Spiele in schwieriger Zeit

Referat von Dr. Synes Ernst, Vorsitzender der Jury "Spiel des Jahres" anlässlich der Pressekonferenz in Berlin am 8. Juli 1996

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Ich begrüsse Sie herzlich zur diesjährigen Preisverleihung "Spiel des Jahres" hier im "Esplanade" in Berlin. Ich danke Ihnen, dass Sie unsere Einladung angenommen haben. Dieser Anlass bedeutet fur uns den Höhepunkt in unserem Vereinsjahr, und es freut mich sehr, dass sie diesen mit uns zusammen feiern wollen. Wir von der Jury empfinden dies nicht als selbstverständlich, und wir sind jedes Jahr von neuem gespannt, wie gross denn dieses Mal das Interesse fur unsere Sache ist.
Dieses Jahr wird Ihr Erscheinen besonders belohnt: Sie nehmen nämlich an einer Premiere teil (oder: wenn wir ganz ehrlich sind, an einem Revival, das an die Ursprünge der Jury erinnert): Zum erstenmal nämlich seit langem haben wir Pressekonferenz und Preisverleihung zusammengelegt.
Das hat seinen Grund: Denn wir meinen, dass die Spieleszene neben ihren beiden Höhepunkten im Frühjahr und im Herbst durchaus einen dritten Impuls brauchen kann. Neben Nürnberg und Göttingen auf der einen, Essen, St. Gallen und Wien auf der anderen Seiten nun auch Berlin als neuer Schwerpunkttermin.

Spielzeit ist immer
Dieser neue Schwerpunkt markiert genau den Beginn einer Phase, die gemeinhin als d i e flaue Zeit im Verlauf des Spielejahrs gilt. Vielleicht gelingt es uns mit dieser Veranstaltung auch zu zeigen, dass sich Spielen nicht an Kalender und Jahreszeiten halt, das Spielen nicht an Ostern und Weihnachten gebunden ist oder kalte Winterabende und nasse Frühlingsnachmittage voraussetzt. Oder haben Sie je geh&oauml;rt, dass sich die anderen schönen Sachen, die uns die Kultur und das Leben bieten, an irgendwelche solche Termine halten? Für uns Spielerinnen und Spieler gibt es keine tote Saison. Wir suchen immer nach guten Ideen, nach neuen Herausforderungen, nach Abwechslung und Erholung, nach Auseinandersetzung mit anderen Menschen, nach Spass und Unterhaltung. Spielzeit ist immer.

Eine mutlose Branche
Es geht uns aber nicht in erster Linie um diese saisonale Flaute: Wir konnen sie höchstens beklagen, andern konnen wir jahrhundertealte Gewohnheiten nicht. Was uns ausserordentlich beschäftigt und Sorgen macht, ist die Flaute in der Spielebranche insgesamt.
Wer sich, wie beispielsweise die Mitglieder der Jury "Spiel des Jahres" über Jahre hinweg mit der Entwicklung des Spiels befasst, stellt relativ schnell fest, dass seine Neugier, seine "cupido rerum novarum", seine Lust auf Neues, von der Angebotsseite her nicht immer im gleichen Masse befriedigt und gestillt wird. Und ebenso schnell steht man fest, wie abhängig dieses Auf und Ab von der jeweiligen allgemeinen wirtschaftlichen Situation ist.
Es besteht kein Zweifel: Die gegenwärtige Wirtschaftslage ist ernst. Die Rezession triftt auch die Spielebranche. Die Folgen waren dieses Jahr an der Internationen Spielwarenmesse in Nürnberg unübersehbar. Fast alle Verlage haben ein Sparprogramm aufgelegt, weniger Titel, kleinere Verpackungen, billigeres Material. Nun, damit könnten wir problemlos leben, zumal ein dicker Karton oder eine grosse Schachtel ja nicht a priori fur gute Qualität büurgen.
Eigentlich ist es selbstverständlich, wenn die Branche versucht, ihre Kosten zu senken. Trotzdem macht mir, macht uns die Entwicklung Sorgen, weil wir seit langerem drei wichtige Elemente vermissen: - nämlich
den Mut zum Risiko,
den Mut zur Innovation,
den Mut, uns Spielerinnen und Spieler auch etwas zuzumuten.
Dieses "Etwas" lasst sich genau bennen. Mit Titeln beispielsweise wie "Hase und Igel", "Adel verpflichtet", "Dampfross", "Barbarossa", die alle einmal den Preis "Spiel des Jahres" erhalten haben. Stattdessen besteht in der Branche die Tendenz, das Angebot auf Stromlinienform zu trimmen, die Spiele von allen Ecken und Kanten, von möglichst vielen Herausforderungen und Inhalten zu befreien, so dass sie sich schnell verkaufen lassen und nicht bloss teures Geld binden.

