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Die lieben Nachbarn Sind denn auch die Schweinswürste halal?

| Lesedauer: 4 Minuten

Nie wieder Fleisch essen? Wer sich mit den näheren Umständen des Schlachtens von Tieren auseinandersetzt, wird bald ein laues Gefühl im Bauch verspüren. Und wer den Fehler begeht, sich Fotos oder gar Videomitschnitte der Tötungsarten von Rindern, Kälbern, Schafen anzusehen, gleichsam Schlachtpornos, wird niemals wieder ein Steak oder ein Lammkotelett verspeisen wollen.

In Frankreich ist seit dem endlich überstandenen Präsidentschaftswahlkampf eine Diskussion nicht mehr wegzudenken: jene um die von religiösen Moslems und Juden praktizierte Tötung von Schlachtvieh ohne vorherige Betäubung. Der abgewählte Premierminister François Fillon hatte am Höhepunkt der Kampagne, auf der Jagd nach Stimmen des Front National, gar im Radio verkündet: "Juden und Moslems sollten über diese Tradition ihrer Vorväter, die mit einem modernen laizistischen Staat unvereinbar sind, nochmals nachdenken."

Immer öfter fordern nun Tierschutzverbände - keineswegs nur die bereits 1986 gegründete "Fondation Brigitte Bardot" - ein generelles Verbot ritueller Schlachtungen. An Busstationen, in Metrogängen und auf Litfasssäulen tauchen Stickers auf: "Halal- und Koscherschlachtungen sind nichts, worauf man stolz sein darf! Bei vollem Bewusstsein wird dem Tier die Kehle durchgeschnitten, es leidet bis zu vierzehn Minuten." Und daneben die Abbildung eines blutüberströmten Rinderschädels, nur zur Hälfte vom Körper des Tieres abgetrennt.

Mein christlicher französischer Fleischhauer händigte mir vor einigen Tagen das Flugblatt eines Tierarztes aus; es warnt vor den Gefahren der Schlachtung nach moslemischem und jüdischem Ritual. "Lesen Sie sich's in Ruhe durch, ich will niemanden beeinflussen, aber manche der hier genannten Punkte sind nicht zu leugnen", sagt Monsieur Michel, "das hat mit der hässlichen Kampagne von Marine Le Pen und ihrer Front National nichts zu tun."

Ich lese also: dass man in Frankreich sehr oft das Fleisch rituell geschlachteter Tiere esse, ohne es zu wissen, Steaks, Braten und Schnitzel von Rindern und Kälbern verzehre, die eines grässlichen Todes starben, da sie vor dem Schnitt durch die Kehle nicht betäubt worden seien. Vor allem aber gebe es immer mehr Schlachthöfe, die aus Gründen der Rentabilität und um nicht zwei unterschiedliche Tötungsarten durchführen zu müssen, das Vieh auch dann nicht betäubten, wenn es gar keine religiösen Gründe dafür gebe.

"Das Tier", heißt es in dem Flugblatt, "atmet weiter, mitunter dauert die Agonie eine knappe Viertelstunde, während der sich Bakterien aller Art aus dem Magen im ganzen Leib verteilen. Der intensive Stress führt darüber hinaus zur Ausschüttung weiterer Giftstoffe. Nach dem Tod liegt der Kadaver dann in seinen Exkrementen auf dem Boden des Schlachthofs." Und so geht es weiter, immer grausamer, immer unappetitlicher.

"Also? Was sagen Sie?", möchte der joviale Monsieur Michel sogleich wissen und belehrt mich: "Das kann Ihnen bei mir nicht passieren. Ich verkaufe kein einziges Gramm Halal- oder Koscherfleisch!" Seine blutjunge Gehilfin Gaelle sekundiert: "Mein kleiner Sohn geht in die erste Volksschulklasse. In der Kantine serviert man ausschließlich Halalfleisch, weil so viele Kinder in seiner Schule Moslems sind. Ich habe dagegen protestiert, aber ohne Erfolg. Gestern fragt er mich beim Abendessen, ich hatte ihm ein Paar Schweinswürste serviert: ,Sind die halal?'"

Ich kaufe an diesem Abend kein Fleisch bei Monsieur Michel, auch wenn es von Tieren stammen mag, die vor ihrer Tötung betäubt worden sind. Ich wandere weiter zur nahegelegenen Metzgerei des jungen aus dem Libanon gebürtigen Monsieur Rabah, kaufe manchmal Halalfleisch bei ihm, nicht zuletzt, da seine Preise um beinahe die Hälfte niedriger liegen als jene seiner französischen Konkurrenten. Zum ersten Mal fällt mir ein an der Wand des Ladens festgemachtes Plakat auf, darauf wird der genaue Vorgang des rituellen Schlachtens mit Sätzen aus dem Koran untermauert. Als Schlachter, so erfährt man hier, seien auch "geschlechtsreife, seelisch ausgeglichene Frauen" zugelassen. Ich frage Monsieur Rabah, was er von der immer lauter werdenden Kampagne gegen das rituelle Schlachten halte. "Ich kaufe immer, seit Jahren schon, vom selben Großhändler und gehe selbst kaum noch in die Schlachthöfe. Das Ganze ist wirklich kein schöner Anblick", antwortet er. "Dass die Tiere mit dem Kopf in Richtung Mekka ausgerichtet werden, bevor der Schnitt erfolgt, das gefällt mir, das bewegt mich. Aber was danach folgt: lieber nicht darüber nachdenken." Ein schönes Lächeln huscht über das sensible Gesicht mit dem Dreitagebart. "Wenn man anfängt, darüber nachzudenken", fährt er fort, "wird einem ganz mulmig zumute. Und Sie sollten auch nicht so viel darüber nachdenken, sonst verliere ich ja einen Kunden!"

Ich möge bedenken, dass die Tiere nach dem Schnitt durch die Kehle "mit Sicherheit" sofort das Bewusstsein verlören, und dass das Fleisch ausgebluteter, rituell geschlachteter Tiere, entgegen den Behauptungen der so wortgewaltigen Halal- und Schechtgegner, "besser verdaulich" sei als jenes der konventionell getöteten. Er sieht, wie blass ich bin, fügt rasch hinzu: "Bei Hühnern und Truthähnen geht alles schneller vor sich - und vor allem rein mechanisch, die Tiere werden maschinell getötet, ohne zu leiden, glauben Sie mir." Er verkauft mir drei Truthahnschnitzel. Sie liegen noch Tage später unberührt im Kühlschrank.

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