Chuch’e-Ideologie

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Koreanische Schreibweise
koreanisches Alphabet: 주체사상
chinesische Schriftzeichen: 主體思想
Revidierte Romanisierung: Juche sasang
McCune-Reischauer: Chuch’e sasang

Die Chuch’e-Ideologie (von koreanisch Chuch’e: ‚Selbständigkeit‘, ‚Autarkie‘; Aussprache in IPA: [ʨu.ʨʰe], sprich Dschutsche), meist Juche-Ideologie geschrieben, ist eine politische Ideologie, die vom verstorbenen Präsidenten Nordkoreas (Demokratische Volksrepublik Korea, DVRK), Kim Il-sung, entwickelt wurde.

Inhalte[Bearbeiten]

Die Chuch’e-Ideologie wird von ihren Anhängern als Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus verstanden, widerspricht diesem aber wesentlich. Kern der Ideologie ist, dass die Interessen der eigenen Nation über denen der internationalen kommunistischen Bewegung stehen und dass ein „Arbeiterführer“ die Gesellschaft transformieren muss. Zudem wird eine besondere Rolle Koreas angenommen, das im Mittelpunkt der Welt stehe. Nach dieser Auffassung ist der klassische Marxismus-Leninismus in seinen „historischen Grenzen“ gefangen, die Chuch’e-Ideologie jedoch ewig.

Dieser Ideologie zufolge muss jede Nation die gesellschaftliche Revolution eigenständig vorantreiben. Die drei Prinzipien der Chuch’e-Ideologie sind:

  1. Politische Souveränität (chachu, 자주)
  2. Wirtschaftliche Selbstversorgung (charib, 자립)
  3. Militärische Eigenständigkeit (chawi, 자위)

Der Staat hat demnach die Aufgabe, politische, wirtschaftliche und militärische Unabhängigkeit zu gewährleisten, was unter anderem aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Japan resultiert, die dem Korea unter japanischer Herrschaft vorausging.[1] Mit diesen Prinzipien begründet Nordkorea die Isolierung gegenüber dem Ausland.

Der Mensch steht laut Chuch’e-Ideologie in der Position eines Gestalters und Herrschers der Welt. Jedoch müsse sich der einzelne Mensch den Volksmassen unterordnen, da er sich nur in der Gruppe entfalten könne. Die Volksmassen wiederum sollen durch die Partei und den Führer geleitet werden. In der Chuch’e-Ideologie ist der Mensch zwar Subjekt, doch wird von ihm bedingungslose Loyalität gefordert.

Als weiteren Unterschied zum klassischen Marxismus-Leninismus betonen Chuch’e-Anhänger die Einbeziehung der Intellektuellen. So zeigt das Emblem der Partei der Arbeit Koreas Pinsel, Hammer und Sichel: Der Hammer steht für die Arbeiterklasse, die Sichel für die Bauernschaft und der Pinsel für die Intellektuellen. Dieses Konzept ist allerdings nicht nur in der Chuch’e-Ideologie zu finden; auch andere kommunistische Strömungen wenden sich an die Intellektuellen, was auch in den Symbolen von Parteien und Bewegungen deutlich wird, beispielsweise dem Zirkel im Wappen der DDR.

Bedeutung in Nordkorea[Bearbeiten]

Chuch’e-Turm in Pjöngjang

Chuch’e ersetzte 1977 den Marxismus-Leninismus als Weltanschauung in der Verfassung der Demokratischen Volksrepublik Korea und hat auch nach dem Tod Kim Il-sungs 1994 Bedeutung. Unter seinem Sohn Kim Jong-il wurde die Chuch’e-Ideologie aber zunehmend von der Sŏn’gun-Politik (nordkoreanischer Militarismus) verdrängt, die seit 2009 in der nordkoreanischen Verfassung an erster Stelle genannt wird.[2]

1997, drei Jahre nach Kim Il-sungs Tod, wurde in Nordkorea offiziell der Chuch’e-Kalender eingeführt. Er unterscheidet sich vom Gregorianischen Kalender durch die Jahreszählung, die mit dem Geburtsjahr Kims beginnt. So gilt seitdem das Jahr 1912 als „Chuch’e (auch: Juche) 1“. Im Alltagsleben der Nordkoreaner spielt diese Zeitrechnung jedoch keine Rolle – da die Umrechnung vom Gregorianischen Kalender zum Juche-Kalender recht umständlich ist, wird die Juche-Rechnung nur im offiziellen Bereich verwendet.

Als Denkmal der Ideologie wurde 1982 das Monument der Chuch’e-Ideologie in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang fertiggestellt.

Internationale Bedeutung[Bearbeiten]

In den 1970er und 1980er Jahren gelang es Nordkorea, auch international Anhänger für die Chuch’e-Ideologie zu gewinnen. Vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika entstanden „Chuch’e-Ideologie-Studiengruppen“. Sie wurden großzügig mit Studienmaterialien unterstützt. Anhänger, die Werke von Kim Il-sung und anderen Vertretern der Chuch’e-Ideologie lesen, wurden häufig in den nordkoreanischen Medien gezeigt. Diese Gruppen fühlten sich auch von der Vorstellung einer von den damaligen Großmächten Sowjetunion und USA unabhängigen nationalen Entwicklung angezogen. Auch Regierungsvertreter einiger afrikanischer Staaten waren Anhänger der Chuch’e-Ideologie. So wurde das „Internationale Wissenschaftliche Seminar der Chuch’e-Ideologie“, das vom 28. bis zum 30. September 1976 in Antananarivo, Madagaskar stattfand, vom damaligen Staatspräsidenten Didier Ratsiraka eröffnet. Auch andere Staatsoberhäupter sprachen in den 1980er Jahren bei Staatsbesuchen in Nordkorea positiv über die Chuch’e-Ideologie.

