Die Kunsthalle Bielefeld - ein "großer
Gedenkstein" für Täter und Opfer? *
Am 29. Oktober 1998 beschloß der Bielefelder Stadtrat mit den Stimmen der SPD und der Grünen - nach fast einem Jahr öffentlicher Auseinandersetzungen, den Zusatz Richard-Kaselowsky-Haus aus dem Namen der Bielefelder Kunsthalle zu streichen. Statt Richard-Kaselowsky-Haus - Kunsthalle der Stadt Bielefeld heißt das städtische Kunsthaus in Bielefeld jetzt nur noch Kunsthalle Bielefeld. Nach dem Wahlsieg der CDU und der konservativen Wählergemeinschaft "Bürger für Bielefeld" (BfB) bei den nordrheinwestfälischen Kommunalwahlen im Herbst 1999 wurde der neue Name - anders als vorher angekündigt - auch nicht wieder geändert. Hinter diesem lapidar anmutenden Vorgang verbirgt sich ein Lehrstück über städtische Erinnerungspolitik, die Definitionsmacht privater Geldgeber und eine mehrere Jahrzehnte währende Auseinandersetzung um das städtische Kunstmuseum und seine Namensgebung.
Die in Deutschlands Museumslandschaft singuläre Tatsache, daß ein öffentliches Kunstmuseum nicht nach einem Künstler, Sammler, Stifter oder Museumsleiter benannt wurde, sondern 30 Jahre lang als Gedenkstätte für zwei Unternehmerfamilien und als Erinnerungsmal für einen hochrangigen Funktionsträger des nationalsozialistischen Systems in der Region fungiert hatte, ist Symptom - nicht nur für die Provinzialität Bielefelds, sondern auch dafür, wie Kultur und Kunst dazu beigetragen haben, den Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik unter weitgehender Beibehaltung der alten Eliten in Politik, Wirtschaft und Verwaltung zu legitimieren.
Die fast 10jährige Entstehungsgeschichte des 1968 fertig gestellten Neubaus des städtischen Kunsthauses (Abb.1), die hier im Zentrum steht,[1] erscheint heute im Kontext der Geschichte der Bundesrepublik als Umdeutung und Verschleierung der nationalsozialistischen Firmen- und Familiengeschichte des Oetker-Konzerns durch den Firmeneigentümer und Spender Rudolf August Oetker und als Anpassung an die neuen demokratischen Gegebenheiten nach 1945 durch bewußten Seitenwechsel. Fast vierzig Jahre lang bestand - trotz wiederholt aufflackernder Proteste - ein zumindest taktisches Einvernehmen in der Namensfrage zwischen der Spenderfamilie und immerhin drei sozialdemokratischen Oberbürgermeistern, denen die Angelegenheit zwar peinlich gewesen sein mag, die es aber mit dem wichtigsten Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler der Stadt nicht verderben wollten. So entstand eine Verdrängungsleistung beachtlichen Ausmaßes: durch Verharmlosen, Wegsehen und bewußtes Umdeuten wurde die Erinnerung an die nationalsozialistischen Täter und ihre Helfer durch die Kunsthalle als einen für die Stadt bedeutsamen symbolischen Ort nicht nur tabuisiert, sondern die Täterschaft wurde zu einem sinnstiftenden Opfer für das Gemeinwesen uminterpretiert. Trotz der Umbenennung von 1998 zeugt das Museum bis heute von dieser Umdeutung. [2]
Im Folgenden werde ich zunächst die Vorgeschichte, Planung und Realisierung des Baus der Kunsthalle bis zu ihrer Eröffnung im Jahr 1968 vorstellen. Im zweiten Teil werde ich dann die Akteure und Strategien beschreiben, durch die aus einem NS-Täter ein Opfer und aus einem Denkmal für ihn ein modernes Museum für eine demokratische Gesellschaft entstehen sollte. Mit dem Versuch einer "Entnazifizierung" durch die Einrichtung einer Kulturinstitution steht Bielefeld nicht allein. Parallelen finden sich in der nach 1945 verschiedentlich vorgenommene Umwidmung von nationalsozialistischen Täterorten in Kunstmuseen oder vergleichbare andere Kulturinstitutionen. Neuere Untersuchungen zu den Parteibauten am Königsplatz in München zeigen, daß die kontaminierten Bauten nur durch eine kulturelle Nutzung - so die Vorstellung der Allierten und dann auch der deutschen Stadtplaner - "entnazifiziert" werden konnten. Besonders an den jahrzehntelangen Diskussionen um die Nutzung der Sockel der gesprengten "Ehrentempel" läßt sich verfolgen, daß dennoch die ursprüngliche Nutzung bis heute präsent blieb.[3] In ähnlich ambivalenter Weise bezeugt auch die Bielefelder Kunsthalle weiterhin das, was durch sie gerade verdrängt werden sollte - die aktive Unterstützung der nationalsozialistischen Bewegung durch den wichtigsten Konzern und wichtige Familien der Stadt.
1. Vom städtischen Kunsthaus zum
Gedenkstein - Die "Stiftung" der Familie Oetker
1.1 Die Vorgeschichte
In den fünfziger Jahren ist erstmals belegt, daß sich die Firma und die
Familie Oetker dem Initiative Bielefelder Bürger angeschlossen haben, durch die
seit den zwanziger Jahren ein städtisches Kunsthaus entstanden war. Dieses Haus
war im Krieg zerstört und die von seinem ehrenamtlichen Leiter Dr. Heinrich
Becker aufgebaute Sammlung im Zuge der Kampagne "Entartete Kunst"
erheblich dezimiert worden.[4] Die treibende Kraft in der Nachkriegszeit war
mit Rudolf August Oetker ein machtbewußter Sponsor. Oetker - 1916 als Sohn des im ersten Weltkrieg
gefallenen Rudolf Oetker geboren - begann sein Engagement für die städtische
Sammlung in den 50er Jahren mit der Schenkung von 4 Kunstwerken
und mit der Überlassung von 7 Dauerleihgaben.[5]
Zu diesem Zeitpunkt plante die Stadt an
Stelle der provisorischen Nutzung einer Villa für Kunstausstellungen einen
Neubau für den städtischen Kunstbesitz und für Wechselausstellungen und hatte
dafür 1954 mit Dr. Gustav Vriesen erstmals einen hauptamtlichen Leiter für das
Städtische Museumswesen gewonnen. 1959 informierte die Hauszeitung der Firma
"Dr. August Oetker Bielefeld" über eine geplante Stiftung des neuen Kunstmuseums .
Rudolf August Oetker und Ursula Oetker wollten für ihren Stiefvater Richard
Kaselowsky eine "ebenso würdige Erinnerungstätte" errichten, "wie es Frau Lina Oetker
1929/30 für ihren vor Verdun gefallenen Sohn Dr. Rudolf Oetker und seine
Kameraden mit der Rudolf-Oetker-Halle getan habe".[6]
Das bewußte Anknüpfen an die Stiftung der Großmutter für den im ersten
Weltkrieg gefallenen Vater der Geschwister Oetker macht einen Blick auf diesen
markanten Vorkriegsbau und seine Nutzung erforderlich:
Die Oetkerhalle war nicht allein städtische
Musikhalle, sondern auch Gedächtnisort und Kriegerdenkmal für "Dr. Rudolf
Oetker und seinen im Weltkrieg mit ihm gefallenen
Bielefelder Kameraden - Den Lebenden zur Freude und Erhebung an den Werken der
Tonkunst" - so die 1929 angebrachte Inschrift. In der Nazizeit spielte die
Oetkerhalle nicht nur im musikalischen, sondern auch im politischen Leben
Bielefelds eine wichtige Rolle. Von 1933 bis 1945 war sie ein Ort des
Gefallenenkults, der Fahnenweihen und der Heldengedenkfeiern, hier fand 1934
auch die erste Bielefelder Großveranstaltung der Unterorganisation der
Deutschen Arbeitsfront "Kraft durch Freude" statt. [7]
An "Führers Geburtstag" 1933, dem Tag, an dem der damalige Leiter der
Oetker-Werke Richard Kaselowsky in die NSDAP eintrat, wurde der mit Hitlerbild
und Hakenkreuzfahnen geschmückte Bau am Abend aufwendig illuminiert (Abb.2).
Der angrenzende Bürgerpark wurde in "Adolf-Hitler-Park" umbenannt.
Dies alles geschah sicher im Einverständnis mit der Stifterfamilie.[8]
1.2 Richard Kaselowsky und die Firma
Oetker in der NS-Zeit
Der 1888 in Bielefeld geborene
Fabrikantensohn Richard Kaselowsky[9],
der 1916 zum Dr. rer.pol. promoviert wurde, war mit dem gefallenen Rudolf
Oetker, dem Inhaber der Fa. Dr. August Oetker Nährmittelfabrik befreundet. 1919
heiratete er dessen Witwe Ida Oetker, geb. Meyer und wurde damit zum Stiefvater
der Halbwaisen Rudolf August und Ursula Oetker. 1921 wurde Kaselowsky Teilhaber
der Firma und übernahm zusammen mit Louis Oetker, einem Bruder von Rudolf
Oetker, die Geschäftsleitung. Im Dezember 1998 - unmittelbar nach der
Umbenennung der Kunsthalle - beschrieb eine Sonderbeilage der Werkszeitung "Dr.
Oetker Nachrichten" Kaselowskys Eintritt in das Unternehmen
folgendermaßen:
"Mit dem Versailler Diktat im Juni 1919,
das Deutschland nach dem verlorenen Krieg unerträgliche Lasten aufbürdete,
normalisierten sich die wirtschafltichen und politischen Verhältnisse nicht....
