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Digest "Netz und Politik"(NETPOL-Digest) 17


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Wizards of OS

From: Patrick Goltzsch <Patrick.Goltzsch@Hanse.de>
Date: Wed, 14 Jul 1999 13:03 +0200 (MET)

Was kommt heraus, wenn Computer-Freaks und Geisteswissenschaftler zusammengebracht werden? Mit der Konferenz »Wizards of OS« hat der Verein mikro e.V.[1] das Experiment gewagt. Gemeinsam wurde der Frage nachgegangen, ob das Modell von Open Source sich auf andere Bereiche übertragen lässt.

Das Bauchgrimmen, das manch einen beschlichen haben mag, OS (operating system / open source) in den Zusammenhang mit Zauberern und Magie gerückt zu sehen, beruhigte ein speziell bearbeiteter Filmausschnitt aus dem Wizard of Oz von 1939: Die Machinationen des Zauberers werden enthüllt.

Auf dem Podium des Berliner Hauses der Kulturen der Welt brachten die Organisatoren zu unterschiedlichen Aspekten von Open Source Vortragende zusammen, die sich anschließend den Fragen des Publikums stellten. Zum Auftakt galt es zu klären, was freie Software ist, wie sie entwickelt wird und wo sie zum Einsatz kommt.

Freie Software im Einsatz

Ralf Klever von der EDV-Abteilung der taz berichtete, die Zeitung setze nur Linux-Rechner ein. In seiner Zusammenfassung der Gründe für den Einsatz von Software, deren Quellen offenliegen, hob er:

und die Unabhängigkeit vom Hersteller hervor.

Kerstin Tober von der Berliner Firma Innominate war eine der wenigen, die Punkte erwähnte, die im Linux-Bereich noch zu wünschen übrig lassen: Haftungssicherheit, fehlende komplexere Applikationen, technische Schwächen im High-End-Bereich und fehlende Standard-Anwendungen für Nutzer.

Bemerkenswert war der Auftritt von Frank Gessner von Intershop. Er dürfte sich vorgekommen sein, wie unter lauter kleinen, grünen Männchen. Mit freier Software hat Intershop wenig am Hut: »Die Kunden würden den Quellcode bekommen können, wenn sie ihn denn wünschten.« Freie Software sei aus kaufmännischer Sicht nicht erforderlich, Lizenzgebühren bildeten einen verschwindend geringen Anteil am Umsatz. Die Forderung, die Quellen offenzulegen, blieb ihm unverständlich, statt dessen gab er bekannt, dass die Firma noch Hände ringend Leute sucht.[2]

Lizenzen und Copyright

Detlef Borchers, der am Freitag durch das Programm führte, ergriff zum Thema Lizenzen selbst das Wort. Er rief in Erinnerung, dass Software ursprünglich den Wert einer Dreingabe zur Hardware hatte: Sie wurde verschenkt und ihr Quellcode lag offen. In den 70er Jahren entspann sich eine Diskussion um das Urheberrecht an Software, an der sich auch Bill Gates mit seinem »Open Letter to Hobbyists«[3] beteiligte. Die Diskussion in den USA endete 1980 mit der Einführung des Copyrights für Software. Daraufhin entwickelten sich die verschiedenen Lizenzen dann auch für freie Software.

Geschäftsmodelle

Eine Frage, die am ersten Tag immer wieder gestellt wurde, war: Wie kann ein Programmierer von freier Software leben? Dirk Hohndel (XFree86, SuSE) berichtete, dass eine Stellenausschreibung unter den 600 an XFree86 Beteiligten erfolglos geblieben war. Bei einem Teil handele es sich um Studenten, die meisten stünden jedoch in Lohn in Brot. An freier Software würde in erster Linie in der Freizeit gearbeitet. Die Antwort widerlegte damit gleichzeitig die immer wieder auftauchende Annahme von Hobby-Programmierern.

Ein anderes Modell wurde aus dem Publikum vorgeschlagen. Warum nicht bestimmte Krypto-Protokolle für Ausschreibungen nutzen? Eine Gruppe von Nutzern mit Interesse an einem speziellen Programm wirft Geld zusammen und schreibt einen Programmierauftrag dafür aus. Nach getaner Arbeit erhält der Programmierer das Geld.

Die dafür wahrscheinlich notwendige Stelle eines vertrauenswürdigen Dritten, bei dem das Geld hinterlegt werden kann, kreist auch schon als Idee: eine Nerd-Bank[4]. Bislang ist sie gedacht als Zwischenschritt, um einerseits die unzuverlässigen Verbindungen über das Internet zu vermeiden und andererseits dem langsamen und überteuerten Gebaren hiesiger Banken im Transatlantikgeschäft auszuweichen.

