Gestohlenes Öl und deutsche Tornados

In den letzten Tagen gab es einige erstaunliche Kapriolen in der internationalen Medienlandschaft. Hier ein interessantes Interview des schmutzigsten Propagandasenders der ganzen Vereinigten Staaten, Fox News.

Der Interviewte ist nicht irgendwer, sondern Generalleutnent McInerney, ehemaligeer Kommandeur der Nordamerikanischen Luftabwehr (Norad) in Alaska.

Er sagt: “Ich denke, die Türken haben einen sehr großen Fehler begangen.(…) Für so eine kurze Zeitspanne war das eine sehr schlechtes Urteilsvermögen der türkischen Seite. (…) Selbst wenn sie vorher gewarnt haben – ich war Norad-Kommandeur in Alaska, und ich hatte in viereinhalb Jahren vermutlich die höchste Zahl von “Bärenpenetrationen” in den Raum unserer Luftverteidigung, und wir hätten niemals etwas derartiges getan. Dieses Flugzeug führte keine Manöver durch, das Gebiet anzugreifen, es hat vielleicht die Grenzen ausgetestet, aber dafür schießt man sie nicht ab. (…) [Die Interviewerin merkt an, Obama habe sofort erklärt, wir unterstützen unseren NATO-Verbündeten, und wäre die NATO nicht verpflichtet, den NATO-Verbündeten beizustehen?] Ja, das wäre sie, nach Artikel 5 des NATO-Vertrags, im Falle eines Angriffs, aber erst einmal war das kein Angriff, und Sie verkürzen ein wenig, was der Präsident gesagt hat, er hat gesagt, man wolle nicht eskalieren, und ich denke, er hat ein Signal an Frankreich gegeben gegeben, zu den Pariser Angriffen, wir wollen nicht Artikel 5 umsetzen, und wir versuchen, die Temperatur niedrig zu halten. [Die Interviewerin: geht es nicht um absichtliche Provokationen der Russen, um hier etwas zu eskalieren?] Ich denke, es war der türkische Präsident Erdogan, der absichtlich provoziert hat. Die Türkei war ein sehr säkularer Staat, und er hat sie in Richtung Islamisierung getrieben, mit Scharia-Recht etc. Ich denke, er könnte eine verborgene Absicht verfolgen. Er hätte vermutlich nichts dagegen, wenn Russland und die NATO in einen weiteren Konflikt gerieten wie in der Ukraine, was wir nicht brauchen, und den Blick von dem abzulenken, was dort passiert. Die meisten türkischen Angriffe waren gegen die Kurden, also traue ich Präsident Erdogan nicht und dem, was er tut. Ich denke, wir müssen da sehr, sehr vorsichtig sein. Ich denke, das war ein zu aggressives Manöver und ich als Kommandeur der Norad-Region hätte nicht solche Regeln für Zusammenstöße angewandt. Das war im Vorhinein geplant. Das Flugzeug war nicht lange genug über türkischem Gebiet.”

Im Grunde ist dieses Interview die Fortsetzung einer politischen Positionierung des US-Militärs, die sich bereits am Dienstag abgezeichnet hat, als das Weiße Haus sehr schnelle Erklärungen abgab und das Pentagon deutlich auf die Bremse trat. Auch wenn die Moderatorin überrascht scheint, diese Distanzierung von Erdogan beschränkt sich nicht auf das US-Militär.

Forbes hat bereits am 25. einen sehr scharfen Kommentar veröffentlicht, dessen Überschrift lautet: “Die Türkei schießt ein russisches Flugzeug ab und schließt sich mit dem Islamischen Staat zusammen: die USA sollten das neue ottomanische Reich als Verbündeten fallen lassen”.

Weiter unten heißt es: “Der Abschuss des Flugzeugs war unnötig provokativ und für die Verteidigung der Türkei nicht erforderlich. Das Ziel war vermutlich, Moskaus Einsätze gegen islamische Radikale zu stören und/oder zukünftige russische Schläge gegen von Ankara unterstütze Islamisten zu entmutigen. Die Handlung war offensichtlich gegen Washingtons Interesse, das in jeder Eskalation zwischen Russland und der Türkei gefangen wäre. Dennoch hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärt, dass “wir solidarisch zur Türkei stehen und die territoriale Integrität unseres NATO-Alliierten Türkei unterstützen.”

