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ai-Journal Juli 2004

EIN BISSCHEN FOLTER

In mehreren europäischen Staaten wird das absolute Folterverbot aufgeweicht. In Italien soll eine Gesetzesänderung nun Gewaltanwendung auf „niedrigem” Niveau ermöglichen.

Folter und Misshandlungen kommen nicht nur im Krieg vor, und nicht nur britische oder US-Militärs reklamieren einen menschenrechtlichen Ausnahmezustand. Auch in einigen europäischen Ländern ist das Folterverbot nicht mehr selbstverständlich. So hat in Italien eine Abgeordnete der Regierungspartei Lega Nord kürzlich im Parlament eine weitreichende Gesetzesänderung eingebracht. Demnach soll nur noch mehrfaches Foltern verboten sein.

Der Antrag von Carolina Lussana sieht vor, dass die Verfolgung von Folter und Misshandlung im italienischen Strafgesetzbuch erschwert werden soll. In der ersten Lesung wurde das Gesetz Ende April mehrheitlich angenommen. Außerdem sah der Antrag sah vor, Misshandlungen und Drohungen als Tatbestand auszuschließen und die Strafe auf Folter zu beschränken. Dies wurde zwar abgelehnt, Lussana erreichte jedoch, dass nur noch die Zufügung von „schwerem” körperlichen oder seelischen Leid nach diesem Artikel bestraft werden kann. Besonders folgenreich ist ein weiterer Erfolg von Lussana: Nur wiederholte Folter oder Misshandlung sollen künftig geahndet werden.

Die Lega Nord-Abgeordnete forderte außerdem, das Zufügen psychischen Leidens aus der Definition von Folter auszuschließen. Als dieses Vorhaben nicht glückte, wollte sie die Folterung aus rassistischen, politischen, religiösen oder sexuellen Motiven aus der Definition streichen lassen. Als sie sich damit ebenfalls nicht durchsetzen konnte, versuchte sie, die Höchststrafe zuerst auf fünf, dann auf sieben Jahre herabzusetzen. In diesem Fall nützte alles Feilschen nichts: Es blieb bei zehn Jahren Höchststrafe.

Auch wenn unklar ist, ob diese Änderungen in den weiteren parlamentarischen Verhandlungen rechtswirksam werden, zeigen sie doch, dass eine Mehrheit der italienischen Abgeordneten offensichtlich bereit ist, das Folterverbot über Bord zu werfen. Wenn nur die wiederholte Folter strafbar ist, kann ein Opfer erlittene Misshandlung kaum mehr belegen. In der Praxis wird kaum zu beweisen sein, dass Verletzungen von wiederholten Folterhandlungen herrühren. Würde die Gesetzesänderung tatsächlich beschlossen, so verstieße sie, wie Marco Bertotto, Vorsitzender der italienischen Sektion von amnesty international, betonte, gegen die Antifolterkonvention der UNO, die von Italien ratifiziert wurde.

Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu schweren Verletzungen der Antifolterkonvention. So sollen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Havel in Brandenburg Inhaftierte über einen längeren Zeitraum misshandelt worden sein. Zwischen 2001 und 2004 gab es mehr als 80 Beschwerden. Die Ermittlungen wurden jedoch in allen Fällen eingestellt. Der Rechtsausschuss des Landtags von Brandenburg, an den sich ein Gefangener aus der JVA Havel gewandt hatte, nahm dessen Beschwerde nicht ernst. Man dürfe das nicht dramatisieren, meinte ein Abgeordneter des Ausschusses, bei solchen Meldungen sei es sehr schwierig einzuschätzen, wie wahr sie seien.