Die politischen Verhältnisse waren damals instabil... Unruhen, Streiks und
politische Morde kennzeichneten die Situation. In dieser unruhigen Zeit und der
schwierigen Firmenlage wurde Kaselowsky von Lina Oetker in das Unternehmen gerufen...."[10]
In den folgenden Jahren war er für den Rohstoffeinkauf und die Finanz- und
Vermögensverwaltung zuständig. Nach dem Tod Louis Oetkers im Jahr 1933 übernahm
er bis zu seinem Tod im Herbst 1944 die Gesamtleitung der Firmengruppe. Seit
1941 wurde Kaselowsky dabei von Rudolf August Oetker unterstützt, nach
Kaselowskys Tod 1944 übernahm der heutige Konzernpatriarch mit 28 Jahren die
Führung des Konzerns - damals ein Gefolgsmann des NS-Systems, vermutlich schon seit 1934 in der SA und
spätestens seit 1942 Mitglied der Waffen-SS.[11]
Für die NS-Zeit ist die Quellenlage zu den
wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten Kaselowskys, der Familien Oetker
und Kaselowsky und zu ihren Unternehmen
äußerst dürftig. In der erwähnten, 1998 publizierten Sonderbeilage wird
deutlich, daß die Firma - anders als andere große Firmen der Region wie
beispielsweise Bertelsmann - die Chance nicht genutzt hat, ihre Geschichte aus
kritischer Distanz aufzuarbeiten. Sie hat vielmehr alle bekannten Fakten über
die Einbindung der Firma in die nationalsozialistische Wirtschaft sowie die
Funktionen und Aktivitäten des Betriebsleiters Kaselowsky und der Familien
Kaselowsky und Oetker in der Partei und ihren Untergliederungen unterschlagen:
seinen Parteieintritt am 20.4.1933, seine Mitwirkung als Teilhaber und
Vorsitzender des Aufsichtsrats der Gundlach AG bei der Fusion der im
Verlagshaus Gundlach herausgebenen "Westfälischen Neuesten
Nachrichten" mit dem NS-Volksblatt und bei der Umgestaltung der Zeitung zum amtlichen Organ der NSDAP[12],
sowie die Übernahme unterschiedlicher Ämter in der Stadt - seit 1935 war
Richard Kaselowsky Ratsherr, seit 1933 Vorstandsmitglied der Industrie- und
Handelskammer, 1942/43 deren Präsident. Aus diesen Fakten wird deutlich, wie
stark sich Kaselowsky in der Stadt und mit seinem Betrieb für die neuen
Machthaber engagiert hat. Die aktive Unterstützung für das NS-Systems
durch andere Mitglieder der Familien
Oetker und Kaselowsky ist ebenfalls erwiesen.[13]
Unter Kaselowsky begann schon vor, verstärkt
aber seit der Machtergreifung der Aufstieg der Firma Dr. August Oetker zu einem
breitgefächerten Konzern, der sich nach dem Krieg fortsetzte.[14]
Dies geschah nicht zuletzt durch die Ausschaltung unliebsamer Konkurrenz. 1935 wurde die Österreicherin Malvine
Fotomarovic, eine ehemalige Mitarbeiterin, die ein Konkurrenzunternehmen zur
Herstellung von "Tante Foros Küchenhilfe" gegründet hatte, als
Ausländerin des Reichsgebiets verwiesen. Ihr Betrieb wurde geschlossen, nachdem
sich "auf Veranlassung der Firma Oetker die Abteilung Berufsmoral beim
´Stellvertreter des Führers`" eingeschaltet hatte.[15]
Aufgrund der vorbildlichen betrieblichen
Sozialpolitik im Sinne der nationalsozialistischen Betriebsgemeinschaft war die
Firma Oetker einer unter den ersten 30 Betrieben aus dem gesamten Reich, die
1937 die Auszeichnung
"nationalsozialistischer Musterbetrieb" und damit die goldene
Fahne der Deutschen Arbeitsfront (DAF) erhielten - bei dieser ersten Verleihung
noch von Hitler persönlich. 1938 folgte ein weiteres Leistungsabzeichen für
vorbildliche Förderung der DAF-Untergliederung "Kraft durch Freude",
und 1939 erhielten die Oetker-Werke in Danzig und in Hamburg-Altona ebenfalls
Gaudiplome der DAF. [16]
Schließlich - dies wurde in den
Auseinandersetzungen um die Namensgebung der Kunsthalle der entscheidende
Einwand - war Kaselowsky Mitglied im exklusiven "Freundeskreis des
Reichsführers der SS und des Polizeiführers Heinrich Himmler", dem sich
kaum 20 der 300 größten Firmen in Deutschland angeschlossen hatten. Die Firma
Oetker förderte die SS mit erheblichen Geldzuwendungen. [17]
Am 30. Sept. 1944 kam Richard Kaselowsky zusammen mit seiner Ehefrau Ida und
zwei der gemeinsamen Töchter bei einem Bombenangriff auf Bielefeld ums Leben.
1.3 Planung und Realisierung der
Kunsthalle
Am 7. Juli 1959 wurde nach Vorüberlegungen,
die offenbar schon in die Jahre 1956/57 zurückreichten, zwischen dem
SPD-Oberbürgermeister Arthur Ladebeck und Rudolf August Oetker die Vereinbarung
über eine Stiftung getroffen, die
folgende Punkte enthielt:
1. "Herr Oetker schenkt der Stadt aus
Mitteln der "Dr.-August-Oetker-Stiftung" ein neues Museum, und zwar
übernimmt er die gesamten Kosten des Baues und der Inneneinrichtung. Die Stadt
stellt dazu das Grundstück zu Verfügung...".
2. "Herr Oetker wird auf seine Kosten einige
im Museumsbau besonders tätige Architekten zu einem beschränkten Wettbewerb
auffordern."
3. "Zur Beurteilung des Wettbewerbs wird
Herr Oetker eine Kommission ernennen."
4. "Die Baugestaltung ist Angelegenheit
des Stifters und unterliegt außer der Beratung durch die Kommission nicht den
Entscheidungen der städtischen Dienststellen....."[18]
Die Namensgebung wurde in dieser Vereinbarung
nicht erwähnt, sie war - zumindest zu Beginn - keine Bedingung des Stifters. In
der Ratssitzung vom 2.9. 1959 teilte Oberbürgermeister
Ladebeck dann "einen nachträglichen Wunsch des Herrn Oetker mit, wonach
dieser durch eine Gedenktafel im Museum seinen im Kriege durch Bombenangriff
umgekommenen Stiefvater, Herrn Kaselowsky, ehren möchte."[19]
Am 4. September schrieb Ladebeck zwar dem Stifter: "Ihr Wunsch, das Haus
zur Erinnerung an ihren Stiefvater zu benennen, fand allseitige
Zustimmung", doch erst 1965 faßte
der Rat den Beschluß, das neue Museum "Richard Kaselowsky Haus -
Kunsthalle der Stadt Bielefeld" zu nennen.[20]
Am 18. September 1968 - in einer neuerlichen Ratssitzung wegen der Namensgebung
- führte der damalige Obergürgermeister Hinnendahl aus, daß Rudolf August Oetkers seinen Wunsch damit
begründet habe, daß sich Richard Kaselowsky immer für das Kunsthaus eingesetzt habe.[21]
In der Vereinbarung von 1959 war noch von
einer Schenkung des gesamten Baus die Rede. Zu dieser Schenkung kam es in der
Folgezeit allerdings nicht. Oetker trug nicht die gesamten Baukosten, sondern
beteiligte sich im Rahmen einer Spendenlösung nur zu einem Drittel an den
Kosten von 12,5 Millionen DM.[22]
Obwohl somit 2/3 der Bausumme Steuergelder waren, obwohl in den folgenden 30
Jahren von der Stadt für den Betrieb der Kunsthalle über 70 Millionen DM
aufgewendet wurden, und obwohl die Sammlung überwiegend städtischer Besitz ist,
wird die Legende, Rudolf August Oetker sei der generöse Stifter des Hauses bis
heute in Bielefeld durch die Firma und ihr nahestehende Kreise immer wieder neu
belebt. [23]
Durch seine finanzielle Beteiligung gewann
Rudolf August Oetker dennoch entscheidenden Einfluß auf die Planung der
Kunsthalle. Der Rat der Stadt entsprach Oetkers Verlangen, das Museum nach
seinem Stiefvater Richard Kaselowsky zu benennen. 1968 wurde die gewünschte
Gedenktafel im Eingangsbereich des Gebäudes angebracht. An Stelle des mit der
Stadt zunächst vereinbarten Architektenwettbewerbs entschied der Spender allein
über den Architekten. Mit dem Amerikaner Philipp Johnson als Entwerfer und mit Caesar F. Pinnau als Bauleiter
wählte er zwei Männer, die eine ähnliche politische Vergangenheit hatten wie er
selbst und die beide Erfahrung hatten mit der Anpassung an neue politische
Gegebenheiten.[24]
Durch den frühen Tod Gustav Vriesens im Jahr
1960 kamen die Planungen für die Kunsthalle ins Stocken. Erst 1965, 3 Jahre
nach der Berufung des neuen Leiters Joachim Wolfgang von Moltke, wurde der
Vertrag mit Johnson und mit Caesar F. Pinnau als Kontaktarchitekten
geschlossen.[25]
Rechtzeitig zum 75jährigen Firmenjubiläum wurde am 21.9.1966 der Grundstein
gelegt. Hier äußerte sich Rudolf August Oetker zum Sinn der Benennung und zum
Zweck des Gebäudes:
"Mit dem Gefühl einer großen
Verpflichtung habe ich den Wunsch ausgesprochen, die Kunsthalle der Stadt
Bielefeld "Richard-Kaselowsky-Haus"
zu nennen. Damit möchte ich das Andenken an meinen zweiten Vater ehren, der
während des zweiten Weltkrieges im September 1944 in seiner Heimatstadt
Bielefeld umgekommen ist, wie so viele andere Mitbürger. Zu ihrem Gedächtnis
errichten wir dieses Bauwerk in der Hoffnung, daß in den künftigen Jahren die
Menschen aus der Beschäftigung mit Kunst und Kultur die Kraft und Besinnung
schöpfen können zu einer besseren Bewältigung der vor ihnen liegenden
Aufgaben."[26]
Mit diesen Äußerungen schließt Rudolf August
Oetker deutlich an die zitierte Inschrift im Eingangsbereich der städtischen
Musikhalle an. Damit knüpft die Museumskonzeption an die Idee des
Gefallenendenkmals der Weimarer Republik an. Aus dem städtischen Kunsthaus wird
ein Kriegsopferdenkmal und eine Familiengedenkstätte, ein Vorgang, der - unabhängig
von der politischen Biographie
Kaselowskys - singulär ist.[27]
1.4 Proteste gegen die Namensgebung
Kaselowskys Biographie kam in der Bielefelder Öffentlichkeit erst 1968 zur Sprache. An dem inzwischen kurz vor der Eröffnung stehenden "Richard-Kaselowsky-Haus" profilierte sich die außerparlamentarische Opposition in Bielefeld, das zu diesem Zeitpunkt eine Pädagogische Hochschule, eine Werkkunstschule, die kirchliche Hochschule in Bethel und eine Universität im Planungsstadium besaß. Zwei Monate vor der geplanten feierlichen Einweihung des Gebäudes am 27.September 1968 - der Eröffnungstermin war auf Wunsch Oetkers vorverlegt worden[28] und kam mit diesem neuen Termin in die unmittelbare Nähe zum Todestag Kaselowskys am 30.September - wurde erstmals der Name des Museums infrage gestellt. Am 1. August 1968 wurden auf Initiative der sozialistischen Jugend "Die Falken" von der Bielefelder APO unter Hinweis auf die "materielle und ideelle Unterstützung, die Richard Kaselowsky dem Naziregime zuteil werden ließ," eine öffentliche Diskussion und ein "würdigerer Name" gefordert. [29] Einige Wochen darauf wendete sich der Bielefelder Jugendkulturring - der örtliche Zusammenschluß von Jugendverbänden aus dem gesamten politischen Spektrum - mit einer Resolution an die Familie Oetker, "von Ihrem Wunsch, Richard Kaselowsky ein öffentliches Denkmal zu setzen", Abstand zu nehmen.[30] Erst jetzt wurde öffentlich problematisiert, daß Richard Kaselowsky aktiver Nationalsozialist und Mitglied im Freundeskreis Himmler gewesen war. In der SPD-nahen Neuen Westfälischen Zeitung vermutete ein Kommentator, daß der erste Ratsbeschluß von 1965 in Kenntnis der nun bekannten Fakten wohl nicht getroffen worden wäre.[31] Doch im Rat der Stadt konnte sich die Opposition kein Gehör verschaffen. Am 18. September wurde die Benennung der Kunsthalle ein zweites Mal in einer Ratssitzung diskutiert. Städtische Bedienste wurden beauftragt, die Zuschauerränge zu füllen, die außerparlamentarische Opposition wurde ausgesperrt. Drei Jahre nach dem ersten Beschluß bestätigte der Rat, in dem die SPD die absolute Mehrheit hatte, den 1965 gewählten Namen.[32]
Außerhalb Bielefelds wurde anders reagiert. Die zur Eröffnung geladene politische Prominenz sagte die Teilnahme ab - zuerst am 22.September der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Heinz Kühn, dann der evangelische Kirchenpräses Ernst Wilm und die Bundesminister Heinemann und Stoltenberg. Kühn begründete seinen Schritt damit, daß er "erfahren habe, daß Herr Kaselowsky dem ´Freundeskreis Reichsführer SS Heinrich Himmler´ angehört und den obersten SS-Führer finanziell unterstützt hat.... für mich bleibt, daß ich es nicht für richtig halte, jemanden durch die besondere Ehrung der Namensgebung eines hervorragenden Bauwerkes noch nachträglich hervorzuheben, der immerhin dabei mitgemacht hat, solche, die verbrecherisch an unserem Volk gewirkt, zu unterstützen - wenn auch vielleicht im guten Glauben und Gewissen, ohne zu erkennen, was damit bewirkt worden ist." [33] Nun berichteten auch überregionale Zeitungen über den Bielefelder "Streit um Oetkers Stiefvater."[34]
Rudolf August Oetker sagte in einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Hinnendahl, in dem er seine "Überlegungen zur Kunsthalle noch einmal zusammenfassend" darlegte, die offizielle Eröffnungsfeier ab.[35] Die Stadt schloß sich diesem Schritt nach einer außerordentlichen Ratssitzung an und die 1200 geladenen Gäste wurden mit einem von Oetker und Hinnendahl gemeinsam unterzeichneten Brief informiert. An die Stelle der festlichen Einweihung trat eine "stille Übergabe" - begleitet von Demonstrationen und Protesten. Bürger, Künstler und Intellektuelle - darunter der Komponist Hans Werner Henze, der einen Kompositionsauftrag für die Eröffnung erhalten hatte, der Schriftsteller Wolfgang Hödecke und der Pianist Christoph Eschenbach - forderten nach diesem Eklat eine erneute Überprüfung des Ratsbeschlusses.[36] - Auch in den folgenden Jahren gab es immer wieder Initiativen und Gruppen, die sich für eine Namensänderung einsetzten. Doch zunehmend entschwand der Name und damit das Problem aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit. Denn Kunsthallenleiter Dr. Ulrich Weisner (1974-1994) ließ den Namen in den Hintergrund treten. Auf Ausstellungsplakaten, Katalogen und Briefköpfen firmierte das Museum einfach als "Kunsthalle Bielefeld".
