Der Zusammenhang zwischen Kraft und Beschleunigung im Experiment

von Herbert Zellhuber

Im Recyclinghof sah ich mal einen sauber gearbeiteten 60 cm langen Linearschlitten. Ich fragte die Aufsicht, ob ich das Teil zum Basteln mitnehmen darf. "Kannst' haben" sagte er. Für welchen Zweck ich den Aufbau aber mal brauchen könnte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht.
Irgendwann sah ich beim Durchblättern eines alten Physikbuchs [1] eine sog. Fahrbahn. Auf den exakt waagrechten Schienen läuft ein Wagen. Mit Hilfe einer Umlenkrolle und eines Gewichtes wird der Wagen beschleunigt. Das erinnerte mich an diesen Linearschlitten und ich wollte damit versuchen, mit einem praktischen Experiment die Aussage "als Krafteinheit 1 Newton (N) dient die Kraft, die der Masse 1 kg die Beschleunigung 1 m/s² verleiht" anschaulich darzustellen.

Allerdings war die Lagerung zu diesem Zweck noch zu schwergängig und ich musste deshalb die Konstruktion etwas abändern.

Ich habe etliche gebrauchte Lager im Ø 19 mm rumliegen. Um die Reibung möglichst gering zu halten, wusch ich das darin befindliche Fett mit Terpentin, Pinsel und Pressluft aus. Dazu entfernte ich zuvor die Abdeckbleche mit einem Messer und einem Schraubenzieher. Hält man den Innenring des trockenen Lagers fest und schubst den äußeren Ring mit dem Finger an, dreht sich dieser 10 bis 15 Sekunden und hat somit die nötige Leichtgängigkeit.


Den Wagen stellte ich aus diversen Aluminiumabfällen her. Das Lager hat einen Innendurchmesser von 6 mm. Um es mit Schrauben M 4 montieren zu können, drehte ich mir fünf Buchsen mit Bund. Der Wagen musste genau die Masse 1 kg haben, deshalb wurden je eine 60-mm-Scheibe aus Messing und Stahl angeschraubt. Für weitere Experimente können auf den Wagen noch Zusatzgewichte gestellt werden. Die fünf Lager sind so angeordnet, dass der Wagen ohne weitere Justagearbeiten auf die Gleise gestellt werden kann (Anfangs dachte ich noch an sechs Lager; da die Sache aber prima funktionierte, ließ ich es so).

Vorne ist eine Umlenkrolle angebaut. Das Zuggewicht hängt an einem Faden und hat genau 102 Gramm, was 1 N entspricht.

Der komplette Aufbau mit Trafo, Zeitmesser, Lichtschranke mit Elektronik und Mechanik. Der Schlitten muss exakt waagrecht stehen, das geschieht durch Unterlegen einzelner Papierstücke. Man muss dabei sehr sorgfältig vorgehen, ein Ausrichten allein mit der Wasserwaage reicht nicht.
Mit der Hand wird der Schlitten in hinterer Stellung gehalten, dazu ist ein Anschlag angebracht. Beim Loslassen wird der Schlitten durch das Zuggewicht beschleunigt, die Auslösung der ersten Lichtschranke (ist an die Schiene geschraubt) erfolgt nach 0,5 mm. Nachdem der Schlitten die zweite Lichtschranke durcheilt hat, wird er mit der Hand abgebremst.

Die zweite Lichtschranke kann entlang der Schiene beliebig verschoben werden. Die Blechlasche am Wagen unterbricht den Lichtstahl, dabei wird der Zeitmesser ausgelöst bzw. gestoppt.

In einem anderen Physikbuch [2] wird am Beispiel des freien Falls gezeigt, wie die Erdbeschleunigung mit 9,81 m/s² ermittelt wird. Danach verschob ich die Lichtschranke so lange, bis der Zeitmesser 0,2 - 0,3 - 0,4 ... 1,0 Sekunden (s) anzeigte und notierte den dabei zurückgelegten Weg des Schlittens. Von jedem Lauf nahm ich 5 Messwerte auf und ermittelte davon den Durchschnittswert. Gemessen wurde auf 0,5 mm und 0,1 Millisekunden (ms) genau.

