"Tabuzonen" lautet das April- Thema des Karneval der Rollenspielblogs: http://zeitzeugin.net/2014/04/blogparadekarneval-tabuzonen/. Im DSA- Bereich kam mir dabei sofort Uthuria in den Sinn: Ein Frage, die auch im Netzt sehr kontrovers diskutiert wurde, war, ob das Spiel in Uthuria nicht mindestens eine Grenze überschreiten würde, die unter "rechtschaffenden" Aventuriern in der Tat ein Tabu darstellt und dort eher unzivilisierten Rassen und Dämonenpaktierern vorbehalten ist: das Menschenopfer.

Uthuria weist eine andere Götterwelt als Aventurien auf, das Land der 12.000 Götter kennt eine deutlich höhere Zahl an unterschiedlichen Religionsauslegungen und –gemeinschaften. In der ersten Regionalkampagne treffen die Aventurier zunächst auf mehrere Kulturen, die den irdischen Aztekenvölkern nahe kommen. Ein wesentlicher Bestandteil der Religionsausübung ist dabei das Menschenopfer, unter Umständen auch freiwillig gewählt. Zum Beispiel existieren dort sogenannte Blutsteine, die in extensiven Ritualen mit dem Blut von Tier- und Menschenopfern geweiht werden und das Wohlergehen eines Volkes und seiner Wohnstatt garantieren sollen.

Nicht mit mir!

Wenn der gemeine aventurische Held das Wort "Menschenopfer" hört und etwas auf sich hält, dann greift er zum Schwert oder Magierstab, um sich eilfertig in eine waghalsige Rettungsaktion zu stürzen. Unzählige Abenteuer beinhalten ein Finale, in den die Opferung eines Freundes oder einer unschuldigen Person durch finstere Zirkel verhindert sollen. Die Absichten, die hinter diesen Kulthandlungen stehen, sind dabei in der Regel eindeutig destruktiv und tragen nicht zur Weltstabilisierung bei.
Anders jedoch auf dem Südkontinent: Hier ist das Menschenopfer in den bislang bekannten Kulturen anscheinend der Normalfall, ein Eingreifen der Helden ist nur unter besonderen Umständen erwünscht. Etwas, was vielen Spielern offenbar nicht leichtfällt, exemplarisch sei hier auf eine Diskussion im dsa4- Forum verwiesen, im Bewertungsthread zu "Der Fluch des Blutsteins", wo gleich mehrere User ihre Ablehnung gegenüber der Opferkultur äußern: http://www.dsa4forum.de/viewtopic.php?f=36&t=34889 .

Ist es also wirklich ein klarer Stilbruch, der hier von den Helden und ihren Spielern verlangt wird? Kann ein Held, der zwar möglicherweise durchaus ambivalente Grauschattierungen in seiner Charakterzeichnung aufweist, aber im Kern doch ein Streiter des Guten sein sollte, dulden, dass ein Mensch dem anderen willentlich Schaden zufügt?

Hier zeigt sich eine der schwersten Facetten von Rollenspiel: Hängt die Antwort auf diese Frage eventuell sogar umgekehrt damit zusammen, ob es hier eher um kulturelle Akzeptanz fremder Riten geht oder ist sie für einen wahren Helden schlichtweg als fundamentale Grundeinstellung nicht diskutabel?

Wer ist hier zivilisiert?

Für mich wird hier eine Kernfrage vergangener und auch gegenwärtiger Zeit gestellt: Was ist eigentlich Zivilisation bzw. Zivilisiertheit, über welche Themen kann man nicht diskutieren und wann muss man eigene kulturelle Tabus hinten anstellen?

Eine Kernfrage auch unserer irdischen Kultur, die beispielsweise die Zeit des Kolonialismus bestimmt hat, als unter dem Deckmantel des Zivilisationsbegriffs die vermeintlich rückständigen und in ihren Sitten teils grausam wirkenden indigenen Völker nicht minder rücksichtslos unterworfen und umerzogen wurden. Genau diese Zeitperiode dient ja dem Uthuria- Themenstrang offenbar als Vorbild, wenn die scheinbar fortschrittlicheren Aventurier auf Völker wie die Xo`Artal treffen, denen sie sich sichtlich überlegen fühlen.

Und hier beginnt für mich dann richtig forderndes Rollenspiel, wenn man sich entschieden muss, wie der eigene Held mit dem Dilemma umzugehen soll, dass in der dortigen Gesellschaft etwas als Normalfall angesehen wird, was für ihn im Regelfall die Methoden der Todfeinde sind, die er in Aventurien bis zum Äußersten bekämpft. Hier ist allein schon die Frage spannend, in welcher Spannbreite zwischen Akzeptanz, massivem Widerstand oder missionarischem Eifer man sich bewegen will.

Allerdings ist es in der Tat ein Umstand, der manchem Spieler vieles (oder gar zu viel) abverlangt, wenn man nicht nur entgegen den Kulturmaßstäben der realen Kultur handeln soll, sondern auch die Regeln der Normspielwelt brechen soll, die man gewöhnt ist. Ähnlich geartet sind ja die rauen Sitten in Tharun, auch hier wird es sicherlich spannend sein, wie z.B. Helden dort damit umgehen, wenn auf einem von Seeungeheuern bedrohten Schiff ausgewählte Ruderer ins Meer müssen, um sich für ihr Schiff als Opfer anzubieten.

Das Leben eines denkenden und fühlenden Wesens dürfte im Wertekosmos eines jeden Heldenrollenspiels einen hohen Wert haben, was sicher nicht nur für DSA, sondern auch andere Systeme gilt. Es zu bewahren gilt in einer Vielzahl von Spielsituationen als primäres Ziel, was im Extremfall auch bis zur Selbstaufopferung gehen kann, wohl die wenigsten Rollenspieler haben noch nie einen ihrer Helden im Kampf gegen das Böse verloren, dann aber mit dem Gefühl, für eine gerechte und gute Sache gestritten zu haben. Und umgekehrt darf für rechtschaffende Charaktere ein Leben nur dann genommen werden, wenn die Situation keine Alternative zur Tötung des Gegenspielers gewährt.

Schwierig wird es in nächster Instanz dann aber auch, wenn man nicht aus der Entdeckerperspektive handelt, sondern mit einen uthurischen Charakter agiert und das Menschenopfer demnach Teil der gewohnten Welt ist. Hier dürfte die Trennung vom Wertekanon des Spielers und des Helden eine noch ungleich größere Herausforderung darstellen.