Neue Energie
Magazin für erneuerbare Energien
April 1999
Atom-Rückstellungen - die Bank der Stromkonzerne
Alternative Fondslösung
könnte klimaverträgliche Energieversorgung fördern
von Michael Franken
Es geht um Geld, um viel Geld. Schätzungsweise 20 bis
30 Milliarden Mark könnten den Stromriesen verlorengehen, wenn sich die rot-grünen
atomaren Ausstiegspläne realisieren lassen. Die Energie-Vorstände von RWE Energie, Veba,
Viag/Bayernwerk und der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) wissen das nur zu gut.
Deshalb wettern sie massiv gegen ein Ende der Wiederaufarbeitung von abgebrannten
Brennelementen und sind gegen klar festgelegte Restlaufzeiten für Atommeiler:"Je
länger die atomare Infrastruktur weiter besteht um so sicherer ist der Rückgriff auf die
angehäuften Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber", meint Veit Bürger,
Finanz- und Energie-Experte in der Hamburger Greenpeace-Zentrale. Und an dieser Stelle könnte der Report über Macht und Geld in deutschen Landen eigentlich enden. Doch die aktuellen Grabenkämpfe und die heftigen Gefechte zwischen Politik und Stromwirtschaft über den künftigen Energiekurs ohne Atomkraftwerke (AKW) sind ein Lehrstück in Sachen demokratischer Entscheidungsfindung.
Eine kurze Rückblende: Bereits 1991 kritisierte die von der alten Bundesregierung eingesetzte Deregulierungskommission die von den Stromgiganten angehäuften Milliardenpolster, die in den Konzernzentralen am Fiskus vorbei in Sicherheit gebracht werden konnten. Diese Praxis sei "skandalös", erregten sich damals Theo Waigels Steuerbetriebspüfer. Jahr für Jahr sparten die Atombosse Milliarden, denn die ungelösten Zukunftsfragen bei der atomaren Müllverwahrung erlaubten es den AKW-Betreibern, riesige Beträge für den Abriß von Atomruinen oder die Entsorgung von abgebrannten Brennstäben bei den Kunden zu kassieren und im eigenen Haus sicher zu parken. Alles, was Ex-Bundesfinanzminister
Oskar Lafontaine mit seiner Steuerreform durchsetzen wollte, hatte sein Vorgänger Waigel
in ähnlicher Form auch schon probiert und war damit Das Handelsgesetzbuch zwingt die Buchhalter der Stromkonzerne, Gelder anzuhäufen, um den späteren Abriß der verseuchten Atomfabriken oder den Bau eines Endlagers bezahlen zu können. Nach Angaben des neuen Koordinators der Kraftwerks-Branche und Vorstandsboß der Isar-Amperwerke AG, Heinz Klinger, sind bislang Rückstellungen von 60 Milliarden Mark gebildet worden. Diese "Eisernen Reserven" mindern den Gewinn und führen zu Steuerersparnissen. je höher die Vorsorgepolster sind, um so spärlicher ist der Steuerfluß an Bund und Länder.Weil die Atomstromer diese Gelder für Investitionen in anderen Branchen -Abfallwirtschaft und Telekommunikation - verwendet haben, sind ihre steuerfreien Rückstellungen schon lange umstritten. Die Firmen nutzen die gesetzlich verbrieften Vorteile als Bank im eigenen Haus und letztlich für alle möglichen Feldzüge von Untemehmenseinkäufen, nur nicht für die Energieversorgung", schimpft Michael Müller, stellvertretender SPD-Fraktionschef Die Stromkonzerne verhielten sich wie ein "Staat im Staate" und würden "rücksichtslos nur ihre wirtschaftlichen Interessen durchboxen", so Müller.