Der Preis, den Weisner für diese behutsame Korrektur zahlte, war ein Zerwürfnis mit dem "Haus Oetker", wie man in Bielefeld sagt. Die Jubiläumsausstellung zum 25jährigen Bestehen der Kunsthalle im Jahr 1993, in der Weisner Werke des späten Picasso zeigte, nahm Oetker zum Anlaß für eine harsche Kritik am Kunsthallenleiter und seiner Ausstellungspolitik. Unter dem Titel "Die gegenwärtige Situation stimmt mich sehr traurig" monierte er im konservativen Westfalenblatt, daß "der Name seines Vaters Richard Kaselowsky nur noch als eingeklammerte Ergänzung zum Titel Kunsthalle" erscheine. Zudem sei die Ausstellung mit Arbeiten des späten Picasso, so Oetker, für den Bürger, der "Erbauung wünsche", eine Provokation, eine Zumutung insbesondere für Kinder und Frauen, kurzum "eine Beleidigung für die Kunsthalle. Ich kann das nicht für Recht erklären." Gewünscht habe er sich "Arbeiten von Franz Marc, von August Macke oder Beckmann, von Künstlern, die im Dritten Reich als entartet galten und heute der Verantwortung gerecht würden, welche die Halle über die reine Ausstellung hinaus erreichen will: Sie ist ein großer Gedenkstein, der an die Toten erinnert und die Lebenden zur Wachsamkeit mahnt." [37]
Nach Ulrich Weisners überraschendem Tod und Thomas Kelleins Berufung zum neuen Kunsthallenleiter 1995 schien die Möglichkeit gegeben, diese Situation neu zu bestimmen und Oetker für eine inzwischen geplante Betriebsgesellschaft zu gewinnen, die künftig den Ausstellungsbetrieb mithilfe von Zinserträgen aus einem einzubringenden Stiftungskapital finanzieren sollte. An ihr wollten sich außer der Stadt die Firma Dr. August Oetker, die Stiftung Kunst und Kultur der Sparkasse Bielefeld und pro Bielefeld - eine Vereinigung weiterer Unternehmer - beteiligen.
Doch die erhoffte Unterstützung durch den potentiellen Sponsor hatte Folgen: der Namenszusatz "Richard-Kaselowsky-Haus" wurde quasi im Vorgriff aufgewertet und wieder in das öffentliche Erscheinungsbild der Bielefelder Kunsthalle integriert.[38] Offenbar sollte auch die Betriebsgesellschaft den Namenszusatz "Richard Kaselowsky" tragen. Diese Wiederkehr des Namens alarmierte seit Beginn des Jahres 1998 in der Stadt eine breite Öffentlichkeit, weckte das Mißtrauen gegen die geplante Betriebsgesellschaft und führte schließlich zur Umbenennung.[39]
2. Entschuldung und Seitenwechsel
2.1 Der Täter wird zum Opfer
Aus der Distanz von 30 Jahren erscheinen die
Planung und Realisierung der Kunsthalle mitsamt ihrer Sammlungs- und
Ausstellungspolitik als Strategie, mit der Kaselowsky nicht nur geehrt werden,
wie dies der offizielle Diskurs nahelegt, sondern zugleich entlastet werden
sollte. Als symbolischer Ort für gesellschaftliche Rituale und als Ausdruck der
"höchsten Werte und Wahrheiten", die eine städtische Gemeinschaft mit einem Museum öffentlich zum Ausdruck
bringt,[40]
schien der Neubau einer Kunsthalle in besonderer Weise geeignet, diese Wandlung
vom NS-Industriellen und Unterstützer der SS und des
"Großschlächters" Himmler[41] zum Opfer zu vollziehen. In dem offenen Brief
an den Oberbürgermeister, mit dem Oetker 1968 die Eröffnungfeierlichkeiten
absagte, resümierte er noch einmal die Gedanken, die ihn und Oberbürgermeister
Ladebeck in den 50er Jahren geleitet hätten:
"Dem städtischen Kunstbesitz sollte eine
würdige Bleibe gegeben werden, nachdem das Kunsthaus im zweiten Weltkrieg
zerstört worden war.
Gleichzeitig sollte an die Opfer des zweiten
Weiltkrieges unserer Stadt, unter ihnen an meinen Stiefvater, Richard
Kaselowsky, erinnert werden, der mit seiner Familie während eines Luftangriffes
auf Bielefeld sein Leben verlor.
Die menschliche Würdigung meines zweiten
Vaters stand damals im Vordergrund, das politische Engagement spielte keine
Rolle."[42]
In dem von Oetker und OB Hinnendahl gemeinsam verfaßten Absagebrief an die Gäste
wurden diese Formulierungen nahezu wörtlich übernommen.[43]
Die Stadt schloß sich damit 1968 auch noch nach den öffentlichen Protesten der
Vorstellung an, man könne einen Bürger ehren, ohne seine politischen
Aktivitäten zu berücksichtigen. Dreißig Jahre später war auch die Frankfurter
Allgemeine Zeitung der Auffassung, daß sich die Absurdität einer solchen Logik
schon daran zeige, daß dann ja "auch der Volksgerichtshofpräsident
Freisler zu den bedauernswerten Kriegstoten gerechnet werden" müsse.[44]
Die von Oetker schon 1959 gewünschte
Gedenktafel, die bis heute auf der linken Seite unmittelbar hinter dem
Eingang in die Wand eingelassen ist
(Abb.3),[45]
ist das sichtbare Resultat einer
Entlastungsstrategie. Die
Inschrift auf der einen halben Meter hohen Sandsteintafel lautet: "Den
Opfern des zweiten Weltkrieges unserer Stadt, unter ihnen mein zweiter Vater
Richard Kaselowsky Rudolf August
Oetker". Damit begrüßt Rudolf August Oetker den Besucher quasi als der
eigentliche Hausherr des städtischen
Gebäudes und mit dem Text stellt er seinen Stiefvater als Kriegsopfer vor.
Anders als bei der umstrittenen Widmung an die "Opfer von Krieg und
Gewaltherrschaft" und der damit vollzogenen problematischen Gleichsetzung
von Tätern und Opfern in der Neuen Wache zu Berlin[46]
wird hier ausschließlich Kaselowskys und der "Opfer des zweiten
Weltkriegs" gedacht.[47]
Die Opfer rassistischer und politischer Verfolgung fehlen auf der Tafel und an
diesem zentralen städtischen Gedächtnisort ebenso wie die Erinnerung an die
Unterstützung oder zumindest Duldung staatlicher Vernichtungspolitik durch den
Geehrten. Damit geschieht ein "Identitätstransfer", der einen Täter
zum Opfer umdeutet. [48]
Die Erinnerung an die Opfer wird so zur
Deckerinnerung an den Täter genutzt.
Mit der Wandlung des Protagonisten zum Opfer
wird das Museum zu einem Wunschbild und Ort der symbolischen Entschuldung.
Nicht nur der Protagonist Kaselowsky, sondern auch der während der Nazizeit
expandierende Oetker-Konzern werden durch diesen Akt quasi frei von Schuld, ebenso wie die anderen
Mitglieder der Familien Kaselowsky und Oetker sowie ihre weiteren Unternehmen.
