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Eine kleine Kulturgeschichte der Toilette – von der Antike bis heute

Wo alle Speisen enden

Von Barbara Schleicher
Standardtoilette, spätes 20. oder frühes 21. Jahrhundert.  Foto: Begsteiger

Standardtoilette, spätes 20. oder frühes 21. Jahrhundert. Foto: Begsteiger

Toilette, WC, OO, Abort, Klosett, Bedürfnisanstalt, Retirade, Klo, stilles Örtchen, Lokus, Abtritt, Latrine, Donnerbalken, Scheißhaus, Pissoir, Rotunde und Pinkelbude – wie auch immer man die Einrichtung nennt, sie dient jedenfalls dem Zweck der Verrichtung dringender Bedürfnisse. Rein statistisch betrachtet, verbringen heute Frauen 376 Tage und Männer 291 Tage ihres Lebens auf der Toilette. War das immer so? Wo und wie verrichteten zum Beispiel die alten Römer ihr "Geschäft"?

Zeitweise platzte die antike Metropole Rom aus allen Nähten. Die 46.602 mehrstöckigen Miethäuser verfügten über keine eigene Wasser- und Abwässerversorgung. Die Notdurft wurde auf dem Skaphia (Nachttopf) verrichtet. Zur Entleerung standen im Erdgeschoß spezielle Tonnen bereit. Beschwerlich war der Stuhlgang für die Bewohner oberer Etagen – groß die Versuchung, im Schutz der Dunkelheit den Inhalt des Nachtgeschirrs einfach auf die Straße zu kippen. Angesichts dieser anrüchigen Praxis riet der Satiriker Juvenal allen Menschen, ein Testament aufzusetzen, ehe sie sich nachts auf die Straße wagten.

"Latrinenindustrie"

Die Römer kennen außerdem keine Seife. Ersatzstoffe sind der menschliche und der tierische Urin, deren Ammoniak selbst speckigsten Schmutz beseitigt. Riesige Amphoren stehen an zentralen Plätzen, um die wertvolle Substanz aufzunehmen. Die florierende "Latrinenindustrie" betreiben Fullonen (Tuchwalker). Als ihnen Kaiser Vespasian eine deftige "Harnsteuer" auferlegt, rechtfertigt er dies mit den berühmten Worten "pecunia non olet" (Geld stinkt nicht).

Unter Vespasians Regentschaft entstehen die ersten staatlichen Bedürfnisanstalten – bescheideneecessarias mit sechs bis sieben nebeneinander liegenden Sitzen in den Außenbezirken, repräsentative Prachtlatrinen mit mehr als 50 Sitzen im Stadtzentrum. Die durchgehende marmorne Latrinenbank öffnet den Blick auf großzügige, lichtdurchflutete Innenhöfe. Fließwasser reinigt den Fäkaliengraben. Separate Wasserbecken stehen für die Handwaschung zur Verfügung. Ein conductor foricae (Klomann) sorgt für die Hygiene in der Toilettenhalle. Er hält auch Sitzmatten aus Stroh sowie Schwämme und Stofflappen zur Reinigung des Allerwertesten bereit – übrigens ein Dienst, den zumeist Sklaven verrichten. Bei Hochbetrieb sitzen die Benutzer Pobacke an Pobacke, da die Distanz zwischen den Plätzen minimal ist. Das stille Örtchen verwandelt sich daher in einen Ort der Kommunikation, den man aufsucht, um Geschäfte abzuwickeln oder ganz einfach zu schwatzen. ("Man" ist historisch korrekt, denn Frauen ist der Zutritt zu den öffentlichen Bedürfnisanstalten verwehrt.)

Als die Menschen aufhören, Hygieia zu verehren, und die antike Welt zusammenbricht, verschwindet auch das von dieser Göttin personifizierte Gesundheitsbewusstsein aus dem Alltag. Das "düstere" Mittelalter ist vielerorts schmutzig und stinkend. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land. Die von ihnen betriebene Dreifelderwirtschaft benötigt organischen Dung. "Herr und Gescherr" verrichten ihre Notdurft auf dem Feld und im Stall. Der Inhalt von "Pisspot", "Nachtvaas" und "Scheißkübel" landet auf dem Misthaufen.