Es ist nicht genug, “jede Eskalation zu entmutigen”, wie Präsident Obama deutlich erklärte. Washington sollte die bittere Lektion der türkischen Heimtücke aufnehmen und das Bündnis fallen lassen.”

Schon am 18.11. veröffentlichte der Guardian einen Kommentar, der besagte: “Die genaue Beziehung zwischen der Regierung Erdogan und ISIS mag Gegenstand einer Debatte sein; aber bei einigen Dingen könne wir relativ sicher sein. Hätte die Türkei über den Gebieten von ISIS die gleiche absolute Blockade verhängt wie über den von Kurden gehaltenen Teile Syriens, oder gar die gleiche Art “freundlichen Wegschauens” gegenüber der PKK und YPG praktiziert, wie sie es ISIS gegenüber getan hat, dann wäre das blutbefleckte “Kalifat” längst zusammengebrochen. (…) Aber, hat auch nur ein einziger westlicher Staatschef Erdogan dazu aufgerufen, dies zu tun?”

Die britische Daily Mail veröffentlichte nicht nur einen Artikel, der Erdogans Verhältnis zu ISIS so beschreibt: “In seiner Besessenheit davon, Syriens Präsident Assad zu entfernen, hat Erdogan ignoriert, wie ISIS still die schäbigen und niedergeschlagenen türkischen Städte infiltrierte, durch die sie ausländische Dschihadisten nach Syrien schleusen. Türkische Schmuggler kaufen ISIS-Öl in ganzen Tankerladungen. Eine besorgniserregende Zahl junger Türken, Mitglieder der Jugendorganisation von Erdogans AKP eingeschlossen, unterstützen jetzt ISIS.” Nein, die Daily Mail verbreitet mit sichtlichem Vergnügen unter dem Titel Oh was für ein lieblicher Krieg! Aufnahmen, die freundliche Gespräche zwischen türkischen Grenzern und islamistischen Milizionären belegen sollen (sollen deshalb, weil auch auf diesen Bildern wieder der Gruß der türkischen Grauen Wölfe auftaucht).

Bravado: After several minutes chatting, the militants wander off, defiantly raising their index finger to the sky to represent jihadism while chanting 'Allahu Akbar' - a phrase that translates as 'God is the greatest'

Zero Hedge hat eine Studie der Universität Greenwich angeführt, die anhand der Frachtraten für Tanker im türkischen Ölhafen Ceyhan eine Korrelation zwischen steigenden Frachtraten und der Inbesitznahme von Förderanlagen durch ISIS belegt. Das pikante daran: der Hafen gehört einer staatlichen türkischen Gesellschaft. Was heißt, selbst wenn Präsidentensohn Bilal Erdogan, gegen den Papa schon einmal ein Korruptionsverfahren durch Austausch der Staatsanwälte niederschlug, doch nicht in den Handel mit Schmuggelöl involviert sein sollte – der türkische Staat ist es auf jeden Fall.

“Da die Luftschläge der US-Alliierten die Tanklaster nicht ins Visier nehmen, aus Furcht, bei den Einheimischen eine Gegenreaktion hervorzurufen, erfolgen die Transportoperationen effizient und geschehen meistens bei hellem Tageslicht. Die Händler, die durch hohe Profite angelockt werden, sind in Syrien, Irak und der südöstlichen Türkei aktiv.

Die Lieferkette besteht aus den folgenden Ortschaften: Sanliura, Urfa, Hakkari, Siirt, Batman, Osmaniya, Gaziantep, Sirnak, Adana, Kahramarmaras, Adiyaman und Mardin. Die Kette von Transportknoten endet in Adana, Heimat des größeren Tankerhafens Ceyhan. (…)

Wann immer der Islamische Staat in der Nähe eines Gebiets, das Ölanlagen beherbergt, kämpft, steigen die Exporte aus Ceyhan prompt an. Das mag auf einen besonderen Schub durch den Schmuggel von Rohöl ausgelöst werden, mit dem Ziel, sofort daraus zusätzliches Geld zu machen, das für den Munitionsnachschub und militärische Ausrüstung dringend benötigt wird.”