Zugleich erscheint damit jede weitere Aufarbeitung der Geschichte der Firma
während der Nazi-Zeit überflüssig. Bis heute hat sich weder die Firmenleitung noch
die Familie selbstkritisch über die Nazizeit und die Rolle des Betriebs oder
gar des Teilhabers und alleinigen Geschäftsführers Kaselowsky geäußert.[49]
In den Selbstdarstellungen der Firma werden die Jahre zwischen 1933 und 1945
entweder ausgespart oder geschönt und verharmlost, wie in der zitierten Beilage
zur Werkszeitung vom Dezember 1998. Doch diese Entschuldung kann nur bedingt
funktionieren, denn auch nach der
Umbenennung hält die weiter existierende Widmungstafel für das Mitglied des
"Freundeskreis Reichsführer SS Heinrich Himmler" die Komplizenschaft
des Wirtschaftunternehmens mit den Verbrechen der SS implizit wach. Eine
Bürgerinitiative wollte nach der Umbenennung 1998 dies auch explizit
dokumentieren: mit einer zweiten Tafel in denselben Maßen, derselben
Schriftgröße und annähernd gleicher Schrifttype - allerdings aus Aluminiums -
für die der vorhandenen Tafel gegenüberliegende rechte Wand. Dieses Geschenk an
die Stadt wurde von der Oberbürgermeisterin erwartungsgemäß nicht angenommen.[50]
2.2 Oetkers unverdächtige Vollstrecker
Rudolf August Oetker konnte sich bei der Realisierung seiner Konzeption
des Baus als Gedenkhalle und bei der Namensgebung auf Männer verlassen, die
jeglicher Komplizenschaft mit dem Nationalsozialismus unverdächtig waren - darunter
die drei SPD-Oberbürgermeister der Stadt - Artur Ladebeck, Herbert Hinnendahl
und Klaus Schwickert, während deren Amtszeiten die Ratsbeschlüsse von 1959,
1965, 1968 und 1985 gefaßt wurden. Joachim Wolfgang von Moltke,
Gründungsdirektor der Bielefelder Kunsthalle und jüngerer Bruder des
hingerichteten Widerstandskämpfers Helmuth James von Moltke und von 1962 bis
1974 im Amt, kommt eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung des Vorhabens zu. Er
vermittelte zwischen dem Geldgeber, der Stadt, dem Architekten und bemühte sich
1968 in mehreren Gesprächen um eine Besänftigung der Demonstranten. Seine auf
Veranlassung des Nachfolgers Ulrich Weisner niedergeschriebenen und 1993
publizierten Erinnerungen erscheinen in weiten Teilen als Apologie der damals
getroffenen Entscheidungen und lassen
seine Funktion für die von ihm mitinszenierten Rituale der Entschuldung
transparent werden.[51]
Zugleich machen sie aber auch deutlich, daß er sich als derjenige verstand, der die Geschichte des
Nationalsozialismus nicht verschweigen wollte, alle Beteiligten zu verstehen
und zu versöhnen suchte und allzu persönlichkeitsverherrlichenden Vorstellungen
des Geldgebers entschärfte - so riet er diesem beispielsweise davon ab,
"eine Büste von Richard Kaselowsky in der Eingangshalle aufzustellen"
und "draußen am Gebäude eine Beschriftung mit Bronze mit dem Namen
´Richard-Kaselowsky-Haus´ anzubringen. Ich sagte bei einem Gespräch mit Herrn
Oetker, daß mit Sicherheit anzunehmen sei, daß die Beschriftung draußen mit
Farbe unkenntlich gemacht werden würde und daß die Büste von Richard
Kaselowsky.... besprüht werden würde."[52]
Andererseits erweckte von Moltke durch die irreführende Behauptung, daß
Oberbürgermeister Ladebeck als "überzeugter Sozialist lange im KZ
gesessen" habe und "an den Folgen der Mißhandlungen, die er dort
erlitten hatte," gestorben sei, "also ein Märtyrer des Widerstands
gewesen"[53],
den Eindruck, Ladebecks Zustimmung zur
Namensgebung sei quasi eine nachträgliche Versöhnung von zwei Männern, die
gleichermaßen Opfer gewesen seien. Für
von Moltke ist sicher, daß "Herr Ladebeck als alter Bielefelder genau
wußte, daß die Firma Oetker und vielleicht auch Herr Richard Kaselowsky enge
Beziehungen zur nationalsozialistischen Partei hatte." Möglicherweise habe
Ladebeck die Auffassung vertreten, "daß Richard Kaselowsky durch seinen
Tod, einen Erstickungstod im Luftschutzkeller, gesühnt hat für das, was er
gegen viele freiheitsliebende Menschen getan hat."[54]
Von Moltke hatte auch die Idee, wie die Eröffnung der Kunsthalle nach der
geplatzten Einweihungsfeier so ausgestaltet werden konnte, daß sie ein
überwältigender Beweis für die Haltlosigkeit jeglicher Proteste würde. "In
dieser Situation habe ich allen meinen jüdischen Freunden in Paris, Holland und
den USA und auch Morton D. May [der Leihgeber der Eröffnungsausstellung, ein
amerikanischer Jude, I.B.] entweder geschrieben oder sie angerufen und ihnen
gesagt, daß ... Richard Kaselowsky ... 1943 eine Spende an den Freundeskreis
der SS gemacht hatte" und daß er "ihnen anheimstelle zu kommen. Aber
alle kamen."[55]
Überlebende der Shoa und Nachkommen der Opfer legitimierten so durch ihre
Teilnahme die Namensgebung und entlasteten den Namenspatron.
Für Rudolf August Oetker muß von Moltke als Kunsthallenleiter im Jahr
1968 von unschätzbarem Wert gewesen sein - einem Jahr, in dem Beate
Klarsfeld Bundeskanzler Kiesinger
öffentlich ohrfeigte, die Studentenbewegung die Frage nach den Tätern auf die
Tagesordnung setzte und das Verschweigen und Verdecken der nationalsozialistischen
Geschichte und ihrer Relikte in der Gegenwart schwieriger wurde. Anders als von
Moltke hat Oetker selbst nie von Sühne gesprochen. In seiner Rede zur
Grundsteinlegung hatte er zwar die Hoffnung geäußert, daß in Zukunft die
Menschen durch die Beschäftigung mit Kunst und Kultur "zu einer besseren Bewältigung der vor
ihnen liegenden Aufgaben" befähigt werden sollten, doch diese vagen
Andeutungen sind kaum als selbstkritische Äußerungen zu verstehen. Subjektiv
mag Oetker allerdings der Auffassung gewesen sein, mit ihnen seinen
Seitenwechsel deutlich genug zu markieren. In dem gemeinsam mit dem
Oberbürgermeister unterzeichneten Offenen Brief nach der Absage des
Ministerpräsidenten ging er 1968 noch etwas weiter. Mit einem Satz verwies der
Brief immerhin auf die Zielsetzung, mit
der neuen Kunsthalle "einen Beitrag
zur Idee der Demokratisierung der Kunst zu leisten."[56]
2.3 Die Sammlung
Der ursprünglich vorgesehene Sammlungsschwerpunkt des Hauses war der
deutsche Expressionismus und seine “weltweite Auswirkung" [57]
- in den 50er und frühen 60er Jahren ein klares Signal für eine Abkehr von der
dem NS-Staat genehmen Kunst zu der, die als "entartet" verfolgt
worden war. 1971 suchte allerdings der Sprecher des Allgemeinen
Studenten-Ausschusses der Werkkunstschule in seiner Eröffnungsrede zu einer
Ausstellung mit Arbeiten von Studentinnen und Studenten in der Kunsthalle
aufzuzeigen, "daß die faschistoide Architektur des Kunsthauses, die
Benennung nach einem Faschisten und die Ausstellungspolitik, die ihren
Schwerpunkt im Expressionismus .... hat, in keinem Widerspruch stehen."[58]
Die Studenten bezogen sich dabei auf neuere Forschungsergebnisse, die die
Affinität einzelner Expressionisten - so beispielsweise Noldes - zur
nationalsozialistischen Bewegung belegten, und
deutlich machten, daß in den ersten Jahren nach der Machtergreifung eine
kunstpolitische Opposition, deren Sprachrohr unter anderem auch Gottfried Benn
war, den Expressionismus "als den Auftakt zur nationalsozialistischen
Bewegung" ansah.[59]
Es ist durchaus möglich, daß die Wahl dieses Sammlungsschwerpunkts auf
Oetker selbst zurückgeht, der sich ja auch für das Jubiläumsjahr 1993 eine
Ausstellung von deutschen, "im Dritten Reich als entartet" geltenden
Künstlern gewünscht hatte.[60]
Dafür spricht auch, daß Rudolf August Oetker zu Beginn der 50er Jahre nach der
Stiftung einer Plastik von Rodin sein mäzenatisches Engagement für die
städtische Kunstsammlung mit Bildern von Nolde und vom späten Corinth
fortsetzte, also mit Werken, die dem Expressionismus zuzurechnen sind und in
der Nazizeit als "entartet" galten.[61]
Auch die Eröffnungsausstellung war in diesem Sinne programmatisch -
gezeigt wurde die "sehr gute Sammlung deutscher Expressionisten" von
Morton D. May mit einem besonderen Schwerpunkt auf Werken Max Beckmanns.[62]
Den Auftakt der Ausstellungstätigkeit im neuen Haus bildete also ein Akt
symbolischer "Wiedergutmachung" an vernichteter Kunst und
vertriebenen Künstlern, möglicherweise eine bewußte Bezugnahme auf die
Dezimierung der Bielefelder Sammlung im Rahmen der Aktion "Entartete Kunst".
Des 1933 entlassenen Museumsleiters Heinrich Becker wurde ebenfalls gedacht.
Nach ihm wurde ein repräsentativer Raum im Mittelgeschoß benannt. In diesem
Raum fand bei der Eröffnung "die Schlüsselübergabe statt, nur in
Anwesenheit von Philip Johnson, Professor Pinnau, Herrn Oetker,
Oberbürgermeister Herbert Hinnendahl und mir" - so noch einmal Joachim
Wolfgang von Moltke.[63]
2.4 Der Architekt und der Bau
Der Architekt, den Oetker - anders als vereinbart - allein ausgewählt
hatte, erscheint auf den ersten Blick
als ein ähnlich unverdächtiger
Vollstrecker der Vorstellungen des Firmenchefs wie Kunsthallenleiter von
Moltke. Philipp Johnson war als US-amerikanischer Mies-Schüler offenbar der als
antifaschistisch interpretierten Avantgarde verpflichtet und somit unbelastet -
anders als Caesar F. Pinnau (1906-1988), der Bauleiter vor Ort.[64] Pinnau war in der NS-Zeit einer der wichtigen
Architekten im Zentrum der Macht gewesen: er hatte an der Ausstattung der Neuen
Reichskanzlei mitgewirkt, war Innenarchitekt der japanischen Botschaft und mit
Entwürfen für Großbauten am geplanten Umbau Berlins zur nationalsozialistischen
Welthauptstadt "Germania" beteiligt. Unmittelbar nach dem Krieg hatte
er sich zunächst aus Berlin nach Bielefeld zurückgezogen, dann siedelte er nach
Hamburg über und machte sich als Industriearchitekt einen Namen. Der
Oetker-Konzern war neben den griechischen Reedern Onassis und Niarchos einer
seiner Hauptauftraggeber.[65]
Doch Pinnau und Johnson waren nicht nur im selben Jahr geboren, sondern sie
hatten darüber hinaus eine ähnliche politische Vergangenheit.
