Zum Thema Revolution sind eine Reihe Bücher erschienen,
von hochinteressant bis Ärgernis.
Ralf Höller: „Das Wintermärchen, Schriftsteller erzählen die Bayerische Revolution und die Münchner Räterepublik 1918/1919“, Berlin 2017, Edition TIAMAT; Verlag Klaus Bittermann
Höller bringt uns in seinem Buch zahlreiche überlieferte Zitate von wichtigen schreibenden Zeitgenossen der Revolution nahe; von denen, die mitgewirkt haben ebenso, wie von solchen, die lediglich Zuschauer waren. Wer nun aber meint, das hat doch Volker Weidermann mit seinen hochgelobten „Träumern“ auch schon geleistet, der irrt!
Zum einen: Höller erkennt die Redlichkeit und Ernsthaftigkeit an, mit der die Revolutionäre in München zu Werke gingen – ganz anders als Weidermann, der ihre Aktivitäten nicht nur einmal mit albernen Zuschreibungen ins Lächerliche zieht. Zum anderen und vor allem aber: Höller hat sorgfältig gearbeitet und seine Zitate durchweg mit Fußnoten versehen, die in den Anmerkungen belegt sind. Ein ausführliches Namensregister gestattet nachzuschlagen, was ein Erhard Auer, ein Kurt Eisner oder ein Erich Mühsam und andere getan oder gesagt (oder unterlassen) haben. Allerdings erlaubt dieses Register auch festzustellen, was im „Wintermärchen“ zu kurz kommt (s. u.).
Höller lässt richtigerweise außer den maßgeblichen Akteuren auch einige jener Herrschaften zu Wort kommen, die der Revolution indifferent, misstrauisch oder ablehnend gegenüber standen. Das Verhalten, oder besser das Versagen der meisten Intellektuellen wird exemplarisch an Thomas Mann, Josef Hofmiller oder Viktor Klemperer gezeigt. So wird deutlich, woran die Revolution letztlich auch gescheitert ist.
Dabei schont Höller den schon bei Kriegsbeginn 1914 politisch irrlichternden Thomas Mann noch, wenn er dessen Tagebucheintrag vom 7. November 1918 „unterschlägt“. Da beleidigt Mann die Demonstranten auf der Theresienwiese als „Albernes Pack“, weil sie „Nieder mit der Dynastie!“ und „Republik!“ gerufen haben. Höller würdigt sogar (neben Rilkes „Einen Augenblick hoffte man“) einen anderen Tagebucheintrag Thomas Manns als Motto für sein Buch: „Ich bin imstande, auf die Straße zu laufen und zu schreien ‘Nieder mit der westlichen Lügendemokratie! Hoch Deutschland und Rußland! Hoch der Kommunismus!’“ (Tagebuch, 24. März 1919). Abgesehen davon, dass ein auf der Straße schreiender Thomas Mann absolut nicht vorstellbar ist, zeigt Höller, wie rasch Mann wieder auf dem Teppich seines großbürgerlichen „Künstlertums“ landete; denn gegen das Todesurteil für den Kommunisten Eugen Levinė hat Thomas Mann „logisch-menschlich nichts“ einzuwenden (Tagebuch, 5. Juni 1919).
Mit dem Titel „Wintermärchen“ erinnert der Autor an Kurt Eisners Ansprache bei der Revolutionsfeier im Münchner Nationaltheater am 17. November 1918, als Eisner ausrief: „Freunde! Was wir in diesen Tagen erlebt, ist ein Märchen, das Wirklichkeit geworden.“
Höller lässt aber nicht nur die Schriftsteller erzählen; er erzählt auch selber. Und er kann gut erzählen! Chronologisch vorgehend und die wechselnde Perspektive der jeweiligen Zeitzeugen darstellend, hat er ein angenehm kurzweilig zu lesendes Buch geschrieben, das die Sympathie des Autors für die Protagonisten der Revolution erkennen lässt.
Also alles gut? Leider nicht ganz; denn nach der Lektüre fragt man sich: was ist eigentlich mit den Protagonistinnen? Hat Höller auch die an der Revolution beteiligten Frauen angemessen gewürdigt? Oder hat man da etwas überlesen? Das verdienstvolle Register wird befragt und siehe da: die Damen kommen deutlich zu kurz! Thekla Egl, Lida Gustava Heymann, Hedwig Kämpfer, Zenzl Mühsam oder Toni Pfülf: keine einzige findet sich im Register. Anita Augspurg gönnt Höller lediglich die knappe Bemerkung, dass sie dem „Provisorischen Nationalrat“ angehörte. Dagegen erfährt man allerlei zu Lou Andreas-Salomė (als Freundin Rilkes gleich sechs mal genannt) oder Hertha Koenig (als dessen Förderin sowie Gönnerin Oskar Maria Grafs gar dutzendfach). Auch zu Beobachterinnen des Geschehens wie Annette Kolb oder Ricarda Huch gibt es etliche Fundstellen.
