Putin ist in der Defensive gezwungen, eine Menge seines persönlichen politischen Kapitals zu investieren

vom Saker

 

Fangen wir damit an, was ich persönlich für eine schlechte Nachricht halte: entweder Putin glaubt wirklich an die liberale Marktwirtschaft oder er muss sagen, er täte es. Am Anfang wie am Ende der Fragerunde drückte er kategorisch seine volle Unterstützung für die Politik der Zentralbank und ihrer Vorsitzenden, Nabiulina, aus, und nicht weniger kategorisch für die Regierung und ihren Premierminister, Medwedew. Noch schlimmer, Putin erklärte, er glaube, die Marktkräfte werden das gegenwärtige Ungleichgewicht von selbst korrigieren. Als Äußerstes stimmte er dem zu, bestimmte Entscheidungen hätten früher oder kräftiger fallen sollen, aber das war’s.

Einige werden es lieben. Lew Rockwell ging so weit, zu sagen, er würde Elvira Nabiulina den Preis als “Zentralbankerin des Jahres” verleihen [Übersetzung hier, Autor ist aber Robert Wenzel, das wurde nur bei Lew Rockwell veröffentlicht, I.S.]. Dem stimmt nicht jeder zu. Viktor Geraschenko beispielsweise, früherer Vorsitzender der Zentralbank, erklärte, wenn er in der Position Nabiulinas heute gewesen wäre, hätte er “um eine Waffe gebeten, um sich zu erschiessen”.

Ich muss zugeben, dass mich Putins anscheinlicher Glaube an Marktwirtschaften bestürzt. Ich sage ‘anscheinlich’, weil Dinge vorgehen könnten, von denen ich nichts weiß. Während Putin von *Marktkräften” spricht, sieht es beispielsweise so aus, als würde sich China ernsthaft in der russischen Wirtschaftskrise engagieren. Jene, die an diesen Entwicklungen interessiert sind, mögen einen Blick auf folgende Quellen werfen:

Zuerst, seht Euch den letzten Cross Talk an: Dumping the Dollar
Dann lest Pepe Escobars Go West, Young Han.
Dann schaut Euch diesen Artikel in der englischen Version der chinesischen Volkszeitung an.
Und zuletzt lest bitte diesen Artikel auf Zero Hedge.

Der chinesische Freund, der mir den Artikel in der Volkszeitung schickte, machte einen besonders interessanten Kommentar dazu. Er schrieb:

“Yin und Yang-Politik? Ich kann mir nicht helfen, ich sehe da ein starkes Muster. China und Russland beschäftigen jeweils die Freunde/Alliierten des anderen, mit dem sie Reibungen haben, um sie in das eurasische Bündnis einzubinden. Was denkst Du? Ist das Absicht? Ich hatte Anfang dieses Jahres meine Zweifel, aber das geschieht immer öfter.”

Ich denke, hier hat er ins Schwarze getroffen. Es liegt sehr im russischen strategischen Interesse, dass China einige “Yuan-Diplomatie” in Europa einsetzt, nicht nur, weil China ein enger Verbündeter ist, sondern vor allem, weil China “nicht die USA” ist. Zum jetzigen Augenblick ist *alles*, was die totale Kontrolle der USA über ihre Kolonien in der EU schwächen kann, willkommen. Jeder Yuan, der in der EU investiert wird, ist ein Dollar, der es nicht wird.

Das ist nur ein Beispiel. Putin weiss vermutlich eine Menge Dinge, die wir nicht wissen, und er kann wahrscheinlich nicht alles sagen, was er denkt oder plant. Aber mein rein subjektiver Eindruck ist, dass Putin schlicht nicht die Macht hat, die nötig ist, um sich den atlantischen Integrationisten offen entgegenzustellen. Michail Khasin, der eine Menge weiß, hat jüngst sogar erklärt, es wären atlantische Integrationisten in den “Machtministerien”. Und da ich mir ziemlich sicher bin, dass er damit nicht das Verteidigungsministerium gemeint hat, bleibt nur noch das Innenministerium oder die Staatssicherheit. Wenn das wahr ist, ist es nicht gut. Entweder das, oder Putin glaubt ernstlich an liberale Marktwirtschaften. Ich glaube ganz sicher überhaupt nicht an sie.

