Wenn man hier oben steht, neben dem Schiller-Denkmal auf der Schillerhöhe in Marbach am Neckar, und auf die drei Gebäude schaut, die die deutsche Literaturgeschichte beherbergen, dann könnte man denken, man habe sich das alles nur ausgedacht, so ideal erscheint diese Welt. In der Mitte der strahlend weiße Altbau des Literaturmuseums, rechts das brutalistische Gebäude des Archivs aus den Siebzigerjahren, links der säulenumringte Chipperfield-Bau des Literaturmuseums der Moderne. Dahinter das weite Tal, die Welt.

Hier ist die deutsche Literatur begraben, hier wird sie bewahrt, gesammelt, geordnet, bereitgehalten und in immer neuen Formen ans Licht geholt. Hier liegen: Kafkas "Prozess"-Manuskript, Schillers Locken, Herrndorfs Selbstmordrevolver, Handkes endlose Notizbücher, Briefe von Feindschaften und Versöhnungen. Und dann müssen hier noch irgendwo unsichtbare Messer liegen, mit denen geheimnisvolle Mitarbeiter nach ihren Gegnern werfen.

Es ist was los in Marbach. Das ist eigentlich eine gute Nachricht für einen Ort, an dem sonst vor allem Manuskripte für die Ewigkeit lagern. Es gibt große Berichte in den Feuilletons, die lokalen Medien folgen den Kämpfen gebannt und werden mit immer neuen Informationen versorgt. Ziel vieler Angriffe ist die Direktorin Sandra Richter, seit Anfang 2019 im Amt, für viele immer noch "die Neue". Das beschreibt die enorme Marbach-Kontinuität: Sandra Richter ist erst die vierte Person, die das Deutsche Literaturarchiv (DLA) seit seiner Gründung vor 65 Jahren leitet. Wer hierherkommt, der bleibt. Sandra Richter ist die erste Frau auf diesem Posten.