Verbrechen und Terror in Nordkorea

 von Pierre Rigoulot

Pierre Rigoulot ist Mitarbeiter der IGFM-Frankreich und international anerkannter Fachmann für die Situation in Nordkorea. Der nachfolgende Beitrag entstand im Jahr 1998 und ist unverändert aktuell. Er wurde zuerst abgedruckt in:

Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror.

Stephane Courtois, Nicolas Werth, Jean-Louis Panne. Gebundene Ausgabe - 987 Seiten (1998) Piper, München; ISBN: 3492040535. Preis: DM 68,00

1. Vor der Gründung des kommunistischen Staates

8.Die Überwachung der Bevölkerung

2. Opfer des bewaffneten Kampfes

9. Versuch eines intellektuellen Genozids?

3. Kommunistische Opfer der nordkoreanischen Staatspartei

10. Eine starre Hierarchie

4. Nummer 14

11.Flucht

5. Die Hinrichtungen

12. Außerhalb des Regimes, Außerhalb der Landesgrenzen

6. Gefängnisse und Lager

13. Hunger und Mangel

14. Fazit

Die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) wurde am 9. September 1948 in dem nördlich des 38. Breitengrades gelegenen Teil des Landes proklamiert. Nach einem im August 1945 mit den Amerikanern geschlossenen Abkommen war die UdSSR mit der »vorübergehenden« Verwaltung dieses Gebiets beauftragt worden, die Amerikaner verwalteten Südkorea, das Gebiet südlich des 38. Breitengrades.

Kurze Zeit später erwies sich Nordkorea als der am stärksten abgeschirmte kommunistische Staat der Welt. Die Sowjets verwehrten schon bald jedem Vertreter der internationalen Staatengemeinschaft den Zugang in den Norden. Die Abschottung verstärkte sich weiter in den ersten beiden Jahren nach Gründung der DVRK.

Der Krieg, den Nordkorea am 25. Juni 1950 auslöste und der immer noch nicht offiziell beendet ist, da es bis heute nur den am 27. Juli 1953 mit den UNO-Truppen unterzeichneten Waffenstillstandsvertrag gibt, förderte Lügen, Desinformation und Propaganda und die Deklaration immer weiterer Bereiche als »Staatsgeheimnis«.

Allerdings war der Krieg nicht die einzige Ursache: Die Kompromißlosigkeit des kommunistischen Regimes in Nordkorea, das sich selbst innerhalb der kommunistischen Welt abschottete (im chinesisch-sowjetischen Konflikt lavierten die nordkoreanischen Kommunisten und schlugen sich nie ganz oder für längere Zeit auf eine Seite) und die an Albanien oder Kambodscha erinnernde Furcht davor, Einflüsse von außen könnten die »ideologische Einheit des Volkes und der Partei« untergraben, geben denjenigen Recht, die Nordkorea als »Eremitenkönigreich« bezeichnen. Man versuchte sogar eine theoretische Rechtfertigung der Abschottung mit der sogenannten »Juche«-(oder Chuche)-Ideologie, das heißt Eigenständigkeit, Unabhängigkeit bis hin zur Autarkie; auf dem V. Parteitag der »Partei der Arbeit Koreas« im November 1970 wurde dieses Konzept offiziell in den Parteistatuten verankert.

Angesichts dieser Umstände ist es im Falle Nordkorea sehr viel schwieriger als bei den anderen Ländern, umfassende und detaillierte Informationen über die Unterdrückungspraxis des kommunistischen Regimes zusammenzutragen, zumal sich weder innerhalb noch außerhalb des Landes eine aktive Opposition bilden konnte, die wie die Opposition in der UdSSR und in den kommunistischen Staaten Osteuropas Informationen hätte sammeln und verbreiten können. Wir müssen uns deshalb mit der Deutung und Entzifferung offizieller Verlautbarungen zufriedengeben, mit den Aussagen der frü- her seltenen, in letzter Zeit allerdings etwas zahlreicheren Überläufern, sowie mit Daten, welche die Geheimdienste der Nachbarstaaten und insbesondere Südkoreas gesammelt haben. Für all diese Quellen gilt freilich, daß sie mit Vorsicht zu betrachten sind.

