Kleinigkeiten vom Tage, 6. September

Der ukrainische Panzer, der mit der Aufschrift “nach Moskau” es nicht über eine Panzersperre mit der Aufschrift “Schluss mit dem Krieg” hinaus geschafft hat, hat was:

Wird es überhaupt ein wirklicher Waffenstillstand?

Die interessante Frage heute ist natürlich, ob der Waffenstillstand überhaupt als solcher eintritt. Mit anderen Worten, mal sehen wie lange er hält. Der Anfang gestern war alles andere als vertrauenserweckend, siehe die gestrigen Kleinigkeiten.

Allerdings würde ich die Hoffnung nicht vorschnell aufgeben. Denn die Frage ist ja, was genau die Bedingungen sind. Was also neben einem einfachen Waffenstillstand und Gefangenenaustausch noch so alles in der Abmachung steht. Dass die eigentliche Abmachung geheim ist, scheint gute Gründe zu haben – wenn man sich die Frage stellt, für wen ein Interesse daran besteht, sie geheimzuhalten. Siehe dazu natürlich auch yurasumys These, dass es ein “Chasawjurt” sei, mit anderen Worten, eine Kapitulation vor den Neurussen.

Ich denke, man kann die Varianten sehr leicht eingrenzen:

Variante 1: Kaum wirklicher Truppenabzug

Dies sähe etwa so aus: Putin hat vor den schröcklichen Sanktionen der EU (weitere 20 russische Behördenmitarbeiter werden nicht mehr in die EU gelassen) und der noch schröcklicheren schnellen Eingreiftruppe der NATO solche Angst gekriegt, dass er mit dem schon erreichten zufrieden ist. Die Neurussen sind sowieso nur FSB-Leute und folgen dem Befehl. Nunja, nicht wirklich glaubhaft, was für geBILDete Wessis bestenfalls.

Also, sagen wir mal, sie haben sich irgendwie, durch Drohung der Einstellung von Waffenhilfe, zu etwas Waffenstillstand bereiterklärt, damit Putin seinen Willen bekommt, und für Summit und EU-Sanktionen gut aussieht, sie lassen sich dafür ein paar Tage offensichtlich ohne Widerstand bombardieren, und danach hat auch Putin ein Einsehen, dass sie weitermachen dürfen. In diesem Fall wäre das ganze eine gut getimte PR-Aktion von Putin. Ich denke, ob das so ist, könnte man daran erkennen, wie die verschiedenen Feldkommandeure sich verhalten. Es wäre voraussagbar, dass sie zumindest schon kleine Angriffe, und die werden sie vom Rechten Sektor sicher bekommen, ausnutzen werden um dem Waffenstillstand ein Ende zu bereiten. Es wäre einfach eine Abmachung, an der Neurussland selbst überhaupt kein Interesse hat, und schon deswegen zum Scheitern verurteilt.

Variante 2: Truppenabzug aus Klein-Neurussland (Lugansk und Donezk)

Dies wäre eine Variante, an der die Neurussen interessiert sind. Der Unterschied zwischen den bisher deklarierten Staatsgrenzen von Neurussland und dem aktuell kontrollierten Gebiet ist immerhin noch erheblich:

Würde sich Kiew aus diesem Gebiet zurückziehen, kampflos, wäre dies etwas, was für die Neurussen attraktiv genug ist, um einem Waffenstillstand zuzustimmen. Ja, klar, dies würde bedeuten, dass Neurussland (erst einmal) darauf verzichtet, Saporoshje und Charkow anzugreifen. Das ist für Poroschenko natürlich ein Angebot, gut genug um darauf einzugehen.

Für Neurussland ist es in jedem Fall gut genug. Es erhält wichtige Territorien ohne Blutvergießen. Die genaue Grenze muss dabei nicht der Gebietsgrenze folgen – in diesem Artikel wird von einem Rückzug hinter den Fluss Orlowka gesprochen, was etwas westlich der Grenze zwischen Lugansk und Charlow wäre. In der Tat wäre dies eine sich anbietende natürliche Grenze. Wäre dies die im Vertrag ausgemachte Grenze, so hätte Neurussland – wie umgekehrt natürlich auch Kiew – im Norden eine leicht zu verteidigende natürliche Grenze. Weiter ginge es dann mit Slawjansk-Kramatorsk, und dann nach Süden auf mehr oder weniger direkter Linie, von der Länge her vergleichbar mit dem, was Neurussland an Grenzlängen schon vorher erfolgreich verteidigt hat.

Und Neurussland bekommt Zeit, dort in aller Ruhe einen Staat aufzubauen, mit eigenem Hinterland und eigenen Steuern. Und sicher auch mit der Möglichkeit, eigenen Handel zu treiben, und damit ganz legal Waffenlieferungen aus Russland zu erhalten.

Ich würde tippen, dass Russland gar nicht vorhat, noch mehr legalen Status zu bekommen, sagen wir als Friedenstruppe mit Stützpunkten im Land. Legale Waffenlieferungen reichen völlig aus, um eventuelle Reste von Hoffnungen auf einen Angriff später mal zu beerdigen.

Wäre Groß-Neurussland damit abgeschrieben?