Meiner Meinung nach gibt es zwei Hauptprobleme mit Putins Logik. Zum Ersten, Russland braucht nicht weniger, sondern mehr Regulierung und mehr staatliche Kontrolle. Zum Mindesten glaube ich wirklich, dass die Einrichtung der Zentralbank selbst geradezu wie Gift wirkt: sie wurde vom US-kontrollierten Jelzin-Regime geschaffen, um russische Politik (und Politiker) den internationalen Bankkartellen unterzuordnen, und wir sehen, dass das perfekt funktioniert. Putin kann Bomber in den Golf von Mexiko schicken, aber er schafft es nicht, Nabiulina zu entfernen, ganz davon zu schweigen, die Kontrolle über die Zentralbank zu übernehmen. Nikolai Starikow hat sogar gesagt, es ginge jetzt ein Witz um, der lautet, “Putin, schick Truppen in die Zentralbank!” Das zeigt, wie angewidert viele Russen von dieser übernationalen Institution sind, die sich niemand verantworten muss. Aber es gibt noch Schlimmeres.

Die Wahl einer nicht-regulierten “Lösung” durch den freien Markt lässt Russland im Grunde völlig eingesponnen in dem AngloZionistisch kontrollierten Finanzsystem. Wie kann Russland sich vom “Joch des Dollars” befreien, wenn es vollständig Teil des vom Dollar beherrschten internationalen Systems bleibt?

Ich muss Euch sagen, dass, obwohl ich dankend Peter Koenigs hervorragenden Text “Der freie Fall des Rubels – ein brillianter Trick russischer Wirtschaftsmagier? Wessen Schachspiel?” eingestellt habe, dies einer der Fälle war, in denen ich etwas poste, das ich sehr interessant finde, mit dem ich aber nicht übereinstimme. Ich habe schlicht nicht den Eindruck, dass Putin davor steht, irgendeinen schlauen Judo-Griff bei den westlichen Plutokraten anzuwenden. Ich hoffe ernstlich, dass ich mich hier irre, aber das ist mein Bauchgefühl.

Im Allgemeinen war Putin reichlich defensiv, wenn ihm Fragen zur Zentralbank und zur Regierung gestellt wurden. Besonders auffällig ist der Kontrast zu der absolut großartigen Weise, wie er mit den Fragen zur Ukraine umging, selbst wenn sie von einem sehr feindseligen ukrainischen Journalisten gestellt wurden. Wie ich schon so oft sagte, noch einmal – ich bin kein Gedankenleser oder Prophet. Ich kann Euch nicht sagen, was Putin denkt oder was er tun wird. Aber ich denke, dass die vielen Jahre, in denen ich diesen Mann studiert habe, mir ein ziemlich gutes Bauchgefühl geben, was ihn angeht, und dieses Bauchgefühl sagt mir, dass er zwar eine klare und starke Sicht auf internationale Politik insgesamt, und besonders auf die Ukraine hat, aber ihm eine solche Sicht auf ökonomische Probleme abgeht.

Zur Ukraine ist seine Position kristallklar. “Die Krim ist unser für immer, wir werden euch nicht gestatten, den Donbass zu zertrümmern, wir wollen eine ungebundene Ukraine, in der die Rechte aller Menschen und Regionen respektiert werden, und ihr werdet mit den Novorossiern verhandeln müssen, die das Recht der Selbstbestimmung besitzen” (was die Möglichkeit offenlässt, das, während Russland eine vereinte Ukraine vorziehen könnte, die Novorossier das Recht haben, sich anders zu entscheiden). Klar, direkt, und, würde ich behaupten, absolut vernünftig. Im Gegensatz dazu habe ich bei der Wirtschaft den Eindruck einer Politik, die auf Glauben beruht:” die Marktkräfte werden die gegenwärtige, künstliche Situation korrigieren, und in zwei Jahren ist die Krise vorbei”. Das Problem damit ist, dass der selbe Putin ebenfalls sagt, dass der Westen die Märkte völlig manipuliert und es ihnen nicht erlaubt, zu handeln. Was er also wirklich sagt, ist, “das Empire hat nicht die Mittel, die Märkte länger als zwei Jahre künstlich zu verzerren.” Wirklich? Ich bin mir da nicht so sicher. Meiner Meinung nach hat das Empire die Märkte schon viele Jahre lang verzerrt (ich würde behaupten, seit 1971).

Schlussfolgerung, was ich von Putin höre, ist, “mehr vom Gleichen”, und da mir nicht gefällt, was ich bisher gesehen habe, kann ich nur hinzufügen “nur schlimmer”.