Hier dürfte Höller in einer wünschenswerten Neuauflage noch einiges ergänzen, und da er in seine Auflistung „Nicht zitierte Sekundärliteratur“ auch Christiane Sternsdorf-Haucks Monografie „Brotmarken und Rote Fahnen“ aufgenommen hat, sei ihm hierzu diese Schrift ans Herz gelegt.
Gleichwohl mein Fazit: empfehlenswert!
Bernd Schröder
Volker Weidermann: „Träumer“, Köln 2017,
Verlag Kiepenheuer und Witsch
Vorab Hans Magnus Enzensbergers Lob auf der Umschlagrückseite: „Lustig, aufregend, viel Neues, tolle Recherche …“.
- Lustig? Weidermann macht sich zwar über die Protagonisten der Revolution von 1918/19 lustig, allerdings wird’s Enzensberger wohl kaum so gemeint haben.
- Aufregend? Man kann sich in der Tat über Weidermann aufregen, aber auch das hat Enzensberger gewiss nicht gemeint.
- Viel Neues? Wirklich nicht!
- Tolle Recherche? Lachhaft!
Neu mag das Buch für Leute sein, die Oskar Maria Grafs „Wir sind Gefangene“ ebenso wenig gelesen haben wie Tollers „Jugend in Deutschland“, neu auch für jene, welche die Hochnäseleien eines Thomas Mann oder eines Josef Hofmiller etc. nicht kennen, von sonstiger Literatur gar nicht zu reden.
Weidermann nun hat einiges gelesen. Und das verwurstet er zu seinen „Träumern“. Als „Konjunkturschreiber“ (Ulrich Dittmann) verzichtet er auf Anmerkungen und Register, lediglich eine nicht gerade ausführliche „Bücherliste“ gibt es. Alles ist irgendwo abgeschrieben und mit spöttelnder Prosa garniert: so finden wir den „bärtigen, guruhaften Landauer“, der bald zum „Oberträumer“ avanciert. Kurt Eisner ist „der andere bärtige Guru“ und die Revolutionsfeier im Münchner Nationaltheater wird als „Religiöser Festakt“ denunziert.
Kurt Eisners Gedicht „Gesang der Völker“ mag ja nicht zu den Höhepunkten Deutscher Lyrik gehören, aber „Zukunftslied des sozialistischen Märchenkönigs“??
Mit den Königen hat’s Weidermann überhaupt: so steigt Landauer „würdevoll wie ein neuer König aus seiner Equipage“ und bei Eisners Begräbnis wird der „erste König dieser neuen … Zeit zu Grabe getragen“. Ernst Toller betrachten seine Zeitgenossen laut Weidermann als „Zauberkönig“, zwei Seiten weiter als „Volkskönig“ und schließlich als „neuen König von Bayern“.
Wie mag den Revolutionären wohl zumute gewesen sein, als die von der SPD losgelassenen Weißen Truppen anrückten? Weidermann weiß es: „Angst, Panik, Hühnerhaufen“. Angst und Panik reichen ihm nicht, es muss auch noch der Hühnerhaufen sein.
Genug, mein Fazit lautet: Prädikat wertlos! Das Buch ist schlicht ärgerlich und man fragt sich, weshalb Weidermann sein Machwerk statt „Träumer“ nicht gleich „Spinner“ genannt hat. Für alle, die sich halbwegs mit den Geschehnissen von 1918/19 auskennen, ist die Lektüre vollkommen überflüssig. Und jene, die sich eher nicht besonders auskennen, sind z. B. mit einer anderen Neuerscheinung, nämlich „Das Wintermärchen“ von Ralf Höller (Berlin, 2017), besser bedient.
Abschließend ein Hinweis auf die ausführliche „Träumer“-Rezension von Michael Pilz: „Revolution als Reader’s Digest“ (http://literaturkritik.de, Archiv/Frühere Ausgaben/Januar 2018). Dort ist alles enthalten, was an Weidermanns Buch kritisiert gehört, auch wenn Thomas Anz in der selben Ausgabe der „Literaturkritik“ Pilz – vielleich nicht ganz zu Unrecht – entgegen hält, dass dessen Rezension nicht zwischen literarischer und wissenschaftlicher Geschichtsschreibung unterscheide.
