Unterwerfung oder Sieg?

Übersetzung von Сдача или победа? von Juri Barantschik, siehe auch Novorussia – Surrender or victory?


1.

Was ist in Minsk passiert? Eine Unterwerfung oder ein Sieg? Darüber streitet sich nicht nur der Durchschnittsbürger unseres riesigen Landes, sondern leider auch ein erheblicher Teil der Expertengemeinschaft. Es gibt keine einfache Antwort auf diese Frage ohne zu betrachten was eine Woche vorher in Brüssel passierte, beim Summit der EU, und in Newport, Wales, wo vom 4.-5. September das NATO-Summit stattfand.

Russland hat einen politischen Sieg in Bruessel errungen: Die EU (Deutschland und die Länder des alten Europa) weigerten sich, neue Sanktionen gegen Russland unter Druck der USA und ihrer loyalsten Vasallen (Brittanien, Polen, die baltischen Staaten und die Ukraine) anzunehmen. Die EU hat also beschlossen, den Konflikt mit Russland angesichts des Winters nicht zu eskalieren. Weiterhin hat die EU selbst einen Weg aus der Situation mit dem South Stream gefunden, mit dem die Sanktionen des Dritten Energie-Pakets umgangen werden können: Dieselben Regeln zu verwenden wie für Offshore-Projekte der EU; Beispielsweise in Bulgarien, man erlaubt Gazprom sie zu kaufen und mit dem “South Stream” zu verbinden.

Trotz vieler Tipps und Drohungen von den US-Pudeln vor dem Summit der NATO Mitglieder (wie im Detail diskutiert im Artikel “Das Schicksal Neurusslands: Die USA erhöht die Einsätze”: a) Die Drohung der Aufstellung eines europäischen Raketenabwehrsystems gegen Russland; b) Der Aufbau von fünf neuen NATO-Basen in Polen, Rumänien und den baltischen Staaten; c) Kündigung des Grundlagenaktes Russland – NATO.) hat der Summit nur mit einer offiziellen Erklärung geendet, die die Meinung der Nordatlantischen Allianz zu den aktuellen Ereignissen auf dem Territorium der zerfallenden Ukraine darstellt.

Wie erwartet, verurteilt die NATO die russische Militärinvasion in der Ukraine, fordert von Russland, sein Militär aus der Ukraine zurückzuziehen, seine Unterstützung der Milizen einzustellen und sich unter keinem Vorwand in die Situation in der Ukraine einzumischen. Von mehr war nicht die Rede. Der Grundlagenakt “Russland – NATO” wurde nicht gekündigt, das europäische Raketenabwehrsystem nicht beschlossen, und von Basen in den fünf genannten Staaten war nicht die Rede. Nach den Worten von Rasmussen hat er zur Kenntnis genommen (besser kann man es nicht sagen), dass die Polen, Balten und Rumänen “Transportpunkte” der NATO auf ihrem Territorium wünschen.

2.

Was besagt dies? Dass die EU, ungeachtet aller Drohungen und Aufschreie der USA und ihrer dienstbaren laut bellenden Pudel nicht bereit ist, über das augenblickliche Konfrontationsniveau mit Russland hinauszugehen. Deutschland, die Länder nicht nur des alten Europa (Griechenland, Italien) sondern auch des neuen (Tschechei, Slowakei, Ungarn) waren gegen die Verschärfung der Rhetorik in den Beziehungen zu Russland, die Ausarbeitung neuer Sanktionen und erst recht gegen die Einschaltung der Mechanismen und Druckinstrumente der NATO.

Mehr noch, die Summits in Brüssel und Newport haben gezeigt, dass Europa die augenblickliche nervöse Situation in den Beziehungen mit Russland möglichst schnell beenden und zur früheren Zusammenarbeit zurückkehren will. Ungeachtet, unterstreiche ich, ungeachtet dessen was in der Ukraine vorgeht. Im Prinzip ist Europa einverstanden damit, dass Russland sich seine früheren Gebiete (Krim und die Gebiete der Ukraine, die ihr seinerzeit von den Bolschewiken übergeben wurden) im Tausch für reibungslose Gaslieferungen und die Fortsetzung des beiderseitig nützlichen ökonomischen Zusammenenarbeit.

Der Grund dafür ist, dass Europa nicht zufrieden ist mit dem neuen Format der Staatlichkeit der Ukraine, die sie nach dem Februarumsturz bekommen hat. Daher muss man dieses gefährliche Regime, welches zu Instabilität führt, beenden. Zuerst einmal so, wie es in den Gesprächen in Minsk im Vorfeld des Winters getan wurde.

Daher ist der Abschluss eines Vertrags über den Waffenstillstand in Minsk zwischen der Junta und den Vertretern Neurusslands ein ernster Sieg Russlands, weil wir mit diesem Zug den USA nicht erlaubt haben, die Beziehungen zwischen Russland und Europa zu zerreißen, und Europa die notwendigen Argumente gegeben haben, um in Brüssel wie in Newport die Beschlüsse, die die USA gegen Russland annehmen wollten, zu blockieren und abzulehnen. Für heute ist dies ein großer gemeinsamer Sieg von Russland und Europa.

3

Gehen wir weiter und kommen zum leidgeprüften Neurussland zurück. Viele, sogar angesehene Experten wie Boris Roshin, halten das für einen Verrat von Neurussland. Lasst uns dies einmal genauer betrachten.

