“Sieg der Ukraine” oder “Falle für Kanarienvögel”

Übersetzung von Михаил Онуфриенко. «Победа Украины» или Ловушка для канареек


Im zum Klassiker gewordenen Detektivroman von Tom Clancy “Das Spiel der Patrioten” gibt es eine “Falle für Kanarienvögel” – die Methode, in Dokumente schöne Phrasen hineinzuschreiben, die auf jeden Fall vom Gegner benutzt werden. Genau dies sehen wir nach Abschluss der Minsker Absprachen. Die Tinte war noch nicht trocken unter den in Minsk unterzeichneten Dokumenten, als Poroschenko mit ziemlich übertriebenen Pathos den diplomatischen Sieg erklärte: “Keinerlei Föderalisierung, Gefangenenaustausch nach dem Prinzip “alle für alle”, völlige Feuereinstellung und Abzug der schweren Waffen von der Linie des Gegenüberstehens, Wiederherstellung der Kontrolle von Kiew über die Grenze zu Russland und Wahlen in den aufständischen Republiken nach “Gesetzen der Ukraine”. “Sieg” ….

Wirklich ein Sieg? Warum hat dann der Führer des “Rechten Sektors” Dmitri Jarosch sofort erklärt, dass seine im Grunde neonazistische Partei die Legitimität der mit den Aufständischen unterschriebenen Dokumente nicht anerkennt und die Kampfgruppen der Nazis vom Rechten Sektor die Kampfhandlungen fortsetzen werden? Warum hat der Volksdeputierte und ehemalige stellvertretende Kommandeur des nazistischsten Bataillons “Asow” Melnitschuk so heftig auf die Ergebnisse von Minsk reagiert, und sie Verrat genannt? Schließlich folgte auf das erste Minsk im Herbst keine solch heftige Reaktion. Warum? Und warum reagierte die USA auf die Minsker Vereinbarungen, die die “Normandie-Vier” sich so lange (fast 17 Stunden) abgerungen hat, mit offensichtlichem Verdruss, und erklärte, dass sie sich das Recht auf die Einführung neuer Sanktionen gegen Russland und die Lieferung letaler Waffen für Kiew vorbehalten?

Der Grund für so lange Verhandlungen und die so harschen Reaktionen auf die Ergebnisse sind im Wesen der im Dokument festgeschriebenen Punkte verborgen. Nicht in den schönen Phrasen, die speziell für Poroschenko geschrieben wurden (wir kommen auf ihn noch zurück), sondern im Wesen. Zuallererst wird im Dokument überhaupt nichts geschrieben von der “von Russland annektierten Krim”. Solch ein Problem existiert für die Unterzeichner nicht. Überhaupt nicht. Genau wie es keinerlei Erwähnung gibt von einer Anwesenheit auf ukrainischem Territorium von regulären Teilen der Russischen Föderation. Im Medienraum der Junta und des Westens gibt es sie, im Dokument kein Wort. Nur eine indirekte Erwähnung der Notwendigkeit des Abzugs ausländischer Truppen. Welche? Wo? Kein Wort. Das kann man auslegen als Forderung des Abzugs des an der Seite der Junta kämpfenden und formal nicht existierenden Bataillons Isa Munajew (früher Dshochar Dudajew), welches von in die EU geflüchteten tschetschenischen Terroristen gegründet wurde. Hingegen gibt es in den Dokumenten festgeschrieben eine Menge Bedingungen, nach deren Erfüllung Wahlen in den aufständischen Regionen durchgeführt und die Kontrolle Kiews über die Grenze wiederhergestellt wird. Vor allen geht es hierbei um die Veränderung der Verfassung, in der der besondere Status des Donbass und sogar “humanitäre Fragen” – also dem Wesen nach der Status der russischen Sprache in den aufständischen Provinzen – festgeschrieben werden muss. Solange das von der Junta nicht erfüllt ist, ist von irgendeiner Souveränität der Ukraine auf diesen Gebieten keine Rede. Es ist das Verständnis, dass hinter den schönen Phrasen eine für die ukrainischen Nazis unangenehme Realität versteckt ist, die die Wut von Jarosch und sonstigen Banderaleuten hervorrief. Und die Erkenntnis des Offensichtlichen – Deutschland und Frankreich (dem Wesen nach Europa) lehnen es ab, die Junta zu unterstützen, und treten sehr elegant zur Seite.

