Die Gerechten Österreichs
Judenstempel
Dorothea Neff - 1979
Die 1903 geborene Wiener Schauspielerin Dorothea Neff versteckte
zwischen 1941 und 1945 ihre jüdische Freundin Lili Wolff und
gefährdete damit ihre Theaterkarriere und ihr Leben.
Dorothea Neff kannte Lili, die einen Modesalon besaß, aus
ihrer Theaterzeit in Deutschland. Als Lili 1941 nach Wien kam, nahm
sie Dorothea Neff in ihrer Wohnung in der Annagasse 8 auf. Obwohl
Dorothea eine populäre Schauspielerin im Volkstheater war,
kamen sie und Lili, die illegal und ohne Reiseerlaubnis aus Berlin
nach Wien gekommen war, nicht mit der Gage Dorotheas aus. Lili hatte
keine Lebensmittelkarte. Dorothea musste ihren Schmuck versetzen,
um überleben zu können.
Als Gefahr drohte, dass Lili von der Gestapo entdeckt werden könnte,
beschloss diese auf Anraten Dorotheas, sich beim Polizeipräsidium
zu melden und anzugeben, dass sie ihre Reiseerlaubnis aus Berlin
nach Wien verloren hätte. Sie bekam einen Pass mit einem Judenstempel,
eine Lebensmittelkarte und wurde in eine jüdische Wohnung im
zweiten Bezirk als Untermieterin zugeteilt. Bis zum Spätherbst
1941 musste sie mehrere Male umziehen, da den Juden die Wohnungen
systematisch weggenommen wurden.
Im Oktober 1941 wurde Lili von der Gestapo aufgefordert, sich für
ihre Deportation fertig zu machen. Als Dorothea dies hörte,
sagte sie zu Lili: "Du bleibst bei mir, jetzt und weiterhin."
Dorothea Neff stellte ihrer Haushälterin, Frau Ottenstein,
der sie ein anständiges Trinkgeld zusteckte, Lili als eine
Freundin aus Deutschland vor, die ausgebombt wurde und zeitweilig
bei ihr wohnen muss. Lili litt unter ständiger Angst und Depressionen.
Dorothea tröstete sie und flößte ihr Mut ein. "Mit
Hitler wird es bald zu Ende gehen", sagte sie ihr. "Ich
bin überzeugt davon."
Dorothea und Lili mussten mit einer Lebensmittelkarte auskommen.
Die Rationen reichten gerade zum Überleben. Die wichtigen Lebensmittel
bekam man nur auf zugeeilte Marken. Dorothea profitierte beim Schwarzhandel
von ihrer Popularität. Der Gemüsehändler und die
Greißlerin gaben ihr gelegentlich ein Stück Butter, ein
paar Eier, Wurstsemmeln und Gemüse.
Die ständige Gefahr entdeckt zu werden, der Hunger und die
nervliche Belastung wirkten sich auf den Gesundheitszustand Lilis
aus. Sie bekam eine schwere Magenkrankheit. Dorothea mußte
wochenlang vor den Theaterproben und Auftritten Haferschleimsuppe
kochen, weil Lili nichts anderes essen konnte. Dorothea wog bei
einer Größe von 1,75m nur 48 kg, Lili bei 1,60m kaum
über 40 kg.
Im Frühjahr 1944 bekam Lili eines Tages starke Schmerzen. Dorothea
brachte sie zu ihrem Arzt und stellte sie als ihre Freundin unter
dem Namen Autonie Schmid (Namen ihres verstorbenen Mannes und ihres
zweiten Vornamens) vor, die nach einem Bombenangriff alles, auch
ihre Dokumente, verloren hatte und zu ihr geflüchtet war. Der
Arzt entdeckte ein Geschwulst in der Brust, das auf Krebs hindeutete.
Er ordnete eine sofortige Operation an. Lili wurde ins Allgemeine
Krankenhaus eingewiesen. Die Operation verlief gut, der Tumor erwies
sich als gutartig. Im Laufe von über drei Wochen besuchte Dorothea
ihre Freundin täglich im Krankenhaus. Nach ihrer Entlassung
nahm Dorothea sie wieder zu sich.
Am 2. September 1944 wurden in Wien alle Theater geschlossen. Dorothea
wurde in eine Fabrik in der Wurmsergasse eingeteilt, in der Uniformteile
und Hemden erzeugt wurden. Sie sorgte die ganze Zeit für Lili
und blieb mit ihr in der Wohnung, auch als Luftschutzsirenen ertönten.
Nach der Befreiung setzte Dorothea Neff ihre Karriere im Volkstheater,
Burgtheater und Akademietheater fort. Mit ihrer Hilfe konnte Lili
nach Amerika fahren und ließ sich in Dallas nieder. Bei einer
feierlichen Zeremonie im Wiener Akademietheater wurde Dorothea Neff
1979 vom Yad Vashem die Ehrenmedaille der "Gerechten der Völker"
verliehen.
Die Gerechten Österreichs
Eine Dokumentation der Menschlichkeit
von Mosche Meisels
Umschlaggestaltung von
Arje Weiss (einer der Geretteten)
Herausgegeben von der Österreichischen Botschaft in Tel Aviv
1996, S. 64-65.
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