Erst 1988, als Philipp Johnson schon längst zum Superstar der
amerikanischen Architektenszene geworden war, wurden seine politischen
Aktivitäten in den 30er Jahren und seine engen Verbindungen zum deutschen
Faschismus wieder öffentlich diskutiert.[66]
Nach einem Kunstgeschichts- und Philosophiestudium in Harvard und mehreren
Aufenthalten in Europa, bei denen er in Deutschland die aktuelle Architektur
kennenlernte und Mies van der Rohe begegnete, hatte Philipp Johnson 1932 die
berühmten Ausstellung "Modern Architecture: International Exhibition"
im drei Jahre zuvor gegründeten Museum of Modern Art in New York initiiert, und
damit neben einigen US-amerikanischen Architekten auch die wichtigsten Vertreter
des Neuen Bauens aus Europa in den USA bekannt gemacht. Gleichzeitig hatte er
zusammen mit Henry-Russel Hitchcock das einflußreiche Buch "International Style. Architecture since
1922" herausgebracht. Im Sommer 1932 war Johnson wieder in Deutschland,
nahm bei Potsdam an einer Kundgebung der Nationalsozialisten teil und war
begeistert von den jungen SS-Männern, aber vor allem von dem Redner Adolf
Hitler.[67]
Schon 1934 wendete sich Johnson von seiner Kuratorentätigkeit am Museum
of Modern Art ab und der Politik zu. Bis zum Beginn der 40er Jahre - also fast
10 Jahre - war er Berufspolitiker im äußersten rechten politischen Spektrum der
USA.
Zunächst schloß er sich
verschiedenen rechtsradikalen Gruppierungen an, und 1937 begann er zusammen mit einem Freund die Organisation "Junge
Nationalisten" aufzubauen, eine faschistische Partei nach dem Muster der
NSDAP.[68] In den späten 30er Jahren war Johnson
mehrfach in Deutschland. 1937 besuchte er wieder Mies van der Rohe, um sich
über dessen politische Haltung zu informieren und über seine Bereitschaft, für
Hitler zu bauen. 1938 war er ein begeisterter Besucher des Nürnberger
Parteitags. Im selben Jahr nahm er auf Einladung der Deutschen Botschaft in
Washington an einer vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda
organisierten Schulung für ausländische Sympathisanten teil. [69]
Er sprach und las inzwischen ausgezeichnet Deutsch. 1939 reiste er zunächst mit
der amerikanischen Journalistin Viola Bodenschatz[70]
ins Memelland und nach Polen. In dem kleinen Ort Maków geriet er ins
Judenviertel und noch 1988 berichtete Johnson seinem Biographen Franz Schulze
von der Irritation über diese "andere Sorte Menschen. Sie huschten hin und
her wie die Heuschrecken..."[71]
Nach der Besetzung reiste Johnson noch einmal nach Polen - diesmal als
Kriegsberichterstatter für die von dem katholischen, antisemitischen Priester
Charles Coughlin herausgegebene Zeitung "Social Justice", die mit der
nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland sympathisierte. Johnson schrieb für diese Zeitung fünf Artikel, die
selbst in den knappen, bei Schulze abgedruckten
Auszügen Johnsons Sympathien für
die deutschen "Herrenmenschen"
und seinen Antisemitismus
bezeugen.[72]
In den Unterlagen des FBI findet sich ein Brief Johnsons, den er wahrscheinlich
im Dezember 1939 an Viola Bodenschatz
schrieb. Darin berichtet er von einem zweiten Besuch in Maków im
Oktober: "Ich hatte das Glück, als Presskorrespondent anerkannt zu werden,
so daß ich an die Front reisen konnte..... Erinnern Sie sich an Markow? Ich
ging über denselben Platz, an dem wir damals getankt hatten, und er war nicht
wiederzuerkennen. Die grünen Uniformen der Deutschen sorgten dafür, daß der Ort
fröhlich und glücklich wirkte. Juden waren nicht viele zu sehen. Wir sahen
Warschau in Flammen und die Bombardierung von Modlin. Es war ein erregendes
Schauspiel."[73]
In den vierziger Jahre war Johnson in den USA als führender Faschist
bekannt. Er wurde vom FBI als möglicher deutscher Agent angesehen und noch bis
in die 60er Jahre überwacht. Offenbar kehrte er der Politik erst den Rücken,
als seine Position in den Staaten mit dem sich abzeichnenden Kriegseintritt der
USA immer prekärer wurde. Am 23.9.1940 schrieb er sich in Harvard als
Architekturstudent ein und machte drei Jahre später dort seinen Abschluß.
Mit Johnson hatte Oetker also einen Architekten gefunden, der sein
Anliegen verstand: Johnson war ebenfalls aktiver Nationalsozialist gewesen und
bemühte sich in der Folgezeit, dies zu vertuschen oder zu verharmlosen. Als
Architekt wußte er sich unter anderem mit Museumsbauten für reiche Privatleute
bald glänzend zu behaupten. So realisierte Johnson von 1957 bis 1960 - also in
der Zeit der ersten Kontakte mit Bielefeld - seinen ersten großen Museumsbau:
das Museum und die Galerie des Munson-Williams-Proctor-Instituts in Utica im
Staat New York (Abb.3). Der quadratische Grundriß und das blockhafte Äußere
weisen unübersehbare Ähnlichkeiten mit dem späteren Entwurf für die Bielefelder
Kunsthalle auf.[74]
Deutlicher als Oetker nahm Johnson scheinbar einen radikalen
Seitenwechsel vor. Der Rassist und Judenhasser der 30er Jahre sah sich nach
1945 mehrfach genötigt zu demonstrieren, daß er mit seinen früheren
Überzeugungen nichts mehr zu tun hatte. 1949 wandte er sich an "die New
Yorker Niederlassung der Loge B´nai B´rit, vor der er sich offiziell für die
Sünden seiner Vergangenheit entschuldigte."[75]
Schulze nimmt an, daß dieser Akt der Entschuldung im Zusammenhang stand mit
Johnsons Wunsch, Abteilungsleiter für Architektur und Design am New Yorker
Museum of Modern Art zu werden. In diesem Zusammenhang hatte ein anderer
einflußreicher Abteilungsleiter des Museums eine Untersuchung über Johnsons
politische Aktivitäten der 30er Jahre initiiert, die Johnson offenbar durch den
Besuch in der Loge entschärfen konnte.
1952 engagierte sich Johnson öffentlich für eine von dem jüdischen
Architekten Percival Goodman entworfene Shoa-Gedenkstätte in New York und
stellte Goodmans Modell im Museum of Modern Art aus.[76]
Mitte der 50er Jahre bot er der jüdischen Gemeinde in Port Chester im Staat New
York an, unentgeltlich einen Entwurf für die Kneses Tifereth Israel-Synagoge
auszuarbeiten. Auf diese Weise konnte
Johnson 1956 seinen ersten öffentliche Bau realisieren.[77]
Am spektakulärsten wurde aber der erste
Auftrag, den er sich außerhalb der USA verschaffte - der 1961
fertiggestellte Bau des Atomforschungszentrums Rehovot in Israel, ausgeführt in
Form eines Tempels mit Hofanlage. Johnson selbst hat Jahre später einem
Journalisten als Beleg für seinen "Philosemitismus" erzählt, Shimon Peres, Ende der 50er Jahre stellvertretender israelischer
Verteidigungsminister, sei persönlich der Auftraggeber gewesen. Schulze
bezweifelt diese Version mit guten Gründen.[78]
Mit dieser politischen Biographie
hatte Johnson sicher ein besonderes Verständnis für die anstehende
Aufgabe und das Bedürfnis des Auftraggebers nach symbolischer Entschuldung. Er
war besonders geeignet, den von Oetker gewünschten "großen
Gedenkstein" zu entwerfen, der an Kaselowsky erinnern, seine Wandlung vom
Täter zum Opfer veranschaulichen und damit in die neue bundesrepublikanische
Wirklichkeit passen sollte. Mit dem Entwurf der Kunsthalle gelang es Johnson,
diese vom Auftraggeber gewünschten Funktionen auch architektonisch zu
veranschaulichen.
Schon 1968 kritisierte der Architekturkritiker Peter M. Bode anläßlich
der Eröffnung der Kunsthalle den "monumentalisierten, burgherrlichen und
sogar Elemente aus faschistischer Zeit beschwörenden Baustil" und sah
darin eine verdeckte Erinnerung an das "dritte Reich". "Die faschistoide
Architektur des Kunsthauses"[79]
war auch in den folgenden Jahren immer wieder eines der Argumente der Kritik an
der Kunsthalle und ihrer Namensgebung. Als sich 1971 nach einem Eklat wegen der
Entfernung eines Ausstellungsbeitrags aus der Ausstellung der Werkkunstschule
eine "Bürgerinitiative Kunsthalle" gebildet hatte, [80]
forderte diese nicht nur die Entfernung des Namens und der Gedenktafel, sondern
sie kritisierte auch den Johnson-Bau.
Auf einem Flugblatt montierte Hans-Peter Schwarz, damals Student der
Bielefelder Werkkunstschule, in die gezeichnete Fassade des Gebäudes Skulpturen
von Arno Breker(Abb.4). Er suchte den Faschismusvorwurf auf diese Weise optisch
zu belegen und integrierte in die Montage ein leicht verfremdetes Zitat des
NS-Theoretikers Alfred Rosenberg über die Architektur der Bielefelder
Kunsthalle.
Mehr als dreißig Jahre nach den Auseinandersetzungen der Gründungsphase
der Kunsthalle kann die Architektur sicher nicht mehr so umstandslos als
"faschistisch" angesprochen werden, auch wenn eine solche Anmutung
durch die monumentale Form und die Verkleidung mit rotem Sandstein
nachvollziehbar bleibt.[81]
Es ergeben sich vielmehr Verknüpfungen
mit anderen baulichen Lösungen, die die Architektur vieldeutiger erscheinen
lassen.
Formensprache und Ikonographie des Baus sind in jüngster Zeit Gegenstand
neuer Überlegungen geworden. Christian Fuhrmeister hat kürzlich den Vorschlag
gemacht, den Bau als Grab- und Gedenkarchitektur in einen Zusammenhang mit
"Hünengräbern" zu stellen.[82]
Sein Vorschlag erscheint plausibel, doch er schließt nicht das bewußte Anknüpfen Johnsons an
weitere Bautypen und Bauaufgaben aus.
Das geschlossene vorspringende Attikageschoß und die Art und Weise, wie
dieses auf einem leichteren, partiell
gegliederten Unterbau aufruht, erinnern an andere Museumsbauten - nicht nur an
das erwähnte Museum des Munson-Williams-Proctor-Instituts von Johnson, sondern
auch an Le Corbusiers Nationalmuseum für Westliche Kunst in Tokio aus dem Jahr
1957.
Ebenso treffend erscheint mir der Vergleich mit einem Altar - etwa dem
aus den 50er Jahren stammenden Altar in Neumühle (Saarland), der aus der
Benediktinerabtei Tholey stammt (Abb.6). Es ist nicht anzunehmen, daß Johnson
gerade diesen Altar kannte. Doch da Johnson mehrfach mit der Umkehrung von
Maßstäben gespielt hat,[83]
könnte ihn ein ähnlicher Altar zu seinem "Gedenkstein" angeregt
haben. Am verblüffendsten ist aber die Ähnlichkeit mit der zentralen
"Halle der Erinnerung" des
Holocaustmonuments Yad Vashem in Jerusalem von Arieh El-Hanani (Abb. 7).
