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Dienstag, 24. 02..2004
 
 

Verlebendigendes Erinnern an ein Netz von Freunden
Parallele Schicksale: Mariana Marin, Anemone Latzina, Rolf Bossert / Von Ernest Wichner

Diesen kurz nach dem Tod der Dichterin Mariana Marin (Anfang April 2003) entstandene Text richtete der Autor an Gregor Laschen, Literaturwissenschaftler und Dichter, der in Edenkoben (Deutschland) die Übersetzerwerkstatt "Poesie der Nachbarn" leitet. Vor einigen Jahren waren da u.a. auch Mariana Marin, Mircea Dinescu, Simona Popescu, Caius Dobrescu, Sorin Ghergut und Petre Stoica eingeladen.

Lieber Gregor,
nein, nichts Theoretisches, dafür, auch weil sie vor wenigen Tagen tot in ihrer Bukarester Wohnung aufgefunden wurde, sie hatte mit Freunden gefeiert und Musik gehört, und die Nachbarn, die dann irgendwann gegen morgen meinten, jetzt sei es genug, trommelten gegen die Tür, brachen sie schließlich auf und fanden Mariana Marin tot in der leeren Badewanne, deshalb, lieber Gregor, und weil unsere Freundin Mariana einer der Knotenpunkte in einem Netz von Freunden war, die nun auch schon tot sind, gestorben wie sie, lange vor der Zeit, will ich das Übersetzen in verlebendigendes Erinnern umdeuten und Dir Mariana Marins Gedicht "Punkt" ins Gedächtnis rufen:

Mariana Marin

Punkt
Anemone Latzina wünschte sich 1966
ein friedlicher, anständiger Koffer zu sein
verstaubt und braun.
Zwanzig Jahre später wünsche ich mir
in jenem Strick dort die Kehle zu sein.
Dazwischen, ja, gewiss, ist einiges geschehen.
Und ich war manchmal auch dabei.
Legte dann in jeder Nacht, die folgte
zur Aufbewahrung Ohnmacht und Stottern
die Hoffnung auf ein anderes Morgen
und alles, was noch einzusammeln mir gelang
in eine Art Koffer, friedlich, anständig
verstaubt und braun

was mir lebendig schien

unter den klobigen Stiefeln
dem Haufen Katastrophen.

Nie kam mir in den Sinn
eines Tages auch Rolf Bosserts Hirn
hineinlegen zu müssen
über meiner Jugend war es zerspellt
und hatte den Schlußpunkt ihr gesetzt.

Nun also muss ich Dir von Anemone Latzina erzählen, die ich als Gymnasiast in Temeswar im Jahre 1970 kennengelernt habe. Eine damals achtundzwanzigjährige schöne Frau. Eine Dichterin in Jeans und schwarzem Rollkragenpullover mit kurzen dunklen Haaren, einer tiefen, unglaublich sinnlichen Stimme, dunklen Augen, mit existenzialistischem Furor rauchend und Wodka trinkend, schnoddrig sprechend und gescheit. Für mich und meinesgleichen verkörperte sie die große, freie, selbstbewusste Welt: Schönheit, Leidenschaft, Poesie und Verstand. Ganz sie selbst, hatte sie auch etwas von der jungen Jeanne Moreau, konnte sie so herzzerreißend leidenschaftlich und ironisch sprechen, dass es klang, als sänge Jannis Joplin: "Bücher, Bücher und die Beatles", lautet eine Gedichtzeile ihres Alphabetgedichts "Was es noch Gutes gibt in unserer besseren Welt von A bis Z", die Joplin hätte diese Zeile singen können. In Anemone Latzinas 1971 erschienenem Gedichtband "Was man heute so dichten kann" findest Du das Gedicht "Manchmal" und den Koffer, der dann in Mariana Marins Gedicht landete:

Anemone Latzina

Manchmal
Manchmal möchte ich ein Koffer sein
und verstaubt in einer Ecke stehn.
Unberührt könnte ich dann
mir die Welt ansehn.
Mit der Wohnung fing' es an,
wo der Mann die Frau betrügt
und die Frau den Mann.
Und ich wäre braun und ohne Sorgen,
ließe gerne mich dem Nachbarn borgen,
wüsste nichts von dem Alleinesein.
Und man würde mich in Ferien führen,
an die See und in die Berge dann und wann,
und vielleicht bliebe ich manchmal liegen,
kofferruhig und vergessen in der Eisenbahn,
und ich würde lange von dem Urlaub träumen,
ließe mich voll alte Kleider räumen,
und ich käme wieder auf den Schrank,
und ich wäre niemals krank.

