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Auf Suche nach Nahrung in die Todesfalle. Über die merkwürdigen Ernährungsgewohnheiten der fleischfressenden Kannenpflanze Nepenthes albomarginata.

Forschung Frankfurt 01/2002;
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Available from: Marlis Merbach, Sep 05, 2015
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    ABSTRACT: Die Interaktion zwischen der Kannenpflanze Nepenthes bicalcarata und der mit ihr assoziierten Camponotus schmitzi stand im Zentrum der Arbeit. Dabei wurden vier Themen-bereiche zur genaueren Bearbeitung ausgewählt. In einer am Anfang stehenden Studie wurden die Nektarien der Gattung Nepenthes in ihrer Anatomie, der Oberflächenstruktur sowie der Nektarsekretionsmuster histologisch und anhand von Langzeitstudien zur Nektarsekretion bearbeitet. Die Ergebnisse wurden in ihrer Bedeutung für Ameisen–Pflanzen-Beziehungen in der Gattung diskutiert. Daraus ergab sich eine Neubewertung der Funktionen der Nektarien sowie der Peristomzähne im Vergleich zu älteren und neuen Untersuchungen anderer Autoren. Die bearbeiteten Fragestellungen in diesem Teilbereich bezogen sich auf die zeitlichen und räumlichen Muster und zu der Nektarienanordnung und Nektarsekretion bei Nepenthes sowie ihre Zuordnungen zu den unterschiedlichen Nektarientypen. Der Schwerpunkt lag auf der Untersuchung von N. bicalcarata, zusätzlich erfolgten vergleichende Studien der Nektarsekretionsmuster bei N. albomarginata, N. gracilis, N. mirabilis var. echinostoma und N. rafflesiana. Zudem wurden die Funktionen der EFN bezüglich dem Beuteanlockungssystem und der Myrmekophylie innerhalb der Gattung sowie der Myrmekophytie von N. bicalcarata bearbeitet. EFN kommen bei allen untersuchten Nepenthes-Arten in allen über dem Boden gelegenen Teilen der Pflanze vor. Die Nektarsekretionsmuster zeigen einen räumlichen und zeitlichen Verlauf. Das junge in Entwicklung befindliche Blatt sezerniert zuerst an der Blattbasis, im weiteren Verlauf während der Ausdifferenzierungsphase des Kannenstiels zusätzlich dort. Im Anschluss verlagert sich die Nektarsekretion zur Kanne hin. Ist die Kanne geöffnet und funktionsfähig, sezernieren die Nektarien an der Kanne, später beschränkt sich dies auf die Peristom- und Deckelregion. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Nektariensekrete nicht nur zur Beuteanlockung sondern auch dem Schutz jüngerer Pflanzenteile dienen. Die Peristomzähne von N. bicalcarata enthalten mit bis zu 12,5mm Länge vergleichsweise riesige Nektarien, die größten der Pflanze, während die anderen EFN Längen von 0,1mm, 0,55mm und 1mm aufweisen (siehe Tab. 5). Entsprechend unterschiedlich groß ist die sezernierte Nektarmenge. Es gibt starke Hinweise dafür, dass sich die Peristomzahnnektarien bei N. bicalcarata in Coevolution mit der Besiedlung durch C. schmitzi entwickelt haben. Das zweite Arbeitsgebiet lag in der Untersuchung des Myrmekophytiesystems der Kannen-pflanze Nepenthes bicalcarata mit ihrem Ameisenpartner Camponotus schmitzi. Es erfolgten Studien zu Anpassungen der Pflanze an die Partnerameise sowie zur Biologie von C. schmitzi. Die folgenden Fragestellungen und Ziele wurden bearbeitet: Welche Voraussetzungen erfüllt die Partnerpflanze für die Besiedlung und das Zusammenleben mit Ameisen, welche Ressourcen der Pflanze und wie lange werden sie genutzt? Welche Ameisen besiedeln N. bicalcarata? Welche Vorteile haben die Partner? Sind weitere Partnerorganismen vorhanden (z.B. trophobiontische Cocciden)? Welche besonderen Fähigkeiten besitzt C. schmitzi für die Besiedlung von N. bicalcarata? Welches Verhalten zeigt die Partnerameise zu welchen Zeiten? Ist das Myrmekophytiesystem obligat oder fakultativ? Weiterhin wurden Fragen zur Koloniestruktur bearbeitet (Zahl der Kolonien pro Pflanze, Koloniegründung bei C. schmitzi, Zahl der Königinnen pro Kolonie, Verteilung der Kolonie auf der Pflanze). Ergebnisse zum Bau und Wuchs von N. bicalcarata im Hinblick auf die Besiedlung: EFN sind die einzige Kohlenhydratquelle von C. schmitzi, insbesondere die großen Peristomzahnnektarien, Domatien liegen in den Blattstielen, sind hohl aber nicht selbst öffnend. Die Innenseiten der Kannenperistombereiche dienen als Schutzräume für die Ameisen (auch für die Königin bei der Koloniegründung), frisch ertrunkene Beute und kommensalische Moskitolarven in der Kannenflüssigkeit dienen als einzige Proteinquelle für C. schmitzi. Die Untersuchungen zur Biologie von