Die Realität sieht freilich anders aus. Wie die Redaktion „Klartext“ von Radio Berlin Brandenburg (RBB) berichtete, erlitt ein Russlanddeutscher am 13. Januar 2004 gegen 23 Uhr in der JVA Havel einen Herzinfarkt. Der Gefangene habe an seine Zellentür geklopft und wegen akuter Schmerzen in der linken Brust nach ärztlicher Hilfe verlangt. Wenig später, so berichtete der Gefangenen gegenüber „Klartext“, hörte er Schritte. „Ich habe zuerst gedacht, dass es der Arzt sei. Doch es waren maskierte Personen, zwei habe ich gesehen, mit Schilden und Gummiknüppeln. Ich bin mit dem Gesicht auf den Boden gefallen, sie haben mich mit dem Gummiknüppel geschlagen.” Danach wurde der Gefangene gefesselt in eine Isolierzelle gebracht. Erst am nächsten Tag wurde bei dem Gefangenen ein Infarkt diagnostiziert.

Nach dem Fernsehbericht wurden schließlich doch noch Ermittlungen aufgenommen. Mittlerweile sind gegen acht Gefängnisangestellte Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Der zuständige Gefängnisdirektor wurde entlassen.

In der Öffentlichkeit werden Vorkommnisse wie die in Brandenburg gerne als Einzelfälle betrachtet. Dabei wird leicht übersehen, dass es bundesweit zahlreiche Opfer von Misshandlungen gibt, ohne dass die Beamten in der Regel dafür bestraft werden, wie auch der Deutschlandbericht von ai belegt (ai-JOURNAL 2/2004). Nur ein Fall erregte in jüngster Vergangenheit besondere Aufmerksamkeit. Als Wolfgang Daschner, ehemaliger Polizeivizepräsident von Frankfurt am Main, Straffreiheit für Folter forderte, wenn dies zum Wohle eines Opfers erforderlich sei, erntete er damit viel Zuspruch.

Einen wenig zimperlichen Umgang mit dem Folterverbot propagiert auch der britische Innenminister David Blunkett. Er lässt Ausländer, die er als mutmaßliche Terroristen einstuft, ohne Gerichtsverfahren verhaften und zeitlich unbegrenzt in Hochsicherheitsgefängnissen einsitzen. Britische Anwälte wiesen darauf hin, dass als Grundlage für solche Haftentscheidungen auch Aussagen dienen können, die von Gefangenen in anderen Staaten unter Folter abgelegt wurden.

Auf die Kritik von amnesty international antwortete das britische Innenministerium im vergangenen Mai, dass eine „solche Behandlung“ vom Vereinigten Königreich zwar „nicht gebilligt“ werde. Sie spiegele vielmehr „nur den Ernst wider, der dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und der nationalen Sicherheit zukommt. Und die Regierung ist der Auffassung, dass sie ihre Pflicht verletzen würde, wenn wir nicht alle Informationen angemessen würdigen, die mit dem Krieg gegen den Terror in Zusammenhang stehen.” Demnach ist für den britischen Innenminister die Verwendung von unter Folter gemachten Aussagen also eine Pflicht, wenn es um die „nationale Sicherheit“ geht.

Georg Warning

Der Autor ist ai-Koordinator für das Aktionsnetz Westeuropa.

Missbrauch von Polizeigewalt

In dem neuen Jahresbericht 2004 von amnesty international werden auch europäische Länder kritisiert. Seit dem 11. September 2001 haben demnach unter anderem Spanien, Frankreich und Großbritannien „rückschrittliche“ Anti-Terror-Gesetze verabschiedet und Freiheiten eingeschränkt.

In Deutschland bemängelt der Bericht die Übergriffe durch Polizisten und forderte eine unabhängige Beschwerde- und Kontrollstelle. Ein bereits im Januar veröffentlichter ai-Bericht wies darauf hin, dass Missbrauch von Polizeigewalt ein strukturelles Problem darstellt, das unabhängiger Kontrolle bedarf. Auch das UNO-Menschenrechtskomitee hat Deutschland aufgefordert, eine solche Stelle einzurichten.

amnesty international

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