Unverkrampft und deftig gehen Landvolk, Adel und Klerus mit den menschlichen Ausscheidungen um. Die Chroniken sind voller Berichte über wüste Zechereien, bei denen aus "Brunz- und Saichkacheln" gesoffen wird. In der Hochzeitsnacht werden die Brautpaare mit Kammertöpfen überrascht, auf denen eine neugieriges Antlitz zu sehen ist und eine eindeutige Aufschrift verkündet: "Wenn du wüsstest, was ich sehe" .

Auch in der Literatur geht es derb zu. François Rabelais lässt in seinem Roman "Gargantua und Panatgruel" den "Abtritt" zu einem Besucher sagen: "Hosentrompeter, Stinkkraketer, Hinterlochflöter, kackender Steiß: Da hockt er und bläht er, der wanstige Peter. Da druckt er und dreht er. Und füllt mich mit Scheiß."

Ländliche Lebensformen prägen auch das Stadtleben. Schweine, Hühner, Ziegen und Kühe bewegen sich frei auf den Straßen, fressen organische Abfälle – und erzeugen Mist. Es ist unmöglich, unbefestigte Straßen zu reinigen. Häufig werden sie mit Stroh ausgelegt, um wertvollen Straßenkot für die Landwirtschaft zu gewinnen. Erst im Hochmittelalter werden auf verkehrsreichen Straßen und Märkten Pflastersteine verlegt, um die Säuberung zu ermöglichen. Trotzdem stinkt die mittelalterliche Stadt fürchterlich.

Sickergruben und -gräben

Für die Entleerung von Darm und Blase stehen Nachttopf und -stuhl sowie der Donnerbalken bereit. Das "secret", "secessu", "privet und haimliches Gemach" ist eine Erfindung des 13. Jahrhunderts. Dieses primitive Plumpsklo befindet sich auf den Hinterhöfen und zwischen den Häusern. Exkremente landen in Sickergruben oder -gräben, deren Entleerung nicht nur kostspielig, sondern auch lebensgefährlich ist.

Sozial geächtete Berufsgruppen wie Henker, Abdecker und Totengräber entsorgen die Fäkalien. Undichte oder falsch angelegte Sickergruben führen zu Trinkwasserverschmutzungen. "Infolge solcher Brunnenvergiftungen sterben 1346 in Straßburg etwa 6.000 Menschen, 1360 abermals 6.000 und in den Jahren 1414 und 1417 je 5.000 Menschen, ohne dass man die Ursache erkennt" , berichtet der Historiker Daniel Furrer in seiner "Kulturgeschichte des stillen Örtchens". Angesichts dieser Bedrohung versetzen die Menschen ihr Wasser zur Desinfektion mit Alkoholika oder trinken gleich Bier, Wein und Most. Gegen Ende des Mittelalters explodiert die Bevölkerungszahl in den Städten. Vier- bis fünfgeschossige Mietskasernen werden errichtet. Wie im alten Rom fehlt es an Sanitäreinrichtungen, die Entleerung des Nachtgeschirrs erfolgt häufig durch das Fenster. Durch die Straßen streifen "Abtrittanbieter" mit Kübeln. Gegen Entgelt bereiten sie weite Pelerinen aus, damit Kunden, geschützt vor neugierigen Blicken, ihr Geschäft verrichten können.

Solche Sitten haben bis ins höfische Leben der Neuzeit Bestand: Thronend auf der commodité empfängt Ludwig XIV. seine Berater, ausländische Unterhändler und Mätressen. Kurioserweise verfügt das Prunkschloss Versailles zwar über 2.000 Räume, aber nicht über sanitäre Einrichtungen. Uriné et chié wird in die 300 wertvollen chaises percées, chaises nécessaires, chaises dáffaires, chaises pertuisées und secrets aus Porzellan, Keramik und Silber.

Doch die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem. "Während der stundenlangen Empfänge vor dem König ist es nicht ungewöhnlich, dass die hohen Damen ihre Notdurft im Stehen, durch die Doppelröcke geschützt, verrichten. Den Kavalieren stehen Säulen, Nischen, Prachtvorhänge und Gobelins zur Verfügung. Verständlich, dass die Hofgesellschaft wiederholt wegen erforderlicher Luftveränderung ihren Aufenthaltsort innerhalb der Schlossflügel wechseln muss" , erzählt Furrer. Versailles stinkt – und das, obwohl der "Nachtstuhl mit Wassermaschine" längst erfunden ist.