Bei solchen Riesensummen ist der Rückgriff auf eine konkurrenzlos billige Finanzierungsquelle ein gewaltiger Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten wie kleineren Stadtwerken, die auf teures Fremdkapital angewiesen sind. Die Dimensionen sind in der Tat enorm: Allein die vier großen AKW-Betreiber RWE, Veba/PreussenElektra, Bayernwerk und EnBW verfügen über steuerfreie Rückstellungen auf ihren Konten in Höhe von knapp 40 Milliarden Mark. Zum Vergleich, der Global Player Siemens hat gerade mal 38 Milliarden in seinen Kassen. Die Essener RWE-Manager verfügen über ein sattes steuerfreies Guthaben von 18,8 Milliarden Mark. Die Konsequenz: Im Geschäftsjahr 1997/98 konnte der zu versteuernde Gewinn durch diese Rückstellungen um fast 1,5 Milliarden gedrückt werden. Von solchen Möglichkeiten kann die Masse der mittelständischen Unternehmen nur träumen. Schließlich können die Folgekosten der AtomenergieNutzung schon heute steuermindernd geltend gemacht werden, und nicht erst dann, wenn die eigentlichen Entsorgungskosten beispielsweise für den Betrieb eines Endlagers anfallen. Die Bildung von Entsorgungsrückstellungen stellt eine Steuerstundung dar. Bis zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der gebunkerten Gelder kann diese Steuerersparnis als zinsloser Kredit der Finanzbehörden an die Atomkraftwerksbetreiber betrachtet werden", meint Wolfgang Irrek, Finanz-Experte am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.Auch andere Branchen können Rückstellungen bilden, etwa für Pensionszusagen oder zur Beseitigung von Umweltschäden. Nur die Summen sind in der Regel viel bescheidener. "Niemand kann wie die Atombosse jahrzehntelang frei über zweistellige Milliardenbeträge verfügen", ist sich Greenpeace-MitarbeiterVeit Bürger sicher. Bei den aktuell diskutierten Bonner Steuerplänen geht es nun darum, ein generelles Abzinsungsgebot von 5,5 Prozent pro Jahr für Geldleistungsverpflichtungen und - das ist neu - auch für Sachleistungen bei den Entsorgungsrückstellungen durchzusetzen. Im Klartext heißt das, daß die Strommanager damit rechnen müssen, unter Umständen ihre kompletten Entsorgungsrückstellungen, die zu den Preisen des Bilanzstichtages gebildet wurden, um 5,5 Prozent pro Rückstellungsjahr abzuzinsen. Konkret würde dies nach Angaben von RWE zur Folge haben, daß etwa die Kosten für die Entsorgung eines heute genutzten Uranbrennstabes, der in 30 Jahren der Endlagerung zugeführt wird, nur noch mit weniger als einem Drittel der heutigen Entsorgungskosten rückstellungsfähig wäre.
Prompte Reaktion von
RWE-Chef Dietmar Kuhnt: "Wenn die Steuerpläne der Bundesregierung so bleiben wie
bisher, überdenken wir alle Investitionen."
Weil bei der Frage der
Restlaufzeiten der Meiler und der Frage, wie geht es weiter mit der Wiederaufarbeitung so
gut wie nichts geklärt ist, kann auch niemand sagen, wie teuer in den kommenden Jahren
die Entsorgung der atomaren Überreste sein wird. Im Grunde ist zur Zeit nichts beim
Ausstiegskonzept klar", stellt Greenpeace-Mann Bürger fest. Mit Blick auf die
steuerfreien Rückstellungen braucht man sich nicht zu wundern, daß die Strombranche
unbedingt am Konzept der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstäbe so lange wie eben
möglich festhalten will. Letztlich geht es um schätzungsweise 20 Milliarden Mark, die
für diesen Entsorgungspfad steuerfrei in den Bilanzen der großen Energieversorger
geparkt werden können. Man kann es drehen und wenden wie man will, von Anfang an standen
und stehen die über die Jahre angehäuften steuerfreien Milliarden immer im Hintergrund
bei den Bonner Energiekonsensrunden. Gäbe es ein klares Ausstiegskonzept mit
festgezurrten Abschaltterminen und Auslauffristen, dann würden die AKW-Betreiber richtig
ins Schwitzen kommen. Und noch etwas: Die grundsätzlichen betriebswirtschaftlichen
Vorteile der derzeitigen Rückstellungspraxis werden von niemandem in der Stromwirtschaft
bezweifelt. Schon vor Jahren hieß es in einer RWE-Stellungnahme:
also reges finanzielles Interesse daran haben, Stillegung,Abriß und Entsorgung möglichst weit hinauszuschieben, und damit auch erklärt ist, warum Entsorgungskonzepte so gerne auf die lange Bank geschoben werden.