 

Vor der Gründung des kommunistischen Staates

Der koreanische Kommunismus wurde nicht von Kim II Sung begründet, auch wenn die Hagiographen dies der nordkoreanischen Bevölkerung von klein auf eintrichtern. Sein Ursprung reicht vielmehr weiter zurück, und bereits 1919 existierten zwei Gruppen, die sich auf den Bolschewismus beriefen. Da Moskau zunächst weder der einen noch der anderen Gruppe seinen Segen gab, bekämpften sie sich erbittert. Die ersten Opfer des koreanischen Kommunismus waren somit Kommunisten. Anti-japanische Partisanen der »panrussischen koreanischen kommunistischen Partei«, die sogenannte »Gruppe von Irkutsk«, lieferten sich bewaffnete Auseinandersetzungen mit Partisanen einer anderen Gruppe, die im Juni 1921 eine »koreanische kommunistische Partei« gegründet hatte. Dabei verloren mehrere hundert Kämpfer ihr Leben, und die Komintern sah sich schließlich gezwungen, ihr Stillschweigen aufzugeben und zu versuchen, die koreanische kommunistische Bewegung zu einen.

Die koreanischen Kommunisten kämpften vielfach in vorderster Front gegen die Japaner (an dieser Stelle sei daran erinnert, daß Korea seit 1910 japanische Kolonie war), zahlreiche Kommunisten fielen der grausamen Unterdrückung durch die Kolonialmacht zum Opfer. Allerdings muß man den koreanischen Kommunisten eine gewisse Mitschuld daran zusprechen: Ihre im Ausland geschulten Kader kannten das Land schlecht, und vielleicht aus Heldenmut - der allerdings furchtbare Folgen hatte -demonstrierten sie an symbolträchtigen Tagen wie dem 1. Mai.

Weitere Kommnisten starben bei Fraktionskämpfen anläßlich der Teilung des Landes in zwei Zonen nach der Niederlage der Japaner. Kim Il Sung, einfacher Befehlshaber einer antijapanischen Guerillaeinheit an den Grenzen zur Mandschurei, wurde von den Sowjets an die Spitze gehievt, vorbei an den Kommunisten, die schon lange im Land kämpften. Ab September 1945 wurden in Pjongjang etliche kommunistische Funktionäre, die Gegner Kim II Sungs waren, ermordet, darunter Hyon Chun Hyok. Bis heute weiß niemand, wie viele Menschen damals starben, ob es womöglich mehrere hundert waren.

Die Nationalisten, die in jenem Winter 1945/46 in Pjongjang auch noch Heimatrecht hatten, wurden ebenfalls verjagt und festgenommen. Mit ihrem Führer Cho Man Sik an der Spitze kritisierten sie die auf der Moskauer Außenministerkonferenz im Dezember 1945 getroffene Entscheidung, Korea für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren unter Treuhänderschaft zu stellen. Cho wurde am 5. Januar 1946 festgenommen und mehr als vier Jahre später, im Oktober 1950, hingerichtet als Pjongjang angesichts des Vormarsches der UN-Truppen evakuiert wurde. Es versteht sich von selbst, daß etliche seiner engen politischen Freunde sein Los teilten.

Die Repression traf auch die Bevölkerung. Im Nordteil des Landes formten die Sowjets einen Staat, der bis in die Einzelheiten dem Modell Sowjetunion glich: Durchführung einer Agrarreform als Vorbereitung zur Kollektivierung der Landwirtschaft, Einheitspartei, ideologische Kontrolle der Bevölkerung durch Massenorganisationen usw. Jeder politische Gegner, jeder Landbesitzer, jeder, der sich der Agrarreform widersetzte, jeder Bürger, der im Verdacht stand, mit den Japanern kollaboriert zu haben, wurde verfolgt. Gleichwohl ist es schwierig, die Opfer einer Säuberung, die unter den Nationalisten mit anderen Vorzeichen wohl genauso hart ausgefallen wäre, allein auf das Konto der Kommunisten zu verbuchen. Im übrigen führte die Etablierung des Regimes zunächst weniger zu blutigen Exzessen als zur Massenflucht in den Süden; zu Hunderttausenden verließen die Angehörigen der genannten sozialen Schichten und alle, die um ihr Leben und ihr Eigentum fürchteten, den Norden. Zwar blieb der Norden schon sehr bald für Vertreter offizieller internationaler Organisationen und Vertreter von Institutionen aus dem Süden verschlossen, doch bis 1948 konnte man mehr oder weniger leicht vom Norden in den Süden gelangen.