Zero Hedge kommentiert diese Ergebnisse so: “Schließlich muss man festhalten, dass Ceyhan mit dem Auto weniger als zwei Stunden vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik entfernt ist, von dem aus die USA Anti-Isis-Einsätze fliegt. Mit anderen Worten, das ISIS-Öl wird gleich die Straße runter von Washingtons beliebtester Einsatzbasis im Nahen Osten in die Welt verschifft.” (Die Seite hat versprochen, weiter nachzulegen).

Zusammengefasst könnte man sagen, zumindest ein Teil des Westens wendet sich gerade von Erdogan ab. Aber was geschieht in der Bundesrepublik?

Die BILD hat eine Reihe von einzelnen Informationen zum Ölhandel durch ISIS aufgegriffen, nur um am Ende die russischen Luftangriffe auf die Schmuggeltanker als rein wirtschaftliche Aktion Russlands auszugeben: “Ein Überangebot an Öl drückt die Preise, was Gift ist für Russlands Wirtschaft”… Und es wird nachgesetzt. “Trotzdem sind Putins Anschuldigungen mit Vorsicht zu genießen (…) Auch zu Putin wurde dem türkischen Präsidenten bis vor Kurzem ein überdurchschnittlich gutes Verhältnis nachgesagt – bis es Streit um eine Gaspipeline gab.”

Übersetzt lautet das: Putin ist tückisch und erzählt nur deshalb so schmutzige Dinge über Erdogan, weil der Ölpreis so niedrig ist und es Ärger um eine Pipeline gab.

Euronews zitiert zumindest die russischen Vorwürfe, setzt aber gleich mit einem Erdogan-Zitat nach, was, bedenkt man, dass neuere Informationen eine höhere Wertigkeit besitzen als ältere, letztlich bedeutet, dass die Stellung Erdogans geteilt wird. Die Welt kann sich gerade zu dem Satz durchringen, “einige der Lastwagen fahren in die Türkei”. Ausführlich wird allerdings dargestellt, dass weder Frankreich noch Deutschland bisher bereit sind, mit Assad zusammenzuarbeiten. “Er kann nicht Teil einer dauerhaften Lösung sein”, wird ein namenloser Sprecher der Bundesregierung zitiert. Wie lautete noch der Satz in der Wiener Abschlusserklärung? Das syrische Volk müsse über seine Zukunft entscheiden?

Der Haupttenor der bundesdeutschen Medien ist aber ein ganz anderer: Erdogan werde zur Lösung der “Flüchtlingskrise” dringend gebraucht…

Flintenuschi wiederum hat begeistert verkündet, man werde mehrere Tornados und eine Fregatte auf den Weg nach Syrien bringen. Der Grund dafür mag der Wunsch sein, die Koordination zwischen Satelliten (die FAZ spricht gar von einem “Satellit der Bundeswehr”) und Flugzeugen bzw. Schiffen auszutesten; es dürfte kaum einen akuten Mangel an Bildmaterial zu Syrien geben. Angesichts der russischen Bereitschaft, eigenes Aufklärungsmaterial zu teilen, sind die deutschen Tiefflieger überflüssig wie ein Kropf.

Nur – sollten die USA tatsächlich eine Wende in ihrem Verhältnis zur Türkei vollziehen, dann wären die deutschen Tornados entweder dafür da, die Schmuggelrouten zu schützen, oder sie würden mitten in gegnerischem Gebiet stationiert.

Und wie günstig, dass mit den Flüchtlingen ein Grund gefunden wurde, die Nähe zu Erdogan zu suchen, selbst wenn ihm nachgewiesen werden sollte, bis zum Hals in der Finanzierung von ISIS zu stecken… mit schmerzverzerrtem Gesicht, aber in völliger Unschuld. Niemand könnte dann noch auf den Gedanken kommen, die immer weiter fortschreitende deutsche Verwicklung in das syrische Desaster hätte irgend etwas mit einer Gier nach einem Teil vom Kuchen zu tun. Selbst wenn die ganzen Manöver in und mit NATO und EU, die immer stärker der Verlegung eines Minenfeldes ähneln, das man selbst durchqueren will, so enden, wie es fast schon vorgegeben ist, nämlich indem die eine oder andere gelegte Mine mit großem Knall häßlich ins eigene Gesicht explodiert – das dient alles nur humanitären Zwecken.