"Denn je weiter
sie die Zahlungen für Stillegung, Rückbau und Endlagerung hinauszögern können, um so
länger sprudeln die günstigen lnnenfinanzierungsquellen", erklärt der Wuppertaler
Experte Irrek. Doch es ginge auch anders und zwar zum Vorteil des Fiskus und der Umwelt.
Nach Ansicht vieler Branchenkenner wäre eine öffentlich "Das Beispiel Schweiz zeigt wie
ein solches Modell funktionieren Die Verwaltung der Wertpapiere liegt bei den entsprechenden Banken. Jeder AKW-Betreiber hat gegenüber dem Fonds eine konkursfeste Forderung im Umfang seiner geleisteten, einbezahlten Gelder, einschließlich der angefallenden Zinsen und abzüglich des Anteils an den Verwaltungskosten. Im Prinzip handelt es sich bei der Geschichte um eine Poollösung, um eine Solidargemeinschaft der AKW-Betreiber und staatlicher Verwaltung", klärt Müller auf. Eine solche Fondslösung würde ganz eindeutig die günstigen, internen Geldquellen' der Strombranche beschränken, reduziert also Wettbewerbsverzerrungen und macht die Stillegungsfinanzierung transparenter, sicherer. Unterm Strich erleichtert das Fondskonzept die Kontrollmöglichkeiten der Preisaufsichts- und Finanzbehörden. Ein vergleichbares Modell hat eine interdisziplinäre Forschungsgruppe-am Wuppertal Institut schon vor zwei Jahren entwickelt. Entsprechend dem Schweizer Vorbild soll der Fonds von der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) verwaltet werden."Mit den Zinseinnahmen des Fonds, die durch Anlage der Fondsgelder entstehen könnten volkswirtschaftlich sinnvolle Klimaschutzprojekte entstehen meint Peter Hennicke, Chef der Energieabteilung. Und genau das ist der springende Punkt bei der von Hennicke und seinen Mitarbeitern favorisierten Fondslösung: Ein entsprechendes Förderprogramm für den Ausbau der regenerativen Energien könnte über die Zinserträge finanziert werden. Also statt Milliarden in Abfallentsorgung und fragwürdige, extrem defizitäre Telekommunikationsgeschäfte zu stecken, würden die Erträge des Fonds einen kleinen Schritt in Richtung Energiewende mitfinanzieren. Die von den Wuppertaler Experten vorgeschlagene Fondslösung bedeutet nicht, die Unternehmen aus der Verantwortung für die Finanzierung von Stillegung, Abriß und Entsorgung zu entlassen. Sobald die im Fonds angesammelten Gelder für ihren eigentlichen Zweck benötigt werden, können sie von den Unternehmen angefordert werden. Den Stromkonzernen wird nur in der
Zwischenzeit die Dispositionsmöglichkeit über die Rückstellungsbeträge entzogen",
erklärt Hennicke das System. Mit der Fondslösung gebe es auch eine neue Perspektive bei
der Frage der Besteuerung der Rückstellungen. "So läßt sich ein Ausweg aus der
verfahrenen politischen Debatte in Bonn aufzeigen", meint auch der
Greenpeace-Mitarbeiter Veit Bürger. Nur, warum tut sich nichts in Bonn? Angesichts der
aktuellen Stimmung befürchten die Bündnisgrünen einen Aufschrei der Stromkonzerne. |
Bearbeitet am: 06.04.1999/ad