 

 

Opfer des bewaffneten Kampfes

Daß diese Fluchtbewegung möglich war in den ersten drei Jahren der Existenz eines kommunistischen Herrschaftsgebildes, das noch keinen Staat darstellte, bedeutet nicht, daß die kommunistischen Führer das Ziel, kommunistische Strukturen auf der gesamten Halbinsel durchzusetzen, aufgegeben hätten. Sie gingen tatsächlich von der baldigen Vereinigung des Nord- und Südteils zu ihren Bedingungen aus. Dokumente in seit kurzem zugänglichen Moskauer Archiven zeigen, daß Kim Il Sung darauf brannte, jene Führung zu stürzen, die er bereits als »Marionetten« der Amerikaner be-zeichnete: Die sogenannten Marionetten hatten eine sehr viel schwächere Armee als der Norden (die Vereinigten Staaten fürchteten, daß der Süder sich aus eigenem Antrieb in ein Abenteuer im Norden stürzen könnte), gegen ihre autoritäre Machtausübung gab es Widerstand in Form von Streiks Attentaten und von Kommunisten geschürten Guerillaaktivitäten in verschiedenen Teilen des Landes; Kim II Sung dachte -oder sagte es zumindest-, daß die Menschen im Süden Vertrauen zu ihm und seiner Armee hätten.324 Dementsprechend drängte er Stalin, und Ende des Winters 1949/50 gab Stalin dann endlich grünes Licht. Am 25. Juni 1950 fand der geplante Einmarsch statt: Nordkoreanische Truppen drangen in einem Überraschungsangriff nach Süden vor. Dies war der Beginn eines schrecklichen Krieges, dem mehr als eine halbe Million Menschen beider Landesteile zum Opfer fielen; die Chinesen, die den Nordkoreanern zu Hilfe gekommen waren, als deren totale Vernichtung durch die UNO- Truppen unter General MacArthur drohte, verzeichneten 400.000 Tote und eine etwas höhere Zahl von Verletzten. Mindestens 200.000 nordkoreanische und 50.000 südkoreanische Soldaten starben, außerdem mehr als 50.000 Amerikaner, Millionen heimatloser Flüchtlinge irrten umher. Das französische UNO-Kontingent hatte etwa 300 Tote und 800 Verwundete zu beklagen.

Nur wenige Kriege lassen sich so eindeutig auf kommunistisches Expansionsstreben - selbstverständlich zum Wohle des Volkes zurückführen. Seinerzeit stellten sich etliche französische Intellektuelle - Jean-Paul Sartre beispielsweise - auf die Seite der Kommunisten und brandmarkten Südkorea als Aggressor, der in ein friedliches Land eingedrungen sei. Heute, nachdem viele Archive zugänglich geworden sind, kann es keinen Zweifel mehr geben: Diese und andere Leiden, etwa die Leiden der Kriegsgefangenen (6.000 amerikanische Soldaten und ungefähr ebenso viele aus anderen Ländern, vorwiegend aus Südkorea, starben in Gefangenschaft), das Martyrium der französischen und englischen Botschaftsangehörigen, die in Seoul geblieben waren und von nordkoreanischen Truppen festgenommen und anschließend deportiert wurden, und dasjenige der in Südkorea tätigen Missionare, die ebenfalls deportiert wurden, gehen auf das Konto des Kommunismus.

Bekanntlich wurde nach drei Jahren Krieg im Juli 1953 ein Waffenstillstand unterzeichnet, der die Errichtung einer entmilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südteil des Landes entlang der ursprünglichen Demarkationslinie, dem 38. Breitengrad, vorsah. Bei etlichen Vorstößen und Angriffen Nordkoreas gegen den Süden starben in der Folgezeit zahlreiche Opfer. Unter den Schlägen, die der Norden dem Süden zufügte und die sich sowohl gegen Militärangehörige wie gegen die Zivilbevölkerung richteten, sind der Angriff eines 31 Mann starken Kommandos im Jahr 1968 auf den Präsidentenpalast in Südkorea zu nennen (nur ein Angreifer überlebte), der Anschlag im birmanischen Rangun am 9. Oktober 1983 auf Mitglieder SeouIer Regierung - 16, Tote, darunter vier südkoreanische Minister und die Explosion eines Verkehrsflugzeugs der Korea Air Line am 29. November 1987 in der Luft, bei der 115 Passagiere starben.

