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Hacker-Truppe Anonymous gegen Anonymous: Warum die "Legion" des Internets längst gespalten ist


Der Name Anonymous war lange im Netz gefürchtet. Doch während das Bild von Einheit der vermeintlichen Legion noch nie ganz stimmte, ist es heute falscher den je. Hinter dem Namen verbergen sich höchst unterschiedliche Gruppen - von ganz links bis hart rechts.

"Wir sind Anyonmous. Wir sind eine Legion. Erwartet uns" - mit einem martialischem Auftreten, maskiert mit Guy-Fawkes-Masken und jeder Menge technischer Finesse erhackte sich die Internet-Bewegung Anonymous einen fast schon legendären Ruf. Und schafft es auch heute immer mal wieder, ihm gerecht zu werden. Doch der Name steht längst nicht mehr für ein einzelnes Ziel. Anonymous ist gespalten.

Dabei hat sich ausgerechnet die offene Struktur als Schwäche erwiesen. Denn entgegen der Außenwahrnehmung war Anonymous noch nie eine geschlossene Organisation, sondern ein höchst loses Gebilde aus kleineren Gruppen, Einzelkämpfern und locker verbandelten Unterstützern. Jeder konnte sich hinter der markanten Maske verstecken, das Erkennungszeichen war schließlich die Anonymität. Doch während man in der Anfangszeit zumindest gemeinsame Ziele verfolgte, haben sich die Zweige in den letzten Jahren in höchst unterschiedliche Richtungen bewegt - vom linksliberalen Retter der Unterdrückten bis zum rechten Verschwörungstheoretiker. 

Hack gegen Corona-Verschwörungsmythen

Das zeigt sich wunderbar am Beispiel des gerade erfolgten Hacks von Attila Hildmann. Einst mit veganen Kochbüchern bekannt geworden, machte Hildmann in den letzten Monaten vor allem wegen seiner immer absurder werdenden Verschwörungs-Ideen zum Coronavirus auf sich aufmerksam. Und wurde dadurch zum Ziel von Anonymous. Einigen Aktivisten war es am Dienstag gelungen, einen unzureichend gesicherten Server Hildmanns zu kapern und die Kontrolle über eine ganze Reihe seiner Webseiten, inklusive Kundenregistern und dem Mail-Service, zu übernehmen. Bei Twitter verteilte "Anonymous Germany" entsprechende Beweisbilder - und wurde dafür prompt von einer anderen Anonymous-Gruppe angegriffen.

Die nennt sich Anonymous Schweiz und ist vor allem beim Messenger Telegram aktiv. Dort postet sie ein buntes Potpourri aus Verschwörungstheorien, von den Rothschilds, über die vermeintliche Neue Weltordnung bis zum aktuellen Verschwörungs-Schlager: der Idee, dass Microsoft-Gründer Bill Gates das Coronavirus nur erfand, um die Kontrolle über die Menschheit herbeizuimpfen. Also der Geschichte, die auch Hildmann - neben vielen anderen - bevorzugt verbreitet.

Genau das war dann auch der Anlass, die Hildmann-Hacker in der Schweizer Gruppe anzukreiden: Die seien genau genommen gar keine "Anons", wie sich die Aktivisten gerne selbst nennen. Schließlich würden die wissen, dass der Begriff "Verschwörungstheorie" vom US-Geheimdienst CIA stamme - um legitime Entdeckungen zu diskreditieren, so die Behauptung. Die deutschen Hacker würden nur gezielt Fake News verbreiten, erklären die Schweizer weiter. "Nehmt euch in Acht vor solchen Seiten merkt euch dass nicht überall wo Anonymous steht, auch Anonymous steckt (sic)", heißt es in dem Post.

Eine Bewegung mit vielen Gesichtern

Was genau Anonymous ist, ist allerdings nicht so scharf definiert, wie es die Schweizer Gruppe nun darstellt. Entstanden auf dem Image-Board "4Chan" war Anonymous zu Anfang eigentlich nur der Anzeigename eines Nutzers, der ohne Anmeldung postete - und das war fast jeder dort. Die Anonymität machte den Reiz der Seite aus. Sie machte die Selbstdarstellung anderer Social-Plattformen unmöglich, jeder verschwand in der Masse. Der beste Post ließ sich genausowenig jemandem zuschreiben wie ein Patzer. Das befreite.

Schnell entstanden im Board Witze, dass man eigentlich alle dieselbe Person sei, eine Legion von Gesichtslosen, die sich mit Witzen und Streichen auf anderen Seiten die Zeit vertrieben. Doch dann schoss man sich auf Scientology als gemeinsamen Feind ein - und Anonymous wurde als Gruppe weltbekannt.