Dennoch ist die Situation nicht notwendigerweise hoffnungslos. Obwohl ich denke, dass Putins Wirtschaftspolitik falsch ist, und obwohl ich glaube, dass die russische Zentralbank sehr deutlich Teil des Problems und nicht der Lösung ist, ist dies keine binäre Wahl nach dem Schema Schwarz oder Weiss: nach den falschen Regeln zu spielen oder das falsche Feld zu wählen heisst nicht notwendigerweise, zu verlieren, sondern schlicht, dass man den falschen Anfang gewählt hat. Zum einen kann man argumentieren, dass der Rubel eine weit glaubwürdigere Währung ist als der Dollar. Zum anderen stime ich zu, dass die Marktkräfte der Verzerrung durch die USA widerstreben, und dass die Integration von China und Russland sicher zur Unterstützung der russischen Wirtschaft beitragen wird. Außerdem ist die EU bereits in der Rezession, und wenn sich dies verschlimmert, wird das viele US-Banken mit nach unten ziehen, die eng mit den Märkten der EU verbunden sind. Und schließlich sitzt Russland, ganz objektiv gesehen, auf einem sehr konkreten Schatz an natürlichen Ressourcen und hat vollen Zugang zu dem ungeheuren Markt Chinas. Unter diesen Umständen wird es den AngloZionisten furchtbar schwer fallen, Russland zu “isolieren”. Also hat Putin objektiv in einem Punkt recht: selbst wenn es schlechter wird, ehe es besser wird, wird es unvermeidlich besser werden.

Ist Putin also ein genialer Schachspieler? So würde ich es nicht ausdrücken wollen. Er hat sicher eine Geschichte absolut brillianter Züge, aber jetzt gerade muss er eindeutig kämpfen. Es geht mir wie allen anderen, es würde mir gefallen, wenn er einen weiteren brillianten “Schachzug” machen würde, und es dem Empire zeigen, aber ich kann nicht sehen, wie er das tun sollte, jetzt jedenfalls nicht.

Was ich heute sah, war ein Putin, der eindeutig in der Defensive ist und der eine Menge seines persönlichen Kapitals an Beliebtheit und Vertrauen einsetzen musste. Er gab ehrlich zu, dass sich die Lage verschlechtern könnte und dass es keine schnelle Lösung für die gegenwärtige Krise gibt. Er legte sich auf einen Zeitrahmen von zwei Jahren fest, was sehr kurz und sehr lang in einem ist. Es ist mehr als genug Zeit, dass er seine Popularität verlieren könnte, aber sehr wenig Zeit, um den Kurs eines so großen Landes wie Russland zu ändern.

Der hervorstechendste Moment der ganzen drei Stunden kam, als Putin erklärte, was heute auf dem Spiel steht. Er sagte:

“Sie wissen, im Valdai-Club habe ich das Bild unseres leichtest  erkennenbaren Symbols verwendet. Es ist ein Bär, der seine Taiga schützt. Sehen Sie, wenn wir diese Analogie fortsetzen, denke ich manchmal, es wäre am Besten, wenn der Bär einfach stillsäße. Vielleicht sollte er aufhören, Schweine und Wildschweine in der Taiga zu jagen, und stattdessen Beeren pflücken und Honig essen. Vielleicht lässt man ihn dann in Ruhe. Aber nein, das wird man nicht! Denn es wird immer jemand geben, der ihn an die Kette legen will. Und sobald er angekettet ist, zieht man ihm seine Zähne und Klauen. Mit diesem Bild beziehe ich mich auf die Macht der nuklearen Abschreckung. Sobald das geschieht – wovor uns Gott bewahre – und sie den Bären nicht mehr brauchen, wird die Taiga übernommen (…) Und dann, wenn alle Zähne und Klauen gezogen sind, ist der Bär nutzlos. Vielleicht stopfen sie ihn aus, und das war’s dann. Es geht also nicht um die Krim, sondern darum, unsere Unabhängigkeit, unsere Souveränität, und unser Recht, zu existieren, zu schützen. Das ist es, was wir alle wahrnehmen müssen.”

Erstaunliche Sätze, die völlig eine der wichtigsten Tatsachen der gegenwärtigen Situation bestätigen: das Anglozionistische Empire und Russland befinden sich im Krieg, einem Krieg, in dem entweder der russische Bär “ausgestopft wird, und das war’s”, oder das AngloZionistische Empire zerfällt. Für beide Seiten ist dies ein Krieg um die Existenz, für das AngloZionistische Empire und für das Reich der russischen Zivilisation – einer wird den anderen besiegen.

Putin erklärt das nicht zum ersten Mal, aber dieses Mal spürte ich eine Dringlichkeit in seiner Stimme, die ich zuvor nicht gehört hatte. Er hat das russische Volk gewarnt, aber auch um seine Unterstützung für ihn selbst gebeten. Meine Vermutung ist, er wird sie bekommen. Ich weiß nur nicht, für wie lang.

Der Saker