Erstens scheint, nach allem zu urteilen, Poroschenko und die Junta nicht gewillt zu sein, die Bedingungen des Waffenstillstands einzuhalten – Beschuss von Donezk, Lugansk, Gorlowka, Kampfhandlungen im Gebiet Mariupol von Seiten der Junta werden fortgesetzt. Entsprechend haben auch die Widerstandskräfte freie Hand.

Zweitens, selbst wenn die Beschüsse von Seiten der Juntatruppen beendet werden und ein friedlicher und anstrengender Prozess von Verhandlungen beginnt, wohin wendet sich die Aufmerksamkeit der Bewohner der Ukraine, die sich heute unter der Macht der neobandero-faschistischen Junta befinden? Richtig, in Richtung innerer Probleme – Preise für Lebensmittel, Benzin, Inflation, Arbeitslosigkeit, Kurs der Grivna, Willkür von Banden usw. usf. Poroschenko wird so tun, als ob er etwas löst – er muss schließlich Parlamentswahlen gewinnen.

Und was machen Kolomoisky, Ljaschko, die Bataillone der Nationalgarde und all die anderen, die an der Entfachung des Krieges interessiert sind? Was können sie tun? Sie können in dieser Situation gar nichts tun, weshalb die Spannungen innerhalb der Junta selbst ansteigen. Und wenn es Russland und Deutschland gelingt, Poroschenko von der Anwendung von Gewalt im Osten abzuhalten, wird früher oder später die Eiterbeule der Junta aufbrechen.

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Und was das “neue Pridnestrowje” betrifft – das, womit die Experten die Bevölkerung und die Neophyten verängstigen, als Beleg für die Losung der amerikanischen Partei und Regierung, dass “Putin alles verraten” hat. Der Punkt ist, dass das Phänomen Pridnestrowje so wurde aufgrund eines Faktors – des Fehlens einer gemeinsamen Grenze zu Russland. Mehr nicht. Abchasien und Südossetien haben eine gemeinsame Grenze mit Russland – und schon sieht die Lage ganz anders aus. Ja, formell sind beides nicht anerkannte Staaten. Aber reell – ich unterstreiche, reell – befinden sich Abchasien und Südossetien heute unter dem Schutz der russischen Armee, und keine “Fledermaus” traut sich dorthin, im Unterschied zu Pridnestrowje.

Daher kann im Zusammenhang mit DVR und LVR überhaupt nicht die Rede sein von einem “neuen Pridnestrowje” – das Vorhandensein einer gemeinsamen Grenze gibt keinerlei Möglichkeit eines solchen Szenarios her. Ja, eine Zeitlang wird es Unklarheiten über den Status dieser Gebiete geben. Aber nach dem Durchbruch der Eiterbeule in Kiew oder einem anderen Szenario werden zu den zwei Gebieten Neurusslands auch die fünf anderen stoßen, die die Bolschewiken der Ukraine gegeben haben. Und das ist das Ende der Ukraine in ihrer heutigen Form.

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Und zum Schluss zur Hauptfrage: Warum geht Russland gerade nach diesem Szenario vor, statt den Fluss der Ereignisse in Neurussland zu beschleunigen. Der erste Grund ist oben genannt – man musste Deutschland und Europa die Argumente geben, mit deren Hilfe sie verhindern konnten, dass die USA auf den Summits von Brüssel und Newport ihre Pläne durchbekommt.

Zweitens, man muss Europa einen ruhigen Winter absichern, und die Länder Osteuropas, die von Gaslieferungen durch die Ukraine abhängen, nicht erfrieren lassen. Denn, wenn im Gebiet der Ruine das Chaos ausbricht, werden die Gasleitungen in die Luft gesprengt, Osteuropa beginnt zu frieren, die USA erhält sehr ernste Argumente für Druck auf die EU wegen Russlands Position in der Ukraine-Krise.

Die Frage der Sicherung der Gaslieferungen nach Europa im Winter ist daher heute eine der wichtigsten. Deswegen lohnt es sich schon, einen Waffenstillstand einzugehen, auch ganz ohne die friedlichen Bürger Neurusslands zu betrachten. Außerdem wird ein kalter und hungriger Winter auf dem Territorium der Ukraine, welches die Junta jetzt kontrolliert, einige Leute zu Verstand bringen. Und nach dem Winter wird die Junta in jedem Fall erledigt.

Drittens, die schnelle Einnahme der sieben Regionen Neurusslands erlaubt es der USA, einen neuen Eisernen Vorhang zu errichten. Diesmal nicht irgendwo in Deutschland, sondern direkt an der Grenze mit Russland, in Form der notorischen NATO-Basen im Baltikum, Polen und Rumänien. Wir hätten auch für lange den Rest der Ukraine verloren, was nicht zugelassen werden darf. Jede schnelle Aufteilung gibt uns äußerlich einen Sieg – soviel wurde erobert, und das schnell. Aber vom strategischen, langfristigen Standpunkt aus gesehen ist gerade solch ein Szenario unsere Niederlage, weil wir den Rest der Ukraine verlieren würden und der USA gestatten würden, Europa vollständig und endgültig zu kontrollieren.

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Deshalb brauchen wir die ganze Ukraine, die, analog zu Belorussland, ein mit Russland befreundeter Staat sein wird, und der ganz (vielleicht mit Ausnahme der drei Westregionen) in die eurasische ökonomische Union eintritt, wonach wir zusammen eine Handelszone mit der EU aufbauen, um den ganzen eurasiatischen Kontinent von Frankreich und Holland bis China, Iran und Indien in eine einheitliche ökonomische Zone zu vereinen.