IT-Sicherheit

Der zweite Tag begann mit Vorträgen, welche die Brücke zwischen Sicherheit und offenen Quellen schlugen. Boris Gröndahl leitete den Abschnitt mit dem Verweis auf die Kryptographie-Szene ein: Dort sei man sich schon lange im Klaren, dass Sicherheit und Offenheit unmittelbar zusammenhängen. Verschlüsselungsalgorithmen und ihre Implementation gälten nur dann als hinreichend sicher, wenn sie frei verfügbar sind und somit öffentlich überprüft werden könnten.

Frank Rieger vom CCC unterstrich die Einleitung und verwies auf den GSM-Hack, der das Konzept von Sicherheit durch Geheimhaltung einmal mehr ad absurdum geführt hatte. Anschließend warb Ingo Ruhmann (FifF, BMBF) für die Schaffung vertrauenswürdiger Instanzen, die sich an der Entwicklung offenliegender, sicherer Systeme beteiligen sollten. Sie könnten deren Sicherheit dann auch glaubhaft bestätigen.

Andreas Bogk, ebenfalls vom CCC, begründete kurz und knapp die GNU-Implementation von PGP, GnuPG[5]. Überraschenderweise gab er dann an Hubertus Soquat vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) ab, mit der Andeutung, das Ministerium engagiere sich in dieser Hinsicht. Leider nahm der Mitarbeiter der Abteilung Informationstechnologie des BMWi den Ball nicht auf. Statt dessen stellte er die Entscheidung der Bundesregierung, kryptographische Methoden nicht einschränken zu wollen, in den Vordergrund. Man wolle die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren und einen Dialog in Gang setzen.

Zum Thema IT-Sicherheit waren am Rande noch zwei Sachen zu erfahren. Zum einen erwägt das BMWi, die Entwicklung von GnuPG zu fördern. Zum anderen soll in diesen Tagen eine Bundestagsdrucksache erscheinen, die klarstellt, dass die neuen Lotus-Notes Versionen der Bundeswehr natürlich mit unzureichender Verschlüsselung ausgestattet sind.

Ökonomisches Modell von Open Source

Mit einem an englischen Vorbildern geschulten Auftritt setzte sich der Herausgeber von First Monday[6], Rishab Ghosh, in Szene. Unablässig tigerte der Inder über die Bühne und schien seine Gedanken im Gehen zu entwickeln. Er schlug den Begriff der Kochtopf-Ökonomie für die Open Source-Bewegung vor. Sie erlaubt es, das sonderbare Verhalten, Software scheinbar umsonst zu entwickeln, als rational aufzufassen. Als Beispiel führte er die Zusammenlegung von Naturalien an: Hat jemand eine Kartoffel und ein anderer ein Huhn, können sie zusammen einen Eintopf genießen. Ähnlich verfahre Open Source: Ein Programmierer setze 10.000 Zeilen Code an einem Gerätetreiber ein und erhalte ein komplettes Betriebssystem zurück.

Eine Zuhörerin wandte ein, er berücksichtige nicht die »Tragödie der Allmende« (tragedy of the commons)[7]. Wie auch Eric Raymond in seinem Aufsatz »The Magic Cauldron«[8] entgegnete Ghosh, der Gedanke dieser Tragödie beruhe auf der Voraussetzung endlicher Ressourcen. Das Netz hingegen kenne solche nicht, im Gegenteil: der Kochtopf Internet multipliziere unendlich. Das Problem der reinen Nutznießer glaubt er vernachlässigen zu können. Die Wertschöpfung stecke in der Entwicklung und sie verursache Kosten, die Verteilung oder die Erstellung von Kopien hingegen nicht.

Gefahr für Open Source?

In der Suppe der Konferenz fehlte es bis dahin an Salz. Kritische Beobachtungen oder kontroverse Auseinandersetzungen blieben aus. Jeanette Hofmann vom Wissenschaftszentrum Berlin steuerte dann immerhin ein Quäntchen bei.

Sie schilderte die Veränderungen, welche die Internet Engineering Task Force (IETF) in den letzten Jahren durch die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit durchgemacht hat. Die IETF verabschiedet die RFCs, die Quasi-Standards des Internet. Da sie sich im Gegensatz zu anderen Standard-Organisationen als offen für jedermann versteht, platzten die ursprünglich mit 20-30 Leuten besetzten Arbeitsgruppen mit 2000 und mehr Mitgliedern nun aus allen Nähten. Daher werde an den RFCs nun in geschlossenen Design-Gruppen gearbeitet.