Der Nutzen dieser Position für die EU ist offensichtlich. Ein Jahr nach dem bewaffneten Umsturz in Kiew und der Machtergreifung durch die Neonazis haben Europa offensichtlich bewiesen, dass es keinerlei politischen oder materiellen Vorteile durch die Unterstützung der Junta erhält. Im Gegenteil, sie verschwenden nur Geld, welches ihnen auch so fehlt – Griechenland alleine kostete 200 Mrd. Euro und es ist völlig unklar, ob es die irgendwann zurückzahlen kann. Und die Unterstützung Kiews ist nicht nur teuer, sondern erfordert auch noch die Einführung immer neuer und neuer Sanktionen gegen Russland, die im Bumerang die Ökonomie der EU-Länder treffen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die paradoxale Situation mit der aufgehaltenen Lieferung der französischen Hubschrauberträger an Russland. Ohne die Möglichkeit, irgendjemandem außer Russland die “Mistrals” zu verkaufen (die Schiffe wurden für die Standards der Hubschrauber Russlands gebaut), riskiert Paris, Milliarden zu verlieren nur wegen des Vertragsbruchs. Dazu kommen noch große Reputationsverluste auf dem Waffenmarkt, als unzuverlässiger Lieferant. Und wofür? Für die Unterstützung eines höchst zweifelhaften Regimes in Kiew, welches in einen immer offeneren Faschismus abgleitet? Und das alles nur wegen des andauernden Drucks der USA auf seine Bündnispartner. Man sollte nicht vergessen, dass die Vereinigten Staaten direkt und grob Druck ausüben auf die Staaten der EU, und bedingungslose Unterstützung der von ihnen durchgeführten Politik fordern. Und das kann Staaten wie Frankreich und Deutschland, die vor nicht so langer Zeit Großmächte waren, die es selbst gewohnt waren, der Welt (oder zumindest Europa) seinen Willen zu diktieren, und die heute unfähig sind (wie Deutschland) seine eigenen (!) Goldvorräte aus den USA auszuführen.

Unter diesen Umständen haben die Führer Deutschlands und Frankreichs die ihnen von Putin gegebene Chance genutzt, auf schöne Art aus dem Spiel auszusteigen – ohne Finanz- und Reputationsverluste. Faktisch wurde in Minsk beschlossen, entsprechend dem Sprichwort “Kein Mensch mehr da – kein Problem mehr da” zu handeln. Die Vernichtung der Junta führt automatisch dazu, dass die EU keinen Grund mehr hat, wegen amerikanischer Interessen in Konflikt mit Russland zu kommen, die Sanktionen verlieren ihren Sinn, und es gibt keinen Grund mehr für Konfrontation und Säbelrasseln.

Ist dieses Szenario für die USA befriedigend? Natürlich nicht. Die Niederlage der Junta ist eine öffentliche Ohrfeige für den Staat, der offen erklärt hat, dass dies sein Projekt ist und dass die amerikanische Herrschaft über den Erdball außerhalb jeder Diskussion ist. Der Zusammenbruch der Junta bedeutet für alle Staaten das Ende der monopolaren Welt, die sich nach dem Zerfall der UdSSR gebildet hat, und fixiert Russland als das Kraftzentrum, um das herum sich alle mit der Politik der USA Unzufriedenen scharen können. Und dies stellt für die USA eine “direkte und offensichtliche Gefahr” dar. Aber weil sie direkt nichts machen konnten, da sie nicht an den Verhandlungen beteiligt waren, blieb ihnen nur, sich “das Recht vorzubehalten”. Wobei man auch im Weißen Haus selbst die Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs der Junta sieht, unabhängig von der Ausgabe von Krediten oder von Waffenlieferungen. Weswegen man einfach nur Zeit schindet und sich allmählich von den verlierenden Marionetten distanziert.

Unter diesen Bedingungen war es das Schwerste, die für die Junta tödlichen Fakten in eine schöne Verpackung zu stecken – die Falle für Kanarienvögel, die dazu dient, Poroschenko für eine möglichst lange Zeit (Monate, nicht Jahre) an der Macht zu halten. Die Gründe sind offensichtlich – auf dem Gebiet der aufständischen Republiken findet der Aufbau einer Armee und einer zivilen Administration statt, die ausreicht, um das gesamte (sic!) Territorium der Ukraine zu kontrollieren. Und das braucht Zeit. Genau deshalb haben die Gespräche so lange gedauert. Russland musste aus dem Rahmen des Dokuments alles herausstreichen, was auch nur im geringsten auf seine Beteiligung am Krieg hinweist, die Europäer mussten auf sanfte Art von der Unterstützung des Regimes Abstand nehmen, dies jedoch den Schein früherer Beziehungen aufrechterhaltend und nicht von “europäischen Werten” abgehend, Poroschenko hingegen braucht ein schön klingendes Dokument, welches wenigstens für eine gewisse Zeit den Umsturz in Kiew hinauszögert. Das Resultat übertraf in der Tat alle Erwartungen. Sogar ein solcher diplomatischer Gigant wie der Chef des Außenministeriums Russlands Sergei Lawrow hat es nach meiner Erinnerung zum ersten Mal nicht ausgehalten und hat, für einen Augenblick die Maske der diplomatischen Unerschütterlichkeit verlierend, schon vor dem Ende der Verhandlungen verraten, dass die Verhandlungen “besser als super” gehen. Und obwohl keineswegs alle das bisher mitbekommen haben – die “Falle für den Kanarienvogel” ist zugeschnappt.