Am 9. April 1978 wurde in Tokio das „International Institute of the Juche Idea“ (IIJI)[3] gegründet. Ziel war laut Gründungserklärung „die Verbreitung der klassischen Werke des hochverehrten und geliebten Präsidenten Kim Il-sung, die Organisation von Seminaren und Vorlesungen sowie die Veröffentlichung von Schriften, die Koordinierung der Zusammenarbeit der Juche-Studiengruppen und die Eröffnung von Bibliotheken zum Studium der Juche-Ideologie sowie Buchausstellungen zur Verbreitung der Juche-Ideologie“.[4] Erster Generaldirektor des Instituts war der Japaner Yasui Kaori. Von 1985 bis 1989 wurde das IIJI vom vormaligen österreichischen Bundesjustizminister Hans Klecatsky geleitet.[5] Gegenwärtiger Generaldirektor ist der Inder Vishwanath. Organ des IIJI ist die Zeitschrift Study of the Juche Idea.

Am 12. und 13. April 2012 fand aus Anlass des 100. Geburtstages Kim Il-sungs in Pjöngjang eine „Weltkonferenz der Chuch’e-Ideologie“ statt.[6]

Heute hat die Chuch’e-Ideologie außerhalb von Nordkorea kaum Einfluss. Es gibt in einigen Ländern aber noch Juche-Studiengruppen, besonders in Lateinamerika und Afrika, aber auch in Europa. In Deutschland zählen zu diesen Gruppen der „Freundeskreis der Juche-Ideologie“ in der KPD-Ost und die „Korean Friendship Association-Germany“, die enge Kontakte zum „Komitee für Kulturelle Beziehungen mit dem Ausland“ in Pjöngjang unterhält.

Von 1996 bis 1998 bestand die Partei der Arbeit Deutschlands (PdAD), die sich an der Partei der Arbeit Koreas orientierte. Die PdAD hatte kurzzeitig Kontakt zur NPD, wo die Ideologie im Rahmen des propagierten Antiamerikanismus rezipiert wurde.[7] Im Rahmen seiner Querfrontstrategie orientierte sich auch der 2008 aufgelöste neonazistische „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ an der Chuch’e-Ideologie.[8]

In Frankreich bezieht sich die Parti Juche de France (PJF) auf die Chuch’e-Ideologie.[9]

Primärliteratur (Nordkorea)[Bearbeiten]

  • Kim Jong-il, Über die Dschutsche-Ideologie, Pjöngjang: Verlag für Fremdsprachige Literatur, 1982
  • Kim Jong-il, Über die Juche-Philosophie, Pyongyang: Verlag für Fremdsprachige Literatur, 2002
  • Kim Il-sung, Über die Beseitigung des Dogmatismus und des Formalismus sowie über die Herstellung des Juche in der ideologischen Arbeit, Pjöngjang: Verlag für Fremdsprachige Literatur, 1971, Juche-Bibliothek
  • Kim Il-sung, On Juche in our Revolution, Band 1 - 3, Pyongyang: Foreign Languages Publishing House, 1975 - 1982
  • Kim Il-sung, On the Juche Idea, Pyongyang: Foreign Languages Publishing House, 1979
  • The International Seminar on the Juche Idea, Pyongyang: Foreign Languages Publishing House, 1977

Sekundärliteratur[Bearbeiten]

  • Belke, J.Thomas: Juche: A Christian Study of North Korea's State Religion, Bartlesville: Living Sacrifice Book Company, 1999, ISBN 0882643290
  • Mackerras, Colin: The ‚Juche‘ idea and the thought of Kim Il Sung, in: Colin Mackerras, Nick Knight, Marxism in Asia, London: Croom Helm, 1985
  • Rinser, Luise, Nordkoreanisches Tagebuch, Frankfurt am Main: Fischer, 1986, ISBN 3-596-24233-9
  • Pfabigan, Alfred: Schlaflos in Pjöngjang. Vom gescheiterten Versuch, einen skeptischen Europäer zu einem Mitglied der Großen Roten Familie zu machen, Wien: Verlag Christian Brandstätter, 1986, ISBN 3854472048

Weblinks[Bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Rüdiger Frank: Nordkorea. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014, Seite 33, ISBN 978-3-421-04641-3
  2. The Purpose of the Revised Constitution, Daily NK, 29. September 2009 (englisch).
  3. The International Institute of the Juche Idea (englisch)
  4. Pyongyang Times, 15. April 1978, S. 4
  5. Pan, Christoph, Nordkorea - Die ideologische und soziologische Basis, Wien: Braumüller Verlag, 1992, S. 125
  6. Pyongyang Times, 14. April 2012, S. 12
  7. Henrik Steglich, Die NPD in Sachsen, Göttingen 2005, S. 77 Google Books
  8. Sebastien Nekyia: Mit Milchpulver und Armbrust, Jungle World Nr. 22, 31. Mai 2012
  9. Parti Juche de France (französisch)