Nordkorea ist nicht tatverdächtig - es ist schuldig. Eine in nordkoreanischen Diensten stehende Terroristin sagte nach ihrer Festnahme, bei dem Anschlag 1987 sei es darum gegangen, durch die Demonstration, daß der Süden nicht in der Lage sei, die Sicherheit der Olympischen Spiele zu gewährleisten, die wenige Monate später in Seoul stattfinden sollten, das internationale Ansehen des Landes zu beschädigen.1

Fügen wir, da es hier um den Krieg gegen die gesamte kapitalistische Welt geht, noch hinzu, daß Nordkorea in den sechziger und siebziger Jahren unterschiedlichen terroristischen Gruppen Zuflucht gewährte, insbesondere der japanischen Roten Armee, die sich durch Attentate in Israel hervorgetan hatte, palästinensischen Fedajin, philippinischen Guerilleros usw.

 

Kommunistische Opfer der nordkoreanischen Staatspartei

Wie erinnerlich, ging es Chruschtschow in seinem berühmten Bericht in erster Linie darum, die Verbrechen Stalins an Kommunisten aufzudecken. Auch in Nordkorea ist die Liste der Opfer von Säuberungen innerhalb der Partei der Arbeit lang. Man hat nachgerechnet, daß von den 22 Mitgliedern der ersten nordkoreanischen Regierung 17 ermordet, exekutiert oder durch Säuberungen ausgeschaltet wurden!2

Unmittelbar nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes von Panmunjon fielen eine Reihe hochrangiger Funktionäre einer Säuberung in der nordkoreanischen Partei zum Opfer. Am 3. August 1953 wurde bei einem »großen Prozeß« ein Schlag gegen Kommunisten »aus dem Inneren« geführt, sie wurden verurteilt wegen Spionage für die Amerikaner und Bestrebungen zum Sturz der Regierung. Tibor Meray, ein ungarischer Journalist und Schriftsteller, wohnte dem Prozeß bei. Er kannte einen der Angeklagten, Sol lang Sik. Dieser war stellvertretender Dolmetscher der nordkoreanischen Delegation bei den Verhandlungen von Kaesong im Juli/August 1951, schrieb Gedichte und hatte Shakespeare ins Koreanische übersetzt.

 

Nummer 14

"Jedem Angeklagten war eine große Nummer auf den Rücken seiner Jacke genäht. Der wichtigste Angeklagte hatte die Nummer 1, ihrer Bedeutung nach waren sie durchnumeriert bis zur Nummer 14. Die Nummer 14 war Sol Jang Sik.

Ich erkannte ihn kaum wieder. Sein schönes, einst so ausdrucksvolles Gesicht war leblos, von Erschöpfung und Resignation gezeichnet. Seine dunklen und nur ein wenig schrägen Augen hatten ihren Glanz verloren. Er bewegte sich wie ein Roboter. Viele Jahre später erfuhr ich, daß die Angeklagten einige Wochen vor ihrem Erscheinen [beim Prozeß] besonders gut verpflegt wurden, damit sie nach dem Leiden und der Folter wieder besser aussahen. Wenn ein Prozeß öffentlich geführt wurde, bemühten sich die Behörden, dem Publikum und vor allem den Vertretern der westlichen Presse den Eindruck zu vermitteIn, daß die Häftlinge bei guter Gesundheit wären, wohlgenährt, körperlich und geistig fit. Diesen Prozeß in Korea verfolgten keine westlichen Korrespondenten, es waren nur Vertreter der Sowjetpresse und anderer kommunistischer Zeitungen zugegen; das einzige Ziel war offensichtlich, ihre Schuld zu demonstrieren, diese Menschen zu demütigen, die einst mehr oder weniger wichtige Persönlichkeiten gewesen und heute nur noch Angeklagte waren.

