Uraufführung des ersten Teils des Schauspiels "Gas" (fünf
Akte) von dem Dramatiker Georg Kaiser (1878-1945) war am 28. November 1918 im Neuen Theater in Frankfurt/Main. "Gas. Zweiter
Teil" (drei Akte) lief am 29. Oktober 1920 im Vereinigten Deutschen
Theater in Brünn an. Beide Stücke stehen in Zusammenhang mit dem Schauspiel
"Die Koralle", wenn der Autor sie auch nicht zu einer
Trilogie zusammengeschlossen hat.
In "Gas" erhebt Kaiser scharfe Anklagen gegen industrielle
Automation und Vermassung, gegen Krieg, soziales Elend und menschliche
Entfremdung, für die als Symbol die Maschine steht, ohne
daß es ihm um eine realistische Darstellung zu tun ist;
er selbst Bezeichnete "Gas" als Mittel, »um ins Menschunendliche
vorzudringen; aus diesen Figuren abzuleiten das Gleichnis, das
beständig gültig ist; den Aufruf zu uns, der so am schärfsten
laut werden kann«. Zugleich stellt er die geschichtliche
Zwangsläufigkeit dar, mit der der »Erlöser«
von denen, die er erlösen will, ans Kreuz geschlagen wird.
"Gas I": Der Sohn eines Milliardärs (der Hauptfigur
"der Koralle") hat das Riesenwerk des Vaters in ein soziales
Unternehmen umgewandelt, an dessen Profiten alle Arbeiter beteiligt
sind. »Ohne Chef und Lohnlisten, wird der Kraftstoff Gas
vornehmlich zu Kriegszwecken produziert. Eines Tages färbt
sich trotz richtiger Formel das Gas im Sichtglas und die Anlagen
explodieren unter ungeheurem Aufruhr. Die arbeitenden Massen sind
nun brotlos und verlangen die Entlassung des schuldlosen Ingenieurs,
dessen Formel allen nachträglichen Überprüfungen
standhält. Der Milliardärssohn, der sich schützend
vor ihn stellt eröffnet den Arbeitern in einer großen
Streikversammlung seine Pläne: Sie sogen das Werk verlassen,
auf den Schutthalden siedeln und der sie verklavenden Vernichtungsmaschinerie
abschwören, die doch nur zu neuen Katastrophen führen
werde, weil man die alte Formel wiederverwenden müsse. Als
der Ingenieur zwischen ihn und die Massen tritt und den Arbeitern
mit rauschhaftem Pathos die von Menschen seines Schlages auszuarbeitenden
Methoden künftiger Naturbeherrschung entwirft und ihnen als
verächtliches Gegenbild das des unheroischen »Bauern«
ausmalt, huldigen sie ihm als ihrem neuen Führer. Der Milliardärssohn,
auf dessen privatem Grund und Boden das Werk liegt, versucht nun,
seine Pläne mit Gewalt durchzusetzen. Ein Regierungsvertreter,
der die Unentbehrlichkeit des Gases für die gesamte Rüstungsindustrie
darlegt, enteignet ihn jedoch und überredet die Massen dazu,
die Arbeit wieder aufzunehmen. Jubelnd kehren sie in die Fron
zurück und steinigen ihren »Erlöser« am Werkeingang.
Dem Verzweifelten verspricht die Tochter, den kommenden »großen«
Menschen zu gebären, der sein Werk vollenden werde.
In "Gas II" setzt das Bühnengeschehen zwei Generationen
später ein. Das in staatliche Zwangsverwaltung übergegangene
Werk produziert Gas jetzt ausschließlich für Rüstungszwecke;
es wird von zur vollkommenen Anonymität geschrumpften Mächten,
den »Blaufiguren«, dirigiert, die einen Vernichtungskampf
gegen die ähnlich abstrakten, jedoch technisch unterlegenen
»Gelbfiguren« führen. Als die Leistungen der überforderten
Arbeiter rapide sinken, wird zunächst der zum »Petrefakt
fanatischer Werkenergie« gealterten »Großingenieur«,
später der »Milliardärarbeiter« - ein
Enkel des Milliardärssohns - von den »Blaufiguren«
zur Rechenschaft gezogen. Ihm bietet man die Stellung des Chefs
an, der durch persönliche Initiative die arbeitenden Massen
zur letztmöglichen Leistungssteigerung und »zum Untergang
fanatisieren« soll, zumal der Krieg im günstigsten
Fall als »«Remis mit zwei schachmatten Parteien«,
enden kann. Die Pläne der »Blaufiguren« werden
jedoch von einem Aufstand der Arbeiter durchkreuzt, die in einer
riesigen Werkhalle zusammenströmen und sich weigern, künftig
Gas herzustellen. Unter Führung des neuen Chefs senden sie
ein Friedensangebot an den Gegner. Die beschwörenden Mahnungen
des »Milliardärarbeiters» - »Ihr seid wieder
bei Euch - ausgegangen aus fremder Nötigung - eingekehrt
in letzte Verpflichtung!« - werden jedoch von den plötzlich
auftauchenden »Gelbfiguren« erstickt, die alle Befehlsgewalt
übernehmen und die sofortige Arbeitsaufnahme anordnen. Bald
darauf legt eine neue Revolte den vom Feind umzingelten Fabrikkomplex
still. Die »Gelbfiguren« setzten eine kurze Frist und
drohen mit der Beschießung des Werkes. In der letzten Massenszene
enthüllt der »Großingenieur« den Arbeitern
seine neue Erfindung, die sie endgültig von den feindlichen
»Zwingherrn« befreien soll - Giftgas!
(Kindlers Neues Literaturlexikon, Kindler Verlag, München.)