C. schmitzi ergaben folgende Ergeb¬nisse: C. schmitzi Kolonien sind monogyn und polydom, alle Domatien und Kannen lebender voll entwickelter Blätter werden als Teilkolonien besiedelt. Die Kolonien sind mit höchstens mehreren hundert Tieren klein. Aufenthaltsort der Königin ist ein Domatium, der Aufenthaltsort eines Großteils der Arbeiterinnen liegt unter dem Peristom. Die Koloniegründung wurde dokumentiert. Aktivitäten der C. schmitzi Kolonien sind: selektives Säuberungsverhalten der Pflanze (nur das Peristom sowie der direkte Bereich um das Eingangsloch am Domatium werden sauber gehalten), in das Domatium eindringende Wasser wird durch Trinken und durch Entleeren des Kropfinhaltes entfernt („spucken“), C. schmitzi kastriert die Blütenstände durch Zerbeißen der Blütenknospen. In einer Untersuchung der Wirtsspezifizität von C. schmitzi zeigte sich, dass bis auf eine Ausnahme, einen N. bicalcarata-Komplexhybriden die Besiedelung ausschließlich auf N. bicalcarata erfolgt. Zudem wurden selten auch unspezifische Besiedler (Crematogaster ssp.) auf N. bicalcarata aufgefunden, die Besiedelung erfolgte immer sekundär nach einer C. schmitzi Besiedlung. Der dritte Teil dieser Arbeit umfasst die Fragestellungen und Ziele zum Themenbereich der selektiven Verteidigung gegen kannenzerstörende Rüsselkäfer bei N. bicalcarata. Es wurde der Frage nachgegangen, ob C. schmitzi ihre Wirtspflanze gegen Herbivore verteidigt. Die Entdeckung eines kannenknospenzerstörenden Rüsselkäfers (Alcidodes sp.) und einer selektiven Verteidigung der Partnerameisen, die sonst ein nicht aggressives und nicht territoriales Verhalten gegen Besucher auf der Pflanze zeigen, führte zu einer eingehenderen Untersuchung dieses Phänomens. Fragestellungen dieses Teilbereichs lauteten, warum eine fleischfressende Pflanze mit einer Ameisenart kooperiert und welche selektiven Verhaltensweisen einer spezifischen Verteidigung der Partnerameisen gegen kannenzerstörende Rüsselkäfer bei N. bicalcarata vorliegen. Im Gegensatz zu N. gracilis, N. rafflesiana und N. mirabilis var. echinostoma trat flächiger Fraßschaden durch Herbivoren bei N. bicalcarata nicht auf. Stattdessen führten durch Alcidodes sp. erzeugte kleine, aber tiefe Löcher in den Kannenknospen bei allen untersuchten Pflanzenarten außer N. gracilis zum Verlust der Fangorgane. C. schmitzi verteidigte sehr effektiv ihre Wirtspflanze gegen Alcidodes sp., dabei agierten die Ameisen selektiv und griffen potentielle Beute der Pflanze nicht an. Der letzte Teilbereich der vorliegenden Arbeit widmet sich einer selektiven Beutefangstrategie der Kannenpflanzenart N. albomarginata, die im Rahmen dieser Studie entdeckt und aufgeklärt wurde. Ziele aus diesem Themenbereich waren die Beobachtung des Termitenmassenfangs und die Aufklärung der Anlockungsmechanismen mit den zentralen Fragen: Warum findet man Termitenmassenfänge in den Kannen? Welche Taxa werden angelockt? Wie funktioniert der Anlockungsmechanismus? Wie ist der Aufbau der Haare des weißen Kannenrandes? In welchem Stadium der Kannenentwicklung werden Termiten angelockt? Was wird außerdem von der Pflanze gefangen? Oberirdisch in Massenmärschen fouragierende Termiten aus der Unterfamilie der Nasuti-termitinae werden selektiv mit einer Futterattrappe (die lebenden Haare des direkt unter dem Peristom liegenden weißen Randes) angelockt und in Massen gefangen. Die Haare des weißen Randes werden von den Termiten wie ihr reguläres Futter gesammelt und abtransportiert, im Gedränge gelangen viele rekrutierte Tiere über den Peristomrand und so fängt die Kanne oft Tausende von Tieren in dem sehr kurzen Zeitraum, der benötigt wird, den gesamten weißen Rand abzuernten. Außerdem werden in kleinen Mengen auch anderer Arthropoden, hauptsächlich Ameisen, erbeutet. Die beschriebene Fangstrategie, bei der der Anlockungsmechanismus nicht durch die EFN begründet ist, ist der einzig bisher bei Nepenthes bekanntgewordene Fall, indem spezifische Futterorganismen nicht mit Nektar sondern mit lebendem Gewebe angelockt werden. Den Abschluss diese Arbeit stellt eine Diskussion zur Evolution der Partnerschaft mit der generellen Fragestellung dar, ob es sich bei der Interaktion zwischen Ameisen und Kannen-pflanzen um mehr als nur um eine Räuber-Beute- Beziehung handelt. Zudem wird erstmalig ein Modell zur evolutiven Entstehung der Kannenpflanzen und ihrer Biologie als Karnivore UND Ameisenpflanze vorgestellt.
    12/2014, Degree: PhD, Supervisor: Ulrich Maschwitz, Georg Zizka