Abgesehen davon verlief der Prozeß sehr ähnlich wie die verschiedenen politischen Prozesse in Ungarn, der Tschechoslowakei und Bulgarien. Ich war erschüttert, als ich Sol so sah, und es wurde so summarisch übersetzt, daß ich mich kaum an den genauen Inhalt der Anklage erinnern kann (ich hoffte nur, daß Sol mich nicht sehen konnte, und ich denke, daß er es nicht konnte, weil der Saal sehr voll war). Soweit ich mich erinnere, war von Verschwörung gegen die koreanische Volksdemokratie die Rede und von einem Komplott zur Ermordung Kim II Sungs, des vielgeliebten Führers der Nation. Die Angeklagten hätten zur alten feudalen Ordnung zurückkehren wollen.

Zudem hätten sie Nordkorea Syngman Rhee ausliefern wollen, und darüber hinaus hätten sie für die amerikanischen Imperialisten und die von ihnen bezahlten Agenten spioniert" 3

 

Unter den Angeklagten waren nicht wenige hochrangige Funktionäre - unter anderen Li Sung Yop, Sekretär des Zentralkomitees der kommunistischen Partei, Paik Hyung Bok aus dem Innenministerium, und Cho II Myung, stellvertretender Minister fur Kultur und Propaganda. Sol war in dieser Gruppe eher ein kleiner Fisch. Viele kamen aus dem Süden des Landes.

Außenminister Pak Hon Yong, ein Kommunist, der schon vor vielen Jahren im Land gekämpft hatte, wurde am 15. Dezember 1955 als »amerikanischer Geheimagent« zum Tode verurteilt und drei Tage später hingerichtet. Weitere Hinrichtungen folgten 1956, angefangen mit Mu Chong, einem Vertreter der sogenannten »Yenan-Gruppe«, ehemals General der VIII. chinesischen Feldarmee, Befehlshaber der nordkoreanischen Artillerie und später, im Krieg gegen den Süden und die UNO, Stabschef im Generalhauptquar- tier der vereinigten Streitkräfte von China und Nordkorea. Weitere Säuberungen richteten sich im März 1958 gegen Kader mit Verbindungen zu den Sowjets wie Ho Kai und wiederum gegen Kader der sogenannten Yenan-Fraktion, die mit den Chinesen verbunden waren, wie Kim Du Bong, und, parallel dazu, gegen Funktionäre, die Chruschtschows Reformen aufgeschlossen gegenüberstanden. Neue Säuberungswellen ereigneten sich in den Jahren 1960,1967 (damals kam Kim Kwang Hyup, Sekretär des Parteisekretariats, in ein Lager), 1969 ( das bekannteste Opfer war der mit der Durchführung von Geheimoperationen gegen den Süden beauftragte Hu Hak Bong, aber auch die 80 verschwundenen Studenten vom Revolutionsinstitut für Fremdsprachen in Pjongjang dürfen nicht vergessen werden), 1972 (Pak Kum Chul, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident und Mitglied des Politbüros, wurde in ein Lager eingewiesen), 1977 (Li Yong Mu, ehemals Mitglied des Politbüros, wurde gleichfalls in ein Lager geschickt; auch bei dieser Säuberung verschwanden wieder etliche Studenten, Söhne von Kadern, die in die Schußlinie geraten waren), 1978, 1980 usw..

Tatsächlich sind diese Säuberungen keine in unregeImäßigen Abständen zu beobachtende Ausnahmeerscheinungen, sondern ein strukturelles Phänomen. Noch in allerjüngster Zeit, zu Beginn des Jahres 1997, konnte eine gegen Armeeoffiziere und Parteikader mit reformerischen Anwandlungen, an der Spitze Ministerpräsident Kang Song San, gerichtete Säuberung erfolgen. Nach Aussagen von Überläufern werden jedesmal, wenn Spannungen auftreten, weil der Bevölkerung weitere materielle Entbehrungen auferlegt werden, einige kommunistische Funktionäre als Sündenböcke ausgewählt, ins Gefängnis geworfen, in ein Lager geschickt oder hingerichtet. Damit soll verhindert werden, daß der Unmut sich gegen die Spitze der Macht richtet.