Sie wurde 1961 fertiggestellt, also im selben Jahr wie die Atomforschungsanlage
Rehovot. Johnson, der sich schon in 50er Jahren für Gedankstätten an die
Shoa interessierte, wird diesen
zentralen Ort sicher gekannt haben.
So ungeheuerlich es auf den ersten Blick erscheinen könnte, daß ein
Denkmal für ein Mitglied des Freundeskreises Reichsführer SS Heinrich Himmler
architektonisch an das zentrale Denkmal
für die Opfer der Shoa anknüpft, so sehr versinnbildlicht dies doch zugleich
die Ambivalenzen des bundesdeutschen Umgangs mit der NS-Vergangenheit
einerseits und mit dem Staat Israel andererseits. Die Bundesrepublik unterhielt
seit 1965 enge Beziehungen zu Israel, gleichzeitig wurde die Nazivergangenheit
der Inhaber höchster Staatsämter verschwiegen und verharmlost. Johnson hat eben
diese Ambivalenzen in der Architektur zum Ausdruck kommen lassen. Die von ihm
praktizierten Strategien der Umdeutung und Verschleierung finden im Bau der
Kunsthalle ihren Niederschlag. Die Verbindung von abstrahiertem
"Hünengrab", Museum, Altar, Gedenkhalle für die Opfer der Shoa mit
Elementen faschistischer Monumentalbauten ist das Ergebnis des Versuchs, die
Erinnerung an die Täter und ihre Verwandlung in Opfer mit der Bauaufgabe Museum
zu verbinden und die gewünschte Entschuldung in der Architektur zum Ausdruck zu
bringen.
So gesehen sind Entstehungsgeschichte, Architektur sowie Sanmlungs- und
Ausstellungsstrategien der Kunsthalle Bielefeld keineswegs nur Ergebnisse
provinzieller Verbohrtheit, sondern ein besonders prägnanter Fall. Hier wird
beispielhaft anschaulich, mit welcher politischen Macht und mit welchen
Strategien die alten wirtschaftlichen und politischen Eliten ihre Interessen
durchsetzten, wie sie sich dabei zugleich der Kultur bedienten und durch die Beteiligung
an öffentlichen Aufgaben als Wohltäter der Stadt profilieren konnten.
* Der vorliegende Aufsatz geht zurück auf meinen Vortrag im Rahmen der Tagung "Kunstgeschichte in der Gesellschaft. 30 Jahre Ulmer Verein" am 29.11.1998 an der Ruhr-Universität Bochum. Wichtige Anstöße für einen neuen Blick auf die Bielefelder Kunsthalle gaben die Diskussionen während zweier Treffen der von Gottfried Fliedl initiierten museologischen Schreibwerkstatt "Auf der Suche nach einer Geschichte der Museen" in den Jahren 1997 und 1999. Wichtige Hinweise und Anregungen gaben mir auch Niko Ewers, Bielefeld, Christian Fuhrmeister, Bielefeld und Heiner Moldenschardt, Berlin/Hamburg. Ihnen und allen MitstreiterInnen bei der Umbenennung danke ich herzlich.
[1] Für eine Darstellung der Ereignisse, die schließlich zur Umbenennung führten vgl. Irene Below, "Um Schaden von unserer Stadt und allen Beteiligten abzuwenden" - Die symbolische Ordnung der Geschlechter im Streit um die Bielefelder Kunsthalle. In: Frauen Kunst Wissenschaft 27, 1999, S.6-24.
[2] Ein Indiz dafür ist, daß die Widmungstafel für Richard Kaselowsky im Eingangsbereich der Kunsthalle nach der Umbenennung nicht entfernt wurde. Zur Tafel vgl. unten S.XXXX .
[3] Vgl. dazu Bürokratie und Kult. Das Parteizentrum am Königsplatz in München. Geschichte und Rezeption. Veröffentlichung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, Bd. X, München 1995. Darin insbesondere die Beiträge von Iris Lauterbach und Winfried Nerdinger.
[4] Aus der kleinen städtischen Sammlung wurden 11 Gemälde, 24 Aquarelle und Zeichnungen und
191 Druckgraphiken.entfernt, vgl. Dr.
Heinrich Becker zum 100. Geburtstag. Ausst.kat. Bielefeld 1981, S.16. Becker
war von 1928 bis 1933 und dann wieder
von 1945 bis 1954 ehrenamtlicher Leiter des Kunsthauses, Vgl. zur Geschichte
der Kunsthalle Bielefeld auch Jutta Hülsewig-Johnen, Vom Kunsthaus zur
Kunsthalle. Kurze Geschichte der Kunsthalle Bielefeld. In: Andreas Beaugrand (Hg.). Stadtbuch
Bielefeld. Tradition und Fortschritt in der ostwestfälischen Metropole.
Bielefeld 1996, S. 386-391.
[5] Zu den frühen Schenkungen vgl. unten S.XXXX. Die Dauerleihgaben - drei wichtige und vier meist im Depot aufbewahrte Werke - zog. Oetker unmittelbar nach der Umbenennung Anfang November 1998 zurück, vgl. dazu Below 1999 (wie Anm.1), S.18, Anm.48.
[6] Wiederaufbau des Museums in Bielefeld - Eine neue Aufgabe für die Dr. August Oetker Stiftung, in: Der helle Kopf, Hauszeitschrift der Firma Dr. August Oetker Bielefled, 7. Jg., Heft 3. 1959
[7] Vgl. den Zeitungsartikel "´Kraft durch Freude` in Bielefeld" vom 6.2. 1934. In: Im Zeichen des Hakenkreuzes. Bielefeld 1933-1945. Ausst.kat. des Stadtarchivs, Bielefeld 1983, S. 78 und die Abbildung des Ausmarschs des Kyffhäuserbundes aus der Oetkerhalle nach einer Fahnenweihe im Januar 1934, ebenda S.85. Weiteres in: Kai Kruse, Wolfgang Kruse, Kriegerdenkmäler in Bielefeld. Ein lokalhistorischer Beitrag zur Entwicklungsanalyse des deutschen Gefallenenkultes im 19. und 20. Jahrhundert. In: Reinhart Koselleck, Michael Jeismann (Hg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne. München 1994, S. 116 und Abb.9. Noch zu Beginn der 70er Jahre bestimmte ein Kuratorium, in dem die Familie Oetker die Hälfte der Mitglieder stellte, über Veranstaltungen in der Oetkerhalle, dem damals einzigen großen Saal in der Stadt. Politische Veranstaltungen wurden nach 1945 generell nicht akzeptiert.
[8] Noch zu Beginn der 70er Jahre bestimmte ein Kuratorium, in dem die Familie Oetker die Hälfte der Mitgleider stellte, über Veranstaltungen in der Oetkerhalle, dem damals einzigen großen Saal in der Stadt. Politische Veranstaltungen wurden nach 1945 generell nicht akzeptiert.
Michael Schibilsky, Die Kunst des hellen Kopfes. Wenn Oetker stiften geht. In: blätter des bielefelder jugendkulturringes, Nr. 255-257,1971/72, S.94.
[9] Zu Kaselowsky selbst und zu weiteren Mitgliedern der Familien Kaselowsky und Oetker vgl. Czeslaw Sawicky, Das Unternehmen Oetker in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Wolfgang Emer, Uwe Horst, Helga Schuler-Jung (Hg.), Provinz unterm Hakenkreuz. Diktatur und Widerstand in Ostwestfalen-Lippe. Bielefeld 1984, S.153-164; Arbeitskreis Oetker, Bildungswerk für Friedensarbeit u.a. (Hg.), Bielefeld Haupt(be)sitz Oetker, Bielefeld 1984. Die Broschüre, in der Informationen zur Geschichte des Konzerns und zu Richard Kaselowsky zusammengetragen sind, ist neuerdings auch im Internet abrufbar unter http://www.geocities.com/ CollegePark/Library/5228/; Hermann David, Städtische Ehrung eines führenden Nazis hat Jubiläum. Schon 25 Jahre: "Richard-Kaselowsky-Haus" im Centrum Bielefelds, in: roter winkel, Juli 1993, S.7-9; speziell zur Fa. E, Gundlach AG vgl. Gerd Meier, Nationalsozialistische Presselenkung in Bielefeld. Grenzen der `Gleichschaltung´. In: 84. Jahresbericht des Historischen Vereins, Bielefeld 1997, S. 153-180.
[10] Dr. Oetker Nachrichten. Die Zeitung der Mitarbeiter. Sonderbeilage zur Ausgabe 6. 1998, S.2. Die Sonderbeilage vorfolgte das Ziel "zusammenzufassen, was Dr. Richard Kaselowsky in der Unternehmensgeschichte bedeutet"
[11] Vgl. dazu Arbeitskreis Oetker 1984, S.46. Nach dem Krieg war Rudolf August Oetker interniert.
[12] Die
Aussagen nationalsozialistischer Funktionäre sprechen eine deutliche Sprache:
Anläßlich der Feier zum 50-jährigen Bestehen der Oetker-Werke sagte der
Gauleiter Dr. Meyer 1941: "Es gab eine Zeit, in der es nicht populär und
auch nicht zweckdienlich war, sich zur Partei zu bekennen. Damals schon tat es Euer
Betriebsführer,.... in den Zeiten, als die Partei in schweren Kämpfen stand.
Dafür möchte ich ihm heute noch herzlich danken für diesen Bekenntnismut zum
Führer und zur Nationalsozialistischen Arbeiterpartei." zit. nach Sawicki
1984 (wie Anm.9), S.156. Vgl. ebenda die
Zitate des Gaupresseleiters Dr. A. Schröder und wieder des Gauleiters Dr.
Meyer zu Kaselowskys Rolle bei der Etablierung dieses neuen "'Gauorgans
für das östliche Westfalen".
[13] Zum Stiefsohn Rudolf August Oetker vgl. oben S.XXX. Ehefrau Ida sowie Karl und Robert Oetker traten 1937 in die NSDAP ein; Ursula Oetker, die am Bau der Kunsthalle beteiligte ältere Schwester von Rudolf August Oetker, war ebenso Parteimitglied wie ihr Mann Ernst - allerdings offenbar erst seit 1940. Theo Kaselowsky, der am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetretene Bruder Richards löste diesen 1943 als Leiter der Industrie- und Handelskammer ab; zuvor war er -spätestesn seit 1937 - Kreiswirtschaftsberater der NSDAP für Bielefeld-Stadt und in dieser Funktion mit zuständig für die Arisierung jüdischer Geschäfte, Unternehmen und Liegenschaften.