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Hacker und Mitläufer

Eine Zeitlang waren die "Raids" genannten Angriffe gefürchtet. Dabei dürfte immer nur eine kleine Minderheit der Anons jemals echte Hacker-Fähigkeiten gehabt haben. Die Beteiligung der meisten bestand darin, die Rechenleistung des eigenen PC für Angriffe mit von anderen konstruierten Werkzeugen - die sogenannte Ionen-Kanone -  zur Verfügung zu stellen. Einzelne Gruppen wie "Lulzec" schafften es allerdings tatsächlich, aus dem Anonymous-Umfeld heraus aufsehenerregende Angriffe zu starten. Auch "Anonymous Germany" konnte hierzulande mit Attacken auf die FDP oder Lutz Bachmann beachtete Erfolge verbuchen.

Doch eine geschlossene Ideologie dahinter gab es nie. Zwar dürfen einzelne Bereiche wie der Kampf gegen Zensur, die Freiheit im Internet und einen Widerstand gegen Unterdrückung wohl als Konsens gelten, auch "Anonymous Germany" beruft sich darauf. Gegen wen und warum diese Ziele erkämpft werden, unterscheidet sich bei den unterschiedlichen Gruppen aber erheblich.

Nach wie vor geht es vielen der "4Chan"-Nutzer vor allem darum, Chaos zu schüren. Es geht um die "Lulz", ein vom Internet-Akronym "lol" abgeleiteter Begriff dafür, sich einen Spaß zu machen. Dabei geht es nicht zimperlich zu. Als Marcel H. 2017 seinen jungen Nachbarn brutal ermordete, landeten Fotos, die er einem Freund geschickt hatte, bei "4Chan" - und wurden dort gefeiert. Anonymous stand für viele der Nutzer in erster Linie dafür, hart anzuecken.

Pegida statt Anonymous

Da überrascht es nicht, dass der Name auch für umstrittene Gruppen herhalten musste. So kam im Jahr 2015 heraus, dass hinter der größten deutschen Facebook-Gruppe "Anonymous.Kollektiv" der Pegida-nahe Waffenhandel "Migrantenschreck" steckte. Die Gruppe mit ihren knapp 1,5 Millionen Followern war irgendwann von einem bekannten Rechtsextremist unterwandert worden, hetzte gegen Flüchtlinge und Andersdenkende. Irgendwann zog sogar Facebook die Reißleine. Nachdem die Gruppe gelöscht wurde, tauchte sie im russischen Netzwerk "VKontakte" wieder auf.

Auch ein bei Trump-Anhängern weit verbreiteter Verschwörungsglauben hat seine Wurzeln bei "4Chan". Das zunächst vielleicht scherzhaft gemeinte Anecken über die gegenseitige Beleidigung mit teils zutiefst rassistischen Sprüchen zog in der Praxis viele Rechte an, machte den Politikbereich der Seite zu einer Hochburg der neurechten Alt Right. Und fand so den perfekten Nährboden, als ein anonymer Nutzer begann, Hinweise auf eine Verschwörungsgeschichte zu platzieren, nach der Donald Trump einen heimlichen Kampf gegen die vermeintliche links-jüdische Weltherrschaft führen soll. Der Name des Posters "QAnon" hat denselben Ursprung wie Anonymous.

Interessanterweise lehnen die meisten Anonymous-Gruppen diese Theorie allerdings ab, der Haupt-Account bei Twitter erklärte Qanon gar den Kampf. Auch Donald Trump selbst hatte man schon vor Jahren den "totalen Krieg" erklärt. Erst Anfang des Jahres hatten die Hacker gedroht, Trumps "dreckige Wäsche" zu veröffentlichen.

Gespaltene Bewegung

Für die Schweizer Anons geht es wohl eher darum, "Anonymous Germany" auf die eigene, vermeintlich richtige Linie zu bringen. Man habe den Eindruck, die Kollegen würden linksextreme Inhalte verbreiten, heißt es bei Telegram. Man sei schon einmal von Rechtsextremen und durch Qanon instrumentalisiert worden, nun solle das nicht auch von links passieren. Die Bewegung sei doch schon ohnehin so gespalten. "Und dass das nicht demselben Interesse dient, dem würdet ihr wohl auch zustimmen, wenn ihr dieselbe Ideologie wie wir vertretet."

Schaut man sich die Inhalte der beiden Gruppen an, dürfte das eher nicht der Fall sein. Während die Verschwörungstheorien in jede Richtung bei den Schweizer Anons quasi der einzige Inhalt sind, lehnt "Anonymous Germany" sie sogar ganz konkret ab. Der anonyme Kampf gegen Unterdrückung und Zensur hat schließlich nicht automatisch den gleichen Gegner. Ein Kollektiv, das mit einer Stimme spricht, ist Anonymous schon lange nicht mehr.

Quellen:Anonymous Germany, Anonymous Schweiz (Telegram), Twitter


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