Keineswegs. Ein Waffenstillstand ist ein Waffenstillstand, er kann jederzeit gebrochen werden. Wer dann daran schuld ist, ist eine andere Frage. Und natürlich werden die Partisanen in Charkow, Saporoshje und Odessa keine Rücksicht auf einen Waffenstillstand nehmen müssen. Die Frage, ob diese Partisanen nun Diversantengruppen der Neurussen sind, ist, nunja, geschenkt. Die Freiwilligen ziehen natürlich weiter, als Freiwillige halt. Die Neurussen haben dann halt eine Armee – aber der müssen sich ja nicht alle Kämpfer unterordnen. Die Armee bleibt stark genug, um den Faschisten die Lust zu nehmen, Klein-Neurussland anzugreifen. Der böse Aggressor wäre dann Neurussland, welches angeblich oder auch real die Partisanen unterstützt, Russland selbst wäre völlig aus dem Spiel.

Allerdings würde es, bei diesem Szenario, auch ganz ohne aus Neurussland unterstützte Partisanen sicherlich höchst spannend werden.

Der Kampf zwischen Poroschenko und den Faschisten

Erstmal zur Klarstellung: Ich halte Poroschenko für genauso einen Faschisten. Trotzdem, mit der Vereinbarung hat er jedoch mehr oder weniger die Seite gewechselt: Er spielt ab sofort die Rolle dessen, der für den Frieden ist, für eine Beendigung des Krieges, und das ist eine Position, die sich langfristig auszahlen kann – denn die Mehrheit mag zwar nationalistisch verseucht sein, aber für Krieg ist sie nicht mehr. Die Umfragen dazu gibt es schon. Käme es also wirklich zu Wahlen, wäre dies eine Position, mit der Poroschenko sie gewinnen könnte.

Vor allem stände er auf dieser Seite im Wahlkampf alleine da – all seine politischen Konkurrenten stehen für den Krieg. Und werden sich im Wahlkampf auch so positionieren.

Oder ein Putsch gegen Poroschenko?

Dass sich der Rechte Sektor dem Waffenstillstand nicht beugen wird, wurde schon offen von deren Vertretern klargestellt. Als “Mitteilung von Bloggern” (05.09.14. Сообщение от блогеров) kommt folgende Information:

Die rechtsradikalen Banden sind nicht bereit, sich Poroschenkos Befehl über den Waffenstillstand zu unterwerfen. Das hat die Journalistin dieser Richtung Jelena Beloserskaja erklärt. Sie argumentiert dabei mit der Weigerung Poroschenkos, sie als gesetzliche militärische Formationen anzuerkennen. Der Politolog Wladimir Kornilow, der die Nazisting im sozialen Netzwerk zitiert, warnt, wo die Waffe zu finden sein wird, die zuerst schießt. “Waffenstillstand, sagen Sie? Aber Donezk wird weiterhin hemmunglos bombardiert. Insbesondere die vom Rechten Sektor haben stolz erklärt, dass sie direkt bei Donezk operieren. Und als man die Verkünderin des “Rechten Sektors” Olena Biloserka zum Waffenstillstand fragte, antwortete sie in ihrem Blog folgendes: “Er (Poroschenko) hat uns ja bis jetzt noch nicht legalisiert … Wenn sie wollen, dass wir ihre Befehle befolgen, müssen sie uns erstmal legalisieren. Bis jetzt haben wir keinen offiziellen Status – wir sind de-jure eine illegale bewaffnete Formation – eine gewöhnliche Bande, und können tun was wir wollen”.

Damit hat der Waffenstillstand noch eine weitere sichere Folge: Eine Zuspitzung des Machtkampfes innerhalb der Restukraine, anhand der Front für/gegen den Waffenstillstand.

Die Neurussen lassen sich als humanitäre Hilfe aus Russland Lastwagen voller Popcorn liefern und sehen zu, wie sich die Restukrainer gegenseitig bekämpfen. Sie können dabei in jedem Fall nur gewinnen: Wenn Poroschenko gegen den Rechten Sektor mit Gewalt vorgehen muss, weil der sich offen widersetzt – hervorragend, was kann besseres passieren? Die Faschisten beseitigen sich gegenseitig. Wer gewinnt, ist dabei recht egal.

Gewinnt Poroschenko, sind in jedem Fall auch ein paar von den schlimmsten Faschisten gleich mit beseitigt.

Gewinnen die Faschisten, nunja, dann ist das auch nicht so schlimm. Im Gegenteil. Denn dann sind es in jedem Fall die Faschisten, die Neurussland angreifen – und dabei einen international akzeptierten Waffenstillstand brechen. Mehr noch, sie hätten Poroschenko gestürzt – also damit den “demokratisch legitimierten” Präsidenten. Was zwar in der Realität egal wäre. Trotzdem, beides wären erhebliche Gewinne für Russland und Neurussland im Informationskrieg.

Die offensichtlichste Variante dieser Niederlage wäre, wenn das Militär einfach sofort offen den Waffenstillstand nicht einhält und gar nicht erst abzieht. In diesem Fall hätte sich auf dem Grund gar nichts verändert. Trotzdem wäre die ganze “Operation Waffenstillstand” ein Sieg an der diplomatischen wie an der Informationsfront. Diplomatisch, weil es damit schon einmal einen Vertrag mit Neurussland gab – auch wenn es nur ein Waffenstillstand ist. An der Informationsfront, weil es offensichtlich Kiew ist, was den Waffenstillstand bricht.

Alles in allem gute Aussichten.

Und zum Abschluss noch ein “Motivator”:


Soldaten der Nationalgarde führen die Säuberung von Donezk durch.