 

Die Hinrichtungen

Es gibt keine Angaben über die Zahl der Hinrichtungen, aber ein Blick in das nordkoreanische Strafgesetzbuch liefert immerhin einen Anhaltspunkt: Die Todesstrafe steht auf nicht weniger als 47 Straftaten, die zu folgenden Kategorien zusammengefaßt werden können:

-Verbrechen gegen die staatliche Souveränität;

- Verbrechen gegen die staatliche Verwaltung, Verbrechen gegen Staatsei gentum;

Kang Koo Chin, der für die sechziger und siebziger Jahre beste Kenner des nordkoreanischen Rechtssystems, hat eine Schätzung nur im Hinblick auf die Säuberungen innerhalb der Partei für den Zeitraum der besonders brutalen Repression 1958-1960 versucht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß etwa 9.000 Personen aus der Partei ausgeschlossen, abgeurteilt und zum Tode verurteilt worden seien! Wenn man diese durchaus ernstzunehmende Schätzung für alle bekannten großen Säuberungen (etwa zehn) hochrechnet, ergibt dies die beachtliche Zahl von 90.000 Exekutionen. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß es sich nur um eine Größenordnung handelt: Die Archive in Pjongjang werden später genauer Auskunft geben.

Überläufer berichten von öffentlichen Hinrichtungen von Angehörigen der »Zivil«-Bevölkerung, die Anklagen lauteten auf »Prostitution«, »Verrat«, Mord, Vergewaltigung, »Aufruhr« ... Die Zuschauer wurden zur Unterstützung aufgefordert und begleiteten die Vollstreckung des Urteils mit Schreien, Beleidigungen, auch mit Steinwürfen. Manchmal stachelte man die Menge regelrecht zur Lynchjustiz auf, und der Verurteilte wurde zu Tode geprügelt, während die Menschen Parolen riefen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse spielt bei Hinrichtungen eine große Rolle. Zwei Zeugen bestätigten gegenüber Mitarbeitern von Asia Watch, daß Vergewaltigung nur dann mit dem Tode bestraft wird, wenn die Täter den »untersten Kategorien« angehören.

Richter als Befehlsempfänger der Partei - von Anfang an werden sie dazu angehalten, strikt im Einklang mit der marxistisch-leninistischen Rechtsauffassung zu urteilen -, Entscheidungen über Haft und Hinrichtung, die nicht immer in Prozessen fallen -raschere Verfahren werden durchaus praktiziert -, Anwälte als Befehlsempfänger der Partei: all dies vermittelt einen Eindruck von der Natur des nordkoreanischen Justizwesens.

 

Gefängnisse und Lager

Li Sun Ok war Mitglied der Partei der Arbeit, ihr unterstand eine ausschließlich Kadern vorbehaltene Versorgungseinrichtung. Sie fiel einer der ersten regelmäßigen Säuberungen zum Opfer und wurde zusammen mit anderen Genossen verhaftet. Nach schweren Folterungen mit Wasser und Strom, nach Schlägen und Schlafentzug gab sie schließlich alles zu, was man von ihr verlangte, und gestand insbesondere, daß sie Staatseigentum entwendet habe; daraufhin wurde sie zu dreizehn Jahren Gefängnis verurteilt. Und es handelte sich wirklich um eine Gefängnisstrafe, auch wenn der Begriff »Gefängnis« offiziell nicht gebraucht wird. 6.000 Häftlinge, darunter 2.000 Frau- en, arbeiteten in der Haftanstalt wie Tiere, von halb sechs Uhr morgens bis Mittemacht, sie stellten Pantoffeln her, Revolvertaschen, Handtaschen, Gürtel, Zünder für Sprengkörper, künstliche Blumen. Schwangere Gefangene wurden zu brutalen Abtreibungen gezwungen. Wenn doch ein Kind im Gefängnis zur Welt kam, wurde es unweigerlich erwürgt oder erdrosselt.4

Schon früher hatten Zeugen von außerordentlich harten Haftbedingungen berichtet. Eine einzigartige Schilderung des Lebens hinter nordkoreanischen Gefängnismauern in den sechziger und siebziger Jahren verdanken wir Ali Lameda, einem kommunistischen Dichter aus Venezuela, der dem nordkoreanischen Regime positiv gegenüberstand und ins Land gekommen war, um offizielle Propagandatexte zu übersetzen. Nachdem er vorsichtige Zweifel an der Wirksamkeit der Propaganda angemeldet hatte, wurde er 1967 verhaftet. Lameda selbst wurde zwar während seiner Haft nicht gefol- tert, aber er berichtete, daß er die Schreie von Gefangenen gehört habe, die gefoltert worden seien. Während der Haft verlor er rund 20 Kilogramm Gewicht, und überall auf seinem Körper bildeten sich Geschwülste und Geschwüre.

