1918-33

[Buch: Georg Kaiser "Gas" (Buchdeckel), 1922]

[Buch: Georg Kaiser "Gas" (Titelblatt), 1922]










Georg Kaiser: Gas


Uraufführung des ersten Teils des Schauspiels "Gas" (fünf Akte) von dem Dramatiker Georg Kaiser (1878-1945) war am 28. November 1918 im Neuen Theater in Frankfurt/Main. "Gas. Zweiter Teil" (drei Akte) lief am 29. Oktober 1920 im Vereinigten Deutschen Theater in Brünn an. Beide Stücke stehen in Zusammenhang mit dem Schauspiel "Die Koralle", wenn der Autor sie auch nicht zu einer Trilogie zusammengeschlossen hat.

In "Gas" erhebt Kaiser scharfe Anklagen gegen industrielle Automation und Vermassung, gegen Krieg, soziales Elend und menschliche Entfremdung, für die als Symbol die Maschine steht, ohne daß es ihm um eine realistische Darstellung zu tun ist; er selbst Bezeichnete "Gas" als Mittel, »um ins Menschunendliche vorzudringen; aus diesen Figuren abzuleiten das Gleichnis, das beständig gültig ist; den Aufruf zu uns, der so am schärfsten laut werden kann«. Zugleich stellt er die geschichtliche Zwangsläufigkeit dar, mit der der »Erlöser« von denen, die er erlösen will, ans Kreuz geschlagen wird.

"Gas I": Der Sohn eines Milliardärs (der Hauptfigur "der Koralle") hat das Riesenwerk des Vaters in ein soziales Unternehmen umgewandelt, an dessen Profiten alle Arbeiter beteiligt sind. »Ohne Chef und Lohnlisten, wird der Kraftstoff Gas vornehmlich zu Kriegszwecken produziert. Eines Tages färbt sich trotz richtiger Formel das Gas im Sichtglas und die Anlagen explodieren unter ungeheurem Aufruhr. Die arbeitenden Massen sind nun brotlos und verlangen die Entlassung des schuldlosen Ingenieurs, dessen Formel allen nachträglichen Überprüfungen standhält. Der Milliardärssohn, der sich schützend vor ihn stellt eröffnet den Arbeitern in einer großen Streikversammlung seine Pläne: Sie sogen das Werk verlassen, auf den Schutthalden siedeln und der sie verklavenden Vernichtungsmaschinerie abschwören, die doch nur zu neuen Katastrophen führen werde, weil man die alte Formel wiederverwenden müsse. Als der Ingenieur zwischen ihn und die Massen tritt und den Arbeitern mit rauschhaftem Pathos die von Menschen seines Schlages auszuarbeitenden Methoden künftiger Naturbeherrschung entwirft und ihnen als verächtliches Gegenbild das des unheroischen »Bauern« ausmalt, huldigen sie ihm als ihrem neuen Führer. Der Milliardärssohn, auf dessen privatem Grund und Boden das Werk liegt, versucht nun, seine Pläne mit Gewalt durchzusetzen. Ein Regierungsvertreter, der die Unentbehrlichkeit des Gases für die gesamte Rüstungsindustrie darlegt, enteignet ihn jedoch und überredet die Massen dazu, die Arbeit wieder aufzunehmen. Jubelnd kehren sie in die Fron zurück und steinigen ihren »Erlöser« am Werkeingang. Dem Verzweifelten verspricht die Tochter, den kommenden »großen« Menschen zu gebären, der sein Werk vollenden werde.

In "Gas II" setzt das Bühnengeschehen zwei Generationen später ein. Das in staatliche Zwangsverwaltung übergegangene Werk produziert Gas jetzt ausschließlich für Rüstungszwecke; es wird von zur vollkommenen Anonymität geschrumpften Mächten, den »Blaufiguren«, dirigiert, die einen Vernichtungskampf gegen die ähnlich abstrakten, jedoch technisch unterlegenen »Gelbfiguren« führen. Als die Leistungen der überforderten Arbeiter rapide sinken, wird zunächst der zum »Petrefakt fanatischer Werkenergie« gealterten »Großingenieur«, später der »Milliardärarbeiter« - ein Enkel des Milliardärssohns - von den »Blaufiguren« zur Rechenschaft gezogen. Ihm bietet man die Stellung des Chefs an, der durch persönliche Initiative die arbeitenden Massen zur letztmöglichen Leistungssteigerung und »zum Untergang fanatisieren« soll, zumal der Krieg im günstigsten Fall als »«Remis mit zwei schachmatten Parteien«, enden kann. Die Pläne der »Blaufiguren« werden jedoch von einem Aufstand der Arbeiter durchkreuzt, die in einer riesigen Werkhalle zusammenströmen und sich weigern, künftig Gas herzustellen. Unter Führung des neuen Chefs senden sie ein Friedensangebot an den Gegner. Die beschwörenden Mahnungen des »Milliardärarbeiters» - »Ihr seid wieder bei Euch - ausgegangen aus fremder Nötigung - eingekehrt in letzte Verpflichtung!« - werden jedoch von den plötzlich auftauchenden »Gelbfiguren« erstickt, die alle Befehlsgewalt übernehmen und die sofortige Arbeitsaufnahme anordnen. Bald darauf legt eine neue Revolte den vom Feind umzingelten Fabrikkomplex still. Die »Gelbfiguren« setzten eine kurze Frist und drohen mit der Beschießung des Werkes. In der letzten Massenszene enthüllt der »Großingenieur« den Arbeitern seine neue Erfindung, die sie endgültig von den feindlichen »Zwingherrn« befreien soll - Giftgas!

(Kindlers Neues Literaturlexikon, Kindler Verlag, München.)

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