Bernd Schröder
Joachim Käppner:
„1918, Aufstand für die Freiheit
Die Revolution der Besonnenen“
München 2017, Piper
Käppner, Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ und gelernter Historiker, schildert die Ereignisse der Revolution von 1918/19 auf über 500 Seiten. Sein Schwerpunkt ist die Hauptstadt Berlin; die Vorgänge in München finden sich in einem eher knapp gehaltenen Unterkapitel gegen Ende des Buches. Das sollte jedoch interessierte bayerische Leser nicht von der Lektüre abhalten; letzlich haben ja vor allem die Aktionen der Mehrheitssozialdemokraten in Berlin auch der bayerischen Revolution das Genick gebrochen. Diese Aktionen benennt Käppner ebenso ausführlich wie deutlich und durchaus nicht ohne eine gewisse Sympathie für viele Protagonisten der Revolution.
Die Untertitel seines Buches mögen etwas irritieren; so als könne der Autor sich nicht recht entscheiden, ob die Revolution womöglich doch nur ein Aufstand war. Aber bekanntlich nehmen Verlage auf die Titelwahl erheblichen Einfluss, und so mag man derlei Unschärfe gelten lassen. Dass es sich ohne Frage um eine Revolution und nicht nur um einen Aufstand gehandelt hat, wird in Käppners Darstellung nirgends bezweifelt. Arbeiten zur Revolutionstheorie, z. B. von Hannah Arendt (Über die Revolution, 1963) oder Florian Grosser (Theorien der Revolution, 2013) finden sich in der Bibliografie von Käppners ausführlichem Anmerkungsapparat zwar nicht, jedoch bietet die Auflistung der genutzten Quellen genügend Hinweise auf weiterführende Literatur (was Käppners “1918“ angenehm von Weidermanns kärglicher „Bücherliste“ in dessen „Träumern“ unterscheidet).
Sowohl die Widmung für den Militärhistoriker Manfred Messerschmidt als auch der Klappentext „Der Krieg ist für die Reichen, die Armen zahlen mit Leichen“ sind zu loben. Allerdings bietet der Klappentext auch dies: „Für einige Wochen hatte die Revolutionsregierung, geführt von der SPD, die Gelegenheit dazu, die alten Eliten zu entmachten, und nutzte sie nur halbherzig – kein Verrat, wie man ihr später vorwarf, aber eine epochale Fehleinschätzung.“
Kein Verrat? In Tolstois „Krieg und Frieden“ findet sich der auf den russischen General Kutusow gemünzte Gedanke zur Niederlage der zaristischen Armee gegen Napoleon bei Austerlitz, dass hier, wenn nicht Verrat, so doch „katastrophale Dummheit“ im Spiel gewesen sei. Wer mit der SPD gnädig umgehen und von „Verrat“ nicht reden mag, sollte dann wenigstens von „katastrophaler Dummheit“ sprechen und nicht nur von „Fehleinschätzung“.
Ob allerdings die SPD solche Gnade verdient, darf man bezweifeln und der Rezensent hält es mit Alfred Döblin, der den zweiten Band seiner monumentalen Romantrilogie „November 1918“ (die ihm eigentlich sogar zur Tetralogie geraten ist) nicht ohne Grund „Verratenes Volk“ genannt hat.
Alles, was Käppner hierzu darlegt, lässt keinen anderen Schluss zu, als den, dass Ebert und die SPD „ihre“ Arbeiterklasse verraten hat, wie schon zu Kriegsbeginn 1914 bei der Bewilligung der Kriegskredite. Insbesondere ist hier die ausführliche Schilderung der geheimen Telefonate zu nennen, die der SPD-Vorsitzende und frisch gebackene Reichskanzler Friedrich Ebert mit Ludendorffs Nachfolger Wilhelm Groener von der Obersten Heeresleitung geführt hat.
Käppner mag es also nicht so deutlich sagen, warum auch immer, denn er wird ja wohl den in seiner Bibliografie genannten Sebastian Haffner gelesen haben, der in „Die Deutsche Revolution 1918/19“ von 1979 (Originalausgabe 1969) Ebert so zitiert: „Wenn der Kaiser nicht abdankt, dann ist die soziale Revolution unvermeidlich. Ich aber will sie nicht, ja, ich hasse sie wie die Sünde“. Na, wenn das kein Verrat war.