In einer von amnesty international veröffentlichten Schrift schildert er die Farce der Gerichtsverhandlung, die mit der Verurteilung zu 20 Jahren Zwangsarbeit endete, weil er angeblich versucht hatte, »zu sabotieren, zu spionieren und ausländische Agenten nach Nordkorea einzuschleusen«, die Haftbedingungen5 und seine Freilassung nach sechs Jahren auf wiederholte Interventionen der venezolanischen Behörden hin.

Andere Zeugen berichten, daß Hunger systematisch als Mittel eingesetzt wurde, um die Häftlinge zu brechen. Nicht nur die Menge des Essens war unzureichend, in der Regel wurde auch alles getan, um es ungenießbar zu machen. Reihenweise erkrankten die Häftlinge: Durchfall, Hauterkrankungen, Lungenentzündung, Hepatitis und Skorbut waren an der Tagesordnung.

Die Gefängnisse und Lager sind Teil eines weitgespannten Netzes von Unterdrückungseinrichtungen. Man kann unterscheiden:

Diese Gebiete unter besonderer diktatorischer Gewalt liegen hauptsächlich im Norden des Landes, in Bergregionen, die oft schwer zugänglich sind. Die Yodok-Zone soll mit 50.000 Personen die größte sein. Sie umfaßt die äußerst isoliert gelegenen Lager Yongpyang und Pyonjon, in denen rund zweit Drittel der Häftlinge der gesamten Zone einsitzen, sowie die Lager Kououp, Ibsok und Daesuk, in denen, allerdings getrennt, die Familien ehemals in Japan ansässiger Koreaner und unverheiratete Personen festgehalten werden. Weitere Zonen unter besonderer diktatorischer Gewalt liegen in Kaechon, Hwasong, Hoiryoung und Chongjin.

Die Lager wurden Ende der fünfziger Jahre eingerichtet für »politische Kriminelle« und Gegner Kim II Sungs innerhalb der Partei. Die Zahl der Lagerinsassen stieg 1980 nach einer großen »Säuberung« stark an, der die unterlegenen Gegner der auf dem VI. Parteitag der Partei der Arbeit beschlossenen Institutionalisierung eines dynastischen Kommunismus zum Opfer fielen. Einige Lager, so etwa das Lager Nr. 15 in der Yodok-Zone, sind unterteilt in eine »Abteilung für Revolutionarisierung«, deren Insassen darauf hoffen können, eines Tages wieder in die Welt draußen zurückkehren zu können, und einen »Hochsicherheitsbereich«, den niemand lebend verläßt.

In den Abteilungen für Revolutionarisierung sitzen hauptsächlich Häftlinge der politischen Elite oder Rückkehrer aus Japan mit Beziehungen zu den Leitern japanischer Organisationen, die Nordkorea gegenüber positiv eingestellt sind.

Die wenigen Überläufer, die durch solche Lager gegangen sind, geben erschreckende Beschreibungen: hoher Stacheldraht, Schäferhunde, bewaffnete Wärter, ringsherum Minenfelder. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist völlig unzureichend, die Isolierung von der Außenwelt perfekt, die Arbeit hart (zwölf Stunden täglich Einsatz im Bergwerk, im Steinbruch, beim Ausheben von Bewässerungskanälen, bei Holzfällarbeiten, dazu kommen noch zwei Stunden »politische Erziehung«). Der Hunger ist die wohl schlimmste Folter, die Häftlinge fangen und essen Frösche, Ratten, Regenwürmer.

Zu diesem alles in allem klassischen Schreckensbild muß man noch den kontinuierlichen physischen Verfall der Häftlinge hinzufügen, die Heranziehung von Häftlingen zu »Sonder«-Einsätzen wie dem Ausheben geheimer Tunnel, zu gefährlichen Arbeiten etwa in den Nuklearanlagen und ihre Verwendung als lebendige Zielscheiben für die Schießübungen der Wärter. Auch Folter und sexuelle Quälereien gehören zum grauenvollen Alltag der nordkoreanischen Gefangenen.