Verschiedene Firmen mit gleichen Interessenlagen schickten zudem ihre Mitarbeiter in die Arbeitsgruppen und sorgten so für Konkurrenz. Dabei zeigten besonders die Jüngeren die Tendenz, nicht die bestmögliche Lösung anzustreben, sondern das Firmeninteresse durchzusetzen.

Danach skizzierte sie die Anzeichen der Versteinerung bei der IETF. Die gefundenen Lösungen seien oft verwässert und repräsentierten nur den kleinsten gemeinsamen Nenner. Diese Gefahren könnten auch der Open-Source-Bewegung drohen, so ihr Resumee.

Software-Patente

Aus dem Auditorium wurden an beiden Tagen immer wieder Fragen nach der Gefahr durch Software-Patente in Europa gestellt. Verantwortlich dafür zeichnete, wie sich herausstellte, der Linux-Verband (LIVE)[9], der an einer Kampagne gegen Software-Patente arbeitet.

Eine mögliche Antwort hatten die Veranstalter schon vorgesehen und Benny Härlin von Greenpeace zu diesem Thema eingeladen. Der sprach allerdings nicht von Patenten für Software, sondern lehrte die Zuhörer mit seiner Darstellung der Zustände im Bereich der Gentechnik das Gruseln. Seiner Auffassung nach behindern Patente die Entwicklung der Gentechnik, weil

Neue Vision des Hl. Ignutius

Das letzte Wort auf der Konferenz war Richard Stallman vorbehalten. Der Übervater der freien Software, der Mitte der 80er ihre Vision formulierte und sie auch praktisch durch Programme beförderte, beschränkte sich zuerst auf Bekanntes. Er betonte einmal mehr den Unterschied zwischen Open Source und freier Software. Open Source hänge einem pragmatisch technischen Modell an, während freie Software sich als ethisch, politisch und sozial motiviert verstehe.

Im Anschluss präsentierte er den Gedanken an eine freie Enzyklopädie des Wissens. Jeder Lehrer, zum Beispiel, könne in seinem Fachgebiet durch Artikel beitragen. Wie die Artikel zusammengestellt werden und wer über ihre Güte entscheide, müsse nicht im Vorhinein entschieden werden. Wichtig sei es, anzufangen, der Rest werde sich finden.

Mit launigem Humor offenbarte Stallman der Zuhörerschaft zuletzt sein »alter ego«, den Hl. Ignutius von der Kirche des Emacs: Er zog ein Gewand über, setzte sich einen Heiligenschein auf und ersetzte, das Vorbild ins Computerzeitalter katapultierend, die Ordensregel des Hl. Ignatius[10] durch sein Notebook.[11]

Wizards of OS #2

Die Konferenz wird im Dezember beim ZKM in Karlsruhe eine Fortsetzung finden. Zu wünschen wäre dann ein weniger vollgepacktes Programm. Auf jeweils zwei Stunden angelegte Themenkomplexe von morgens zehn bis abends zehn und zusätzliche parallele Workshops erschöpften auch hartgesottenere Berichterstatter. Vielleicht ließe sich zudem mehr Raum für Diskussionen einplanen.

Der Dramaturgie der Konferenz täte es wahrscheinlich gut, Kontroversen vorzusehen. Ein wenig litt die Veranstaltung daran, dass sich alle gegenseitig auf die Schulter klopfen konnten.

Die rund 400 Besucher der Konferenz signalisierten jedoch, dass die Initiatoren vom mikro e.V. die richtigen Fragen zur richtigen Zeit gestellt haben.

Ausführlichere Berichte sind unter http://www.mikro.org/Events/OS/journal/ abrufbar.

[1] http://www.mikro.org/
[2] jobs@intershop.de
[3] http://www.cs.washington.edu/homes/ben/billg
[4] http://www.nerdbank.org/
[5] http://www.gnupg.org/
[6] http://www.firstmonday.dk/
[7] Allmende: im Mittelalter die Dorfweiden zur gemeinsamen Nutzung [Anm. d. HG]
[8] http://www.tuxedo.org/~esr/writings/magic-cauldron/magic-cauldron-5.html
[9] http://www.linux-verband.de/
[10] Ignatius von Loyola, Gründer des Jesuiten-Ordens [Anm. d. HG]
[11] http://www.gnu.org/people/saintignucius.jpg

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Herausgeber des Digests ist Patrick Goltzsch <Patrick.Goltzsch@Hanse.de>.

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Veröffentlicht am 20.07.99
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