Stammland der wassergespülten Toilette ist Großbritannien. In der Grafschaft Somerset leistet sich Sir John Harington 1592 nach italienischen Plänen ein Landhaus mit water closet . Der clevere Adelige will neben dem privaten Nutzen auch Reputation und Geld aus seinem WC herausschlagen. Deshalb präsentiert er seine Erfindung in einem Sachbuch: "The Metamorphosis of Ajax – A Cloacinean Satire". Queen Elizabeth I. ist außerordentlich beeindruckt. Ihre Privatgemächer auf Schloss Richmond werden sanitär ausgestattet. Das WC wird zum exklusiven Prestigeobjekt der Lords, Counts und Earls.

Zum bürgerlichen Standard wird das WC erst, als die Slums der europäischen Großtädte bereits zum Himmel stinken. Senkgruben und Abwässerkanäle gehen über. Die Verseuchung des Grundwassers nimmt zu, Typhus, Ruhr, Cholera und Gelbsucht grassieren. 1848/ 49 sterben allein in London mehr als 53.000 Menschen an der Cholera. Doch erst der Tod des Prinzen Albert, des Gemahls der Queen Victoria, infolge einer Typhusinfektion führt 1862 zu städtebaulichen Maßnahmen.

Kanalsysteme in London

Joseph Balzagette wird mit der Errichtung eines modernen Kanalisationssystems beauftragt. Er legt Sammelkanäle an den Themse ufern an, die unterhalb Londons münden. Das 130 km umfassende Kanalsystem befördert täglich 234 Millionen Liter Regenwasser und unbehandeltes Abwasser in die Themse. London wird zur sauberen Stadt. Bereits 20 Jahre später erfolgt der Ausbau des Kanalnetzes, sowie die grundsätzliche Trennung von flüssigen und festen Fäkalien, von denen letztere in der Nordsee versenkt werden. Paris, Berlin und Wien eifern dem Londoner Vorbild nach.

Mit den in allen Städten errichteten Abwassersystemen verschwinden die Fäkalien aus dem Blick- und Geruchsfeld der Öffentlichkeit und werden tabuisiert. Dadurch wächst das Hygienebewusstsein. Am Beginn des 20. Jahrhunderts mutiert das stille Örtchen zur Wirkungsstätte der Hygiene – Daniel Furrer beschreibt es als "Tempel der Reinlichkeit und der körperlichen Reinigung. Hygiene, kultureller Fortschritt und soziales Ansehen werden nun als Einheit empfunden" .

Spätestens seit der Revolutionierung der Wohnverhältnisse in den 50er Jahren gehört das Wasserklosett in allen europäischen Wohnungen zum Standard. Längst haben Designer den sanitären Raum entdeckt und ihn mit körpergerechten Sitzformen, witzig schrägen Klodeckeln und coolen Klobürsten ausgestattet.

Dank Hightech gibt es bereits ein Dusch-WC mit Warmwasser-Reinigungsstrahl und Trockenföhn, über das bereits 40 Prozent der japanischen Haushalte verfügen.

400 Jahre ist das water closet alt, ohne dass es in der Zwischenzeit zu nennenswerten technischen Verbesserungen gekommen ist. Proteste gegen die ungeheure Trinkwasserverschwendung sowie Bemühungen um eine umweltgerechte Entsorgung der Fäkalien blieben bisher erfolglos. Probleme bereitet vor allem der menschliche Urin, der durch problematische Substanzen wie Hormone und Medikamente angereichert ist. Kläranlagen können diese Inhaltsstoffe nur ungenügend eliminieren, so dass die Verunreinigung der Gewässer fortschreitet.

Abhilfe könnte die Installation eines Nutzwasserversorgungssystems für Toiletten schaffen. Innovativ ist auch das Trenn-WC, dessen vorderer Teil nur den Urin auffängt, während Fäkalien und Toilettenpapier im hinteren Becken weggespült werden. Ob sich diese neue Technologie im 21. Jahrhundert durchsetzt? Sicher ist, dass die Geschichte des stillen Örtchens nicht mit der wassergespülten Toilette enden wird.

Literatur: Daniel Furrer: Wasserthron und Donnerbalken. Eine kleine Kulturgeschichte des stillen Örtchens. Primusverlag Darmstadt 2004, 195 Seiten. Interessenten sei auch das "Museum für historische Sanitärobjekte" in Gmunden empfohlen. Adresse: Traungasse 4, 4810 Gmunden. Internet: http://www.museen.gmunden.at; Tel. 07612/ 794 294

Freitag, 15. April 2005

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