Anemone Latzina, eine Liebende, hat sich erfolgreich dagegen gewehrt, das Dichten zum Beruf zu machen. Sie schrieb Gedichte, wenn ihr das Leben zu entgleiten drohte. Als Redakteurin einer deutschsprachigen Literaturzeitschrift in Bukarest hat sie übersetzt, redigiert und andere Autoren mit Wissen und Zuneigung gefördert. Und sie hat die revolutionären Träume ihrer frühen Jahre mit hellstem Verstand scheitern sehen. Ihr Gedicht "11. September 1973", kurz nach dem Tag geschrieben, an dem die Pinochet-Bande Salvador Allende erschossen hatte, bezeichnet auch für die Person Anemone Latzina einen, nein, den definitiven Bruch: plötzlich war eine Weise des neuen, hoffnungsgetragenen In-der-Welt-Seins abgebrochen, war der Chilenische Frühling ebenso zerstört wie etliche Jahre zuvor der Prager. Die Katastrophengeschichte des vergangen geglaubten Jahrhunderts hatte uns eingeholt und mit einer Wirklichkeit vertraut gemacht, deren Macht durch unsere Poesien, Lieder und Umgangsformen nicht zu beeindrucken war. "Wer wird der nächste sein?" hieß für uns in Rumänien natürlich auch, wer wird der nächste unserer Freunde sein, den das Regime, unter dem wir lebten, sich zum Opfer wählt.

Anemone Latzina

11. September 1973
Es fällt so schön auseinander,
Tag für Nacht und Nacht für Tag.
Wie blüht eigentlich Oleander?
Und es hilft auch nicht mehr, dass ich's sag.

Uns trennen im Bett die Toten,
uns trennt auch am Tisch der Wein,
vorbei die Tage, die roten
allein ist nicht mehr allein.

Sie war so schön unsre Liebe,
war es ein Mittwoch oder war es August?
Unsere Freunde sind weggegangen,
es geschieht, was nicht sein muss.

Auch diese Revolution ist zu Ende,
Chile nur noch ein Remember,
tot ist Salvador Allende.
War es ein Dienstag oder war es September?

Und wenn wir auch aufbegehren,
uns sträuben und wehren und schrein,
es fällt so schön auseinander.
Wer wird der nächste sein?

Nach dem Weggang all ihrer Freunde lebte Anemone Latzina zu Beginn der 90er Jahre zurückgezogen in einem kleinen Häuschen in Bukarest. Bei einem Besorgungsgang in die Stadt ist sie 1993 von einer Straßenbahn erfasst worden und tödlich verunglückt. In ihren letzten Lebensjahren hatte sie Sonette als Briefe an einen nach Deutschland ausgewanderten Geliebten geschrieben, die jenseits ihrer klassischen Meisterschaft, jenseits von Melancholie und Schmerz eine Authentizität des Empfindens künstlerisch herzustellen wissen, die einen an Petrarca und Shakespeare erinnert. Doch da wären wir wieder beim Übersetzen, wohingegen ich Dir noch von Rolf Bossert etwas erzählen muss. Von dem jungen, rothaarigen Burschen aus dem Banater Bergland, besser gesagt, aus der kleinen, von eingewanderten Böhmen begründeten "Eisenhüttenstatt" Reschitza, wo Rolf 1952 in kleinen Verhältnissen in den rumänischen Nachkriegssozialismus hineingeboren wurde. Als ich ihn kennenlernte, waren wir beide Gymnasiasten, die ihre ersten Gedichte geschrieben hatten, Rilke und Benn und Brecht und Artmann lasen und meinten, mit ein bisschen kritischer Theorie - in der milderen, der Benjamin-Variante - ließe sich auch der malade rumänische Sozialismus zur Menschenfreundlichkeit hin therapieren. Rolf wollte zwar vorübergehend noch Höhlenforscher werden, doch schon bald darauf landete er mit seinem hellen und prächtig rot leuchtenden Kopf bei der Germanistik der Bukarester Universität und war fortan Dichter. In Mariana Marins Gedichten kommt Rolf Bossert häufiger vor. Mariana Marin, die junge rumänische Dichterin, und der wenige Jahre ältere deutschsprachige Dichter haben sich sehr wahrscheinlich zu Beginn der 80er Jahre in Bukarest kennengelernt, und ihre Beziehung mag zeitweilig mehr als Bekanntschaft oder Dichterfreundschaft gewesen sein. Als solche aber hat sie Mariana Marin Zugang zu den jüngeren rumäniendeutschen Dichtern (Richard Wagner, Herta Müller, Klaus Hensel, Werner Söllner) und zu deren im Vergleich mit ihren rumänischen Generationskollegen dezidiert politischen Poetologien ermöglicht. "Ohne sie - meine jungen rumäniendeutschen Freunde / würde das Subjekt immer noch an den Fingern / der Realität lutschen. / Tumb und vor dem eigenen Schatten erschrocken, / würde es nie begreifen, warum denn die Poesie / Metzgergeruch und die Miasmen der Sektionssäle ausströmte", bekennt Mariana Marin in ihrem Gedicht "Ohne sie", das ebenfalls mit einer Erinnerung an Rolf Bossert endet: "Die aufblühende Sprache des Toten, / den ich erst gestern in den Armen hielt, / wäre wahrscheinlich niemals / wirklich mein eigenes Leben geworden - wie jetzt." Denn der tote mit der aufblühenden Sprache ist niemand anderes als Rolf Bossert, der Autor zweier schmalen Gedichtbände, die 1979 ("siebensachen") und 1984 ("neuntöter") in Rumänien erschienen waren und die schärfsten, bösesten und heitersten Urteile über die Diktatur enthielten; darüber hinaus gaben sie zu erkennen, wie tief die geistige und seelische Verstümmelung jedes Einzelnen auch in das sprechende Subjekt vorgedrungen war. Allmählich hatten Innen und Außen ihre distinkten Konturen verloren, der Pesthauch der Diktatur war in Rolf Bosserts Leben und Schreiben eingesickert und hatte begonnen, die Lebensenergie des Dichters zu zersetzen. Noch entstanden Gedichte, chiffrierte Bestandsaufnahmen aus dem beschädigten Leben, wütende Aufschreie gegen die geistlosen Zumutungen und Drangsale, die durch politische Aufklärungsdiskurse nicht mehr zu fassen waren. Eisern war der Himmel dem Dichter geworden. Der hatte die Ausreise aus dem Land beantragt, in dem gedungene Schläger ihn straflos krankenhausreif prügeln durften, die Securitate in seinen Manuskripten wühlte, und man anscheinend alles tat, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die schwarze Fahne flatterte ihm zwar noch hie und da durch eine Gedichtzeile, doch war auch sie ihres spielerisch-anarchistischen Charakters entkleidet, ein Trauertuch, zerschlissener Fetzen der Resignation; der lange Atem hatte sich in den Verwesungsgestank der Aufmärsche und Paraden verwandelt:

Rolf Bossert

Langer Atem
Vor den Menschen sterben die Farben,
der Krebs tastet sich vor in die Uhr.
So schreite ich in die Eulenflucht,
hinter mir beißt Zement in den Klee.

Diese Häuser stehn immer noch.

Doch meine Gesten wie Blumentiere, sie
fallen hinter das zeitungsgewohnte Aug.
Und der Freundin Gesicht liegt naß
im Atem von toten Paraden.

Im Dezember 1985 war Rolf Bossert mit seiner Familie nach Deutschland ausgewandert. Kaum zwei Monate später, am Morgen des 17. Februar 1986, fand man ihn mit zertrümmertem Schädel tot vor dem Aussiedlerwohnheim in Frankfurt a.M.; er hatte sich im zweiten Stock aus dem Fenster gestürzt. Und es ist mehr denn legitim, seine letzten Gedichte auch als Ankündigungen eines solchen Todes zu lesen:

Rolf Bossert

Würfel, gebrochenes Aug
Wir schliffen uns die Sohlen
wund im heißen Brei. Im
Mund ein eignes Flüstern:
Johlt der Henker?
Hol's der Grenzer: Glüht
das Land wir schlagen
übern Rand hinaus


Bücher aus dem ADZ Verlag

* "Deutsches Jahrbuch für Rumänien 2004" ADZ Verlag, ISBN 973-8384-22-2, 10 Euro

* Joachim Wittstock: "Bestätigt und besiegelt. Roman in vier Jahreszeiten", ADZ Verlag Bukarest 2003, ISBN 973-8384-14-1, 10 Euro

* Franz Metz: "Eine Reise in den Orient. Johann Strauss und seine Konzerte im Banat, in Siebenbürgen und in der Walachei", ADZ Verlag Bukarest, Edition Musik Südost Hechingen 1999, ISBN 973-98318-7-7, 5 Euro

* Franz Metz: "O calatorie spre Orient", Johann Strauss si concertele sale în Banat, Transilvania si Tara Romaneasca, Traducere de Ozana Alexandrescu, Editura ADZ, Bucuresti 2003, ISBN 973-8384-16-8, 5 Euro

* Klaus Kessler: "Eburnum für Siebenbürgen", ADZ Verlag Bukarest 2003, ISBN 973-8384-13-3, 5 Euro

* Erwin Wittstock: "Januar '45 oder die höhere Pflicht", Roman, ADZ Verlag Bukarest 2002, Zweite Auflage, ISBN 973-8384-02-8, 10 Euro

* Hans Liebhardt: "Deutsche in Bukarest". Zwei-drei Jahrhunderte erlebter Geschichte". ADZ Verlag Bukarest 2003, ISBN 973-8384-20-6, 6 Euro

* Dr. theol. Franz Kräuter: "Erinnerungen an den ersten Bischof von Temeswar Dr. h.c. Augustin Pacha (1870 - 1954). Ein Stück Banater Heimatgeschichte". ADZ Verlag 1995, ISBN 973-96022-5-8, 7 Euro

Die Bücher können im Verlag gekauft oder bestellt werden: "Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien", Piata Presei Libere 1, 013701 Bucuresti, Tel.: 021-222.85.37; Fax: 021-224.36.59; E-Mail: adz@dnt.ro Die Versandkosten ins europäische Ausland sind im Preis inbegriffen.

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