Zu ergänzen ist noch, daß in den Augen des Regimes immer die gesamte Familie schuldig ist: Ganze Familien finden sich im Lager wieder, weil ein Familienmitglied verurteilt wurde. Bei der Säuberung unter den Gegnern Kim II Sungs im Jahr 1958 wurden die Strafen oft auf Angehörige von drei Generationen ausgedehnt, so hart wird heute nicht mehr verfahren. Aber auch in Berichten aus relativ junger Vergangenheit begegnet uns noch dieses eigenartige Rechtsverständnis. Ein junger Überläufer namens Kang Chul Hwan kam mit neun Jahren ins Lager. Das war im Jahre 1977. Er wurde zusammen mit seinem Vater, einem seiner Brüder und zwei Großelternteilen interniert, nachdem in dem betreffenden Jahr der Großvater, ein ehemaliger Verantwortlicher der Vereinigung der Koreaner im japanischen Kyoto, wegen einiger allzu wohlwollender Bemerkungen über das Leben im Kapitalismus festgenommen worden war.

Bis zum Alter von 15 Jahren erfuhr Kang Chul Hwan im Lager die Kindern vorbehaltene Behandlung: morgens Schule, wo vorzugsweise das Leben des Nationalhelden Kim Il Sung gelehrt wurde, nachmittags Arbeit (Unkrautjäten, Steine aufsammeln usw.6).

Sollen wir uns auf die Aussagen der französischen Diplomaten stützen, die im Juli 1950, zu Beginn des Koreakrieges, von den Nordkoreanern festgenommen wurden? Oder auf die amerikanischen Besatzungsmitglieder der Pueblo, eines vor Korea auf hoher See liegenden Aufklärungs-Hilfsschiffs, das 1968 gekapert wurde? Beide Male lagen besondere Umstände vor, aber die einen wie die anderen berichten übereinstimmend von brutalen Verhören, Gleichgültigkeit gegenüber einem Menschenleben, systematisch harten Haftbedingungen.7

Im Jahre 1992 brachten zwei Überläufer Informationen über das Leben im größten nordkoreanischen Lager mit, dem Lager von Yodok. Sie bestätigten, daß die Haftbedingungen dort so hart sind, daß trotz der Elektrozäune, trotz der Wachtürme in jeweils einem Kilometer Abstand und der Gewißheit, daß jeder gescheiterte Fluchtversuch mit einem öffentlichen Prozeß und der Hinrichtung unter den Augen der Mitgefangenen endet, jedes Jahr rund 15 Häftlinge zu fliehen versuchen. Sie vergrößern die Blut- schuld der Kommunisten weiter, denn den beiden Überläufern zufolge ist noch nie ein Fluchtversuch gelungen.

Kürzlich hat ein ehemaliger Wärter eines Lagers in der Zone Hoiryong eine sehr eindrucksvolle Schilderung abgegeben. Der Mann namens An Myung Chul, der im Jahre 1994 nach China floh und von dort weiter nach Seoul, hat unser Wissen über die koreanischen Konzentrationslager beträchtlich vergrößert.8 Er berichtete, wie »schlechte Subjekte« zur Hinrichtung ausgewählt werden: »Ungehorsame, Aufrührer, Mörder, schwangere Frauen (den Häftlingen sind jegliche sexuelle Beziehungen formell untersagt), Menschen, die Vieh getötet haben, und solche, die für die Produktion bestimmtes Material zerstört haben. Im Kerker steckt man ihnen ein großes Holzstück zwischen die nach hinten gefesselten Beine und den Hintern, und dann müssen sie sich hinknien. Das Holzstück hemmt die Blutzirkulation, was bleibende Schäden verursacht, und selbst wenn man sie freiließe, könnten sie nicht mehr laufen und würden innerhalb von Monaten sterben.«

Die Hinrichtungen in den Lagern finden inzwischen nicht mehr öffentlich statt. Von öffentlichen Hinrichtungen ist man abgerückt, weil sie so häufig waren, daß sie nicht mehr abschreckten, sondern die Häftlinge nur zur Rebellion anstachelten. Schwerbewaffnete Wärter mußten den Hinrichtungsort schützen, und seit 1984 werden Hinrichtungen heimlich durchgeführt.