[14] Vgl. dazu auch die in Anm. 10 zitierte Sonderbeilage, die einige seit den 20er Jahren zum Konzern gehörende Tochterfirmen anführt, nicht aber die Beteiligung an der Hamburg-Süd(amerikanischen) Schiffahrtsgesellschaft 1934. Konkrete Angaben zur NS-Zeit, zu den Funktionen Kaselowskys und den Auszeichnungen der Betriebe fehlen ebenso. Es heißt nur allgemein: "Nach Überwindung der Wirtschaftskrise und Hitlers Machtergreifung sprang die Konjunktur wieder an. Davon profitierte zunächst auch die Firma Oetker mit steigenden Umsätzen, so daß Kaselowsky 1935 ein großes Projekt, den Fabrikneubau an der Lutterstraße, in Angriff nehmen konnte." Ebenda S.2.
[15] Der Puddingprinz. In: Der Spiegel 18.12.1957.
[16] Vgl. Hinrich Paul, Falk Pingel, Unter dem Faschismus. Arbeiter ohne Gewerkschaften, in: Gisbert Brennecke, Arno Klönne, Heinrich Lienker, Willi Vogt (Hrsg.), "Es gilt die Arbeit zu befreien", Geschichte der Bielefelder Gewerkschaftsbewegung, Köln 1989, S.304.
[17] Auf einer Adressenliste aus dem Jahr 1939 taucht Kaselowsky mit der Bezeichnung "Inhaber der Fa. Dr. August Oetker Nährmittelfabrik" auf, 1943 nahm er an einem Besuch des Kreises in Himmlers Hauptquartier in Ostpreußen teil. Belegt ist, daß Kaselowsky in den Jahren 1943 und 1944 jeweils 40.000 RM auf das Sonderkonto S überwiesen hat - damals beachtliche Summen, die durchaus vergleichbar sind mit den Spenden der IG Farben (100.000 RM), der Deutschen Bank (75.000 RM) und der Dresdener Bank (50.000 RM), vgl. die Übersicht in: Reinhard Vogelsang, Der Freundeskreis Himmler. Göttingen 1972, S.159.
[18] Hülsewig-Johnen 1996 (wie Anm.4), S. 389. Die folgenden Angaben zur Baugeschichte stammen, wenn nicht anders angegeben aus diesem Artikel, die Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus der von Stadtbaurat Michael Fleischer zusammengestellten Dokumentation: Richard-Kaselowsky-Haus, Kunsthalle der Stadt Bielefeld. Dokumentation über die Entstehung 1959 - 1968. Typoskript. Kunsthalle Bielefeld 1970.
[19] Protokoll der Ratssitzung vom 2.9.1959.
[20] Fleischer 1970 (Wie Anm. 18), S. 13.
[21] Henry de la Trobe, Die Entstehungsgeschichte des Richard-Kaselowsky-Hauses Kunsthalle der Stadt Bielefeld. Bielefeld 1991, S. 81: "Da Dr. Richard Kaselowsky sich immer für den Aufbau der städtischen Sammlungen interessierte, möchte Herr Oetker - im Einverständnis mit seinen Geschwistern - dem neuen Kunsthaus den Namen ´Richard-Kaselowsky-Haus` geben..." Es gibt keine Belege für Kaselowskys Interesse am Städtischen Kunsthaus. In jedem Falle spricht nichts dafür, daß Kaselowsky mit der offiziellen Kunstpolitik und den "Säuberungen" des Bestandes des Kunsthauses im Jahr 1937 nicht konform ging. Zu der Ratssitzung am 18. Sept. 1968 vgl. unten S.XXXX .
[22] Die 8 Millionen DM, die 0etker aufgewendet hat, konnte er steuerlich absetzen, so daß er nach eigenen Angaben faktisch 4,6 Millionen für den Bau bezahlt hat, vgl. Schibilsky 1971/1972 (wie Anm.8), S. 88-95. Auf den S. 89/90 ist der Brief Oetkers faksimiliert, in dem er die Kosten folgendermaßen erläutert: "Im Laufe der Zeit waren auch die Preise gestiegen und, als der Bau einer Kunsthalle begonnen werden konnte, kostete er insgesamt DM 12,5 Mio. Die Firma Dr. August Oetker zusammen mit anderen Firmen der Oetker-Gruppe hat sich seinerzeit verpflichtet, davon DM 8 Mio. zu zahlen, und die Hälfte des darüber hinausschießenden Betrages, so daß insgesamt DM 10,25 Mio. von der Oetker-Gruppe aufgewendet wurden. ... Sie wissen vielleicht, daß Spenden dieser Art an die Stadt Bielefeld von der Steuer absetzbar sind, d.h. von der steuerpflichtigen Summe abgezogen werden können. Dabei werden Steuern in Höhe von 55% gespart...., so daß mich der Bau persönlich 4,6 Mio, DM gekostet hat."
[23] So rühmte beispielsweise in einem Leserbrief die Gattin des Direktors der konzerneigenen Lampe-Bank Christiane Annecke Oetker für die Stiftung der Kunsthalle, denn sie sei das "kulturell Mutigste und Beste, was in dieser Stadt zu ihrem Ruhm geschaffen wurde." In: Westfalenblatt 25.2.1998.
[24] Vgl. dazu unten S.XXX. Wie Oetker mit Philipp Johnson in Kontakt gekommen ist, ist unklar.Möglich ist, daß der Pinnau, der Hausarchitekt Oetkers, dabei vermittelte. Schon im Winter 1957 - also noch vor der ersten öffentlichen Verlautbarung über die geplante Schenkung - besuchte Pinnau zusammen mit Oetkers künstlerischem Berater, Paul Herzogenrath, Johnson in dessen berühmten Glashaus in New Canaan/Connecticut., vgl. dazu De La Trobe 1991 (wie Anm. 21), S.19.
[25] 1962 hatte die Stadt von Moltke eingestellt. Im selben Jahr besuchte Oetker selbst Philipp Johnson in New York, 1963 bat er ihn dann um einen Ideenentwurf, 1964 teilte er der Stadt mit, daß er von einem Wettbewerb absehe und Johnson den Planungsauftrag geben werde. Dieser erläuterte anläßlich der 750-Jahr Feier der Stadt im Juni 1964 den Honoratioren und den Mitgliedern des Kultur- und des Bauausschusses seinen Entwurf.
[26] De la Trobe 1991 (wie Anm.21), S.73.
[27] Vgl. dazu auch Kai Kruse, Wolfgang Kruse, 1994 (wie Anm, 7), S. 123: "Mit der Oetkerhalle und der Richard-Kaselowsky-Halle sind ... die beiden architektonisch auffälligsten und zugleich politisch fragwürdigsten Gefallenen- bzw. Kriegsopferdenkmäler in Bielefeld Stiftungen der Industriellenfamilie Oetker."
[28] Joachim Wolfgang von Moltke, Die Entstehung der Kunsthalle Bielefeld. Persönliche Erinnerungen. Bielefeld 1993, S.23.
[29] Politischer Club Linke Baracke, Offener Brief an den Rat der Stadt Bielefeld in: Kunsthalle extra, Bielefelder Stadtblatt, 12.3.1998, S.9. Die APO traf sich in der "linken Baracke" - dem Carl-Schreck-Heim.
[30] Neue Westfälische Zeitung 17.9.1968.
[31] Neue Westfälische Zeitung 21.9.1968.
[32] Obwohl offiziell die Benennung "Richard-Kaselowsky-Haus Kunsthalle Bielefeld" beibehalten blieb, hieß das Museum fortan - angeblich nach Absprache mit den Protestierenden - in umgekehrter Reihenfolge. Dies hatte in den folgenden Jahrzehnten einen kuriosen Umgang mit dem Namen zur Folge: Die Kunsthalle selbst und die SPD benutzten seit 1968 die Fassung "Kunsthalle Bielefeld-Richard Kaselowsky Haus" als offiziellen Namen, während CDU und BfB das Haus weiterhin in der ursprünglich beschlossenen Reihenfolge benannten - so z.B. auf der Einladung der CDU/BfB-Stadtregierung zum 25jährigen Jubiläum 1993.
[33]
Zit.nach Neue Westfälische Zeitung 24.9.1968.
[34] Frankfurter Rundschau, 23.9.68. Vgl. auch den Bericht von Haug von Kuenheim in: Die Zeit 4.10.1968.
[35] Neue Westfälische Zeitung 23.9.1968.
[36] Ebenda.
[37] Westfalenblatt, 11.11.1993. Darin weiter: "Natürlich ist die Auswahl und Führung des Hauses Sache der Stadt. Aber, wenn ich gefragt werde, sage ich als Bürger meine Meinung."
[38] In einem Fernsehinterview bestätigte Kellein, daß er den Namen Kaselowsky aus finanziellen Erwägungen wiederbelebt habe, vgl. den Beitrag von Jürgen Bebers über die Kunsthalle in: Kulturszene West, WDR 3 vom 22.11.98.
[39] Vgl. näheres in Below 1999 (wie Anm.1).
[40] Carol Duncan, Civilizing Rituals inside
public art museums.
[41] So Ulrich Wehler in seinem Vortrag "Die Verletzung der politischen Scham" in der Universität Bielefeld am 22.6.1998.
[42] Neue Westfälische Zeitung 23.9.1968.
[43] "Der Stiftung lag der Gedanke zugrunde, dem städtischen Kunstbesitz ein endgültiges Heim zu geben, wobei dies den Opfern des zweiten Weltkrieges und dem durch Bomben umgekommenen treuhänderischen Verwalter der Firma Dr. August Oetker, Dr. Richard Kaselowsky gewidmet sein sollte". Es folgt ein Hinweis auf die analoge Stiftung der städtischen Musikhalle und weiter heißt es: "Weder den Stiftungen noch deren Namensgebungen lagen politische Motive zugrunde." Zit. nach Neue Westfälische Zeitung 24.9.1968.
[44] Dirk Schümer, Von Tätern zu Wohltätern, Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.9.1998.
[45] Vgl.
oben S. XXX und Anm.19.
[46]
Akademie der Künste (Hg.), Streit um die Neue Wache. Zur Gestaltung einer
zentralen Gedenkstätte, Berlin 1993, S.103.
[47] Zu diesen Opfern zählten in der Erinnerung der Familie anscheinend nicht nur die Ziviltoten der Stadt, die wie Kaselowsky bei einem der Bombenangriffe ums Leben gekommen waren, sondern auch die Gefallenen des 2. Weltkriegs. Ihnen rechnete Maja Oetker, die damalige Bürgermeisterin, Ratsmitglied der BfB und Ehefrau R.A.Oetkers anläßlich eines Empfangs für Mitglieder des Wissenschaftsrates 1992 auch Richard Kaselowsky zu. Maja Oetker erläuterte in ihrer Rede die Entstehung der Kunsthalle, die sie "aus nächster Nähe beobachten konnte" als "ein gutes Beispiel hervorragender Zusammenarbeit zum Wohle der Stadt zwischen Politik, der Bauverwaltung und der Museumsverwaltung sowie privatem Mäzenatenum." Weiter heißt es dort: "Es ergab sich in dieser Situation als glückliche Fügung, daß sich das Haus Oetker mit dem Gedanken trug,... eine Stiftung zu machen, eine Stiftung zum Andenken an die Gefallenen des 2. Weltkrieges, darunter Richard Kaselowsky." Zitiert nach dem Redemanuskript vom 28. Oktober 1992.