Signal nicht richtig interpretiert
Ich habe letztes Jahr an der gleichen Stelle davon gesprochen, dass die Spielwelten gefährdet seien. Die Situation hat sich seither nicht verbessert, im Gegenteil: Sie hat sich unter dem zunehmenden wirtschaftlichen Druck noch zugespitzt.
Leider, so meine Feststellung, haben nicht alle Verlage das Signal richtig interpretiert, das wir mit unserer letztjährigen Entscheidung für "Die Siedler von Catan" ausgesendet hatten, das da hiess: Autoren, Redakteure, Gestalter, Verlage, fordert uns heraus und mutet uns etwas zu!

Voraussetzungen für den Aufschwung
Wir sind überzeugt, dass das "Spiel des Jahres 1996" ohne seine Vorgänger nicht möglich gewesen ware. Ich komme nachher noch auf die spezifischen Qualitaten von "El Grande" zu sprechen, möochte hier aber auf einige Punkte aufmerksam machen, die für uns Voraussetzung dafur sind, dass das Spiel und die Spiele wieder einen Aufschwung erleben und an die goldenen achtziger Jahre anknüpfen konnen:
Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist die Kreativitat der Autorinnen und Autoren, die Grundlage eines jeden guten Spiels. Ein "El Grande" kann nicht entstehen, wenn nicht eine Persönlichkeit mit Phantasie, Kreativitat und der nötigen fachlichen Kompetenz dahinter steht. Ich möchte hier alle Autorinnen und Autoren bitten, sich nicht von der gedämpften, wenig euphorischen Stimmung in den Verlagen entmutigen zu lassen. Gemeinsam müssen wir an die Durchschlagskraft der guten Ideen glauben. Das Beispiel erfolgreicher "Spiele des Jahres" unterstützt uns dabei.
Ideen allein vermögen aber nichts, wenn sie nicht in Redaktionen bis zur Produktions- und Marktreife weiterentwickelt werden. Redaktionen sind dafür verantwortlich, dass die kreativen Ideen behutsam dem Publikum vermittelt werden. Das heisst mit Rücksicht sowohl auf die Ideen der Autoren als auch auf die Bedürfnisse der Spielerinnen und Spieler. Das setzt Fachwissen voraus, Kompetenz, Einfühlungsvermögen, aber auch Kooperationsfähigkeit, Engagement und Liebe zur Sache und schliesslich Geduld und einen langen Atem, denn in der Spielebranche muss erfahrungsgemäss lange reifen, was einmal goldene Früchte tragen soll.
Solche kontinuierliche, auf Dauer und Nachhaltigkeit ausgerichtete Redaktionsarbeit ist aber nur möglich, wenn sie von einem Verleger getragen und unterstützt wird, der weiss, welches Kapital gute Redaktionen und gute Autoren darstellen. Es braucht Verleger, die von der Sache des Spiels überzeugt sind, die sich mit Feuer fur diese Sache engagieren. Es braucht Verleger, die den Mut haben, etwas Neues zu wagen, aber auch den Mut, Bewährtes aus der Vergangenheit nicht gleich über Bord zu werfen. Es braucht schliesslich auch Verleger, die davon überzeugt sind, dass das Spiel mehr ist als ein Waschmittel, sondern immer auch Ausdruck menschlicher Kultur.

Bewährte Faktoren
Die drei Punkte, die ich hier aufgezählt habe, sind weder neu noch revolutionar. Die genannten Faktoren haben sich allesamt schon bewährt und haben sich in der Vergangenheit schon als erfolgsversprechend erwiesen. Nicht nur in der Spielebranche, sondern in der gesamten Medienbranche - bei den Zeitungen, beim Buch usw.
Haben Sie noch Zweifel, dass dieses Erfolgsrezept überhaupt funktioniert? Die Beweise haben wir in den letzten Jahren mit unseren "Spielen des Jahres" geliefert, wir liefern sie auch dieses Jahr wieder mit den Spielen auf der Auswahlliste, den Tragern der Sonderpreise und mit dem Hauptpreis.
Ich danke Ihnen fur Ihre Aufmerksamkeit und leite jetzt über zur Preisverleihung.


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