80 Mark und die "Schlammtreter"

Zum 25. Mal ist Münsingen am 16. und 17. April Gastgeber eines Cross-Country-Rennens. Dass der Klassiker eine solche Blüte erleben wird, hat man auch bei der TSG Münsingen nicht gedacht.

ERHARD GOLLER |

"Grobstollige Reifen, 15 bis 18 Gänge, breiter Lenker" - so musste man im ALB BOTE im Jahr 1987 noch erklären, was ein Mountainbike ist. Heute weiß das jeder, das Sportgerät hat sich schnell durchgesetzt. Der Sport selbst nicht - zumindest nicht in den Medien. Nichtsdestotrotz ist aus dem Münsinger Mountainbike-Rennen eine Perle in der Szene geworden, und man nennt es zurecht einen "Klassiker".

Die Münsinger - und dazu zählen neben der Triebfeder Hans Klug noch eine ganze Anzahl langjähriger Mitstreiter wie Rolf Dizinger, Rolf Bantle, Rolf Maier, Dieter Teumer oder Andreas Eberhardt - haben Standhaftigkeit bewiesen. Auch in Zeiten, als es nach der Anfangseuphorie mit dem Sport einige Jahre bergab ging. Und sie haben den Widrigkeiten des Wetters getrotzt, das so haarsträubende Bilder produzierte, dass man nur noch den Kopf schütteln kann.

1986 war es, die Organisation eines Straßenrennens hatte der Radabteilung nur 80 Mark "Gewinn" beschert, da kam Hans Klug auf die Idee, es mit einem MTB-Rennen zu versuchen. Er hatte von einem MTB-Bergzeitfahren in Garmisch gehört und konnte seine Vorstandskollegen zu einem Versuch im Frühjahr 1987 überreden. 120 Radcracks waren am Start, mit Styropor-Helmen und Schlaufen-Pedalen.

In Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt nur wenige Mountainbikes auf dem Markt. Drei Jahre später rieb man sich die Augen vor Verwunderung über den Boom - auch in Frankfurt, in der Zentrale des Bund Deutscher Radfahrer (BDR), der die Mountainbiker als pure Mode-Erscheinung wahrnahm und glaubte die "Schlammtreter" würden von alleine wieder verschwinden. Das war ein gewaltiger Irrtum, dessen Folgen der Verband im Grunde heute noch spürt.

Wolfgang Renner, Chef der Magstädter Bike-Schmiede Centurion, hatte in Deutschland als Erster ein Mountainbike auf den Markt gebracht und er wusste um den Trend. Als Disziplin existierte Mountainbike zwar noch nicht in den Verbänden, aber Renner motivierte Hans Klug dazu, eine Deutsche Meisterschaft auszuschreiben. Ein Antrag beim Verband blieb ohne Antwort.

Im Januar setzten Renner und Klug dann die Ausschreibung als Anzeige in das Verbandsblatt "Radsport". "Am Tag nachdem die Anzeige erschienen ist, stand bei mir das Telefon nicht mehr still", erzählt Hans Klug. Die Verbandsoberen machten ihm die Hölle heiß.

Heute glänzen Klugs Augen, wenn er von diesem Coup erzählt. Der BDR wollte das Vorhaben stoppen, per Brief eine Woche vor dem Start, doch das ging nicht mehr. Die TSG Münsingen wurde mit Anmeldungen geradezu überrannt, am Ende waren es fast 1000 Teilnehmer. Es hieß dann halt "inoffizielle Deutsche Meisterschaft". Bei katastrophalen Wetter-Bedingungen gingen im Männer-Rennen 218 Fahrer an den Start, nur 20 kamen ins Ziel, der Sieger hieß Mike Kluge, bei den Damen gewann Anneliese Weber aus Darmstadt.

Der Verband beeilte sich plötzlich, nahm die Disziplin auf und hielt im Herbst in Kirchzarten die erste offizielle DM ab.

Münsingen hatte fortan einen Namen in der Mountainbike-Szene. Und einen Ruf als Schlechtwetter-Rennen, der nahezu Jahr für Jahr erneuert wurde. Schlechtes Wetter bei den ersten drei Rennen, haarsträubende Bedingungen bei der DM 1990 und dann binnen zehn Jahren fünf Veranstaltungen, bei denen der Schnee eine wesentliche Rolle spielte. Kein Wunder, dass man in Anlehnung an ein berüchtigtes Straßenrennen in Frankreich den Beinamen "Paris-Roubaix der Mountainbiker" bekam.

1993 war Münsingen zum ersten Mal Bestandteil der nationalen Serie Grundig Top-Ten-Cup, ab 1997 dann dauerhaft. Da begann nach dem Ausstieg von Grundig allerdings auch eine schwierige Zeit. Der große Boom war vorüber und man hatte nichts daraus gemacht. Das galt für die gesamte Branche.

Erst ab 2003 ging es wieder aufwärts und in Münsingen wurden praktisch Jahr für Jahr neue Rekorde geschrieben. Vor drei Jahren wurde erstmals die Teilnehmer-Marke von 1990 übertroffen.

"Gegen Ende der 90er-Jahre hätte ich nicht gedacht, dass Münsingen überlebt und schon gar nicht, dass hier jedes Jahr ein Weltklassefeld am Start steht", sagt etwa Matthias Ball, der seit 1988 ohne Unterbrechung nach Münsingen kommt.

Der Klassiker ist vor seiner 25. Auflage jedenfalls gesünder denn je und ist auch international zu einer Marke geworden. Und das wegen 80 Mark.

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