Die Messergebnisse:

ZeitWeg Diff.1  Diff.2 
 0,3 s  45 mm  
  32,5 mm 
 0,4 s  77,5 mm 8,5 mm
  41 mm 
 0,5 s  118,5 mm 8,5 mm
  49,5 mm 
 0,6 s  168 mm 8 mm
  57,5 mm 
 0,7 s  225,5 mm 8,5 mm
  66 mm 
 0,8 s  291,5 mm 9 mm
  75 mm 
 0,9 s  366,5 mm 8,5 mm
  83,5 mm 
 1,0 s  450 mm  

Vielleicht erscheint die Tabelle Anfangs etwas verwirrend. Auch ich brauchte einige Zeit, bis ich das aus dem Buch richtig verstanden hatte. Deshalb machte ich noch eine maßstäblich gezeichnete Grafik:

Nach 0,3 s legt der Schlitten 45 mm zurück, nach 0,4 s je 77,5 mm, nach 0,5 s je 118,5 mm
Diff.1 von 77,5 mm - 45 mm = 32,5 mm
Diff.1 von 118,5 mm - 77,5 mm = 41 mm
Diff.2 von 41 mm - 32,5 mm = 8,5 mm
Von den Werten in Spalte Diff.2 wird der Durchschnitt genommen, er beträgt demnach 8,5 mm.
Nun setzt man die ermittelten Werte in die Formel ein:   8,5 mm : 0,1 s² = 850 mm : s² = 0,85 m/s²
Mit dem Wert 0,85 m/s² erreichte ich mit meinen Messungen nicht ganz den Wert von 1 m/s² bzw. 1 N. Offensichtlich spielt da die Reibung der Lager, des Fadens und der Luftwiderstand noch eine gewisse Rolle.

[1] Physik für technische Berufe, Verlag Handwerk und Technik, 1965, S. 60
[2] Physik in Experimenten und Beispielen, Verlag Hanser, 2007, S. 13



Nachdem ich diesen Bericht 10 Tage auf meiner Webseite hatte, schrieb mich ein aufmerksamer Leser an, dass ich bei meiner Berechnung einen Fehler machte. Frank D. schrieb: "Haben Sie bei Ihrem Experiment die Masse des Zuggewichts bei der Berechnung der Beschleunigung berücksichtigt? Diese 102 g müssen zu der Masse des Wagens hinzuaddiert werden, denn auch diese Masse wird ja vom Ruhezustand aus beschleunigt. Es wirken hier also 1 N auf 1,102 kg, damit sollte die Beschleunigung bei Vernachlässigung der Reibung einen Wert von 0,90744 m/s² haben."

Offensichtlich schlich sich also bei mir ein Denkfehler ein. Das veranlasste mich, das Experiment zu überprüfen und nahm den Bericht vorerst mal von der Webseite. Meine Gedankengänge waren dann folgende: Was macht ein Gewicht, wenn es entgegen der Schwerkraft beschleunigt wird? Genau - es wird leichter! Ich nahm eine Federwaage und hängte das Zuggewicht an. Bewegt man die Federwaage nun nach unten, wird ein geringeres Gewicht angezeigt (und beim Abbremsen entsprechend mehr).

Ich band dann die Federwaage zwischen Zuggewicht und Wagen und beobachtete ebenfalls, dass die Federwaage ca. 10 g weniger anzeigt. Die Anzeige war allerdings ungenau, denn die Federwaage bewegte sich dabei ruckartig.

Also: Statisch kann man eine Kraft mit einem Zuggewicht durchaus genau simulieren. Wird das Zuggewicht aber beschleunigt oder abgebremst, verändert sich dementsprechend auch die Zugkraft.

Mit einem erhöhten Zuggewicht könnte man aber durchaus eine Beschleunigung von 1 m/s² simulieren. Das Zuggewicht wird also so weit erhöht, bis der Luftwiderstand, die Reibung der Rollen mit der Schnur (genau genommen ist auch die rotierende Masse der Rollen noch zu berücksichtigen - schließlich müssen auch diese beschleunigt werden) und das durch die Bewegung verringerte Zuggewicht kompensiert sind. Dieses Experiment werde ich demnächst nachholen. Dann sehe ich ja, welches Zuggewicht für die Praxis nötig ist.

Allerdings muss auch klar sein, dass nur maximal die Erdbeschleunigung 9,81 m/s² erreicht werden kann - auch wenn ich als Zuggewicht 100 kg nehme. Eine noch höhere Beschleunigung ließe sich nur mit einem vorgesetzten Übersetzungsgetriebe erreichen. Auch eine Art Flaschenzug wäre denkbar. Nur mal so als Idee...

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