die immer noch nicht aufgehört hat. Das Militär verlangte, die riesig großen Computer viel kleiner zu machen, sie mußten nicht nur in ein Flugzeug passen, sondern auch in eine Rakete. Dafür war unendlich viel Geld und menschliches Talent da. Ich denke, wenn es das amerikanische Militär für notwendig gehalten hätte, die Entwicklung von Solarzellen so zu unterstützen wie damals die von Transistoren, hätten wir heute Sonnenenergie und brauchten keine Kernkraftwerke. Die Computer für die Industrie kamen als "Nebenprodukte". Der Mensch baut sich als Computer nach, er baut aber auch seine eigenen Fehler nach, denen er dann hilflos ausgeliefert ist. Diese Hilflosigkeit ist nicht zu übersehen. Airbus-Abstürze sind ein Beispiel dafür. Oder denken Sie an den Börsencrash von 1987, nur weil die Rechner "durchdrehten". Bei der Giftgaskatastrophe im indischen Bhopal verhinderte ein Fehler in der Software die rechtzeitige Warnung der Bevölkerung. Wir stellen immer mehr Systeme her von ungeheurer Komplexität, die wir dann nicht beherrschen können. Sie selbst haben einmal gesagt, Sie hätten als junger Mann geglaubt, alle Fragen dieser Welt seien mathematisch berechenbar. Ich war 16 Jahre so etwa, als ich die symbolische Logik zum ersten Mal sah. Ja, da dachte ich, damit ist alles möglich. Das würde ich aber nicht "glauben" nennen. Das ist wie mit der Sprache: Es kann alles gesagt werden, aber es ist noch längst nicht alles gesagt. Sie haben unter anderem das Computersystem der Bank of America entwickelt. Gibt es andere Arbeiten, auf die Sie stolz sind? Na ja. Ich war wohl ein ziemlich guter Lehrer. Und wenn ich etwas verstehe, kann ich es verständlich wiedergeben. Das ist in den USA ganz anders als in Deutschland. Wenn hier ein Akademiker ein Buch schreibt, das allgemein lesbar ist, wird es schnell verhöhnt als nicht wissenschaftlich. Warum erwähnen Sie nicht das von Ihnen entwickelte Computerprogramm ELIZA; das als ein Meilenstein in der Geschichte der künstlichen Intelligenz gilt? Daß es ein Meilenstein wurde, hat damit zu tun, wie ungeheuer meine Arbeit mißverstanden und mißbraucht wurde und noch wird. Das war 1966 und technisch ziemlich einfach. Ich entwickelte Mechanismen für die Analyse und Behandlung natürlicher Sprache, also von Wörtern und Sätzen, im Computer. Diese Mechanismen wollte ich ausprobieren und mit einer Reihe cleverer Tricks - das gebe ich gern zu - habe ich das in einem Psychiater-Patient-Gespräch simuliert. Das war sehr lustig für mich und andere. Aber dann wurde es ernst, als Psychiater sagten: Das ist der Anfang der automatischen Psychiatrie. Das bedeutete doch nichts anderes, als daß sie daran glaubten, daß Maschinen Menschen therapeutisch behandeln können. Da habe ich gedacht, was ist denn eigentlich los hier? Und heute kann man Programme kaufen in Amerika, die genau das machen. Andere Wissenschaftler, wie der Amerikaner Hans Morawec, gehen ja noch viel weiter. Er sagt, wir seien dem Zeitpunkt schon sehr nahe, zu dem jede wichtige körperliche oder geistige Funktion des Menschen ihr künstliches Pendant haben wird. Er sieht eine postbiologische Welt, die von sich selbst vervollkommnenden denkenden Maschinen beherrscht wird. In 50 Jahren vielleicht schon. Ja, und wir Menschen werden Glück haben, wenn unsere Nachfolger uns als Schoßtierchen behalten werden. So geht dieser Unsinn weiter. Der Mensch hat eben Vorstellungskraft und Phantasie. Aber dies bedeutet doch nicht, daß sie in Realität übersetzt werden kann - oder soll! Sie meinen also, die Voraussagen für ein Entstehen dieser neuen Geschöpfe der künstlichen Intelligenz sind einfach nicht realistisch? Ich meine, es ist absurd zu denken, daß man das Menschliche künstlich herstellen kann. Die vor 30 Jahren erweckten Hoffnungen und Vorhersagen von größten Autoritäten auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz sind auch einfach nicht eingetreten. Weshalb machen Sie sich dann überhaupt Sorgen? Weil Ideen Macht haben, und auch falsche Ideen haben große Macht. Die Idee, daß wir Menschen nichts anderes sind als eine Informationsmenge, als eine sehr raffinierte Maschine, die von anderen Maschinen ersetzt werden kann, diese Idee - obwohl falsch - ist eine, die sehr viel Macht hat. Sind Sie in Ihrem Kollegenkreis als Nestbeschmutzer verschrien? Nein, das ist nie passiert, jedenfalls ist mir das nicht bewußt geworden. Vor einiger Zeit wurde der MIT-Präsident in einem Interview mit dem französischen Magazin Express gefragt, ob er nicht über die politischen Konsequenzen und Gefahren der Arbeit des Instituts nachdenke. Der Präsident antwortete: "Dafür haben wir Professor Weizenbaum." Stimmt, ich bin nur ein Feigenblatt. Aber soll ich denn sagen, okay, nun werde ich damit aufhören? Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen. Werden wir bald in der "virtual reality" des "cyberspace" Spaziergänge auf fernen Planeten oder im Wohnzimmer einen Ausflug durch das nächtliche Paris erleben können? Versprochen wird viel, aber das alles ist so unrealistisch und kostet so viel, daß es auch in 15 Jahren nicht halbwegs perfekt sein wird. Ich bin aber fast bereit zu sagen, daß der Computer in den nächsten 20 Jahren in genau demselben Sinne wie der elektrische Motor ins Unterbewußte verschwinden wird. Er ist überall, aber wir sprechen nicht mehr groß von ihm. Und noch etwas, die Zeit wird kommen, wo der Informatiker genauso verrufen sein wird wie der Nuklear-Experte. Ich fürchte, die menschliche Kommunikation wird durch die Computerisierung so abnehmen, daß es dem Menschen einmal leid tun könnte. Ist es nicht der größte Spaß, mit einem anderen Menschen statt mit einem Computer zu sprechen? +++

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