Um noch einige weitere Stichworte zu nennen: Käppner schildert, wie es die SPD – und damit die Reichsführung – fertig bringt, mit den Soldaten der Volksmarinedivision einen – in der Rückschau nach 100 Jahren lächerlich anmutenden – Streit darüber zu führen, ob die Matrosen ihre ausstehende Löhnung nur dann bekommen, wenn sie die Schlüssel zum Berliner Stadtschloss übergeben und den von ihnen festgehaltenen Stadtkommandanten Otto Wels freilassen. Oder ob die Matrosen erst ihr Geld bekommen (es ist kurz vor Weihnachten und alles ist knapp und teuer), und danach ihre Faustpfänder herausgeben.
Käppner beschreibt die Volksmarinedivision hier nicht etwa als wildgewordene, schießwütige Revoluzzer, sondern schildert ihr Verhalten als durchaus vernünftig und nachvollziehbar. Er macht deutlich, dass sie sich zu Recht als diejenigen sehen durften, die es überhaupt erst möglich gemacht hatten, Figuren wie Ebert und die beiden andern MSPDler im sechsköpfigen „Rat der Volksbeauftragten“ an die Macht zu bringen. Je weiter man liest, desto mehr fragt man sich, wie geschichtsvergessen eine Partei sein muss, die ihre Stiftung nach einem Friedrich Ebert benennt.
Zur Entscheidung der drei USPDler im Rat der Volksbeauftragten, sich aus diesem zentralen Gremium zurückzuziehen, nachdem sie zur Kenntnis nehmen mussten, dass Ebert, Landsberg und Scheidemann von der MSPD hinter ihrem Rücken mit Alleingängen agieren und mit den „Todfeinden der Revolution“ (Sebastian Haffner) paktieren, macht Käppner deutlich, in welchem Dilemma die USPD sich befand. Denn zugleich mit ihrem Ausscheiden begaben sich Barth, Dittmann und Haase ihrer letzten noch verbliebenen Möglichkeiten, im Sinne der Revolution und der Interessen der Arbeiterklasse auf den Lauf der Dinge Einfluss zu nehmen.
Bemerkenswert ist Käppners Benennung eines anderen Problems: Im Zusammenhang mit der Sozialisierungsfrage sei zu bedenken gewesen, ob es Sinn macht, die Schwerindustrie etc. zu sozialisieren, wenn doch abzusehen ist, dass die alliierten Sieger im Zuge der Reparationen sofort auf die dann staatlichen Betriebe zugreifen würden, was sie bei privaten Unternehmen nicht täten.
Doch nun zu den Kritikpunkten: Käppner und sein Lektorat sind ab und an sehr leichtsinnig.
So finden sich nicht nur etliche kleine und harmlose Fehler, sondern auch ein paar krasse Fehlleistungen: angefangen mit der „Promenadenstraße“ (Käppner), die auch damals (ebenso wie noch immer der Promenadeplatz) Promenadestraße hieß. (Übrigens: statt deren heutiger Benennung „Kardinal-Faulhaber-Straße“ – nach dem unsäglichen Feind der Demokratie und einem der geistigen Wegbereiter dessen, was folgen sollte – wäre es höchste Zeit, diese Straße nach dem dort ermordeten Kurt Eisner oder nach seiner Mitstreiterin bei den Streiks im Januar 1918 Sarah Sonja Lerch zu benennen!)
Des Weiteren: Den 12. Januar (1919), an dem die Aufständischen im Berliner Polizeipräsidium aufgeben mussten, sollte man nicht auf den 12. November (1918) vorverlegen. Auch liegt Dachau keineswegs im Nordosten von München. Aber das sind alles eher Kleinigkeiten.
Sehr ärgerlich ist der Schnitzer, dass Eisners Sekretär Felix Fechenbach von Käppner mit dem Reichstagsabgeordneten Konstantin Fehrenbach verwechselt wird. Mit der Folge, dass Fechenbach in Käppners Buch überhaupt nicht vorkommt; selbst im Register findet man zu der die Ermordung Eisners betreffenden Passage dessen „Sekretär Fehrenbach“, derselbe Fehrenbach, der weiter vorn bereits in seiner richtigen Rolle eingeführt wurde. Auch sollte ein Historiker die Zeit vor den beiden Räterepubliken im April 1919 nicht ebenfalls Räterepublik nennen und Eisner nicht als Führer der Räterepublik bezeichnen. Und zum „Interfraktionellen Ausschuss“, dem auch die MSPD, aber ausdrücklich nicht die USPD angehörte, zählt dann auf S. 142 plötzlich doch – und falsch – die USPD. Und genau diese Seite fehlt dann beim Stichwort „Interfraktioneller Ausschuss“ im Register (wie auch einige andere Lücken im Register zu beanstanden sind).
Gleichwohl: die Lektüre kann empfohlen werden.
Bernd Schröder