[48] Aleida Assmann, Zwischen Pflicht und Alibi. Wozu nationales Gedenken? Die Debatte um das zentrale Holocoust-Mahnmal zeigt die Deutschen auf der Suche nach einer neuen Gedächtnisdiplomatie. Geschichtswissenschaft und Erinnerungspolitik sind davon betroffen, in: die tageszeitung, 20.3.1996.
[49] Oetker erwähnt in dem zitierten Offenen Brief von 1968, daß der Rat der Stadt in seiner jüngsten Debatte um die Namensgebung Kaselowskys Verhalten während der Nazizeit als "politischen Irrtum" angesehen habe, aber der Auffassung gewesen sei, daß "seine Verdienste um Bielefeld schwer wogen". Zit. nach Neue Westfälische Zeitung 23.8.1968.
[50]
Der Text der für die rechte Eingangsseite
vorgesehenen Aluminiumtafel, die nach der Ablehnung des Geschenks im Rahmen der
Aktionen aus Anlaß des 30jährigen
Bestehens am 27.9. 1998 vor der Kunsthalle enthüllt wurde, lautet:
"Der Stifter Rudolf August Oetker und der Rat der Stadt Bielefeld hielten
es 1968 für angemessen, Richard Kaselowsky mit der Kunsthalle ein Denkmal zu
setzen, einem Mitglied und Förderer der NSDAP und einem Angehörigen des
Freundeskreises Reichsführer SS, Heinrich Himmler." Vgl. dazu Bielefelder
Stadtblatt 1.10.1998.
Schümer machte in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.9.1998 einen ähnlichen Vorschlag: "Es gibt Stimmen in der Stadt, die im Hickhack um den Namensgeber eine gelungene Erinnerung an verdrängte Vergangenheiten sehen. Vielleicht sollte man dem Willen der Oetkers sogar tatsächlich willfahren und im Foyer Richard Kaselowsky mit Parteiabzeichen und Spendensumme verewigen. Er wird so oder so unvergessen bleiben."
[51] Von Moltke 1993 (wie Anm.28).
[52] Ebenda, S.25.
[53] Ebenda, S.24. Im KZ war der Sozialdemokrat Ladebeck nie inhaftiert. Er gehörte vor 1935 einem Widerstandszirkel der SPD an, der sich in der Senne traf. Da der einflußreiche Sozialdemokrat Carl Severing illegalen Widerstand ablehnte, zerfiel der Widerstand in der Partei rasch, vgl. dazu Paul, Pingel 1989 (wie Anm.16), S. 308f und Udo Schlicht, Wie eine Ideologie von einer Stadt Besitz ergreift. Bielefelder Leben in nationalsozialistischer Zeit. In: Beaugrand (Hg.) 1996 (wie Anm.4), S.84f.
[54] von Moltke 1993 wie (Anm. 28), S.24.
[55] Ebenda, S. 27. Insgesamt nahmen etwa 100 Gäste an der Eröffnung teil. Von Moltke vermerkt auch einzelne, die dennoch absagten - so Max Imdahl, Kunsthistoriker an der Ruhruniversität Bochum und in Bielefeld Gründungsbeauftragter für Kunstgeschichte für die in Planung befindliche Universität. Seine Absage mutet von Moltke "jetzt sehr eigenartig" an. "Er hatte Angst vor den Studenten, um es kurz zu sagen" (ebenda).
[56] Neue Westfälische Zeitung 23.9.1968. Zum Konzept eines Museums für eine pluralistische Gesellschaft, das die Bielefelder Kunsthalle verkörpere, vgl. auch Joachim Wolfgang von Moltke, Wie soll ein zeitgenössisches Museum aussehen? In: Gerhard Bott (Hg.), Das Museum der Zukunft. 43 Beiträge zur Diskussion über die Zukunft des Museums. Köln 1970, S.197-200.
[57] Schreiben von Moltkes 1986 zit. nach Irene Below, Afrika und Europa - Peripherie und Zentrum: Irma Stern im Kontext. In: Irene Below, Jutta Hülsewig-Johnen (Hg.), Irma Stern und der Expressionismus. Ausstellungskat., Bielefeld 1997, S. 114. Auch wenn sich die Sammlung in der Folgezeit auf internationale Kunst des 20. Jahrhunderts erweiterte, ist bis heute die Kunst des deutschen Expressionismus ein Schwerpunkt der Ausstellungsaktivitäten.
[58] Bielefeld 1971. Hektographiertes Ms., Privatbesitz. Die Eröffnung der Ausstellung fand am 8.Juni 1971 statt und die Studentinnen und Studenten nutzten sie als Forum für scharfe Kritik an der Namensgebung, der Architektur und der Konzeption der Kunsthalle.
[59] Gottfried Benn zit. nach Hildegard Brenner, Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek 1963, S.74. Zu Nolde, der im selben Jahr wie Hitler Mitglied der NSDAP wurde, vgl. Joseph Wulf, Die Bildenden Künste im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Reinbek 1966, S.40.
[60] Westfalenblatt 11.11.1993 und vgl. oben S. XXXX..
[61] Als erstes Werk stiftete die Firma Dr. August Oetker 1950 Rodins Marmorkopf "La douleur - Souvenir à Eleonora Duse", vgl. Kunsthalle der Stadt Bielefeld Richard Kaselowsky Haus. Katalog der Gemälde und Skulpturen des 20. Jahrhunderts. Hg. Ulrich Weisner. Bielefeld 1985, S.178ff. - 1951 folgte das ursprünglich aus Dresdener Privatbesitz stammende Noldebild "Tropenwald" aus dem Jahr 1914, ebenda S.161; im selben Jahr ein zweites Gemälde, die Landschaft "Walchensee mit Springbrunnen" aus dem Jahr 1923 von Lovis Corinth - ursprünglich im Besitz von Leo Israel und dann nach mehreren Stationen von Oetker gekauft, ebenda S.43. 1953 stiftete die Firma einen weiteren Corinth, ein "Blumenstilleben", ebenfalls aus dem Jahr 1923, ebenda. In den folgenden Jahren stellte Oetker der Kunsthalle nur noch Leihgaben zur Verfügung, vgl. dazu oben Anm.5.
[62] Von Moltke 1993 (wie Anm.28), S.23.
[63] Ebenda, S.27.
[64] De la Trobe 1991 (wie Anm.21), S.31
[65] Vgl. Joachim C. Fest, Caesar Pinnau. Architekt, Hg. Ruth Irmgard Pinnau, Hamburg 1982; Wolfgang Schäche, Überlegungen zur Kontinuität der NS-Architektur. In: Magdalena Bushart, Bernd Nicolai, Wolfgang Schuster (Hg.), Entmachtung der Kunst. Architektur, Bildhauerei und ihre Institutionalisierung 1920-1960, Berlin 1985, S.76-87. - In Bielefeld baute Pinnau für Oetker Siedlungen, die konzerneigene Lampe-Bank und das Verwaltungsgebäude. Schäche zeigt mit den Abb. 35, 36 die Verwandtschaft von Pinnaus Entwurf für ein Staatshotel für die Nord-Süd-Achse in Berlin aus dem Jahr 1938 und dem Entwurf für das Verwaltungsgebäude von 1978. In einem Nachruf im Westfalenblatt vom 1.12.1988 wird berichtet, daß Pinnau als "Hausarchitekt" der Oetker-Gruppe 35 Jahre lang ein regelmäßiger Gast in Bielefeld gewesen sei.
[66] Vgl. Franz Schulze, Philipp Johnson. Leben und Werk, Wien 1996, S. 159f. Schulzes umfangreiche und akribisch recherchierte Biographie ist, sofern nicht anders vermerkt, die Quelle für die folgende Darstellung. Johnsons politische Aktivitäten schildert Schulze im zweiten Teil unter dem Titel "Unrühmlicher Umweg", S.113-188.
[67] Ebenda, S.96f.
[68] Ebenda, S.142. Dort ist auch das Parteisignet abgebildet, das Johnson dem Autor 1988 aufzeichnete.
[69] Ebenda, S.147f.
[70] Nach Schulze (ebenda S.150) war Viola Bodenschatz mit dem deutschen Generalmajor Karl Bodenschatz verheiratet, "einer führenden Persönlichkeit im deutschen Ministerium für Luftfahrt" Sie wurde 1945 vom FBI als Agentin der deutschen Regierung überführt. .
[71] Ebenda, S.150f.
[72] Ebenda, S.153. Aus dem ersten Artikel vom 24. Juli 1939 zitiert Schulze dort beispielsweise: "Da es im (französischen) Staat an Führung und Leitung mangelte, hat jene Gruppe die Herrschaft an sich gerissen, die immer Macht gewinnt, wenn ein Volk schwach wird, nämlich die Juden."
[73] Ebenda, S.154.
[74] Vgl. John Jacobus, Philip Johnson. Architekten von heute. Bd.1, Ravensburg 1963, S. 24 und Abb. 72,74, 76-83
[75] Schulze 1996, S.269.
[76] Ebenda.
[77] Ebenda, S.270 und Jacobus 1963, S.24 und Abb.63-66.
[78] Ebenda, S.321ff. und Jacobus 1963, Abb.108-112.
[79] Vgl. dazu oben S.XXX .
[80] Von Moltke entfernte auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wegen Jugendgefährdung den Ausstellungsbeitrag der Gruppe "Kunst und Politik" aus der Ausstellung und stellte sie in einem für Kinder und Jugendliche unzugänglichen Dienstzimmer aus. Vgl. auch Jörg Boström, "Nach Bielefeld zum Ersten". Subjektiv:´68 und die Folgen. In Beaugrand 1996 (wie Anm.4), S. 105ff.
[81] Vor allem in Süddeutschland sind Partei- und Festbauten mehrfach in rotem Sandstein ausgeführt worden. Nach von Moltke 1993 (wie Anm. 28), S.27 war ursprünglich geplant, den Bau mit Granitplatten zu verkleiden. Wäre das ausgeführt worden, wäre die Nähe zu faschistischer Architektur durch das Material noch deutlicher zum Ausdruck gekommen.
[82] Vgl. Christian Welzbachers kurzen Hinweis auf Fuhrmeisters These, daß der Bielefelder Museumsbau "aufgrund der Doppelfunktion des Baus als Ausstellungshaus und Ehrenmal für die Gefallenen des Krieges s seiner Form nach mit Hünengräbern" zu vergleichen sei, in dem Bericht über die Tagung "Historismen der Moderne. Vergangenheit als Träger von Identität und Ideologie in der Architektur des 20. Jahrhunderts". In: Kritische Berichte 2, 2000 S.95/96.
[83] Vgl dazu auch Philipp Johnson, Volle Größe, falscher Maßstab. In: Philipp Johnson, Texte zur Architektur. Stuttgart 1982, S.162-164.